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sprengen, wenn es nur sechsdreiviertel wären und ein Biertel| von einem unerfüllt bliebe. Wäre es erlaubt, sich dem neuen Reichstagsstil anzunähern, so möchte man sagen: ,, Herr Pro­fessor Hoetsch, erzählen Sie das Ihrer Großmutter!"

Nach Tisch liest man es anders, besonders wenn es ein Verhandlungstisch ist.

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Werden sie also umfallen? Jedenfalls wollen sie es und steuern mit großen Redensarten darauf hin. Niemals haben wir es grundsäßlich abgelehnt", schreibt Graf We starp in der Kreuzzeitung ", in Verhandlungen über die Vorschläge der Sachverständigen einzutreten". Niemals? Waren nicht diese Vorschläge das zweite Versailles " ( Helfferich), waren sie nicht noch vor drei Tagen- der Schweristoß ins Herz des deutschen Bolkes?"( Tirpitz.) Nicht der Schrecken ohne Ende"?( Baecker.) Waren sie nicht die endgültige unwiderrufliche Berewigung der Berewigung der Sklaverei"? ( Kreuzzeitung "," Deutsche Tageszeitung" usw. usw.) Und diese gräßlichen Dinge lehnt man nicht grundsäglich ab ( ,, lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende"), sondern man ist bereit, immer bereit gewesen, über sie zu verhandeln? War nicht monatelang jeder ein Schuft, ein Dolchstößler, ein Landesverräter, schlimmer noch, ein Marrist", der anzudeuten wagte, vernünftigerweise wäre es doch nicht gut möglich, die Vorschläge der Sachverständigen abzulehnen? Und jetzt? Wir sind die einzige Fraktion, die in der Repa­rationsfrage in all den Jahren einen festen und klaren Standpuntt eingenommen hat," sagte gestern Herr Hoetzsch. Der Bericht verzeichnet hinter diesen Worten: Ge­lächter."

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Graf West arp aber flagt in der Kreuzzeitung " über den bösen Vorwärts", den Propheten des deutschnationalen Umfalls:

Leider bestätigt sich wieder einmal die Erfahrung, daß solch ein Lügenfeldzug, mit jüdischer Betriebsamkeit geführt, nicht ohne Wirkung bleibt. Bei Regierung und Regierungs­parteien mag dabei der Wunsch der Vater des Gedankens sein; bei der Nationalsozialistischen Freiheitspartei spricht das Bedürfnis mit, den Deutschnationalen agitatorisch etwas am Zeuge zu fliden bei ihnen teilweise, bei manchem eigenen Parteifreund auch das Be­

streben, das zwar überflüssig ist, aber nicht weiter übelgenommen

werden soll, den deutschnationalen Führern und Vertretern den Rüden zu stärken.

Danach sieht es fast so aus, als ob es dem Borwärts" gelungen wäre, selbst in einige deutsch nationale Köpfe Licht zu bringen, aber das ist offenbar nur eine Uebertreibung des Grafen Westarp. Worauf es ihm ankommt, ist, diejenigen Deutschnationalen, die von der Unfehlbarkeit ihrer Partei­leitung nicht ganz überzeugt sind, als bedauernswerte Opfer ,, jüdischer" Verführungskünfte hinzustellen.

Indessen, wer leben wird, wird sehen!

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Die Sozialdemokratische Partei hat als erste die Erkenntnis ausgesprochen, daß Deutschland den Dawes­Blan nicht ablehnen fann und ihn daher als Ganzes an­nehmen muß. Jetzt dreht sich die Deutschnationale Partei unter den sonderbarsten Berrenkungen dem sozialdemokratischen Standpunkt zu, weil sie weiß, daß dies notwendig ist, um zur politischen Macht zu fommen. Die Deutschnationalen gebenre fogenannte nationale" Außenpolitie auf, um fonservative Innenpolitik treiben zu können. Das ist der Kern der Sache und dieser Kern der Sache ist eine aus­gemachte Lumperei. Wenn die Sozialdemokratie Berſtän­Sigungspolitik treibt, fo tut sie es aus ihrer ganzen Weltan­schauung heraus. Wenn sich die Deutschnationale Partei auf die Bahn gleiten läßt, die sie stets als zum Verderben führend bezeichnet hat, so tut sie es, um die Schutzölle zu be­tommen, um dem Achtstundentag ganz den Kragen um­zudrehen, um dem Bund der Großagrarier und Groß­kapitalisten die alte Herrschaftsstellung zurückzugewinnen. Esau war ein Dummfopf, daß er sein Erstgeburtsrecht

Sommertag.

Mittagsstunde. Jeder Baum starrt ein grüner Blätterfächer. Goldig träumt der Sonnenfraum um die Giebel, um die Dächer. Unbewegt steht still die Luft: Fernen winken nah zum Greifen. Ueber Nedern quirlt ein Duft mehlig- füß vom Körnerreifen. Und den schmalen Weg feldein zieht ein Mädel, in der Rechten einen Rechen, Sonnenschein in den weizenblonden Flechten. Und im gelben Halmgeblink wippen Rod und Hüftenrunde. Tortelnd tanzt ein Schmetterling Sonnenfraum und Mittagsstunde. Ludwig Lessen .

( Aus dem im Arbeiterjugend- Verlag, Berlin , foeben erschienenen Gedicht­bändchen Wir wollen werben, Wir wollen wecken". Preis 35 Pf.)

An die freien Europäer.

Bon Armin T. Wegner .

Dieser Aufruf wurde in den ersten Kriegswochen an eine Anzahl bürgerlicher Blätter versandt, von denen nicht eines ihn zu veröffentlichen wagte:

Ihr seid es, freie Europäer, an denen meine Seele jeht sehn süchtig hängt! Ihr Vertriebenen, Heimatlosen, Ihr wandernden Seelen! Ich höre, daß überall der Haß gepredigt wird, daß der Mann das Weib, der Bruder den Bruder, der Vater den Sohn dies. seits wie jenseits der Meere, in allen Winden Europas aufreizt zum Kampf gegen einen unbekannten Feind, für eine Erde, die sie in Wahrheit niemals besaßen. Begeisterung tobt in der Nußschale jedes Hirns in unheilbarer Krankheit. Fremd gehe ich unter meinen Brüdern umher, ihr Kleid berührt das meine, ihr Gang, ihr Antlitz ist meinem Ange vertraut: doch fremd steht die Seele der Freunde vor der meinen.

Aber der Haß ist die Abwehr des Schwachen. Ihr freien Europäer, Ihr Starken, Friedfertigen, ich kann nicht glauben, daß diefer Kampf Euer Wille war, Ihr gewappneten Seelen! Mein Denken, das im Tiefsten verwundet ist, sucht hinaus nach Euch und ahnt die ftumme, verborgene Sprache Eurer Einsamkeit. Ich weiß, daß auch Ihr seid, jenseits aller finnlos erhobenen Fäuste, aller niedriges Gier nach Tod und Zerstörung, und aller Wolluft des

für ein Linsengericht verkaufte. Die Deutschnationalen machen| anerkanntermaßen einer der Haupteinpeitscher des Bürgerblods ift es nicht so billig. und wo beim Abbau des Stadtschulrats Paulsen in der Sache die­felbe Rechtsvergewaltigung vorgenommen wird wie in Hannover , Kassel und an anderen Orten.

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Aber mag man auch als Erfolg dieser wenig appetitlichen Entwicklung den Bürgerblod voraussehen die nächste Folge wird dann mit mathematischer Gewißheit der Sieg der Sozialdemokratie über den Bürgerblock sein. Die Partei wird wichtige taktische Entscheidungen zu treffen haben. Aber das Wichtigste dazu werden unsere Gegner selbst besorgen, denn wer in der Vergangenheit seine Ziele sucht, dem ist die Nieder­lage gewiß!

Brauns und der soziale Gedanke.

Wird er endlich ratifizieren?

In der Germania " berichtet der Reichstagsabgeordnete Joos über die katholisch- soziale Konferenz, die vom 19. bis 22. Juli in Antwerpen tagte. Die Konferenz umfaßte Vertreter Länder. fatholisch- sozialer Arbeitervertreter verschiedener Joos berichtet:

" Die Konferenz stimmte im Prinzip einer Entscheidung zu, die den gesetzlichen achtstündigen Normalarbeitstag unter Berücksichtigung der jeweiligen förperlichen Inanspruchnahme und Gefährdungsmöglichkeiten in den verschiedenen Berufen und Arbeitsarten aus wirtschaftlichen und geistig- sittlichen Gründen gut­heißt. Die Konferenz fordert die ihr angeschlossenen Organisationen auf, ihren Einfluß bei den Regierungen ihrer Länder dahin geltend zu machen, daß das Abkommen von Washington ratifiziert wird."

Herr Brauns wird nach diesem Beschluß von seinen Parteifreunden zur Ratifizierung aufgefordert werden. Wird er starr an der Vertretung der sozialen Reaktion gegen den sozialen Gedanken festhalten?

Der Abbau der Republik .

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Die Unverfrorenheit, mit der reaktionäre Zufallsmajoritäten in Stadtverordnetenversammlungen in letzter Zeit wiederholt Personal­abbauverordnungen zu ganz unbeschreibbaren Rechtsverletzungen ausgenutzt haben, fällt allmählich nicht nur Sozialdemokraten auf die Nerven. Im Berliner Tageblatt" äußert sich der hannoversche Landtagsabgeordnete Barteld über den Abbau Leinerts. Er gibt über die Borgeschichte dies Abbaues einige interessante Einzel­heiten, um dann zu folgendem Ergebnis zu kommen: " Herr Leinert hat gegen seinen Abbau Einspruch eingelegt, dessen Erfolg man mit einigem Intereffe entgegensehen fann. Nicht seine Person verdient das allgemeine Interesse, sondern der Fall eines Beamtenabbaues aus politisch en Gründen. Kommt man schon allgemein in zunehmendem Maße zu der Ueberzeugung, daß vielfach mit dem Beamtenabbau poli= tischer Mißbrauch getrieben wird, und hat deshalb die Reichstagsfraktion der Deutschen Demokratischen Partei mit vollem Recht die Aufhebung der Personalabbauverordnung verlangt, so liegt diese Gefahr besonders start in den Bestimmungen, wonach die Stadtverordnetenversammlung über den Abbau von Magistrats­mitgliedern beschließt, wo also die Entscheidung von den poli tischen Mehrheitsverhältnissen abhängt. Die Re gierungen wollen gern das Damoklesschwert des Abbaues noch jahrelang über der Beamtenschaft hängen lassen. Wer die for rumpierenden Wirkungen dieser Maßnahme fennt, muß verlangen, daß die Abbauverordnung jetzt aufgehoben wird,' nach dem der notwendige Abbau vollzogen oder dech wenigstens ge­mügend Zeit für ihn gewefen ist. Was dann noch nötig ist, fann im Wege der Organisationsänderung geschehen."

Leider vergißt der Abg. Barteld dabei, daß die demokratische Reichstagsfraktion zwar die Aufhebung der Personalabbauverord nung verlangt, aber ihre tatsächliche Inhibierung noch vor wenigen Tagen zusammen mit allen anderen bürgerlichen Parteien gegen die Stimmen der Sozialdemokratie verhindert hat. Auch haben die Demokraten in vielen Fällen sich nicht gescheut, sich in die Reihen des Bürgerblods einzureihen, wenn es möglich war, den Abbau von Sozialdemokraten auf leitenden Verwaltungsposten unter den fadenfcheinigsten Vorwänden durchzusehen. Wir erinnern nur an Berlin , wo der Führer der demokratischen Rathausfraktion

Blutes. Ich weiß, daß Ihr wie ich trauert um unser europäisches| Baterland, um ein Land, das uns allen gemeinsam ist; denn wir find eine einzige untrennbare Familie von Bölfern. Der Grund dieser Häfen ist aufgewühlt von den ehernen Flügeln der Schiffe von allen Küsten der Welt. Unser Wissen, unser Glaube, unsere Kunst, unser Handel, unser Gewerbe sind verflochten miteinander wie die Finger einer gefalteten Hand. In eisernen Pulfen gibt der Herzschlag unserer Städte den Euren Antwort. Schon mischte sich in den Adern vieler. unserer Kinder das gleiche Blut.

Wer aber hat die Nerven der Länder zerschnitten? Wer ihre Adern zerrissen, daß das Blut über die nackten Leiber strömt und Europas Karte nichts scheint als ein Haufen von Scherben?. Ich klage nicht die Bölker an! Sie sind eine Herde von armen und willenlosen Lieren, sie laufen im Kreise und rennen in das Feuer wie Lämmer in den brennenden Stall. Ich flage nicht die Führer der Völker an; aber meine Seele ist in leidenschaftlicher Wanderung begriffen nach jenen, die gleich mir frei sind von Haß.

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Auch ich liebe die Scholle, auf der ich geboren bin; auch die Fasern meiner Seele wurzeln zwischen den Steinen deutscher Städte. Mein Leben ist groß geworden zwischen den Sorgen und dem Alltag meiner Brüder; aber ich kann nicht glauben daß meine Heimat beschlossen ist zwischen ein paar tausend Quadratmeilen oder einem steinernen Pfahl wie ich nicht glauben kann, daß mein Haus beschlossen ist zwischen seinen vier Wänden und mein Denken zwischen der Schale meines Hirns. Ich war daheim in den Städten Europas , wandernd von Kindheit an. Ich war zu Gast in den Städten Frant reichs und Englands, ich bin die Küste des Südens entlang ge wandert und die heißen staubigen Wälder, ich kann die Orte Europas Zählen, die ich nicht mit einem furzen liebenden Blick meines Auges streifte. Ich bin durch die Dörfer der Provence gezogen, viele Male, und habe immer gefunden, daß die Güte einer Mutter die gleiche ist dort wie hier; ich habe in den finsteren, gefahrvollen Kellern der Hafenstädte geschlafen, auf dem Deck fremdländischer Schiffe, zwischen Bündeln von Tau und verworfenem Volk und habe überall den Trost und die werktätige Hilfe von Menschen gefunden. Meint Ihr, ich müßie das Land meiner Väter verraten, um das Herz Frank reichs zu lieben? Um Italien , die Schweiz , Norwegen , Spanien zu lieben? Ich werde nie die Erde verleugnen, die mich geschaffen hat. Ob ich in fremden Ländern mar: un allemand, a german, un tedesco immer blieb dies die heimliche Melodie, die hinter der Maske aller fremden Worte stand: aber ich kann nicht hassen, wo so viel Liebe mir verankert liegt. Ich fühle nur, daß jeder Sieg meiner Brüder noch mich schmerzt wie der Schlag des Baters gegen den eigenen Sohn: auch ich bin ein Patriot und ich glühe für mein europäisches Bateríand.

Die Seele Deutschlands ist nicht die Seele Europas allein; auch der mütterlichen Seele Frankreichs bedarf sie, der sehnigen Seele Englands. Gibt es ein Land, einen Staat in unserer Mitte, der zu klein oder zu groß wäre für eine Rammer in diesem Herzen? Wir

Der Artikel des Abg. Barteld enthält aber noch eine andere Be­merkung, die zweifellos, mindestens im allgemeinen, berechtigt ist. Er sagt über einert, daß er den reaktionären Elementen in der Ver­waltung nicht energisch gegenübergetreten sei. Und er wirft auch dem Oberpräsidenten Noste in Hannover vor, daß er mit Ausnahme seines Pressechefs teinen Republikaner in das Oberpräsidium gebracht habe:

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Es genügt nicht, daß man die Spizen der Oberpräsidien und Regierungen mit zuverlässigen Republikanern befeßt, wenn sie es nicht verstehen, sich in der politischen Leitung zuverlässige Mitarbeiter zu verschaffen, und wenn man die regierenden" Bizepräsidenten des alten Regimes in ihren Aemtern beläßt. Vielleicht genösse auch Leinert heute mehr Ach­tung bei der Rechten, wenn er mehr nach Tramms Manieren regiert hätte."

Die stumpfsinnige Kurzsichtigteit, mit der die bürgerlichen Parteien bis weit in die Reihen des Zentrums und der Demokraten hinein, oft sogar mit feltener Entschlossenheit und Ein­mütigkeit den Einfluß der Arbeiterschaft in der Verwaltung zurück­zudrängen suchen, wird auch sein Gutes haben. Der Kurs der Bür­gerblockpolitik, der hier gesteuert werden soll, ist ja schon deswegen so findlich, weil es für jeden Einsichtigen von vornherein klar ist, daß Sozialdemokratie aus diesen Vorgängen die Lehre ziehen. Es iſt solche Versuche zum Scheitern verurteilt sind. Um so mehr wird die noch sehr fraglich, ob die bürgerlichen Parteien es nicht eines Tages noch sehr bereuen werden, durch ihr Verhalten die Arbeiter­schaft aufs äußerste gereizt zu haben.

Staatsgefährliche Kinder.

Eine ruhmreiche Aktion des Herrn Dr. Jarres.

Im Reichstag verhinderte gestern bürgerlicher Widerspruch die Beratung eines kommunistischen Antrags, der sich gegen den Innen­minister Dr. Jarres wendete. Bor Monaten hatte die Internatio­nale Arbeiterhilfe einen Transport von 500 Kindern nach Frank­ reich organisiert. Damals herrschte in Frankreich noch der Para­graphenrepublikaner Poincaré , der selbstverständlich in dieser Invasion feindlicher Kinder eine Haupt- und Staatsaftion der teuflischen Deutschen erblickte und darum den deutschen Kindern feierlichst verbot, den geheiligten Boden der französischen Republik zu betreten. Darüber ungeheure Entrüstung im deutschen Blätter­wald. Eine seltsame Einheitsfront von den Kommunisten über die Mittelparteien bis zu den Deutschvölkischen tat sich in allen Parteien und Zeitungen auf. Alle Welt war sich damals in Deutsch­ land darüber einig, daß dieses Heldenstück Poincarés nur ihn selbst lächerlich machen könne.

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Jezt ist Poincaré gestürzt. An seine Stelle trat Herriot . Eine seiner ersten Regierungshandlungen war ein Gruß an den französischen Abgeordneten Cachin, in dem er die Erlaubnis zur Einreise der bisher so gefürchteten deutschen Kinder gab. Wer die Aeußerungen der deutschen Bresse zur Zeit des Poincaréschen Ein­reiseverbots in Erinnerung hatte, mußte annehmen, daß nun alle Schwierigkeiten beseitigt sein würden, denn welches Interesse folle Deutschland haben, am Abbau des Hasses in Frankreich durch seine Kinder mitzuarbeiten? Wer so rechnete, vergaß, daß wir einen Innenminister wie Dr. Jarres haben. Der Mann, der seinerzeit fich nicht schämte, die Beerdigung des in der Gefangenschaft gestor benen Dreyer zu einem völtisch- nationalistischen Spettafelst ü d umzugestalten, der die Fahneder Republit nicht zu zeigen wagte und dafür lieber als Reichsminister der Fahne des Bürgertriegs und des Brudermordes feine Reve­renz erwies, der Mann konnte natürlich nicht daran denken, deutsche Kinder nach Frankreich zu schicken und dadurch an der Versöh= nung der beiden Völker mitzuarbeiten. Er verbot furger hand die Ausreise, und Frankreich wird von der feindlichen In­vasion" verschont bleiben. Aber Deutschland erntet dafür von neuem den Ruhm, daß an der Spike der inneren Reichsverwaltung ein Mann steht, der durch diesen Unfug sich und damit leider auch fein Land vor der gesamten Welt lächerlich macht.

MAY

find Brüder. Dieser Krieg ist ein Bruderkrieg. O Ihr freien Europäer, Ihr Nüchternen, Kühnen, Ihr Abenteurer des Geistes, Gelehrte, Krieger der Arbeit, gestählt in tausend Gefahren, ich weiß, daß Ihr immer bereit seid, Euer Leben einzusehen für die Sache der Menschheit; aber laßt Euch nicht hinreißen von dem Wahnsinn der Massen! Bergeßt nie, daß es edler ist, ungerecht in Liebe zu leiden, denn gerecht zu sein im Haß. Besteckt nicht mit Blut die friebliche Hochzeit der Geister, bleibt Euch selber treu, und solltet Ihr die Verachtung Eurer Völker tragen unn Europas willen.

Wo seid Ihr zu dieser Stunde? Müßt Ihr wie ich gebückt und verborgen gehen, die Augen versteckt unter dem Rand des Hutes, voll Scham, nur ein Pfleger von Wunden zu sein und ein Linderer von Leiden, da alle sind, Mörder zu heißen und Leben zu töten? Vielleicht wohnt Ihr auf fernen Bergen, während die Welt um Euch in Kampf und Aufruhr steht. Oder sizt, Ihr, einsame Gelehrte, in der Verborgenheit Eurer Zimmer und tönt Euch aus dem Singen der Arbeitslampe noch das nie endende barbarische Hufgetrappeí der Pferde? Vielleicht hocht Ihr schwindsüchtig und wollezupfend in den Gefängnissen Sibiriens : Ihr Leidenden alle, die ich liebie! Wie viele seid Ihr noch? Ich kann nicht glauben, daß Ihr Laufende seid, Millionen waten in Blut und Verderben. So viele sind ab­trünnig geworden, die Besten haben die Arbeit ihres Lebens ver­leugnet, Europa verraten. Seid Ihr Hunderte? Seid Ihr Wenige nur? Mit der leidenschaftlichster Liebe will ich Euch suchen! Meine antwortheischende Seele horcht hinaus nach Euch, in der gelben Stille der Septembertage, in der ungeheuren Weite der Nacht, in den langen schlaflosen Morgenstunden; denn wer hörte nicht jetzt den Taumel der Welt an die Küfte seines Lagers schlagen, ob er gleich auf einer einsamen Insel schliefe. Warum erhebt Ihr Euch nicht? Weshalb höre ich nicht Eure Stimme ertönen, das verratene Europa zu retten? O, ich weiß: noch ist Eure Stunde nicht ge­fommen! Noch schweigt Ihr. Noch schweigt Ihr. Aber ich höre das unterirdische Klopfen Eurer Herzen wie das Hämmern der Bergleute, das wit unter Tage ist. Ich bin nur eine Stimme von wenigen, das Rufen meines Mundes ist bald verhallt. Aber ich will den Glauben fest­halten an Euch, und wäre es auch nur, um einer einzigen Seele zu sagen: Kamerad! laß Dich nicht irre machen. Einmal wird das Mittelalter Europas vorüber sein!"

O Ihr freien Europäer, Ihr einsamen Inseln, ich weiß, daß auch Ihr fremd zwischen Euren Brüdern und Schwestern wandeln müßt, verspottet, verlacht, der Feigheit gescholten, aber mit einer leidenschaftlicher Wärme und einem unaussprechlichen Mitleid zur Menschheit. Auch Euch bangt nach dem Trost und der Lieve fameradschaftlicher Seelen. Hier, verloren in einem Winkei Europas , size ich, in einer Stadt unter Tausenden, in einer Straße unter Tausenden, in einem Hause unter Tausenden, unter Menschen, deren Seelen der Haß getrübt hat, und wie der Gefangene in seiner Zelle mit dem gebogenen Zeigefinger an die Wand meines Zimmers flopfend, sende ich geheimnisvolle Zeichen hinaus. Wo Ihr auch