Abendausgabe
Nr. 329 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 165
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Berliner Volksblatt
5 Goldpfennig
50 Milliarden
Dienstag
15. Juli 1924
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Paris , 15. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Zu den Erklärungen, die Macdonald am Montag im Unterhaus über die Londoner Konferenz abgegeben hat, nimmt bisher als einziges Blatt das„ Echo de Baris", dessen Auslandsredakteur bereits in London eingetroffen ist, Stellung. Man habe das Gefühl gehabt, daß Macdonald viel gesprochen hat, um nichts zu sagen, immerhin habe er die These durch blicken lassen, die er auf der Ronferenz zu vertreten gedente, nämlich dic, daß der Dawes Blan nicht ohne Mitwirtung des englischen und neutralen Rapitals realisiert merden tonne und daß deshalb deffen Bertretern die letzte Entscheidung über diejenigen Fragen vorbehalten bleiben müsse, über die man sich am 9. Juli in Paris . nicht habe einigen können. Die englische Regierung habe unmittelbar nach der ersten Besprechung von Chequers die Absichten der amerikanischen Finanz fondiert, und diese habe ihre Mitwirkung von folgenden Bedingungen
abhängig gemacht:
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1. Priorität für die Zinsen und den Tilgungsdienst der
800- Millionen- Anleihe.
2. Abschluß eines den guten Willen Deutschlands sichernden gegenfeitigen Vertrages über die Durchführung des Sachverständigenplanes.
3. Berpflichtung, daß die zur Berzinsung und Tilgung der Anleihe bestimmten Beträge von den Bestimmungen über die Ueberweifung deutscher Zahlungen ausgenommen fein sollen.
4. Ausdrüdücher Verzicht auf jede isolierte Aftion aller beteiligten Länder und Teilnahme eines Vertreters der Anleihezeichner bei allen Beschlüffen über die 3wedmäßigkeit und die Natur neuer Sanffionen.
Am heftigsten umstritt: n dürfte auf der Londoner Konferenz temnach die Frage der Reform der Reparationsfommis. sion, die französische Forderung nach der Kontrolle der frategisch wichtigen Eisenbahnlinien und die Frage rategisch wichtigen Eisenbahnlinien und die Frage Sanftionen sein. Nach den Absichten des englischen auswärtigen. Amtes werde die Konferenz in drei Phasen zerfallen. Zunächst eine Konferenz der alliierten Regierungen, teren jebe von vier Sachverständigenfommiffionen beraten werde; cls zweite Bhase, sobald eine Einigung über die prinzipiellen Fragen erzielt fei, die Ausarbeitung der technischen Eingel heiten durch die Sachverständigen, und endlich eine neue Ronferenz zwischen den Ministerien und die Einleitung direkter Berhandlungen mit Deutschland . Unter diesen Um ständen rechne man in unterrichteten Kreisen mit einer Dauer der Konferenz bis mindestens zum 10. oder 12. August.
Paris , 15. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Die der französischen Delegationen für die Londoner Konferenz angehörenden Sachver ständigen haben am Montag unter dem Borsiz Herriots den ganzen Tag über die französischen Vorschläge beraten. Die Mitilung des„ Matin", wonach den Gegenstand der Aussprache insbesondere die Frage bes fünftigen Regimes im Rhein land , der Eisenbahnen, der eberweisung der deutschen Zahlungen und die Form, in der Deutschland zur Konferenz zugezogen werden foll, gebildet haben, läßt einige Rüd fchlüsse auf die Politik zu, die Frankreich in London vertreten wird.
Die Delegationen unterwegs. Condon, 15. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Die französische und belgische Delegation zur Londoner Konferenz werden heute nachmittag in London erwartet. Macdonald hat für heute abend die Führer der bereits eingetroffenen Delegationen zu einem Bankett gebeten.
Die Kammer beschließt Amnestie. Paris , 15. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) In einer Nachtsizung, die erst gegen 2 Uhr morgens zu Ende war, hat die Kammer die Lesung des Amnestie gefeßes beendet. Die Annahme erfolgte mit 326 gegen 185 Stimmen. Die Rechte hatte zu einem letzten Vorstoß den ehemaligen Kriegsminister Maginot vorgeschicht, der das Gesetz als eine Ermunterung der antifranzösischen Propa ganda in der Armee bezeichnete und der Hoffnung Ausdruck gab, daß der Senat die Vorlage zu Fall bringen werde. Mit der Erwiderung, daß die Justiz allen Grund habe, Nachficht zu üben, solange es noch eine ganze Reihe von großen Standalen gebe, die bisher keine Sühne gefunden hatten, und mit dem Hinweis, daß der Senat felbst nach 1870 eine viel weitgehendere Amnestie als die jetzige beschlossen habe, brachte Herriot die Rechte zum Schweigen. Für das Gesetz haben mit dem Kartell der Linken auch die Kommu= nisten gestimmt.
Macdonald fährt nach Genf . Condon, 15. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Ueber die Absichten Condon, 15. Juli. ( Eigener Drahibericht.) Ueber die Absichten des englischen Kabinetts für die Bertretung Englands bei der nächsten Bollsitzung des Bölferbundes machte Lord Parmoor am Montag im Oberhaus bestimmte Angeben. Danach wird
Macdonald die britische Delegation felbft führen und nach seiner Rückkehr der berühmte Profeffor an der Universität Orford und Vorfämpfer des Bölkerbundgedankens Gilbert Murray Englands Führung übernehmen. Cord Parmoor wird zweiter, der Innenminister Henderson drifter britischer Vertreter sein. Auf die Frage nach den Absichten der Regierung in bezug auf den angeteglen Defenfivvertrag antwortete Parmoor ausweichend. Die Stellungnahme der Regierung sei in einer nach Genf gefandien Dent
schrift, die sich an die Richtlinien des früheren kabinetts halte, niedergelegt. Parmoors Borgänger, Lord Cecil , fonstatierte in der Debatte die Befriedigung Englands über die Verminderung der Truppen im Saargebiet, ftellte jedoch fest, daß im Saargebiet solange fein wirklich befriedigender Zustand sich ergebe, bis die Aufrechterhaltung der Ord nung lediglich in den Händen der Landespolizei liege.
Deutschlands Eintritt in den Völkerbund.
London , 15. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Die„ Times" beschäftigt sich am Montag mit dem Berliner Bericht über die Reichs. tanzlerrede vor der Preffe. Sie sagt, daß der interessanteste Teil der ist, wo der Kanzler im Hinblick auf das ParmoorInterview der EPD. Ausführungen über den Bölkerbund macht. Die„ Times" erinnert an die bisherige ablehnende Haltung der Reichsregierung und weist darauf hin, daß der Kanzler für den Eintritt in den Bölkerbund lediglich den Standpunkt deutscher Interessen betont hat. Wenn er nicht einmal ein Lippenbekenntnis zur Idee des Bölterbundes aufgebracht habe, so deshalb, weil die große Masse des deutschen Volkes den Bölkerbund mit Pazifismus verwechsle und den Frieden für einen müßigen Traum halte. Die Unterhausdebatte.
Morel hielt eine etwas peffimiftische Rede, in der er die Erfüllung des Gutachtens 40 Jahre lang für einen Sommernachtstraum" erklärte und außerdem eine Gefahr für die englische In
dustrie darin erblickte.
Andere Arbeiterparteiler( Johnston, Didion) äußerten die gleiche Besorgnis hinsichtlich der Rückwirkung deutscher Reparationen auf die englische Boltswirtschaft.
Das letzte Mittel.
Mussolini unterdrückt die Kritik der Preffe. Rom , den 11. Juli 1924. Mussolini hat seinerzeit gesagt, daß nur sein schlimmster Feind etwas gegen ihn erfinnen fonnte, wie die Ermordung Matteottis. Wir glauben, dieser selbe schlimmste Feind hat ihm bei dem Erlaß des Pressedetrets zur Seite geſtanden. In einem politischen Augenblick, wie dem jezigen, der öffentlichen Meinung die Möglichkeit der Aeußerung nehmen, das heißt, all den Gerüchten, die heute wie Gespenster umgehen, flare Umrisse und Gewicht verleihen, das heißt, den Verdacht, der heute sich vielarmig an jede Handlung und jede Persönlichkeit der Regierung hängt, ins Riesenhafte vergrößern. Eine Regierung, die sich als Zielscheibe der schwersten Anklagen fühlt, die Männer ihrer nächsten Umgebung und Träger ihres bedingungslosen Vertrauens unter der Anklage des Meuchelmordes hat ins Gefängnis wandern sehen, hat nur eine Zuflucht, um sich schichte rein zu waschen: die Flucht in das helle Licht der vor den Augen der Gegenwart und dem Zeugnis der Gea Deffentlichkeit, in die Klarheit der freien Diskussion. Daß Mussolini die Deffentlichkeit schweigen heißt und die Diskussion abwürgt, müssen wir als das bewerten, als was seinem sittlichen Standard die Ermordung Matteottis erschien: als eine koloffale Dummheit. Um dem Defret eine fluge oder wenigstens eine schlaue Seite abzugewinnen, müßte man Beziehungen zwischen der Regierung und der Ermordung Matteottis voraus= sehen, die sich im Regime der Preßfreiheit nicht aufgedrängt haben.
Im weiteren Verlaufe der Debatte im Unterhaus fprach nach Macdonald der Konservative Austen Chamberlain , der den Bremierminister viel schärfer fritisierte als Baldwin es getan hatte. Er warf ihm unter anderen vor, durch seine unflare Haltung gegen- Wir wollen nicht die Frage behandeln, ob das Defret über dem Versailler Vertrag und der Reparationskommission den verfassungsrechtlich und juridisch gültig sein kann. Es ist vom Deutschen Vorwände zum Feilschen und zum Zögern geliefert zu König im Juli des vorigen Jahres unterzeich haben. Die Konservativen hielten am Versailler Vertrag als an net worden und dann zwölf Monate bei mussolini der einzig möglichen Grundlage für Europa feft, fie machten ferner liegen geblieben( der es sich übrigens noch in einer der die Aufrechterhaltung der Entente mit Frankreich zum Kardinal- legten Kammerjigungen zur Ehre anrechnete, es nicht angepunkt ihrer Politik und verlangten, daß Deutschland seine Berwandt zu haben); außerdem erscheint es heute verändert Deutschlands respektieren. pflichtungen loyal erfülle; dafür werde England die Integrität gegenüber dem im vorigen Jahre der Presse mitgeteiltem Tert, insofern heute ein Artikel 4 die Beschlagnahme der den Bestimmungen des Defrets widersprechenden Zeitungen freistellt, welche Beschlagnahme einfach durch die Polizei erfolgen kann, die dazu feiner anderen Autorisation bedarf. Es ist nicht einmal ficher, ob diese Abänderungen des ursprünglichett Entwurfs auch vom Könige unterzeichnet wurden. Weit gewichtiger ist der Einwand, ob man einem Gefeße Ausführungsbestimmungen geben kann, die den Inhalt des Gefeges aufheben; das heutige Defret ist nämlich formell nur die Ausführungsbestimmung des italienischen Breßgesetzes vom März 1848. Wie Till Eulenspiegel , der sechs Wochen im Wirtshaus faß, dann aber im Galopp nach Hause ging, sa hat man in Italien 76 Jahre mit dem bloßen Gesetz vom Jahre 1848 austommen fönnen, dann war aber das Bes dürfnis nach Ausführungsbestimmungen so furchtbar eilig, daß man ein Dekret erlassen mußte, gerade nachdem die Regierung, feierlich versprochen hatte, Defrete nur im Dringlichkeitsfalle anzuwenden. Uebrigens braucht man meder Staatsrechtler noch Jurist zu sein, um einzusehen, daß eine Ausführungsbestimmung mun und nimmer ein verfassungss mäßiges Recht aufheben und, wie das heutige Defret fut, Paragraphen des Strafgesetzbuches außer Kraft setzen kann. Aber eine Diskussion über die Rechtmäßigkeit ist im heutigen Regime zwecklos; der größte Teil der italienischen Bevölke rung hält auch die heutige Kammermehrheit nicht für rechts mäßig gewählt und doch ändert diese Auffassung nichts an der Lage des Landes.
Die fonservativen Redner Sir F. Wise und Samuel äußerten starke Zweifel an der Möglichkeit der Ausführung des Gutachtens, ebenso der Liberale Wedgowood Benns. Der liberale General Spears warf die Frage der Räumung der Kölner 3one durch die Engländer auf und erklärte, die Zone dürfe dann nicht von Franzosen befeht werden, außer wenn sich Deutschland neue Verfehlungen zuschulden kommen laffe. Er befürchtete, daß Macdonald dem französischen Standpunkt bereits zu weitgehende Bugeständnisse gemacht habe, die den Dawes- Bericht gefährden
würden.
Borher hatte Macdonald in seiner Rede u. a. noch ausgeführt, es wäre eine Torheit, schon jetzt ein Santtions programm aufzustellen für den Fall eines deutschen Verzuges. Das Problem der französischen Sicherheit sei das Kernproblem des euro päischen Friedens schlechthin.
Achtstundentag und Reparationen. Erklärung des Genossen Jouhaug. Genf , 15. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Der Führer der fran zösischen Gewertschaften Genosse Jouhaug gab unserem Bertreter folgende Erklärung:
Was die Beherrscher der Wirtschaft in Deutschland wollen, was fie gegenwärtig betreiben, das ist die Wiedereinführung der langen Arbeitstage und der niedrigen Löhne. Sie wollen damit ihre Schleuderkonkurrenz auf den ausländischen Abfazmärkten wieder aufnehmen, das erschöpfte deutsche Proletariat in Knechtschaft zwingen und damit endgültig dessen Widerstand gegen die soziale und politische Reaktion brechen. Sie werden darin unterstüßt, die mit Hilfe dieses Rückschritts hoffen, selbst zu den gleichen Zielen zu gelangen. Daraus ergibt sich jene Interessen. gemeinschaft, die in Genf zur Schau getragen wurde und die ein neues Beispiel dafür liefert, was für die Kapitalisten Deutsch : lands und Frankreichs eine wirtschaftliche Verständigung“ zwischen den beiden Ländern bedeutet.
Don den Unternehmern
Es erübrigt sich, zu betonen, wie sehr dieses Manöver auch die französischen Arbeiter unmittelbar berührt.
Der Vorstoß gegen den Achtstundentag hat sich zuerst im Ruhr gebiet entfaltet. Unter den Augen der Besagungsbehörden, deren
Grundsak des Achtstundentages ausdrücklich verankert ist, haben Auftraggeber sich auf der Bersailler Bertrag berufen, in dem der die von Stinnes geführten Industriemagnaten auf die Aufzwingung der 10stündigen, Arbeitszeit hingewirkt.
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Die Arbeiterschaft wird um feinen Preis darin einwilligen, daß die Einführung des Achfstunden tages auf das politische Gebiet hinübergeleitet werde, daß die Regelung der Reparationsfrage und des Friedens zum Schaden ihrer wertvollsten Eroberung erfolgen und daß ihre deutschen Klaffengenossen allein die ihrem Lande auferlegten Lasten tragen, wie es die Industriepatrioten Deutschlands Hand in Hand mit den Industriepatricien Frankreichs erfireben."
Wir müssen uns begnügen, das Defret auf seine politi fchen Folgen hin zu bewerten, da seine politischen Beweg gründe dem gefunden Menschenverstande nur auf dem Wege des schwersten Berdachtes zugänglich würden und eine Dis fuffion seiner Rechtmäßigkeit zurzeit nur theoretische Bedeutung haben könnte. Welche politischen Folgen kann das Dekret haben?
In normalem Regime wäre die nächste unvermeidliche
Folge die Unterdrückung der gesamten faschistischen Bresse, die feinen Tag verstreichen läßt, ohne zum Klaffenhaß oder zum römische Zeitung periodisch die Namen von Personen der Opposition zu veröffentlichen, die ihr als Zielscheibe faschistischer Entrüstung geeignet schienen; schon vor einem Jahre brachte das Mailänder Organ Mussolinis eine nicht mißzuverstehende Aufforderung, Matteotti ordentlich„ den Kopf einzuschlagen". Ohne Ansehen der Partei angewendet, würde das Dekret der blutrünftigen Heze der Faschistenblätter ein Ende machen, was zweifellos der Regierung ihr Amt erleichtern würde.
Gesetzt aber, Mussolini wollte wirklich und im Ernst ein des Faschismus gegen das Land anwenden, wo nimmt er die Gesetz anders als im Barteiinteresse, anders denn als Waffe Organe für diese Anwendung her? Das Bressedekret legt
alles in die Hand der Präfekten, die bekanntlich das Ministerium des Innern, also die Erekutivgewalt in den Provinzen darstellen. Die heutigen Präfeften find lauter Faschisten und befinden sich zum Teil in einem Bustande der Botmäßigkeit gegenüber der lokalen Parteiorganisation. Es kommt jekt zum Beispiel durch die„ Voce Republicana" heraus, daß die Präfekten von Cagliari und Saffari je 50 000 Lire aus der faschistischen Wahlkasse erhalten haben, welche Sendungen zum Ueberfluh noch von dem Herrn Dumini, den mit den„ eif bis zwölf Morden auf