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Nr. 330 41. Jahrgang

1« 6dtap öes vorwärts

Mittwoch, IS. Juli 1924

Laß Dir nich uff öe hühnerogen treten. Der Ideenquell des Reklamechefs der Weltfirma in Groß-Salze scheint sich also, den guten Beispielen der neuesten Zeit folgend, unter Geschäftsaufsicht gestellt zu haben. Sein Reichtum ist er­schöpft. Ein« Idee, die einzige Säule, zeugt von der ehemaligen Pracht, und diese, bekannte kapitalistische Vorbilder nachahmend, ist die Idee, andere für sich arbeiten zu lassen, andere für das bekannte nicht zu übertreffende Mittel Reklame machen zu lassen. Und um dies zu erreich», hat der Reklamechf von der Wcltfirma aus Groß- Salze noch einmal feinen Geist angestrengt und also der aushorchn- den Mit- und Nachwelt in einem Preisausschreiben<Ede, du kommst mir so bekannt vor) verkündet: Gs wird folgendes verlangt: Wie ist es mit dem geringsten Aufwände, ohne gegen die Gesetze zu ver- stoßen und ohne daß irgendeine behördliche Genehmigung nötig ist, zu erreichen, daß in einer beliebigen deutschn Stadt von mindestens SO 000 Einwohnern Kukirol oder Kukirol-Fußbad mindestens einen Tag das allgemeine Gespräch bildet? Schade, daß der durch den freiwilligen oder unfreiwilligen Rücktritt chitlers freigeworden« Trcmptterposten bei den Nationalsozialisten dank dem Walhallo- anwärter Ludendorff schon besetzt ist. Strasser wird die Sache nicht bester machn. Und der Preis: eine I-Jtägige Erholungsreise. Das Hotel bestimmt die Firma. Sie wird die Auswahl so treffen, avie es der Bedeutung der Wellfirma(in Groß-Salze bei Magdeburg ) (Ede, benimm dir, zieh den Smoking an) entspricht. Ich bekenne mich geschlagen und werde mich mit den Brautpaaren, die dadurch zu einer kostenlosen fjochzeitsreis« kommen, mit den Ehefrauen, da- mit sie künftig jede Opposition gegen einen neuen Hut oder gegen sonstige Ausgaben mit der Erwiderung niederschmettern können: Dafür hat dich die Erholungsreise nichts gekostet: Ehemännern, die etwas gutzumachen haben oder bis zur Entscheidung voraussichtlich etwas gutzumachen haben werden: Allen, die einmal 14 Tage long die Alltagssorgen abschütteln und ein Stück schönen, deutschen Landes sehen und genießen wollen, an d:m Wettbewerb beteiligen. Aber wenn ich nun nicht das Glück habe, den ersten, zweiten, dritten Preis zu bekommen. Nur gemach, die ersten Preise sind für Herz, Gemüt und für den Magen. Auch für die Bildung muß von Groß-Salze aus etwas getan werden. Beinahe hätte ich mich versprochen und erklärt, mit jedem Wurf über achtzehn kannst du einen Goethe ge- Winnen. Na, in diesem Schreiben mußt du schon Goethe eben- bärtig sein(Reklameideen mußt du hoben), dann kannst du Goethes Werke gewinnen, und damit du auch an Deutschlands glorreichste Jahre, an den Weltkrieg, erinnert wirst, hat di« Weltjirma in Groß- Salze 16 Seeteufel geramscht(das bekannte Buch des bekannten Grafen Luckner. Waren sie wirklich nicht anders loszuwerden?). Auch zehn Exemplare von Tirpitz'Gedanken und Erinnerungen" sind zu gewinnen. Dieses Werk des 1916 inUngnade gefallenen' Schöpfers der deutschen Marine zeigt klar die Fehler, die vor dem Kriege und im Kriege begangen wurden. Schöne Reklame für die Monarchie, bei welcher die großen Geister und Propheten, die die Wahrheit immer da und dann sagen, wo sie ihnen nicht schadet, in Ungnade fallen. Diese Bemerkung war keine Reklame, Herr Re- klamechcf. Und nun, Pazifisten und Sozialisten, beteiligt euch eifrig an diesem Wettkampf der Geister, bei dem ganz Deutschland Zu- schauer ist. Denn gewinnt ihr die Bücher, dann können sie keinen Schaden anrichten._ Beim Bade« ertrunken! Der Reichswasterschutz zog vormittags die Leiche des ISjährigen Frifeurlehrlings Otto Zulage, Alte Iakobstraße 103 wohnhatt gewesen, bei Treptow aus der Spree . Der junge Mann war am Sonntag beim Baden im Freibad Sadowa ertrunken.«e>m Baden im Müggelsee ertrank nachmittags gegen 4 Uhr in der Nähe des Müggeljchlößchens der 20jährig« Kaufmann W, ll y K n a o k aus der Ruppiner Straße 29 vor den Augen semer An» gehörigen. Die Leiche konnte bald danach durch den Reichswaster- schütz geborgen werden. Das Baden an verbotenen Stellen hat wieder derart überhand genommen, daß die Polizei ganz energisch gegen diese Gesetzes- Übertreter in deren eigenem Interesse vorgehen wird. Um örtlich aufgetauchten Zweifeln zu begegnen, lveist der Polizeipräsident nochmals darauf hin, daß nach der Polizeioerordnung des Ober- Präsidenten vom 23. Juli 1923 das Baden im Freien(außerhalb der Badeanstalten) auch im Zweigkanal Britz-Kann«, einschließlich Britzer Hofen, Prinz-Friedrich-Leopold-Kanal, ausschließlich der

Seen, jedoch einschließlich der Derbindungsstrecke zivischen Pohle- See und Kleiner Wannsee . von l:m 2,2 bis 2,5, verboten ist. Die Schut-polizeibeawten sind angewiesen, auch vom Lande aus streng gegen das verbotene Baden einzuschreiten. Ci« nächtliches Erlebnis. Sie stiehlt, wenn sie betrunken ist. Ein unangenehmes nächtliches Erlebnis hatte ein Kaufmann H., der mit seinem Bruder eine Kneiptour unternomnien hatte. Man landete zu später Abendstund« in einer v e r s ch w i e- gcnen Weinstube und Diel« in der Kleiststraßc. Dem stark bezechten S). tat es hier die blondhaarige Hebe an der Bar an, die er dann auch nach Schluß des Geschäftes noch zu einem Glos Wein und Schnäpsen zu sich an den Tisch einlud. Der Bruder hatte inzwischen mit einer anderen Dame in einer Nische gegenüber Plafz genommen. Boll der süßen Getränke versank H. bald in tiefen Schlaf. Diese Gelegenheit benutzte seine Gesellschafterin, die Bar- dame Helen« L., um ihm seine goldene Uhr und Kette a b- zuknöpfen und auch die Lrillantnadel aus der Krawatte zu ziehen. Zufällig sah der Bruder in der anderen Nische, als die Diebin Uhr und Kette in ihr Mieder versenkte- Gleich darauf suchte sie nach der Toilette zu entschlüpfen, er stellte sie aber und zwang sie, die gestohlenen Gegen st ände herauszugeben. Als der Brud-r am nächsten. Tage aus seinem Rausch erwachte, stellt« sich erst heraus, daß auch die Brillantnadel fehlte. Da oll« Bor- stellungen, von der Bardame die Herausgab« der Nadel zu erlangen. fehlgingen, sah man sich genötigt, Strafantrag zu stellen. Unter der Anklage des Diebstahls vor Gericht stehend, versichert« die An- geklagte mit der Miene der unschuldigen frommen Helen«, daß sie von allem nichts wisie. Ihr sti nur so, als ob sie die Nadel in das Sofa gesteckt habe. Wo di« Nadel dann geblieben sei, wisse sie nicht. Belastend war für die Angeklagte, daß sie schon mehrfach vovbestrast war, und' zwar wegen genau in derselben Weif« aus- geführten Diebstahls. Dafür hatte sie die Erklärung, daß sie in der Trunkenheit«inen Hang zum Stehlen habe, sie pflege aber, sobald sie nüchtern gewesen sei. die gestohlenen Ge- genitände wieder zurückzugeben Das Landgericht III hielt die An­geklagte des Diebstahls für überführt und bestätigte di« vom Schöffen- geridji erkanitt« Straf « von vier M onaten Gefängnis als zu Recht bestehend: iedöch wurde auf Antrag von Rechtsanwalt Dr. Bcecker der Haftbefehl aufgehoben. Noch keinInvalide"! Wenn«in Arbeiter in die Jahre kommt, wird es ihm im Be- trieb sehr bald unter die Nase gerieben, daß er eigentlich zu nichts Rechtem mehr zu brauchen fei. Wenn er aber selber sich als Inva- lid« zu fühlen anfängt und nun sein« Rechte aus der Invalidenoer- sicherung geltend machen will, dann kann er die Ueberraschung er­leben, daß ihm mit einem Male«in« noch ziemlich ausreichende Er- werbsfähigkeit bescheinigt wird. Wie mürbe und morsch «lner sein muß, um als Invalide anerkannt zu werden, das sieht der Arbeiter erst, wenn er seine Invalidenrente beansprucht Ein Arbeiter, der dem Zentraloerbond der Invaliden und Witwen Deutschlands angehört und durch die Geschäftsstelle des Gaues Groß-Berlin«inen schon mal gestellten Antrag auf Invaliden- rente am 29. Januar erneuerte, wurde mit folgendem Bescheid vom 1. Juli abgefertigt: Nach den in dem gegenwärtigen Verfahren über Ihren Gesund- heitszustand abgegebenen ärztlichen Gutachten vom 29. 4. 24, 3. 6. 24 und 20. 6. 24 behindert di« bei Ihnen festgestellte Gefäßver- Das Rundfunkprogramm. Mittwoch, den 16. Juli. Tageseinteilung Vormittage 10 Uhr: Nachrichtendienst. Be­kanntgabe der Kleinhandelspreise der wichtigsten Lebensmittel in der Zentralmarkthalle. Nachm. 12.15 Uhr: Vorbörse. Nachm. 12.55 Uhr: Uebermittelung des Zeitzeichens. Nachm. 1.05 Uhr; Nachrichtendienst. Nachm. 2.15 Uhr: Börsenbericht. 5,307 Uhr abends: Ünterhaltungsmusik(Berliner Funkkapolle). 7,30 Uhr abends: Vortrag der Frau Ida Orlott:Säohelchon"(Jngend- vortrag). 8 Uhr abends: Vortrag des Herrn Julius Urgiss :Wie schreibt man einen Film?" 911 Uhr abends: Blasorchester. Diri­gent: Kapellmeister Carl Woitech ach. 1. Alte Kameraden. Marsch, C. Teicke. 2. Ouvertüre zuDie lustigen Weiber von Windsor ", Nicolai. 3. Die Glocken von St. Malo . Gavotte, W. Rinnor. 4 Aus schöner Zeit, Walzer, Waldteufel. 6. Sensation, Foxtrott, 0. Woit- schach. Während der Pause: Dritte Bekanntgabe der neuestep Tagesnachriohten, Zeitansage. Wetterdienst. 6. Radiowellen, Pot­pourri, C. Morena. 7. An der Weser, Lied, Pressol. 8. O Frühljng, wie bist du so schön. Walzer, Paul Lincke. S. Apfelbliite, Inter­mezzo, L. Siede. 10. Musinen-Marech, Karl.

Härtung mit geringer Herzvergrößerung, Schlaganfallfolgen mäßigen Grade-, chronische Mittelohreiterung links mit völliger Taubheit und die hochgradige Schwerhörigkeit Sie noch nicht derartig in Ihrer Erwerbsfähigkeit, daß Sie bereits als Invalide anzusehen wären: Ihr Rentenontrog mußte daher als unbegründet abgelehnt werden.' Der Verband hatte dem Rentenantrog das Gutachten eines Spezialarztes beigefügt, der den Arbeiter aus längerer Behandlung kennt und ihn für erwerbsunfähig erklärt. Der Vertrauens- arzt aber, der den Antragsteller vielleicht nur aus zwei oder drei Unterfuchungen von kurzer Dauer kennen lernt, weiß es besser und sieht noch keine Invalidität. Man könnte den Bescheid fast komisch finden, wenn nicht die Sache für den davon betroffenen Arbeiter so traurig wäre. Der Berbond wird übrigens Berufung einlegen und er hofft, beim Reichsverficherungsomt ein« ander« Auf- lasiung durchzusetzen._ Ein merkwürdiger Widerspruch. Wer hat geschlagen? Nächtlich« Borkommnisse auf einer Polizeiwache wurden in einem Termin vor dem Amtsgericht Beriin-Mitte behandelt. Der Angeklagte G. sollt« nach der Anklage nach seiner Festnahme auf der Wache skandaliert haben, die Beamten tätlich und wörtlich belei- digt und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet haben. Der Angeklagte bekundet«, daß er in einer Januarnacht von zwei Un- bekannten, scheinbar Ausländern, auf der Straße angerempelt und beleidigt worden war und die Feststellung dieser Personen veranlassen wollt«. Er hotte sich zwei Schupobeamte und bezeichnete diesen zwei vor einem Bierlokal stehende Zivilisten als die Beleidiger. Die Beschuldigten entpuppten sich als Schupobeomte in Zivil, die mit der Anrempelung tatsächlich nichts zu tun hatten. Anstatt sich nun aber mit der Entschuldigung des G. zufrieden zu geben, verlangten sie nun ihrerseits die Festnahme des Anschuldigers, und die Dienst- tuenden hatten auch nichts Besseres zu tun und nahmen den ver- dutzten G. zur Wache mit. E. bestritt, sofort auf de? Wache Radon gemacht zu haben, sondern wollte sich nur gegen die Art und Weise. wie er behandelt worden ist, zur Wehr gesetzt haben. Der Angeklagte gab auch zu, Schimpfwort« gebraucht zu haben, doch hätte er sie i n der Erregung über die�shm widerfahren« Behandlung gemacht. Er sei gestoßen, beleidigt, an Händen und Füßen gefesselt geworden, und die Beamten hätten ihn auch geschlagen. Ein als Sachverstän- diger vernommener Sanitätsrat bekundete, daß er bei dem Angsklag- ten am frühen Morgen nach der fraglichen Nacht am ganzen Arm etwa 29 blutunterlaufene breite Striemen festgestellt hätte, di« ohne ollem Zweifel von Schlägen herrührten. Die als Zeugen vernommenen Schupobeamten beschworen, daß' k e i n e r v o n ihnen, so lang« sie mit dem Angeklagten zu tun hatten, ihn geschlagen oder sonstwie unoorschriftsmäßig behandelt hätte. Der Angeklagte wäre von Anfang an aggressiv gewesen, und sie hätten die Pflicht gehabt, sich seiner mit ollen Mitteln zu erwehren. Die Striemen müßte sich G. in der Zell « oder bei dem Handgemenge zugezogen haben. Obwohl der Vorsitzend« ihnen vorhielt, daß der Angeklagte gar keinen Grund gehabt hätte, auf der Wache Wider- stand zu leisten, da er sich frei von Schuld fühlen muhte, blieben die Zeuge» bei ihrer Darstellung. Der Anklagevertreter stellte fest, daß die beiden im Amt befindlichen Beantten wohl formell richtig, vom praktischen Standpunkt aus betrachtet aber unklug gehandelt halten, als sie G. festnahmen. Es wäre richtiger und einfacher gewesen, den Angeklagten wie auch die Beamten in Zivil auf die Gering- fügigkeit der ganzen Sache hinzuweisen, um so für«ine gütlich« Er- ledtgung zu sorgen. Der Angeklagte sei aber auf der Wache sehr ungeschickt aufgetreten und hätte die Beamten gereizt. Der Amts- anwalt sah trotz des Gutachtens als nicht erwiesen an, daß die. Striemen von Schlägen herrührten. Er beantragte, den Angeklagten wegen des Widerstandes und der Beqmtenbeleidigung zu 5J) Mark Geldstrafe zu verurteilen. Der Verteidiger Dr. Kurt Rosen- feld berief sich auf die Aussagen einer Zeugin, die von einem reni- ienten Auftreten des Angeklagten nichts bemerkt hatte. Di« S t r i e- m e n bei dem Angeklagten könnten nicht fortgeleugnet werden. Der Beweis, daß der Angeklagt« geschlagen worden sei, ist seiner Mei- nung nach erbracht. Der Angeklagte sei höchstens wegen der Belei- digungen strafbar, wobei ihm aber seine Erregung über die Be- Handlung anzurechnen sei. Das Gericht oerurteilte trotz- dem den Angeklagten dem Antrage des Amtsanwalts gemäß, indem es als nicht erwiesen ansah, daß G. geschlagen worden sei. Der Angeklagte behielt sich sein Einspruchsrecht vor. Beim wilde» Angel» angeschossen. Gegen III'. Uhr nachts überraschte der Fischereiaufseher August L u n a u aus Buchholz an dem Teich der städtischen Gutsverwaltung Blankenburg vier Männer beim unberechtigten Angeln. Da sie trotz wiederholter Haltrufe nicht stehen blieben, gab L. einen Schuß

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Die Venus von Syrakus . von Clara Rahka.

Der erste Mensch, der es erfuhr, war Frau Bruscoli. und sogleich regten sich mütterliche Gefühle unter ihrem Brusttuch. Wenn Renzo mit seinem Figurenmachen so viel Geld ver- dienen konnte, dann war er noch langst nicht der schlechteste Schwiegersohn. Zudem, tausend Ähre, das war wie em Stempel, wahrscheinlich war er also dochgottbegnadet". Dann hörte es der alte Gagmi. Was für em Teufelskerl dieser Renzo war: für tausend Lire gab er seine Kopie ab. unter tausend Lire, nein, dann behielte er sie lieber selbst, sagte die kleine Fiametta. Gewiß, so mußte man es machen. Selbst- vertrauen hatte der Renzo. das mußte man ihm schon lassen. Ganz wohl war ihm dennoch nicht bei der Geschichte. Hotte er nicht nochmals hingehen und jagen müssen: es ist ja nur eine Kopie und sie stammt von meinem schuler. Er ging aus dem Haufe, er wollte nichts mehr von diesem Handel hören und sehen. Dann aber kamen die Brüder ualcont. Mit der ihnen eigenen heißen und ratternden Begelste- rung stürzten sie sich über die Venns her. schleppten sie aus ihrem Verschlag und stellten sie in dem Hofe aus. Alles lehnte sich aus Fenstern, über Brüstungen. Wie zwei Marktschreier standen sie rechts und links und überboten sich in Lobpreisungen. Sie hörten nut ihrem Gebell und Geknatter nicht auf, bevor ihre eigenen Herzen nicht wild schlugen. Das Leben war doch eine zu prachtige Sache: wo man es recht herzhaft anpackte, konnte man flammen heraus- schlagen. Selbstverständlich war es gar keine Arbeit, die Venus einzupacken, es war ein Fest. Alle Mädchen schleppten Lumpen herbei, Papier, Seile: die jungen Männer brachten Bretter und Stangen. Es gab ein Lärmen, Schreien, Lachen auf dem Hofe, als wäre eine Volksbelustigung angebrochen. Dabei wurde es immer dunkler. Der Oelhändler Campofiori versorgte alle großen und kleinen Lichte mit Oel : seine vierzehn Kinder umkreisten ihn dabei. Einzig seine Frau saß in größter Seelenruhe ein wenig

abseits. Sie wußte, was ihr jedes Jahr brachte, das da waren die täglichen Scherze, die kleinen Unterhaltungen. Mutter Bruscoli sorgte für das gemeinsame Abendbrot und für Chianti. Sie war heute freigebig. Eigentlich aber waren die Brüder Falcom das Herz der ganzen Zeremonie. Sie hoben, stemmten, hüpften, banden, hämmerten und begleiteten den ganzen Chor der Töne mit dem hocherhobenen, unaufhörlichen Geratter ihrer Stimmen. Einen Augenblick lang sah auch Fratelli durch den Tor- bogen, doch er zog sich schleunigst zurück. Diese beiden fana- tisch arbeitenden Kerle mitsamt ihren Freunden und Freun- dinnen waren imstande, seinen Beutel bis aus den Grund um- zudrehen. Hier gab es mehr Hände, als er Lust hatte zu füllen. Am anderen Morgen jedoch stand er wie ein kollernder Puter an Bord des Schiffes. Der Kapitän hatte ihm schon zweimal bedeutet, daß er nun nicht länger warten könnte und noch war nichts von der vermummten Benus zu sehen. Da sprang ein Getöse um die Ecke und gleich darauf ein bunter Eselkarren. Herrgott, sie machen die Benus zuschandenl" rief Fra­telli entsetzt. Einer der Brüder Falconi stand aufrecht da und feuerte seinen Esel mit einer Flut wohlgemeinter Flüche zur Eile an, der andere lief hinterdrein und hielt das Ende einer dicken Säule fest, die dennoch hin und her kollerte, und zu beiden Seiten des Karrens rannten fast alle jungen Bewohner des Palazzo Vigliena, aus Leibeskräften schreiend. Nur so konnte man ein abfahrendes Schiff erreichen. Selbstverständlich machte dieser Aufzug auf Kapitän wie Matrosen einen starken Eindruck: man wartete voll Ver- ständnis. Es kostete unglaubliche Mühe, die Benus an Bord des Schiffes zu bringen. Mehrere Male sah Fratelli sie schon unten im Hafen liegen: jedoch die Brüder Falconi blieben in heiterster Laune. Schließlich streckten sie Fratelli gleichzeitig ihre Hände hin, und angesichts so vieler Mühe und so vieler Zuschauer blieb ihm nichts anderes übrig, als diese Hände zu füllen. Fiametta steckte mit stolzer Würde den Beutel mit den tausend Lire ein. Das wäre nun alles recht gewesen, wenn sie Renzo am Tage zuvor gesprochen hätte: so aber war immer noch etwas

Hinterhälterifches an der Sache. Zwei, drei Tage später, und Renzo stand im Hof. Sollte sie das abwarten, sollte sie hingehen und ihm alles erzählen? Lieber nicht nein, nein, lieber nicht. Wenn man so allein vor ihm stand, hatte alles ein anderes Gesicht, als mitten in der Begeisterung der vielen Genossen. Abwarten! Die Siedehitze im Palazzo drohte gerade abzuflauen, da kam Renzo die Via Bandiera hinunter. Er kam zu Fuß und war gut gelaunt. Es gab allerlei mit dem Meister zu über- legen, dann gings wieder zu den Benediktinern. Bor allem: er sah seine Venus wieder! Die Geliebte, Herrliche! Kaum war er im Torbogen, da umringten ihn auch schon mehrere Campofiori-Kinder. Was sie eigei-.ch von ihm wollten, verstand er nicht recht, doch er begriff, daß sie ihn für einen vollkommenen Glückspilz hielten. Weshalb nicht? Vielleicht war er das auch. Wie aber wurde ihm zumute, als er in den Hof trat! Glückwünsche, Händedrücke, Umarmungen, Zurufe und hindurch schritt Mutter Bruscoli und reichte ihm einen Beutel mit tausend Lire darin. Hier hast du sie, mein Sohn," sagte sie bedeutungsvoll. Alle erwarteten jubelnde Begeisterung und sahen nur grenzenloses Staunen. Für was von wem denn?" sagte Renzo fast ängstlich. Dieser Halunke, dieser Schauspieler, macht das beste Ge- schüft," rief Falconi der Aellere und schlug Renzo auf die Schulter.Macht das beste Geschäft und tut wie ein Kitzchen, das zum ersten Male in die Sonne blinzelt, wahrhastig!" rief Falconi der Jüngere, und alle stimmten in sein Ge- lächter ein. Ich? Ich? Ja. was ist denn los?" Renzo schaute er- regt um sich. -Da kam Gagini auf ihn zu.Ich habe es nicht gerne ge- tan, doch du wolltest es so. Mag es dir zum Glück gereichen," sagte er sanft, nahm den Beutel aus der nunmehr zögernden Hand der Frau Bruscoli und übergab ihn Renzo. Der hielt ihn wohl fest, jedoch wie geistesabwesend.' Oben auf der Altane, platt am Boden, lag Fiametta. Sie hatte es sich doch viel leichter gedacht. Gespannt starrte sie durch die Stabe. (Fortsetzung folgt.)