Nr.354 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 181
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutfchlands
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Mittwoch, den 30. Juli 1924
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Deutschland und der Sicherheitsvertrag. Morel und die Kriegsschuld.
Beantwortung des Völkerbundvorschlags.
seine große Aufgabe niemals voll erfüllen kann. Auch Deutschland brauchte alsdann nicht zu zögern, in die Gesellschaft der im Völker. bund vereinigten Nationen, selbstverständlich unter der Vorausfegung voller Gleichberechtigung, einzutreten, um auf dem Boden des Rechtes an der Erhaltung eines dauernden Friedens mitzuarbeiten."
WTB. meldet: Der Bölkerbund hat, wie bereits vor einiger Zeit gemeldet wurde, den von einer seiner Rommiffionen aufgestellten Entwurf eines ,, Vertrags über gegenseitige Unterstütung" auch der deutschen Regierung zur Stellung nahme übersandt. Das Auswärtige Amt hat den Entwurf einem Gremium von Sachverständigen zur Begutachtung unterbreitet, das sich aus den Herren Prof. Hoesch, Prof. Kaas, Prof. Kahl, Ministerialdirektor 3. D. Kriege, Prof. Meinede, General a. D. Graf Montgelas , Reichsminister a. D. Schiffer Ein Sanktions- Schiedsrichterkollegium. und Prof. Schüding zusammensetzte. Die Sachverständigen haben Paris , 29. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Die neue Kompromißihre Auffassung in einer Dentschrift vom 5. Juli dargelegt, die formel, die inzwischen von der französischen Delegation der ersten nunmehr vom Auswärtigen Amt dem Generalsekretariat des Völker- Kommission der Londoner Konferenz unterbreitet worden ist, sieht, bundes mit dem Hinzufügen mitgeteilt worden ist, daß die Reichswie offiziell mitgeteilt wird, vor, daß die Reparationsfommission bei regierung sich die Ausführungen der deutschen Sachverständigen der Feststellung etwaiger deutscher Verfehlungen jedesmal, wenn 3u eigen mache. darüber ein einstimmiger Beschluß nicht zustandekommen sollte, die Entscheidung eines dreimitgliedrigen Komitees mit schieds. richterlichen Vollmachten anrufen soll. Dieser Vorschlag, dessen Einzelheiten noch nicht festgelegt sind, dessen Prinzip sich jedoch völlig im Rahmen des Friedensvertrages halte, soll bereits die Zustimmung Ramsay Macdonalds gefunden haben. Dieser habe einen der englischen Sachverständigen beauftragt, sich mit seinem französischen Kollegen über die Ausarbeitung eines gemeinsamen Tertes zu verständigen. Die französische Delegation foll allerdings beabsichtigen, die endgültige Annahme des Vorschlages von Zugeständnissen in der Frage der Natural leistungen abhängig zu machen, deren Lieferung von der deutschen Regierung in einwandfreier Weise garantiert werden müsse.
Die Denkschrift, die das ganze Problem der Sicherheits- und Abrüstungsfrage erörtert, unterzieht zunächst die Grundgedan fen des Völkerbundsentwurfs einer eingehenden Kritik. Der Entmurf geht von dem
uneingeschränkten Verbot des Angriffstriegs aus. Die Frage aber, ob ein Angriffstrieg vorliegt, unterliegt ausschließlich der Entscheidung des Bölkerbundsrats, der auch die Befugnis haben soll, die Maßnahmen gegen den Angreifer, insbesondere die Aufbietung militärischer Machtmittel zu organifieren. Darüber hinaus gestattet der Entwurf, daß der allgemeine Bertrag durch Sonderbündnisse zwischen einzelnen Vertragsstaaten oder einzelnen Mächtegruppen ergänzt wird. Die Deutschen Sachverständigen erklären ein solches System für unge. eignet, das erstrebte Ziel der allgemeinen Sicherheit der Staaten und der dadurch ermöglichten Rüstungsbeschränkungen zu erreichen. Die Ausführungen der Denkschrift begegnen sich hierbei in den wesentlichen Bunkter mit der Kritik, die inzwischen auch von Seiten der amerikanischen und englischen Regierung an dem Bölkerbundsentwurf geübt worden ist. Bon besonderer Bedeutung ist der von der Denkschrift geführte Nachweis, daß Deutschland angesichts seiner völligen Entwaffnung in eine unmögliche Lage geraten würde, wenn es in einem bewaffneten Konflikt zwischen anderen Staaten auf Grund einer Entscheidung des Bölkerbundsrats feine Neutralität aufgeben und sich an friegerischen Maßnahmen beteiligen müßte.
Die Denkschrift beschränkt sich indes nicht auf eine negative Kritit, sondern macht, wenigstens in großen Zügen,
auch poffifive Borschläge, wie nach deutscher Auffassung das Problem der Sicherheit und Abrüstung gelöst werden könnte. Dabei wird u. a. folgendes ausgeführt:
Will man in Wahrheit die den Bölkerbund tragende Idee der Völkerabrüstung ihrer Verwirklichung näher bringen, so wird man den Weg, den der Entwurf vorschlägt, nicht beschreiten dürfen. Er führt nicht über den Völkerbund hinaus, sondern von ihm und feinen Grundanschauungen ab. Nur ein organisechr Ausbau, nicht em äußerlicher Anbau verspricht Erfolg. Nicht eine Häufung von Berträgen und Abmachungen neben dem Völkerbundsvertrag, sondern seine vertiefte Ausgestaltung tut not. Diese Ausgestaltung fann nicht in der Richtung erfolgen, daß man der Gewalt lediglich durch Gewalt begegnet. Unrechtmäßige Gewalt wird man nur dadurch aus der Welt schaffen, daß man ihr das Recht entgegenstellt, durch das die zur Abwehr des Unrechts angewandte Gewalt erst gerechtfertigt und geheiligt wird. Man verbiete die gewaltsame Austragung von Streitigkeiten, die gewaltsame Durchsetzung vermeintlicher Ansprüche schlechtweg. Man schaffe neben dem für reine Rechtsstreitigkeiten bestimmten Weltgerichts hofe eine
Schlichtungsinstanz für politische Konflikte mit allen Garantien der richterlichen Unabhängigkeit ihrer Mitglieder. Man verordne einen Einlassungszwang vor ihr und ebenso vor dem ständigen Weltgerichtshof im Haag. Man gebe beiden Stellen das Recht und die Pflicht zum Erlaß einstweiliger Verfügungen zum Zwecke des Besitzschuhe s,
insbesondere
auch gegenüber angeblich friedlichen Besetzungen fremden Staatsgebiets. Vor allem mache man für alle Staaten die Abrüstung obligatorijch. Man sorge endlich dafür, daß berechtigte Wünsche der Bevölkerung wegen Berichtigung der Grenzen auf dem Wege eines geordneten Rechtsverfahrens ihre Lösung finden. Denn die Entwicklung steht nicht still. Wer den Wunsch hat, sie nicht in gewaltsamen Eruptionen vor sich gehen zu lassen, darf nicht den aussichtslosen Versuch machen, sie in den Zustand einer Erstarrung zu versetzen, der schließlich doch gesprengt werden würde. Er muß vielmehr darauf bedacht sein, ihr freie Bahn zu lassen, und nur dafür sorgen, daß diese Bahn die des Rechtes ist. Nur so wird man die Voraussetzung für eine kraftvolle Wirksamkeit des Völkerbundes schaffen, nur so die Möglichkeit für eine starte Erweiterung feiner Kompetenzen heraufführen und nur so auch jener Universalität seines Mitgliederkreises den Weg bereiten, ohne die er
Eine Botschaft Herriots.
Paris , 29. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) In einem an den Bizepräsidenten des Ministerrats gerichteten und am Dienstag nach mittag in Kammer und Senat verlesenen Telegramm gibt Herriot eine ausführliche Darlegung über den Stand der Arbeiten der Londoner Konferenz. Er bedauert, daß er noch nicht in der Lage sei, dem Parlament endgültige Abmachungen unterbreiten zu können, da trotz des guten Willens aller Beteiligten die Verhandlungen bisher nicht zu einem Abschluß hätten gebracht werden fönnen. Sjerriot gibt sodann einen Ueberblick über die bisherigen Beschlüsse der dret Kommissionen und der Bollfizung am Montag. Er betont, daß die Beseitigung der zahlreichen Schwierigkeiten tech nischer Natur, auf die die Verhandlungen gestoßen seien, aller Boraussicht nach noch mehrere Tage in Anspruch nehmen werde. Die französische Regierung nehme an allen diesen Berhandlungen mit dem festen Entschluß teil, die Rechte Frankreichs zu verteidigen, zugleich aber die Einigung zwischen den Alltierten und den Frieden sicherzustellen. Sie werde die Ergebnisse der Verhandlungen dem Parlament unterbreiten, und sie überlasse es diesem, das Datum zu bestimmen, an dem es darüber zu beraten wünsche.
Derartige
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Wie die Reichsregierung dementiert. Die Reichsregierung hat, wie unsere Leser dem Dienstag: Abendblatt des" Vorwärts" bereits entnehmen konnten, die Meldung unseres Londoner Korrespondenten dementiert, der uns die Mitteilungen des Londoner „ Daily Telegraph " über Bedingungen gedrahtet hatte, die vom Auswärtigen Amt dem Generalsekretär des Bölkerbundes für den Eintritt Deutschlands gestellt worden sein sollten. Unterredungen sind ja stets informeller Natur, erst im entscheidenden Stadium geht man zu genauer Formulierung über, und darum wird es sich nicht um punktweise festgelegte Bedingungen gehandelt haben. Ob die allgemeine Stellungnahme des Auswärtigen Amts zur Frage des Eintritts Deutsch lands in den Völkerbund und sein Verhalten gegenüber Sir Grit Drummond im besonderen nicht den Eindruck machte, daß Deutschland solche Bedingungen stelle- das würde man ja nur durch Vernehmung der Teilnehmer an jener Verhandlung feststellen können und allenfalls dem Auswärtigen Ausschuß des Reichstags überlassen bleiben.
Da jedoch das Dementi von einer angeblichen Auslassung des ,, Daily Telegraph " sprach, so lag darin die Verdächtigung unseres Korrespondenten, als hätte er gar die Daily- Telegraph"-Meldung erfunden. Diese herabsetzende Vermutung ist durch das WTB. an die gesamte Breffe verbreitet worden. Auf unsere drahtliche Anfrage telegraphiert nun unser Korrespondent, daß die von ihm übermittelte Meldung tatsächlich am Montag, den 28. d. M., im ,, Daily Tele graph " erschienen ist!
Die verantwortliche Stelle hätte sich dieses verdächtigende angeblich" wohl sparen können. Sie sollte nun aber bei der deutschen Botschaft in London feststellen, warum diese Behörde die für Deutschland doch wahrlich nicht gleichgültige Meldung eines führenden Londoner Blattes nicht der Reichsregierung gemeldet hat- mindestens doch, um sie schleunigst in London selbst dementieren zu können! Sind die deutschen Botschaften auch sonst so sparsam im Telegraphieren?
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Auch eine Erinnerung ans der Kriegszeit. Bon Eduard Bernstein .
In der Reichstagsrede des deutschnationalen Abgeordneten Berndt vom 25. Juli über die Kriegsschuldfrage marschieren unter den angeblichen Zeugnissen für die von ihm behauptete Unschuld des kaiserlichen Systems in Deutschland auch Aussprüche des heutigen Mitglieders der britischen Arbeiterpartei E. D. Morel , Abgeordneter für Dundee ( Schottland ), auf. Herr Berndt stellt dabei Morel den Titel dieser aufrechte Mann" aus. Unser Gesinnungsgenosse hat auf ihn sicherlich allen Anspruch. Ob er aber Wert darauf legt, ihn aus dem Munde von Leuten entgegenzunehmen, die im eigenen Lande jeden als Landesverräter verkezern würden, der es wagte, auch nur halb so scharf wie er die Schuld der eigenen Regierung zu betonen und übertriebene Anschuldigungen der gegnerischen Nation zurückzuweisen, müssen wir, wie wir ihn fennen, sehr bezweifeln.
Dies um so mehr, als es obendrein recht fraglich ist, ob Herrr Berndt überhaupt Morel richtig zitiert hat. Ich will ihm nicht unterstellen, daß er etwa Morte Morels gefälscht habe. Aber er zitiert ihn außerhalb des Zusammenhangs, in dem die Worte stehen, und erst aus diesem ergibt sich ihr richtiger Sinn. Es liegt doppelter Anlaß vor, das hervorzu heben, als Morel schon einmal Gelegenheit genommen hat, sich energisch gegen den Mißbrauch seiner Reden und Auffäße, durch die Anwälte des kaiserlichen Systems in Deutschland aufzulehnen. Der Vorgang ist unter verschiedenen Gesichtsa punkten von Interesse.
Es war im Sommer des zweiten Kriegsjahres 1915. Damals bereifte ein gelehrter amerikanischer Quäfer Europa zu dem Zweck, festzustellen, ob sich eine Friedensvermittlung mit einiger Aussicht auf Erfolg anbahnen ließe. Er fand in Deutschland nur bei wenigen Personen Ermutigung. Auf seiner Heimreise über London erzählte er dort in einer Gesellschaft von Friedensfreunden, welche Eindrücke er in Deutsch = land empfangen habe, und erwähnte dabei, daß Morels Reden und Aufsätze in Deutschland nur als Beweis für die Schuld Englands zitiert würden. Morel erfuhr dies von einer Dame jenes Kreises, und das veranlaßte ihn, sofort an fie einen Brief zu richten, worin er seine wirklichen Ansichten darlegte und sie ermächtigte, den Brief auf irgendeinem Wege mir mit der Bemerkung zukommen zu lassen, es würde ihm sehr angenehm sein, wenn weitere Kreise in Deutschland über die Beweggründe und Voraussetzungen seines in England geführten Kampfes richtig unterrichtet würden.
Der Brief ging mir über ein neutrales Land zu. Als ich ihn las, sah ich sofort, daß er die Berliner Kriegszensur nicht passieren werde. Daher übergab ich ihn dem Herausgeber der damals in München erscheinenden Zeitschrift ,, Das Forum" mit der Bitte um Veröffentlichung. In München , das bald von links und bald von rechts gegen Berlin frondiert, herrschte zu jener Zeit eine etwas mildere Atmosphäre als an der Spree . In Berlin erlaubte die Zensur, die kühl alles wegstrich, was ihr unzeitgemäß erschien, nicht einmal, durch Offenlassen der Stelle die Leser wissen zu lassen, daß etwas gestrichen sei. In München war man, bildlich ge= sprochen, human genug, dem Hund den Schwanz nur zur Hälfte abzuhacken. Und so erschien in der Augustnummer 1915 des Forum" Morels Brief in folgender Gestalt:
Liebe Mrs. Minturn Scott!
Aus einer Bemerkung, die Sie heute nachmittag fallen ließen, entnehme ich, daß in gewissen Kreisen in Deutschland der Eindruc vorherrscht, ich betrachtete England oder dessen Verbündete, sei es einzeln oder zusammengenommen, als allein für diesen troftlosen und finnlosen Krieg verantwortlich.
Dieser Eindruck fann nur verursacht sein durch entstellte oder unvollständige Auszüge aus meinen Reden und Schriften. Was ich gesagt habe und glaube, ist, daß Deutschland nicht, wie dies allgemein in diesem Lande hingestellt wird, allein für diesen Krieg verantwortlich ist.
( 39 Drudzeilen unterdrückt.) Von dieser Haltung bin ich noch um fein Haar abgewichen. In einem erst ganz neuerdings, am 4. Jufi, in der„ New York Tri bune " veröffentlichten Artikel schrieb ich:
Ich bin nicht mit der Mehrheit mit denen, die behaupten, daß die Beherrscher Deutschlands diesen Krieg geflissentlich geplant haben und ganz verantwortlich für ihn sind. Daß sie ein großes Maß von Verantwortung für ihn tragen, liegt auf der Hand. Daß andere mit ihnen verantwortlich sind, fann nur von Leuten be stritten werden, die unter dem Einfluß der Furcht Halluzinationen verfallen sind. Und Furcht hat dieser Krieg verursacht, Furcht ver= längert ihn."
Als ein Engländer, der feft davon überzeugt ist, daß ein dauernder Friede nur erwirkt werden fann durch stillschweigendes Eingeständnis verübter Sinnlosigkeiten von seiten aller Kriegführenden, durch Beseitigung der Ursachen früherer Reibereien und Ausmerzung der Systeme, welche diese zur Folge gehabt hatten, habe ich es für patriotische Pflicht gehalten, zu brandmarken, was nach meiner Ans ficht falsch, unbillig und ungerecht war in dem Verhalten der briti