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Nr. 79.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­fährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei n's Haus. Einzelne Nummer 6 Pig. Sonntags: Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. proQuartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland smt.pr.Monat. Eingetr. in der Post Beitungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.

Vorwärts

12. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins: und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pig. Inserate für die nächste Nummer miffen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin !

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Abonnements- Einladung.

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Mittwoch, den 3. April 1895.

Die Krisis in Spanien .

Madrid , den 29. März.

Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.

Wenn das liberale Ministerium auch in letzter Zeit große Schwächen, in manchen Fragen geradezu eine absolute Ohnmacht bewiesen hat, so hätte man im Volfe ein neues liberales Zu Beginn eines neuen Quartals richten wir an alle Die plöglich eintretende Ministerkrisis mit ihren unmittel- Ministerium, selbst ein solches unter der Leitung Sagasta's, mit Freunde und Parteigenossen die dringliche Bitte, für die baren Folgen hat hier im Lande geradezu verblüffend gewirkt, größerer Sympathie aufgenommen, als man jetzt das tonservative Erweiterung unseres Abonnentenfreises ist, so wird sie für lange Zeit doch noch ihre höchst empfindlichen und wenn dieselbe auch vor drei Tagen formell gelöst worden Ministerium Canovas aufnimmt. mit aller Energie thätig zu sein. Gegen die Partei, Wirkungen spüren lassen. Denn ein so frecher und unerhörter wurde allgemein mit Kälte und Ruhe aufgenommen, während Die Nachrichten über das konservative Regiment Canovas deren Zentralorgan der Vorwärts" ist, haben die ver- Angriff des Prätorianerthums auf das von der Verfassung fest- man seine Ministerliste mit dem größten Mißtrauen, ja theil­einigten Parteien der Reaktion, denen der gelegte Recht und das allgemein herrschende Rechtsbewußtsein, weise mit Bestürzung und Abscheu betrachtet. Soweit die Preß­Boden unter den Füßen wankt, jezt alle ihre Kräfte auf- muß eine gewaltige Reaktion auf das Volksgewissen ausüben, die stimmen, welche sich mit dem Regierungswechsel befassen, vor geboten; durch ein neues Knebelgesetz soll die zahl- sich nicht so leicht und bald verwischen läßt. Man weiß jetzt liegen, ist nur zu deutlich erkennbar, daß außer den von Canovas reichste Partei in Deutschland mundtodt gemacht, und für ganz genau, welche Machtstellung das Militär in Spanien ein- abhängigen Organen fein einziges von Bedeutung mit der Zu­unsere Feinde und des Volkes Feinde die Ruhe des nimmt und wessen man sich zu versehen hat, wenn es dem sammensetzung der neuen Regierung zufrieden ist; einzelne äußern Kirchhofes hergestellt werden, damit sie ungestört General Martinez Campos, welcher vollständig, wenigstens schon die schwersten und begründetsten Bedenken, besonders in Kirchhofes hergestellt werden, damit sie ungestört in moralischer Beziehung, Herr der Situation und Spaniens ist, bezug auf einzelne Minister; alle sind aber über die Maßen ihre gemeinschädliche und gemeingefährliche Arbeit einen einfallen sollte, verrichten können. Die Kämpfe, in denen wir stehen, veranstalten. Und daß er, Stils Staatsstreich höheren zu überrascht und nehmen, soweit sie nicht gleich polemisch werden, wenn ihm die Gelegenheit eine sehr reservirte und abwartende Haltung ein. sind von entscheidender Bedeutung; und die Verhand günstig erscheint, dazu im stande ist, kann nur poli- Und das letztere fennzeichnet auch die allgemeine Stimmung Inngen des Reichstages über die sogenannte U mtischen Kindern und alten Weibern als unmöglich er- des Voltes: man wartet ab und ist reservirt. Man ist eben sturz vorlage, die jetzt in der Kommission sich abscheinen. Ein Ministerium Martinez Campos , wovon gespannt auf die ersten Handlungen der Regierung, welche fich spielen, bald aber im Plenum stattfinden werden, im Auslande viel gefabelt worden ist, war vollständig undenkbar, im wesentlichen auf folgende Punkte zu konzentriren haben: find von ganz besonderer Wichtigkeit.- Je größer aber die wenigstens solange noch liberale und konservative Glemente Wie wird sich die Regierung gegenüber dem Konflikte Verbreitung des Zentralorgans, desto größer sein Einfluß existirten, auf welche die Monarchie sich verlassen konnte. Man zwischen Militärgericht und ordentlichem Gericht in bezug auf und seine Wirksamkeit, und desto größer die Macht hat hier darum von einem Martinez Campos nur als die schwebenden Breßdelikte verhalten, und wie wird sie den und seine Wirksamkeit, und desto größer die Macht von einem äußersten Nothfall gesprochen und geschrieben, Artikel 7 des Militär- Strafgesetzbuchs, welcher sich auf Be der Partei. wozu vorläufig nicht die allergeringste Veranlassung vorlag. leidigung des Heeres bezieht, interpretiren? Werden Cortes und Die Redaktion des Vorwärts" wird bemüht sein, ihre Das wird den Lesern um so begreiflicher erscheinen, wenn ich sie Senat, Provinzial- und Stadträthe aufgelöst werden? Wird die Pflicht zu thun, und das Zentralorgan der Partei würdig darauf aufmerksam mache, daß eine Regierung Campos fo Regierung reaktionäre Gesetze in bezug auf die Freiheit der viel bedeutet haben würde, wie Belagerungszustand in Per- Presse und anderweitige freiheitliche Institutionen vorlegen?

zu machen!

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,, Die Neue Welt".

Für Berlin nehmen sänmtliche Zeitungsspediteure, so wie unsere Expedition, Beuthstr. 3, Bestellungen ent­gegen zum monatlichen Preise von

1 Mart 10 Pfennige frei ins Hans. Für außerhalb nehmen sämmtliche Postanstalten Abonne­ments zum Preise von 3,30 M. für das Quartal entgegen.( Eingetragen in die Post- Zeitungsliste für 1895 unter Nummer 7128.)

Mit dem 1. April eröffnen wir ein neues Abonne- manenz, Militärdiktatur sans phrase u. f. 1., kurz Reaktion Welche Vorschläge wird sie machen, um die tubanische Frage in ment auf den Vorwärts" sonder gleichen. Aber dazu hätte die Königin sich nie entschließen allgemein befriedigender Weise zu lösen? mit der illustrirten Sonntags- Beilage dürfen, wenn sie nicht ihren recht unsicheren Thron hätte auf's In bezug auf die erste Frage über die Zuständigkeit der Spiel sehen wollen; denn es ist allgemein bekannt, daß das Gerichte in den gegenwärtig schwebenden Prozessen wegen spanische Volt durch und durch republikanisch revublikanisch gesinnt Beleidigung des Heeres läßt fich fich wenig Positives ist, auch wenn die republikanische Organisation augen- fagen; dagegen lassen sich alle möglichen Bermuthungen blicklich arg danieder liegt, ja fast auf den Hund gekommen ist.| aufstellen. Um hierin möglichst sicher zu gehen, hat Doch das will nicht viel bedeuten. Sollte die Regierung es man folgende Thatsachen in betracht zu ziehen. Der jetzige unternehmen, dem Bolte straffere Bügel" anzulegen, so würde Justizminister ist der famose, man möchte sagen der berüchtigte wohl eine allgemeine Erhebung die Folge sein, und man würde Romero Robledo , welcher vor einigen Jahren als Kolonial­fich, was bei dem spanischen Volfscharakter durchaus selbst minister compannia transatlántica", deren Hauptaktionär er verständlich ist, keineswegs von Opportunitätsrücksichten, sondern ist, mit Millionen unterstützte; man wird sich denken können, zu von elementaren Impulsen leiten lassen. welchem Zwecke dies geschehen ist. Romero Robledo ist derselbe Noch bis kurz vor Beendigung der Krisis war die Wahr- Mann, welcher vor nicht langen Jahren mit dem Räuberhaupt­scheinlichkeit eines liberalen Ministeriums größer, als die eines mann Andalusiens , dem berüchtigten Megares, die intimsten tonservativen; denn persönlich genießt Sagasta ein viel größeres Beziehungen unterhielt und ihm, wer weiß gegen welche Ver­Prestige als Canovas, dessen letter fläglicher Abgang Ende gütung, moralisch und materiell beschüßte. Daß man einem 1892 noch in aller Gedächtniß ist. Bei Sagasta sette man ferner solchen Justizminister, dessen moralische Qualitäten allgemein als voraus, und aus seiner bisherigen Politik fonnte man auch sehr wenig entwickelt gelten, mit dem größten Mißtrauen be auf das bestimmteste darauf schließen, daß er für reaktionäre gegnet, darf niemanden Wunder nehmen. Wenn er auch noch Maßregeln, welche der militärische Einfluß auf die Königin vor wenigen Tagen in den Cortes erklärt hat, daß einzig und gar zu gern herbeiführen möchte, nicht zu haben sei. Aber die allein die ordentlichen Gerichte in den genannten Schwierigkeiten müssen für die Liberalen so große gewesen sein. Beleidigungsprozessen zuständig sein fonnten, so wird daß es ihnen unmöglich war ,, cine Regierung zu konstituiren, doch niemand überrascht sein, wenn man erfährt, welche zugleich dem Herrn der Situation, Martinez Gampos, daß er als Minister seine Meinung geändert hat; denn ihm ist und den liberalen" Grundsätzen genügt hätte. alles zuzutrauen, und seine Ernennung hat daher überall Ent­

In unserem Feuilleton beginnt nach Schluß der eben begonnenen kurzen Erzählung: Bu Tode gehetzt", der Abdruck der geschichtlichen Erzählung:

Berliner Märztage"

von Michel Deutsch,

auf welches Werk wir unsere Leser besonders aufmerksam machen.

Redaktion und Expedition des Vorwärts".

Feuilleton.

[ Nachdruck verboten.]

Zu Tode gehetzt!

Eine Erzählung nach dem Leben von Franz Held. III.

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Am andern Abend stand er dann auch richtig in seinem Hinterhalt. Man hatte, um die Attentäter irre zu leiten und zu überrumpeln, eine Stunde vor der gewöhnlichen Zeit zu Abend gegessen.

Schwarz lud seine Doppelflinte mit Salz und schob dann den Lauf durch eine Lücke des zerbröckelten Ge

mäuers.

Die neue Scheune war keine hundert Schritte weit entfernt.

Seine scharf zielenden Augen glommen glühend aus der zunchmenden Dämmerung, als lauere er auf ein Wild, das er auf den ersten Schuß niederstrecken müsse, wenn es ihm selbst nicht an's Leben gehen solle.

An der äußeren Seitenwand, zwischen wüstem Himbeer gebüsch, hielten sich alle lebenden Seelen des Hofes ver­borgen.

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eilende Gestalten losfahren und ihnen über Stock und Stein nachstürzen.

den Wenn ich ihn doch hier unter'm Absatz hätte Schuft! den Judas ! Aber abwarten. Endlich einmal muß er doch zu seinem Lohn kommen. Wozu haben wir denn

Der Großknecht und eine kouragirte siebzehnjährige Magd faßten sie denn auch wirklich ab. Denn die Gerichte?! Flüchtenden waren durch einige Ladungen Salz in die Hinter- Façade an schnellem Lauf gehindert gewesen. Die junge Magd drosch sofort auf sie los.

Wer?! Wer ist es?"' Ran mit der Lumpen­bagage!!"

Schwarz schrie es; er hatte mittlerweile den glimmenden Strohwisch, der sich wieder an einer Stange gegen die Scheunenwand gelehnt vorfand, an der brennenden Torf­tohle, die in dem Stroh wiederum enthalten war, vollends in Brand gesteckt und leuchtete nun den beiden dingfest ge­machten Brandstiftern ins Gesicht.

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Es war Weib und Tochter des Nobolski. Sperrt sie in den Schweinestall die Echweine bande!" wüthete Schwarz und gab ihm noch ein paar saftige Fauftschläge und kräftige Fußtritte mit auf die Reise. Der Frau Robolska linke Schläfe blutete stark. Die Tochter, eine große, üppige Brünette, hielt sich freischend die mit Salz gespickten hinteren Rundungen ihres Körpers. Weshalb nur? Um Himmels- Heilands- Jesu willen! Weshalb nur?!"

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Die Verhandlung gegen Kendelmann wegen Brand­ stiftung stand zwar vor der Thür. Aber Schwarz zögerte doch nicht, noch vorher die Denunziation gegen Frau und Tochter des Robolski wegen desselben Delikts einzureichen. Da tam er aber bei dem Amtsv.rsteher schön an! Herr Zwiebel hatte mit der junge. Robolska ein Ver hältniß. Sie war ein heißblütiges, naiv Ding von achte zehn Jahren und hatte sich dem feinen Herrn, der städtische Kleider trug, von allen höchlichst respektivt wurde und ihr auch hier und da ein kleines Präsent machte, ohne viel Sträuben hingegeben.

Und nun sollte er sie verurtheilen?! Er hätte ja gegen sein eigenes Fleisch gewüthet! Nein, für so dumm mußte ihn denn doch keiner halten.

Es war ihm schon empfindlich genug, daß sie in­folge der empfangenen Salzladung für die nächsten Wochen das Bett hüten mußte.

Schwarz hatte, ohne es zu ahnen, mit dem Salz- Schuß sich selbst getroffen. Denn dem Amtsvorsteher gingen dadurch in den bevorstehenden Prozessen ganz neue Lichter der salomonischen Weisheit auf.

Jeht knackte es im Gebüsch. Schritte nahten kazen­haft vorsichtig. Sehen konnte man nichts, weil der Mond Frau Schwart hob die Schultern und schlug ein über's von Wolken bedeckt war. Es wurde etwas gegen die andre Mal die Hände über dem Kopf zusammen. Die Weiber zeigten sich schon bei der Voruntersuchung neue Echeune gelehnt soviel konnte man dem Geräusch Einem wegen lumpiger zehn Mark die Bude in Brand ganz außerordentlich geschickt in ihrer Vertheidigung. Sie entnehmen. zu stecken das stimmt doch nicht! sagte Schwarz. Kannst mußten von irgend welcher Seite her juristisch berathen Du Dir das denken, Frau, daß es das gewesen ist?" sein. Sie beschworen, daß sie nur zufällig vorüber gekommen Nein. Und so hartnäckig wieder zu kommen. Nein, seien, als Schwarz den Schuß abgab. ficher nicht! entgegnete fie. Ich glaube auch, der Rendel­mann steckt wieder dahinter."

Mit schwerem, ruckweisen Stöhnen wälzte sich der nasse Wind, daß die Bäume im Garten sich ächzend bogen. Jetzt ein Schuß frachte.

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" Ja, gewiß! Der Mordbrenner der! Er und kein andrer hat sie dazu angestiftet!"

Wehrufe schallen in den Tumult der regendurchklatschten Herbstluft. " Packt sie! Packt sie!" schreit Schwarz aus Leibes­fräften. Er schießt noch einmal blindlings in die Luft, während seine Leute wie Bluthunde Hals über Kopf auf zwei ent- herum.

Schwarz trat bei diesen Worten mit dem Absatz den nur noch dicken Qualm versendenden Strohwisch aus und trampelte wüthend auf den verglimmenden Bruchtheilchen

Der Amtsvorsteher konnte also weiter nichts machen ( ,, beim besten Willen nicht," wie er zu Schwarz sagte) und reichte die Denunziation überhaupt nicht beim Staats­

anwalt ein.

Dabei wollte sich Schwarz jedoch nicht bernhigen.

Reisen Sie selbst hin, wenn Sie was von ihm wünschen!" schnauzte ihn Herr Zwiebel an. Meinen Sie, der preußische Staat hätte mich hier angestellt, damit ich