Nr.356 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 182
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Donnerstag, den 31. Juli 1924
Dementierte Abbruchmeldungen.
Auf der Suche nach dem Kompromiß.
Paris , 30. Juli. ( WTB.) Heute am späten Nachmittag ist in den Wandelgängegen der Kammer das Gerücht verbreitet gewesen, daß die Londoner Konferenz abgebrochen worden sei. Der Havas . Agentur liegen teine Nachrichten vor, die zu einem derartigen Gerücht Anlaß geben könnten, auch haben maßgebende Kabinettsmitglieder von Anfang an erklärt, daß sie dieses Gerücht für tendenziös und falsch halten.
London , 30. Juli. ( WTB.) Die Meldung, daß die Londoner Konferenz abgebrochen worden sei, wird an hiesiger unterrichteter Stelle als Tendenzmeldung bezeichnet, der jede Grundlage fehlt.
Paris , 30. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) In den Wandelgängen der Kammer verbreitete sich am Mittwoch abend gegen 6 Uhr das Gerücht, daß die Londoner Konferenz resultatlos ab. gebrochen worden sei. Eine Bestätigung lag im Augenblick dieses Ferngesprächs nicht vor. Wir geben deshalb diese Meldung mit ausdrücklichem Vorbehalt wieder. Allerdings läßt sich nicht leugnen, daß bereits am Mittwoch morgen die Beurteilung der Lage ungewöhnlich pessimistisch war. Den äußeren Anlaß scheinen die Widerstände gegeben zu haben, auf die der neue franzöfifche Kompromißvorschlag sowohl in der englischen Delegation als auch bei der internationalen Finanz gestoßen ist. Das Prinzip der Einführung eines schiedsrichterlichen Berfahrens bei der Feststellung etwaiger deutscher Verfehlungen in all den Fällen, wo die Reparationsfommiffion nicht zu einstimmigen Beschlüssen gelangen sollte, hatte in den französischen Konferenzfreifen zunächst rückhaltLose Zustimmung gefunden. Erst der Versuch, die Aufgaben diefes Komitees auch auf die Entscheidungen der Reparationskommission tzw. des Komitees für die Ueberweisungen in den Fragen der deut schen Naturallieferungen sowie der aus Rücksicht auf die deutsche Währung gebotenen Üleberweisungen der Barzahlungen auszudehnen, ist im Laufe der Besprechungen, die am Mittwoch nachmittag statt. gefunden haben, auf heftigen Widerspruch gestoßen. Der allerdings nicht zuverlässige Berichterstatter der Liberté" hat bereits in den Mittagsstunden seinem Blatte gemeldet, daß Herriot den alliierten Delegationschefs Beinen Zweifel gelaffen habe, er werde weitere Verhandlungen für aussichtslos erklären und nach Paris zurückkehren, wenn die französische Kompromißformel abgelehnt merde. Auch der parlamentarische Mitarbeiter des Temps " schreibt am Mittwoch nachmittag, in der Kammer herrsche die Auffassung vor, daß die Londoner Konferenz wahrscheinlich mit der Annahme einer Reihe von Grundfäßen demnächst zu Ende gehen werde, da man
angesichts der im Augenblick als unüberwindlich anzusehenden Schwierigkeiten
die endgültige Entscheidung über die Durchführung des Dawes Planes einer späteren Konferenz überlassen werde. Außer den oben angedeuteten Reibungen über die neuen franzöfischen Ansprüche auf eine Revision der Bestimmungen über die Naturalleistungen und finanziellen Ueberweisungen scheint zu gleicher Zeit auch die militärische Räumung des Ruhrgebiets zu einem Konflikt zwischen Frankreich und den übrigen Delegationen Anlaß zu geben. Nach dem von franzöfifchen und belgischen Sachverständigen ausgearbeiteten Plan sollte die etappenweise zurückziehung der Truppen im gleichen Maße erfolgen wie sich die deutsche Schuld flüssig machen lasse und die von Deutschland ausgegebenen Obligationen mobilisiert werden können. Die erste Verkleinerung der gegenwärtigen Besazungszone follte erfolgen, sobald die 800- Millionen- Anleihe restlos gezeichnet sei. Die weitere Zurüdnahme der Truppen sollte in drei Abschnitten vor sich gehen und die Räumung vollendet sein, sobald der Betrag von 2 Milliarden Goldmark in deutschen Obligationen von dem internationalen Geldmarkt aufgenommen sei. Als äußerster Räumungstermin sieht der fran. zösische Plan den 1. August 1926 por, auch für den Fall, wenn die Aufnahmefähigkeit der internationalen Geldmärkte bis dahin die Unterbringung eines so großen Betrages deutscher Obligationen nicht ermöglicht haben sollte, jedoch unter der Vorausseßung, daß Deutsch land bis dahin alle Verpflichtungen des Dames- Planes restlos erfüllt habe. Als Gegenleistung verlangt Herriot, daß die eng lische Regierung die Besetzung der Kölner Zone, deren Räumung für den 10. Januar von ihr in Aussicht genommen ist, aufrecht. erhalte bis zur völligen zurückziehung der französisch - belgischen Truppen aus dem Ruhrgebiet .
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Eine Havasnote, die spät nachts in Berlin vorliegt, be. ftätigt die vorhergehenden französischen Räumungsbedingungen.
Immer noch kein Kompromiß. London , 30. Juft.( Eigener Drahtbericht.) Die Bertagung der für Mittwoch einberufenen Sigung der politischen Kommission der Konferenz ist das Eingeständnis, daß die Kompromißformel immer noch nicht gefunden ist. Bersuche, innerhalb der franzöfischen Delegation zu einem Kompromißvorschlag zu kommen, be megen sich auf folgender Linie: Falls eine Macht das ist Frank
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reich- einen Mehrheitsbeschluß über deutsche Verfehlungen durch die Reparationskommission ader Sanktionsvorschläge der nach der Formel Theunis eingesetzten Sachverständigen nicht an erkennt, soll sie das Schiedsgericht anrufen können. Dabei wird die Frage aufgeworfen, ob diesem Schiedsgericht bindende Kraft verliehen werden soll oder nicht. Ueber diesen Punkt soll sich die französische Delegation nach glaubwürdigen Meldungen selbst uneinig sein. einig sein. Dabei spielen die Londoner Sonderberichterstatter mancher Pariser Blätter eine unwürdige Rolle, indem sie Herriot vor der französischen öffentlichen Meinung so hinstellen, als ob er den Londoner Intrigen nicht gewachsen wäre.
Nachmittags um 4 Uhr traten die Führer der Delegationen zu fammen. Der Rat der Fünf hat sich seit Dienstag um den belgischen Außenminister Hymans und den japanischen Botschafter Baron Ishii ergänzt und zu einem Rat der Sieben erweitert. Ihm lag das franzöfifche Memorandum, das die am Mittwoch fertig. gestellte französische Kompromißformel enthält, vor. Die politische Rommiffion und die dritte, Kommission sind für Donnerstag einberufen.
Die Einladung ist beschlossen.
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London , 30. Juli. ( Eigener Drahtbericht.) Der langsame Gang der Berhandlungen auf der Konferenz hat vielfach ein Gefühl der Enttäuschung hervorgerufen, dem verschiedene Blätter Ausdruck geben, insbesondere die Times". Indeffen wird anerkannt, daß die Konferenz bereits verschiedene schwierige Punkte geregelt hat, die noch vor einer Woche als mögliche Ursachen eines vollständigen Scheiterns betrachtet wurden. So ist z. B. die Frage der wirtschaft lichen Ruhrräumung endgültig gelöst und programmatisch festgelegt. Ebenso ist es jetzt sicher, daß die Deutschen nach London kommen werden, und zwar nicht um Beschlüsse lediglich zur Kenntnis zu nehmen und zu unterschreiben, sondern um über die Ausführun gen des Sachverständigengutachtens zu diskutieren. Es wird hier er. flärt, die Alliierten bedauerten es ebensosehr wie die Deutschen , daß die Einladung noch nicht unmittelbar nach der letzten Bollfonferenz am Montag abgesandt werden konnte. Aber es fei flar, daß es noch weniger schicklich gegenüber den deutschen Delegierten gewesen wäre, wenn man sie in London hätte warten lassen, bis die Alliierten unter sich einig geworden wären. Jedes andere Borgehen hätte insbesondere für die deutschen Delegierten die Gefahr eines Zeitverlustes mit sich gebracht. Daß die Einladung erfolgen werde, fei jedenfalls bereits beschlossene Sache.
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Gedämpfte Stimmung in England. London , 30. Juli. ( EP.)„ Daily Herald"( foz.) schreibt zur Londoner Konferenz: Wir sind noch nicht aus dem Schlimmsten heraus, wir stehen wohl noch nicht in der letzten Woche der Konferenz, es ist noch immer ein wenig Hoffnung vorhanden. Westminster Gazette"( lib.) sagt: Wenn die Konferenz bis heute eine Verzögerung erfahren hat. so war es gerade deshalb, weil man verfucht hatte, die Voraussetzungen von denen der Plan Dawes getragen ist, zu mißachten. Wir hoffen aber immer noch, daß es Macdonald gelingen wird, diesen Voraussetzungen noch zur Achtung zu verhelfen.
Die bewegte Senatssitzung.
Paris , 30. Juli. ( WTB.) Im Senat schlug der Berichterstatter zum Amnestiegefeßentwurf vor, die Regierung zu ermächtigen, gewisse Gnadenafte zu vollziehen, jedoch die Erledigung des von der Kammer angenommenen Gesetzes bis zum Herbst aufzufchieten. Gegen diesen Vorschlag erhob die Linke Widerspruch. Bei der Rede de Menzies rief Delahaye( reaktionär):" Sie haben so viel Liebe zu den Boches!" Es tam zu lärmenden Brotesten und als Präsident De Selves teine Miene machte, den Delahaye Bräfident mußte die Sigung unterbrechen. Nach Wiederaufnahme zur Ordnung zu rufen schrie die Linke Demiffion!" Der der Verhandlungen wurde Delahaye zur Ordnung gerufen.
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Der neue polnische Außenminister. Er wünscht Freundschaft mit den Nachbarn. Königshütte , 30. Juli. ( WTB.) Wie der„ Oberschlesische Kuneue Warschau meldet, hat der Strzynski gestern in einer Uebersicht fein Programm entwickelt. Außenminister Ueber das Berhältnis Bolens zu Deutschland erklärte er, daß es ein derartiges sein werde wie dasjenige Deutschlands zu Polen . Bolens Bestreben sei, mit Deutschland , aber auch mit Rußland , so freund. fchaftliche Beziehungen als nur irgend möglich anzu fnüpfen, und zwar nicht nur auf politischem, sondern auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Das tägliche Leben weise auf die beiderseitigen großen Vorteile auf dem Gebiet des Handels und der Finanz hin. Diesem Bestreben wolle Polen entgegenkommen. Darüber hinaus werde das Verhältnis Bolens zu den beiden Nach borstaaten abhängig sein von dem Verhältnis der beiden Staaten zu den bestehenden Verträgen und zu dem Völkerbund. Wenn Deutschland und Rußland die Idee des Bölferbundes fich zu eigen machten, jo glaube er, daß die Idee einer einträchtigen gutmachbar lichen Zusammenarbeit sich in ihrer ganzen Fülle entwickeln werde.
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Der Kampf um die Anleihe.
( Von unserem Londoner Korrespondenten Am zweiten Wochenende befindet sich die Londoner Kon ferenz an einem kritischen Punkt. Sie hat einige Tage geschäftigen Stillstandes hinter sich. Aber die Geschichte dieser Woche ist nichts als die Geschichte geraubter Illusionen: die Politiker haben zuletzt erkennen müssen, daß das Kompromis in der Frage der Sanktionen und Verfehlungen null und nichtig ist, unbrauchbar, trotzdem es ohne jeden Zweifel ein Ausdruck der tatsächlichen Machtverhältnisse auf der Konferenz ist und ebenso zweifellos in den vergangenen Jahren damit auch schon eine neue politische Tatsache geschaffen hätte. Die Zeit, in der der Politiker die Reparationspolitik beherrscht hat, scheint aber vorbei zu sein. Es spielt ich hier unter unseren Augen, deutlich eine neue Etappe in der Ge schichte der Nachkriegspolitik ab.
Bisher waren die Regelungen, von Versailles angefangen über Spa bis London ( mit einziger Ausnahme des allerdings niemals verwirklichten Wiesbadener Abkommens), politische Kompromisse, auch soweit sie wirtschaftliche Regelungen zum Gegenstand hatten. Sie sind deshalb auch praktisch gescheitert weil sich der wirtschaftliche Mechanismus den politischen Fors derungen und Machtverhältnissen nicht im erwarteten Auss maße anzupassen vermochte, sondern mit den Fieberturven der Inflation und ähnlichem sichtbar genug reagierte. Diese neue Konferenz unterscheidet sich aber grundsätzlich von allen bisherigen darin, daß das wirtschaftliche Argument nicht mehn in die Rolle des Experten, des unmaßgeblichen Beraters zu rückgedrängt ist, über dessen Ratschläge man nach Belieben zur Tagesordnung übergehen kann, sondern daß es zum ersten mal mit der ganzen Fülle realer Macht befleidet ist. Es kann diesmal nicht mehr gelingen, irgendein politisches Kompromiß zu einer politischen Tatsache zu machen, weil im Gegensat zu früheren Konferenzen ein mesentlicher Bestandteil den Regelung die Verwirklichung einer internationalen Anleihe ist. Das ist das Neue, und das ist in gewissem Sinne das Gute. Denn wenn früher erst die Erfahrung jene Kompro misse umstoßen konnte, so ist diesmal die korrektur der nüchternen Wirklichkeit schon auf der Konferenz selbst gegeben. Der Widerstand, der früher der Zukunft vorbehalten blieb, ist nun verförpert in den Bankiers, die die Interessen der zukünftigen Anleihe zeichnet wahrnehmen, die ihren Kunden die Anlage ihres Geldes nicht empfehlen zu fönnen glauben, solange fie ber sorgen müssen, daß dieses Geld durch neue politische Berwir rungen in Frage gestellt werden kann.
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In Chequers hatte man die Durchführung des Dawes Blanes für eine technische Frage gehalten, man hatte über sehen, daß er nicht nur in sich selbst etwas Neues darstellte. Methode erforderte. Oder wenn man es mußte, so hat sondern daß auch seine Verwirklichung eine neue dieser neuen Methode entgegensezen mußten, unterschätzt. man doch die Schwierigkeiten, die sich der Verwirklichung Hier in London haben sich nunmehr die alten Borstellungen Sphäre war praktisch auf die neuen Erfordernisse nicht vorals stärker erwiesen als man geglaubt hatte, die politische bereitet: daraus ist der Stillstand entstanden, der die Arbeit der Konferenz lahmlegte.
Augenblicklich ist die Lage so zugespigt, daß sie, schon aus äußerlichen Gründen, nicht lange in der Schwebe bleiben kann. Nicht nur Herriot, wenn auch Herriot in erster Linie, auch die übrigen alliierten Minister können nicht wochenlang auf einer Konferenz verweilen, die nicht marschiert, sie alle spüren einen starken Druck auf sich lasten, der praktisch zu einer schleunigen Entscheidung drängt. In dieser Situation ergeben sich mehrere Möglichkeiten der Lösung. Die nächstliegende: die Bankiers geben nach, was in dieser Stunde zwar noch immer möglich. Sie erklären fich, fo wenn auch wenig wahrscheinlich ist. Voraussetzungen für die Sicherheit der Anleihe befriedigt nehmen wir an, mit den von den Politikern vorgeschlagenen Oder es finden sich andere Finanzgruppen, die unter den ge gebenen Verhältnissen die benötigten Summen aufbringen. Damit wäre die Konferenz gerettet, der Dawes- Bericht fürs erste gesichert, Poincarés Angriff auf Herriot wäre die Spize abgebrochen und, auf längere Sicht gesehen, ergäbe sich immere hin die Möglichkeit einer dauernden langsamen Besserung der europäischen Atmosphäre. Neben dieser Chance einer günstigen lichkeit: Herriot, heute gerettet, fällt morgen, die französische Entwicklung bliebe aber die andere, ungünstige Wahrschein Separataftion, unter Herriot eine Unmöglichkeit, wird für feinen Nachfolger zur Selbstverständlichkeit. Die Schatten eines neuen Ruhreinmarsches mit allen seinen Gefahren tauchen neuerlich auf.
Aber selbst die günstigere Lösung trägt ein weiteres Moment der Unsicherheit in sich, das es zweifelhaft erscheinen läßt, ob die Klärung der Verhältnisse wirklich von Dauer sein tönnte. Die 800- Millionen- Goldmart- Anleihe ist nicht die
einzige, die die Durchführung des Dawes- Berichtes erheischt. Mag die erfte auf der Basis eines solchen Kompromisses zwischen Frankreich noch gerade gelingen, bei der zweiten An leihe würde sich dasselbe Problem zum zweiten Mate und mi