Nr. 34$ ♦ 41. Jahrgang
1. Heilage ües vorwärts
SonnabenS, 2$. �ull 1924
Sonntagliche wanöerziele.
Eine steinreiche Gegend. Diele Strecken in der Mark Brandenburg zeichnen sich durch einen außerordentlich großen Reichtum an Steinen aus. Fels- trümmer der verschiedensten Gebirgsarten finden sich hier, obwohl riirgsndwo festes Gestein zutage tritt. Lang« Zeit dachte man dar- über nach, wie die Steine wohl hierher gekommen fein mochten, ohne des Rätsels Lösung zu finden. Immer neu« Theorien tauchten auf und warfen die allen über den Haufen. Schließlich kam man dann zu der Anschauung, die heut« noch herrscht, und die wohl zweifelsfrei den Steinreichtum märkischer Landschaften erklärt. Bestimmte Anzeichen, die sich in anderer Weise nicht deuten lassen, erbringen den Beweis, daß das Eis die Ursache der vielen Steine auf und in dem Boden der Mark ist. Etwa zehn- bis zwan« zigtausend Jahr« vor dem Heute ging ein«rdgeschichtlicher Zeitab- schnitt zu Ende, in dem die Mark Brandenburg, ebenso wie das norddeutsche Tiefland und andere Teile Europas sowie Nordamerika , unter einer Eisschicht von mehreren hundert Metern Mächtigkeit be- graben lag. Das Eis, das Norddeutschland bedeckte, kam von Skandinavien herab. All die Gesteinsblöcke, der Lehm, Sand, Kies, kurz, die gesamte äußer« Erdschicht Norddeutschlands bis zu einer bald mehr, bald minder großen Tiefe ist in Skandinavien beheimatet. Sie bildet die Moräne des eiszeillichen Inlandeises. Wir wandern also eigentlich aus fremder Erde, wenn wir die Mark Brandenburg durchstreifen. An den Stellen, an denen der Eisrand längere Zeit still lag, wo von Norden her also soviel Eis nachfloß, wie am Ende der Inlandeisdeck« abschmolz, türmten sich besonders viel Gesteinsblöcke auf. Die feineren Gesteinsteilchen wurden von den Schmelzwassern des Eises ausgewaschen und fortgespüll. Eine derartig« Moräne, die am Ende des Gletschers gebildet wurde, ist ein« Endmoräne. Besonders die Uckermark ist reich an solchen End- moränengebieten. Eins von ihnen, die Gegend um Joochimsthal, wollen wir heut aufsuchen. Bom Stettiner Fcrnbahnhof fahren wir über Eberswald«(um- steigen) bis A l t- ü tt�e n d o r f an der Bahn nach Tem pli n (Sonntagskarte bis Joochimsthal lösen). Am Bahnhof Alt-Hütten- dors sind die Anlagen, in denen die in der Endmoräne gewonnenen Steine bearbeitet werden. Man stellt aus ihnen Pflasterstein« her; die größeren Blöcke liefern Schwellen und Sockelsteine sowie Funda- mentstein«. Der Absall und die kleinen Steine gelangen in das Schotterwerk, das ebenfalls dicht am Bahnhof steht, und werden hier zu Schotter zerkleinert, wie er für Eisenbahnen und Chausseen ver- wandt wird. Vom Schotterwerk wandern wir in südöstlicher Rich- tung auf der Angermünder Chaussee neben dem Gleis« der Feldbahn zu den Steingruben in den Jhlow-Bergen. Hier ist der Ge- steinsreichtum der Endmoräne aufgeschlossen. Dicht gepackt liegen hier die Geschiebe aneinander, vom kleinsten Steinchen bis zum viele Zentner schweren Block. Geschiebe werden die Stein« genannt, weil sie vom Eis weiter geschoben wurden. Bis über 10 Meter ist man in die Tiefe gegangen. Di« Zwischenräume zwischen den einzelnen Steinen werden von kalkig-tonigem Mergel ausgefüllt, der ein« graublaue Färbung zeigt. Da der Mergel die Geschieb« mit sich führt— sie sitzen in ihm wie die„Rosinen im Kuchen"— heißt er Geschiebe mergel. Nach der Oberfläche zu geht der grau- blaue Mergel in gelbbraunen Lehm über, der von der schwärzlichen Humusschicht bedeckt wird. Der Lehm ist ein entkalkter Mergel: der Kalkqehalt ist durch die Tageswasser(Regen- und Schneeschmelz- wasser) ausgelaugt und m die Tiefe geführt worden. Wir wandern an den Jhlow-Bergen nach Norden. Von der Höhe haben wir«inen schönen Blick in die Uckermark . Im Westen liegt Alt-Hüttendorf, im Osten sehen wir Groß- und Klein- ziethen; auch der weiße Turm von Schmargendorf bei Angermünde taucht hier am Gesichtskreis aus. Die Ihlow - Berge steigen als ein schmaler Höhenzug deullich aus dem umgeben- den Gelände empor. Wir können sehr gut den Verlauf der End- moräne verfolgen. Nach Süden zu fällt das Gelände ollmäl-'ich ab; hier nahmen die eiszeitlichen Schmelzwasser ihren Weg Ur- stromtal bei Eberswalde . Dieses Gelände, das Vorland. Endmoräne, dessen Kalkgehalt vom Wasser fortgeführt wurde, l>a! einen nährstofsärmeren Boden; er trägt Kiefern, oder, wo er beackert wird, Kartoffeln und Roggen. Dos Gelände nördlich der Endmoräne je- doch, ihr Hinterland, hat fruchtbaren Lehmboden, auf dem Buchen- wälder, Weizen und Klee gedeihen. Hier haben wir den fruchtbaren Teil der Uckermark, der zwar Steine trägt, aber auch Brot. Uhlands
Wort« aus der Schwäbischen Kunde:„Viel Stein« gab? und wenig Brot", treffen hier nicht zu. Alt-Hüttendorf, das wir nun erreich«*, liegt a m Grimnitzfee. Vom hochgelegenen Fried- hos des Ortes überschauen wir die weit«, nahezu kreisrunde Wasser- fläche. Der See ist der Rest eines einstigen Staubeckens, das sich hinter der Endmoräne bildet, da der Wall den Abfluß des Wassers erschwerte. Am Sceufer wandern wir gen Nord: rechts abseits liegt Amt Grimnitz. Am Rand der Forst Grumsin und am Leistenhaus vorüber kommen wir nach Joachimsthal . Hier steht ein ganz gewaltiger Block als Gedenkstein. Er wurde beim Hausbau im Ort aufgefunden und dankenswerterweis« nicht vernichtet. Dom Bahn- hos Joachimsthal kehren wir über Eberswalde nach Berlin zurück. Wegläng« etwa 17 Kilometer. Velten — Nauen . In Velten , das wir vom Stetttner Borortbanhof au, über Tegel erreichen, beginnen wir die Wanderung. Das Dorf ist durch sein« Kachelfabriken weltberühmt geworden. Es liegt am Rande einer Hochfläche, an der sich im Osten das Haveltal entlang.
».----•«"£. 4.W»>'»? hw-— 7..---"V.-' � —.-.f„t i//'•'. In I i Jii_ zieht. Hier werden die Tonmergel, Gebilde der Eiszeit, abgebaut, die den wertvollen Stoff zur Herstellung der Kacheln geben. Bom Bahnhof wenden wir uns südlich über die Bahn gen West nach Marwitz. Dieses Dorf wird bereits in einer Urkunde von 1ZS0 erwähnt, die die Orte aufzählt, die zum Bezirk der Fe st e B ö tz o w, dem heutigen Oranienburg , gehörten. Wir wandern durch das langgestreckte groß« Dorf und kommen weiter in westlicher Richtung zum Wald. Ein echter märkischer Kiefernwald ist es, mit sandigen Wegen, die häufig von schimmernden Birken eingefaßt sind. Aber auch ein solches Gebiet hat seine Schönheiten, man muß sie nur zu finden wissen. Und dann ist ja der Weg nicht so lang, um beschwer- lich zu werden. Bald hinter dem Forsthaus Wansdorf geht es halb- links ab an ein« breit« Fahrstraße, der wir nach rechts folgen. Der Wald wird angenehmer. Rechts vom Wege steht«in alter Sand» steinobelisk.«in Meilenstein. Wir wandern jetzt auf der ehemaligen Poststraß« von Berlin nach Hamburg . Eine kleine Lichtung inmitten des Waldes tut sich auf: die Straße führt über sie hin. Linker Hand liegt der Z i« g e n k r u g, ein Gasthaus mit großem Vorbau(siehe Abbildung). Die alte Zeit taucht vor uns auf, jene Zeit, als der Schienenweg mit dem Dampfroß noch unbekannt war. Di« schwer- fällig« Postkutsche rumpelte vor den Krug, die Reisenden erholten sich von den Strapazen der Fahrt, während frische Pferde oorge- spannt wurden, und mit Hörnerschall und Geißelknall ging die Reife dann weiter. Jetzt liegt der Ziegenkrug einsam im weiten Wald: nur selten nimmt hier«in Fuhrwerk seinen Weg vorüber. Der Ver- kehr hat andere Straßen und andere Mittel gesunden. Westlich vom Ziegenkrug beginnt der Krämer, ein Kiefernwald mit zahlreichen Eichen. Starte Flugsandoerwehungen haben hier«in sehr schönes
Dünengebiet geschossen. Am Ende der Eiszeit war das Land vom Pflanzenwuchs entblößt. Der Wind konnte den Sand unbe- hindert zusammenwehen. Als dann nach und nach die Pflanzenwelt in das vereist gewesene Gebiet ihren Einzug hielt, wurde der Boden gefestigt: mit der Dünenbildung war es vorbei. Als Kämme von meist bogenförmiger Gestalt ziehen sich die alten Dünen durch den Wald. Der Dünensand ist ein recht nährstofsarmer Boden: unter ihm liegt sedoch der nährstoffreichere de? Hochfläche, in dm die tief- wurzelnden Eichen hinabreichen. Nur so ist es zu crllärcn, daß diese Baumart hier gedeihen kann. Die Hochfläche, über die wir wandern, ist der Glien(aus dem slavifchen, Lehm oder Ton bedeutend). Der Rand dieser Hochfläche ist mit fruchtbarem Geschiebelehm be- deckt, wie bei Velten : hier liegen auch die Ortschaften, während das Imiere unbewohnt ist und nur Wald trägt, da der Dünenboden als Ackerland keinen genügenden Ertrag gibt. Zwischen zwei Urstrom- tälern erstreckt sich der Glien, dem Berliner im Süden und dem Eberswalder im Norden. In dem Berliner Tal zieht sich das Havel - luch hin, im Eberswalder das Rhinluch. Bei Forsthaus Krä- m e r p f u h l kreuzen wir die Chaussee von Perwenitz nach Vehlefanz. Etwa 25 Minuten weiter wenden wir uns an der Wegkreuzung nach links. Wir verlassen die breite Hamburger Post- straße und den Krämer und kommen nach Börnicke. Von hier wandern wir auf der Chaussee m südlicher Richtung weiter. Wir sind am Rand« des Glien, vor uns dehnt sich die weite Ebene des Havelluchs aus. Am Ende des 17. Jahrhunderts wurde das Luch entwässert. Wertvolles Wiesengelände wurde gewonnen, das der Viehwirtschaft dient. Zahlreiche Entwässerungsgräben wurdm ge- zogen, auch Dämme wurden aufgeschüttet, um bei Ueberschwemmun- gen die Gewalt der Wassermassen zu brechen und gleichzeitig als Fahrwege zur Verbindung der neuangelegten Siedlungen zu diene?. Zur Rechten ragen die gewaltigen Türme der Großfunken- station Nauen auf, von der die elektromagnetischen Wellen um den ganzen Erdball eilen. Wir überschreiten den Havelländischen Hauptkanal, der von Nieder-Neuendorf an der Havel bis nach Hohennauen nördlich von Rathenow führt, und der das Wasser aus all den kleinen Gräben des Luchs aufnimmt. Eine kurze Wanderung, und wir sind in Nauen . Di« Stadt liegt an einem alten Uebergong über das Luch, auf dem Süduser des Ur- stromtales. 1292 wurde Nauen zur Stadt erhoben: vorher war hier nur eine Ritterburg und«in Dorf mit Pfarrkirche, die in Urkunden aus den Iahren 1186, 1195 und 1197 erwähnt werden. Di« bei Nauen gelegene Feldmark zeichnet sich durch große Fruchtbarkeit aus: früher nannte man sie den„Fettpott". Nauen ist der End- punkt des Vorortverkehrs der Hamburger Bahn. Ueber Finkenkrug und Spandau kehren wir nach Berlin zurück. Wegläng« etwa 26 Kilometer.
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Ferien tage und Urlaubswochen geben jetzt vielen Menschen Ge- legenheit, ein Stündchen oder zwei zu verplaudern, mühig zu sitzen und mit Nachbarn so allerhand Betrachtungen anzustellen. Wenn man m diesen Tagen die Bänke in den öffentlichen Parks und auf den großen schattigen Plätzen sieht, findet man, daß sie, namentlich in den Nachmittags, und Abendstunden, von Frauen besetzt sind, die auf die in der Näh« spielenden Kinder acht haben, dabei— fleißig, wie Frauen nun einmal sind— irgendeine Handarbeit in den Fin- gern halten und«in Schwätzchen machen. Wenn gute Reden sie begleiten, fließt bekanntlich die Arbeit besser und schneller fort. So plaudert man mit der Nachbarin auf der Bank, die man meistens nicht kennt, die aber ebenfalls gerne Rede und Gegenrede wechselt. Mit den guten Reden allerdings, die man bei diesen Plauder- stündchen hört, hat es so seine eigen« Bewandtnis, und wenn man die Probe aufs Exempel macht, sich zu den Plaudernden gesellt und ihren hurtig dahin plätschernden Gesprächen lauscht, wird man bald eines anderen belehrt, was traurig genug stimmt. Man unterhält sich über die Preis«, die wieder anziehen, man orakelt, was wohl alles der Winter bringen werde an Kälte, Teuerung und Lebens- mittelknappheit, man fragt sich, wie die neu« Mod« der Kleider, Mäntel und Hüte ausfallen werde, man freut sich an dem schönen, warmen Wetter und chofft, daß es noch recht lange anhalten werde. Niemand wird sich über derarttge Unterhaltungen verwundern oder gar entrüsten, und kein vernünfttger Mensch wird erwarten, daß die Frauen, die hier«in paar Stunden von Hausarbeit und häuslichen Sorgen aufatmen und ausruhen, zu großen sozialen, politischen oder gar philosophischen Problemen Stellung nehmen. Aber dann bringt jemand das Gespräch auf einen gemeinsamen Bekannten, der sich in diesem Sommer wieder«in« Erholungsreise hat leisten können, wöh- rend man selbst auch diesmal wieder in der heißen, staubigen und
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Fragen und Antworten gingen hin und her. Wahrlich. eine Bühne!...... „Jeden Tag arbeitete ich am Hinteren Tor, schließlich be- wegt'e es sich. Ein jeder weiß, daß der Vogel aus seinem Türchen fliegt, wenn man es nur genügend weit öffnet," hörte Livia.„und ich hatte Glück. Am zweiten Tage ging die Prinzessin unter den Oelbäumen spazieren." Ganz triumphierend schnellte er es heraus. Jetzt aber packte ihn etwas am Kragen. Jawohl, man hatte ihn frei reden lassen, nun aber sollte er seine Helfer nennen. � „Nie_ niemals werde ich es tun, und wenn es mich den Kopf kostet," rief er in der Hochflut seines Gefühls. Ein Gemurmel erhob sich. Das— ja— war es nicht Beifall? Mit funkelnden Augen sah Renzo ins Publikum hinein. „Ein Verräter ist ein Schuft!" rief er.„Der Prinzessin ist nichts Böses widerfahren, ich verrate nicht. Von diefein Augenblick an wogten die Meinungen hin und her. Renzo. von seinem Advokaten angestachelt, war nicht zu halten.„Ganz Sizilien hat man durchgesiebt.— Her mit dem Sieb des Prinzen, versucht es noch zehnmal, hundertmal! Man wird nichts finden." Seine ungezügelte Keckheit brachte ihm Freunde. Scharf und eng spannte ihn das Verhör ein. Einmal lprach auch Livia. Ganz klar und ruhig. Alles stimmte mit dem überein, was Renzo sagte.. Da war wieder ein gelbes, hämisches Lächeln im Saal. Branco bebte vor Wut. Er wußte längst, was für ein blinder Narr er gewesen war. Der oberste Ankläger, der einen starken Instinkt für große Wirkungen hatte, die seinen Namen eingraben sollten, hatte Urteil längst fertig. Er brauchte gleichsam nur in die wasche zu greifen und es herauszuziehen. Sechs scharlachrot
gekleidete Diener, die genau um seinen Willen wußten, standen ihm zur Verfügung. Er donnerte seine Rede in den Saal hinein, als handelte es sich um einen Königsmörder. „Zehn Jahre schweren Kerker!" rief er zum Schluß, während sich seine diabolisch hochgestrichenen Augenbrauen sträubten,„und sofortiges Zertrümmern dieses Schandbildes!" Damit wies er auf die Venus, die im schräg einfallenden Sonnenlicht stand. Fast schien es, als zuckte ein lebender Leib. Die scharlachroten Diener stürzten vorwärts, wollten sie fortschaffen. Die Zuhörer begriffen nicht, glaubten, man würde vor ihren Augen die Herrliche zerschlagen. Ein Ruf der Empörung— und dann? „Evviva Branco, ovviva Branco!" Sisto war auf das Podium gesprungen, hatte den ersten zurückgeschleudert und wendete nun mit der ganzen in ihm wohnenden Kraft das Steinbild, so gut er es vermochte, dem Saale zu. Bisher hatte man nur den Rücken, das Profil der Stawe gesehen, jetzt erblickten viele, wenn auch nicht alle, den meister- Haft gelungenen Kopf. „Ewiva Adriani, evviva Adriani!" scholl es hinauf. Renzo dankte gerührt, erschüttert. Dabei hob und senkte er immer wieder die gebundenen Hände. „Künstler— Künstlerhände!" rief es aus der Menge. „Evviva Adriani, evviva Branco!" So viel Spannung war in dem Saale , sie mußte sich entladen.— Währenddessen sprach der kluge Advokat und Begleiter Fratellis heftig auf ihn ein. Fratelli sträubte sich, wurde barsch, doch der Mann ließ nicht nach. Jetzt gab es ihm einen Ruck. Er trat vor und rief laut: „Ich schenke die Statue der Prinzessin Livia di San Cataldo." Livia stand auf und verbeugte sich dankend. Sic erkannte jubelnd ihre Zukunft: nein, jetzt tonnte und würde der Prinz sie nicht mehr halten. Als die Erregung verebbte, hatte alles ein anderes Gesicht. Die Schönheit, den Römern seit undenklicher Zeit so ver- traut wie ihr Herzschlag, hatte gesiegt. Die Venus von Syrakus blickte auf sie herab.
Wohl hörten sie, daß der verwegene Sizilianer auf lange Zeit eingesperrt werden sollte, doch sie glaubten es nicht. Man sagt, daß alle Wege nach Rom führen, doch auch durch Ron, führen viele Wege, und wer sie kennt, dem öfincn sich die Türen, und wären sie noch so fest verschlossen. Man grollte, doch man wußte, dies kann nicht das letzte Wort sein! Renzo wurde abgeführt. Ein brausendes„Evviva" tönte ihm nach. War es nicht Erfüllung? Kam sie nicht schneller als er gehofft hatte?— Nach ganz kurzer Zeit schon schlich die Nachricht durch die Salons von Rom , dieser Renzo sei in einem Benediktiner - kloster in den Albanerbergen: er hätte einen einflußreichen Fürsprecher gehabt. Es war merkwürdig, wie viele Damen der Gesellschaft in den nächsten Wochen und Monaten den unwiderstehlichen Drang in sich fühlten, frommen Gemütes zu den Nieder- lassungen der Benediktiner zu wallfahrten. Eine wahre Bekehrunggsucht griff um sich. Sie wurde erst gestillt, als die hartnäckigste Büßerin her- ausgefunden hatte, wo man Renzo Adriani versteckt hielt. Doch die Mönche waren nicht der Meinung, daß sein An« blick die Zerknirschung fördern könnte. Auf die Dauer jedoch vermochten sie ihr Kloster den frei- gebigen Besucherinnen nicht ganz zu verschließen. Als die erste Römerin Renzos Arbeitsraum betreten hatte, fanden sie keinen Grund, eine zweite und dritte abzu- weisen. Schließlich verlegten sie das lichte Gefängnis in ein Nebengebäude, damit die klösterliche Ruhe nicht allzusehr ge- stört wurde. Denn nun war der Ehrgeiz einer jeden, die sich iür schön hielt, durch Renzos Hände eine zweite Venus zu werben. Armer Renzo, wie haben sie dein Künftlertum bedroht: wie viele Frauennamen gingen ihm wieder durch den Kopf! Doch die Kunst war feine Herrin. In einer abgelegenen Villa m Siziliens Bergland steht die Venus des Renzo Adriani. Heute noch, wie vor hundert Jahren, wird sie von einem jungen Graf« Sisto di vronco vergotten und geschmückt.