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Nr.ZZS» 41. Jahrgang
1. Heilage öes Vorwärts
Sonntag, 2S. �vN 1924
Der Massenmörder Haarmann  . Mitteilungen des Kriminaloberinspektors Dr. Kopp.
Der vom preußischen Minister des Innern, Genoffen Severins, noch Hannover   zur Information des Ministers über den Fall Haar- mann entsandte Kriminaloberinspektor Dr. Kopp machte den V«r> trete rn der Presse in Berlin   eine Reih« interessanter Mitteilungen, die aber selbstverständlich dem Ergebnis der noch nicht abgeschlossenen Untersuchung nicht vorgreifen sollen und darum, soweit sie sich nicht auf allgemeine Tatsachen, sondern auf bestimmte Umstände beziehen, euch nicht endgültigen Charakter haben können. Dr. Kopp führte im wesentlichen aus: Seit Jahrhunderten, seit den in P i t a v a 1. der großen Samm- lung von bemerkenswerten Kriminalfällen aufgezählten Verbrechen ist eine solch ungeheure Serie von über 20 Morden eines einzelnen, nicht bekannt geworden. Der Händler Zrih haarmann ist zweifellos schwer psychopofhisch und eine komplizierte Verbindung von Homosexualismus und Sadismus. D<? f 175 des Strafgesetzbuches verlangt für die Strafbarkeit den Nachweis ganz bestimmter homosexueller Handlungen, welcher Nach- weis mir selten gelingt, und wenn einmal, so meist nur bei Jugend- lichen, die noch naiv genug sind, die Wahrheit auszusagen. Auf das Mordtrdben des Haarmann ist die Potizci niemals aufmerksam ginacht worden, bis auf einen weiter unten folgenden Fall,(ondem nur auf seine Homosexualität, die eben so selten im strafbaren Sinn nachzuweisen ist. haärmann stand nicht im Dienst der Polizei, er dicule nur einzelnen Kriminalbeamten als Auskunftsperson, d. h. als Spitzel. Auf solche Hilfe aus Verbrecherkreisen könne die Kri- minalpolizei nicht verzichten. Den von orthographischen Fehlern wimmelnden Ausweis als..Polizeiorgan" hat sich Haarmann selbst hergestellt und mit dem Stemvel eines Privatdetekrivinstituts in Hannover  , bei dem«r angestellt war, versehen. Wenn«r mit diesem Ausweis gelegentlicharbeiten" konnte, so liegt das nur an dem im Publikum weit verkireiteten Schrecken vor der Polizei, der die Leute davor zurückscheuen läßt, den Ausweis von Polizei- beamten, die Medaille mit der Nummer vom Kriminalbeamten sich vorweisen zu lassen. All« Polizei beamten sind streng angewiesen, sich auf dies« Art auszuweisen, wenn es verlangt wird. Den ihn beschäftigenden Kriminalbeamten hat Haarmann diesenAusweis" nie gezeigt. Eine ständige dauernd« Beobachtung aller Gewohn­heitsverbrecher in den Großstädten ist gar nicht möglich, dazu müßt« die Kriminalpolizei ungleich stärker sein, während ihr« totsächliche Vermehrung nicht einmal Schritt hält mit der Vergrößerung der Kriminalität. Mit der politischen Polizei hatte Haarmann gar nichts zu tun, deren Beamte kennen ihn gar nicht und Haarmann selbst hat auch von den einfachsten politischen Begriffen keine Ahnung. Als vcrnützt«meldet wurden in Hannover   im vorigen Jahre 576 Personen. Bis auf einen ganz kleinen Teil sind diese Anzeigen aufgeklärt werden und zu etwa 95 Proz. auf ganz harmlose Weise. indem die vermißten heimkehrten. Wohl waren auch einige der Ermordeten als vermißt gemeldet, aber die Eltern haben in diesen Fällen keinen Hinweis daraus gemacht, daß die vermißten Jungen homosexuell oder vielleicht auch nur homoseniell erwerbstätig waren: andernfalls hätte sich vielleicht früher ein Verdacht auf 5)aa!rmann gerichtet. Es liegen Anhaltspunkte dafür vor, daß manche Eltern von Vermißten schon von einer derartigen Betätigung der Jungen er- fahren hatten. Die Tötung seiner Opfer stellt Haarmann so hin dtß er dabei in Bewußtlosigkeit gehandelt hätte. Er ist einmal auf Grund des 8 51 freigesprochen worden und hat sich den Worilant dieser Gesetzesbestimmung wohl gemerkt. Er zeigt überhaupt ein ungewöhnliches Maß von Schlauheit und«afti. niertheit. Sein« Opfer waren größtenteils Herumtreiber, sie mögen übernächtig gewesen sein, als sie ihm in die Hände fielen: eine ge- ringe Menge Alkohol mußte da schon genügen, die Zungen in den tiessten Schlaf zu versenken, in dem sie dann erwürgt worden sind. lieber alles andere, als die Tötungen selbst ist Haarmann äußerst q«. sprächig, was bei Mördern, die zu einem bestimmten Zweck töten, fast nie der Fall ist Haarmann schildert äußerst eingehend die Zer- stückelung der Leichen, die er vornahm, um die Leichen wegbringen zu können. Niemals haben Haarmanns Nachbarn der Polizei einen Mordverdach: gegen Haarmann gemeldet. Da er Händler war, fiel es gar nicht auf. wenn feine Wohnung tagelang geschloffen war. Die Leichen in ganzem Zustand wegzubringen, war bei den örtlichen Woh.
nungsverhältniffen des Haarmann gar nicht möglich: Miiwiffer scheint er nicht gehabt zu haben, wie denn solche Verbrecher sich nur ganz ausnahmsweise Gehilfen nehmen. Haarmann gibt selbst an. auch mit Fleisch gehandelt zu haben. Er sagt, es sei gestohlenes Tiersleisch gewesen, das ihm ein Schlächter Karl geliefert habe. Heber diesen Karl sagt er nichts, obwohl er das doch können müßte. Möglicher- weise, will er diesen Karl als einen seiner Poragroph-175-Gesührten schonen. Das Flrisch der Ermordeten will Haarmann sämtlich in die Leine geworfen haben. Die Beziehungen des angeblichen Zutreibers Granz zu hmarmann sind noch nicht genügend klargestellt. Der ein­zige Fall, in dem ein Mordverdacht gegen Haarmann der Polizei bekannt wurde, ist folgender: Im Frühjahr 1925 kamen zwei Freun- binnen Haarmanns zur Polizei und bekundeten, sie hätten tags zuvor cmeu jungen Mann im Bett in Haarmann z Wohnung gesehen, der merkwürdig ruhig dagelegen habe, am nächsten Tag sei der jung« Mann nicht mehr dagewesen, wohl aber sein Anzug, und da Haar- mann gerode«inen Topf mit Fleisch auf dem Feuer hotte, schöpften die beiden Frauen Verdacht und trugen den Tops zur Polizei. Der Gerichtsarzt stellt« den Topfinhalt als Schweinefleisch fest, eine poli- zeiliche Durchsuchung der Wohnung Haarmanns ergab nichts Ler- dächtigss und Haarmann selbst gab eine Erklärung, die der Polizei glaubwürdig erschien. Der Mordverdocht erschien also der Polizei ?ncht als gerechtfertigt. Bei der jetzigen Nachprüfung dieses Falles ist der betreffende Kriminalkommissar nebst drei Kriminalassistenten wegen Fahrlössigkeii vorläufig vom D.msi enthoben worden, ohne daß gestcn diese Beamten irgendein schwerer Verdacht vorläge. Haarmann beziffert die Zahl der Opfer auf 14, die Polizei vermutet bereits mehr ols 20. Auf drei langen Tischen im Obdachlosen-Asnl der hannoverschen Polizei sind die Klei- der. Stiefel, Schlüffel, Messer und sonstigen Sachen ausgebreitet, die in Haarmanns Wohnung gefunden oder auf die öffentliche Aust'orde- rung als dem Haarmann abgekaufte Gegenständ« abgeliefert worden sind. Di« Rekognoszierung dieser Sachen durch die Eltern Vermißter ist natürlich nach mehreren Jahren und bej der Gleichheit mehrerer Stoffe usw. sehr schwierig und es kann dabei auch Autofugzestjon ein« Roll« spielen. Gegenüber Behaupkungen der kommunistischen   Presse, daß ein« Anzeige der Wirtin Haarmanns gegen Haarmann nieder- geschlagen oder sonstwie beseitigt worden sei. stellt Dr. Kopp fest, daß nur eine Anzeige der Wirtin Haarmaims wegen Beleidigung und leichter Körperverletzung vcn der Staatsanwcltsäzaft gemäß dem Ge- setz auf den Weg der Privatklage verwiesen worden ist. Es ist richtig, daß ein Referendar, aber nichi«in Assessor in Hannover   Selbstmord begangen hat, jedoch ist irgendein Zusammenhang dieses Selbstmordes mit d:« Angelegenheit in keiner Weis« festzustellen. Granz hat von Haarmann Kleider geschenkt bekommen und verkauft: ob Granz sich über das Schicksal der jungen Leute, die er dem Haarmann zugeführt hat, Gedanken mochte, ist bei der ganzen Persönlichkeit des Granz sehr zweifelhaft. Haarmann hat allerdings angegeben, Granz hätte ihm gesagt:Den Anzug bekomme ich!", aber bei dem schwer patho- logischen Wesen Haarmanns steht man seinen eigenen Angaben, zumal wo sie andere belosten fallen, noch zweifelnd gegenüber. Di« Morde Haarmanns verteilen sich auf über sechs Jahre. Di« Polizei in Hau- nover glaubt, mit der Untersuchung Anfang nächster Woche fertig zu werden, worauf das schon jetzt sehr umfangreiche Material an die Oberstaatsanwaltschaft und dann an den Untersuchungsrichter wester- gegeben werden wird. Kriminaloberinspektor Dr. Kopp war zir informatorischen Zwecken nach Hannover   entsandt. Er sollte in erster Linie die Ver- fehlungen der Polizei feststellen. Das Evmittlungsversahren gegen die Polizeibeamten dauert noch an. Eins steht jedoch schon jetzt fest: die Hannoversche Kriminalpolizei trifft in der Person des Kriminal- kommiffars, dem die beiden Freundinnen Haarmanns den Topf mit Fleisch aus Haarmanns Zimmer gebracht haben, ein objektives Verschulden an einer Reih« von weiteren Der- brechen des Mörders. Man bedenke nur: Haarmann war wegen des Verdachts, zwei jung« Menschen ermordet zu hoben, ver- hastet gewesen. Das mußte die Kriminalpolizei wissen. Zwei Freun-
binnen Haarmanns bringen der Polizei einen Topf mit Fleisch und sprechen die ungeheuerliche Vermutung ans, daß letzteres von einem jungen Menschen herrühren müsse, den sie vor einigen Tagen bei ihm aus dem Bett haben liegen sehen, nun verschwunden ist und dessen Hos« sich noch m Haarmanns Besitz befindet. Hafte diese Anzeig« nicht zur Entdeckung von Haarmanns Umaten führen müssen? Des- gleichen steht ein anderes fest: der§ 175 begünstigt, wi« bei Er- Pressungen, auch in diesem Falle gewissermaßen die Verbrechen. Die Eltern, die ihre Jungen vermißt haben, sollen in«inigen Fällen von ihrem Verkehr mit Männern geahnt haben. Aber aus Furcht vor der vom Z 175 angedrohten Straf« verheimlichten sie ihr Wissen vor der Kriminalpolizei, anstatt ihr die notwendigen Fingerzeig« zu geben. Ungeheuerlich erscheint auch ein iveitercs Moment: Haarmann konnte jahrelang, ausgerüstet durch einen onalphabetischen Ausweis des DeiiktioinstitutsLasso", sein Unwesen treiben. Ein neues Kapitel auf dem Gebiete des Unwesens gewisser Privatdetektiv«. Das Publikum müßte aber immer wieder daraus hingewiesen werden, daß Kriminalbeamte nicht Ausweise, sondern Marken führen. Auf einige weitere Echlüss« von Dr. Kopps Ausführungen wird noch zurückzukommen sein.
§euerwerk.
Als der gute Prometheus den Göttern das Feuer gestohlen hatte, um es den Menschen auf die Erde zu bringen, wird er sich sicher über die Folgen seiner Tat nicht bis in alle Einzelheiten klar gewesen sein. Wenn er geahnt hätte, daß die Menschheit seinem anfeuernden Beispiel mit soviel Energie und Tatkraft folgen werde, wie wir gegenwärtigen Erdenbewohner es erleben müssen, hätte er sich wahrscheinlich für sein« Märtyrerleidcn im voraus bs° dankt. Es würde ihn sicher auch nicht versöhnlicher gestimmt haben, wenn er die(schönen?) Feuerwerk« gesehen hätte, die täglich in Berlin   und der nächsten Umgebung losgelassen werden. Nun soll zugegeben sein, daß über Feneriverke an sich verschiedene Meinungen bestehen können. Tatsache ist» daß sich der Berliner   sch-n in der sogenanntenguten alten" Zeit an Feuerwerken die Augen aus dem Kopf gesehen hat. Es ist noch nicht allzulang« her, daß an dem bewußten 27. Januar, dessen Bedeutung den Bolksschülern mit allen Mitteln eingebläut wurde, die Illuminationen der Hoflieferanten und solcher, die es werden wollten, von großen Scharen Schaulustiger bestaunt wurden. Dann kam es immer mehr auf, daß auch die Feste in den Laubenkolonien mit einem Feuerwerk abschlössen, wobei aber von einem fachmännisch angelegten Arrangement in den wenigsten Fällen die Red« sein konnte. Jeder taufte sich nach Gutdünken Sonne, Mond und Sterne" und einig« Raketen. Wenn dann eine schöne rote" in die Lüfte stieg, herrscht« bei den Kindern un- beschreiblicher Jubel. Am Schluß kam noch ein Kanonenschlag, der zur Steigerung seiner akustischen Wirkung einen Spatenstich tief in die Erde  «ingegraben wurde. Das, was wir in den ersten Silvester- nächten nach der Revolution an Lärm und Geknatterc erlebten, ver- blaßt ober zur hormlosen Spielerei gegen die jetzt an allen er- denklichen Orten abgebrannten Feuerwerte. Es kommt den Veranstaltern dabei leider nicht nur darauf an, dem Publi- tum«in optisches Schauspiel zu bieten, sonderik man trägt dei in zahlungsfähigen Kreisen vorhandenen Stimmung auch dadurä Rechnung, daß die Feuerwerke als große Pracht-, Fronten- im': Kriegsfeuerwerk« angekündigt werden, zu denen«s dann noch di« entsprechende Schlachtertirtusik gibt. Und' unsere lieben Zeitgenosse' die als tapfere Etappen- und Heimkrieger die boldige WiederW eines(für sie einträglichen) Krieges gar nicht erwarten können, bs- rauschen sich amTrommelfeuer über Treptow  ", sehen mit Jnbruns und VerzückungGrünau   in Flammen" und erleben mit eine, angenehm-unangenethmen Gänsehaut auf dem Rücken einErd. beben in Japan  " vorsichtigerweise im Grunewald mit. Dies« Volksschichten berauschen sich an der künstlich herbeigeführten Wie- derholunq von Naturkatastrophen mft der gleichen Gedankenlosigkeit wie es für sie einen ongehmen Nervenkitzel bedeutet, sich wllhicni der Trommelfeuer«! vorzustellen, daß dabei' im Ernstfalle Tausend, ihr Leben lassen mühten..,
ve,lrk,dtld«ag»au,sch«ß. Di« Kreise werden ersucht, umgebend di« Fragebogen einzusenden.
Die Venus von Syrakus  . von Clara Ratzka  . Lange Zeil blieb der Museumsdirektor stumm, dann be­gann er zu fragen, und Fratelli erzählte ihm die ganze Ge- schichte vom Kaufe der Venus. Ungeschminkt, ganz so, wie es gewesen war, erzählte er, und er fügte alles hinzu, was sich am Tage vorher begeben hatte. Besio sagte nichts dazu. Er fragte nur mehrere Male, ob dieser Gagini wirklich gesagt hätte, es fei die Arbeit seines Schülers. Gewiß hat er das gesagt!" rief Fratelli, und dann schwankend, staunend:Ja, wahrhaftig er hat es gesagt." Das muh die Wahrheit gewesen sein," sagte Besio,und weiß Gott  , das braucht Sie nicht zu gereuen! Sie haben mit Ihrem Kaufe da einen großen Künstler ans Licht gezogen." Nun aber brach Fratellis Vergangenheit ungehemmt aus ihm hervor. Man hatte ihn betrogen, bei einem Kaufe übers Ohr ge» hauen, ihn, den tüchtigen Kaufmann Fratelli. Ein alter, lum- piger Kerl, der zufällig denselben Namen trug wie jener Be- rühmte, und ein kleines, freches Straßenmädei! Ihn, den tüch- tigen, den gefürchtet tüchtigen Kaufmann Fratelli. Zum Teufet mit allen lebenden und verstorbenen Kunst- lern! Ein rechter ausgekochter Schwindel, mit dem man jedem vernünftigen Menschen ein Bein stellen konnte. Wo sie tot sein sollten, lebten sie, und die lebten, hätten längst unter die Erde gehört. Dann wurden sie wenigstens berühmt. Wenn man glaubte, sie hätten Musik gemacht, dann schrieben sie Verse, und wenn man dachte, sie deklamierten auf einer Bühne herum, dann malten sie Bilder. Und gar die Figurenmacher! War diese Bande endlich tot, ein fiir allemal, dann fingen sie erst recht an, olle Welt zu belästigen. Dann ging das große Wettrennen und der Schacher los. Zum Teufel mit den Kunst- lern, er, Carlo Fratelli, er würde fortan Pferde kaufen. Die Einwendungen des Museumdirektors Besio, der wie verzaubert um das kleine Becken wanderte, waren für den erbosten Fratelli nichts als lästige Insekten. Um Besio jedoch kreiste leise schleichend der erlauchte Kammerdiener. Er mußte irgendwie eine vornehme Atmo- sphäre um den hochangesehenen Besio schaffen. Seine sanft
erhobenen Hände schlugen abwehrende Wellenlinien zu Fra- telli hinüber und besänftigende zu Besio hin. So viel an ihm lag, mußte die Ehre dieses Hauses gerettet werden. Jedoch Desto beachtete Fratelli kaum. Als er sich satt- gesehen hatte, ging er freudig erhoben nach Hause. Er kannte Livia di San Eataldo nicht. Nicht einmal ihren Namen hatte er gehört. Darin ging es ihm wie Fratelli. . Gar bald gab es in Rom   keinen Palast, kein Bürgerhaus, keine öffentliche Veranstaltung und keine heimliche Flüster- ecke mehr, in der nicht die skandalöse Geschichte dieser Livia di San Eataldo erzählt wurde. Die Esels von Rom   besorgten die schnelle Verbreitung noch besser als Siziliens   friedfertige Langohren. Nur die Beteiligten selbst, der Prinz, die Prinzessin und der Conte Sisto di Branco, fuhren in lauterster Unbefangen- heit durch Roms Straßen. Es dauerte ziemlich lange, bis sie die kühle Luft um sich herum spürten. Der erste, der von Fratellis Venus hörte, war Sisto di Branco. Irgendein guter Freund wollte ihm eine beson- dere Freude mit der Geschichte machen. Branco, der es vermieden hatte, auch nur in der Gesell- schaft mit Livia zusammenzutreffen, zerschlug alle seine Bor- sätze, ließ sein Pferd satteln und ritt sofort zum Monte Pincio  , denn es war die Stunde, in der die vornehmen Römerinnen dort spazieren fahren. Die Sonne fiel schräg in die fein überpuderten Gesichter, die blauen Schatten der Pinien ließen die Blütengeschöpfe noch zarter erscheinen. Unter den Gesättigten, Breiten, Schmuckbeladenen brauchte Branco gar nicht Umschau zu halten, des Prinzen hellblauer Wagen fuhr stets etwas abseits, war nur dort zu finden, wo die Schmalen, Feingepflegten vorsichtig die Abend- kühle genossen. Unter ihnen wirkte Livia wie eine leuchtende Blume. Wie immer lehnte sie gelassen, wenig gesprächig, neben der alten Prinzessin Beatrice. Branco kam rücksichtslos herangeritten und pariert« sein Pferd neben dem Wagen. Livias Augen strahlten.. Der Graf aber sah es nicht. Ohne die Prinzessin Deatrice auch nur zu beachten, schüttete er glühende Vorwürfe über Livia aus.
Er hatte damals durch die Marchesa Ferrati die Geschichte von ihrer Entführung gehört. Schon das hatte ihn tief er- bittert. Und jetzt sagte man ihm, daß ihr Bildnis, in Stein gehauen, im Hofe eines ekelhaften Emporkömmlings stände Gut, dieser Mann kannte die Prinzessin nicht, er konnte unk wollte das glauben, doch wem hatte sie Modell gestanden? Wann? Doch wohl damals, als sie verschwunden war. Diesc Tollkühne, deren inneres Feuer er allein kannte. Irgendein Künstler, ein schöner, rücksichtsloser Kerl, hatte sie betört und dann verkauft. Dieses ihr Götterbild verkauft, als er ihrei leid war. Was in dieser Stunde in ihm vorging, das war mehr als Wut, das war eine vergiftete Verzweiflung. Die Prinzessin Beatrice starrte ihn gläsern an, Livic wurde so bleich, als hätte alles Leben sie verlassen. Sie war unfähig zu antworten. Nichts, gar nichts weiß ich," stammelte sie einige Male Als Branco aber nur Hohn für ihre Worte hatte, ergrifi §1 ein maßloser, kalter Zorn. Stumm, mit ausgestreckten! rm, wies sie ihn fort. Ein Ausdruck so tiefer Verachtung trat in ihre Augen, daß Branco erbebte. Die ganze Szene war kurz, Sisto hatte leise und schnei gesprochen, sich tief zur Prinzessin hinabbeugend, deimoä hatte man sie bemerkt. Alle dunklen, immer üppiger werdenden Gerüchte erhieltei neue Nahrung. Livia aber fuhr zum Palaste des alten Prinzen, sie lies den Wagen warten, und sie beschwor ihren Gatten, sosor Fratelli aufzusuchen. Der Prinz, ihrer Abwesenheit ganz sicher, hatte gerad« einen Beutel mit heißem Hirsebrei auf seiner Talgdrüse liegen Er schleuderte ihn zornsprühend an die Wand. Sollte denn diese verdammte Geschichte niemals auf- hören? Am liebsten wäre er unter alle seine Bettdecken go krochen und hätte die Läden des Palostes schließen lassen. Jetzt ja, jetzt lachte ganz Rom  ! Livia aber zerrte ihn aus allen Schlupfwinkeln heraus in die seine gequälte Seele gerade entweichen wollte. Wa: ihr das Glück erschlagen, so sollte ein jeder bluten, der ihr dies- Schmach angetan hatte. Gewiß, dieses Bildnis in Carlo Fratellis Hof hing mi ihr« Entführung zusammen wie aber war all das möglic! gewesen? Der Brief! der Brief!(Fortsetzung folgt.)