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Nr. 378 41. Jahrgang
Heilage öes Vorwärts
Mittwoch, 13. August 1924
wie märtifihe Kleinstäöte aussehen:
Königsberg in der Neumark.
Äi einem Tag« nach Königsberg   hin unb zurück, wäre in den Togen de? Luftverkehrs keine besondere Leistung, selbst wenn es sich um die ostpreußisch« Residenzstadt   handelte, ober wir bescheiden uns diesmal mit dem uns näher liegenden Königsberg in der Neumark, das durch zwei Bahnlinien siiber Küstrin   und über Wriezen  ) zu erreichen ist. Erstere hat Schnellzugverbindung, die allerdings die Hin- und Rückfahrt auf zirka IS Mark stellt(bei je drei Stunden Fahrt): die Reis« mit dem Personenzug(etwa 5 Stun­den) stellt sich in der vierten Klosie natürlich billiger. Wer von den Berlinern kennt Königsberg i. d. N.--- wer die Neumark  ? Wohl sind im Herzen der Neumark   gelegene Orte wie Nesselgrund, Modderpfuhl, Saugarten(sie führen oll« dort etwas sonderbare Namen) von Som- msrfrischlern aufgesucht, aber es sind dies meist Verwandte von den Ansösiigen oder wieder Bekannte der Verwandten, dem eigent- lichen Reiseverkehr und der Touristenwanderung ist das Gebiet noch einigermaßen fremd. Ein Wort über Sie Neumark. Di« Neumark ist, wie schon der Name sagt, erst später der Mark zugefügt worden, als dasLand jenseit der Oder  ". Sie ging bis Pommern  , Polen   und Schlesien  , war 1S3Z 71 von der Mark los- gelöst und macht jetzt den größten Teil des Regierungsbezirks Frank- furt a. d.O. aus. Das Land ist nicht eben wie links von der Oder, son- dern«in welliges 5?ügelland, ein Teil des urolisch-boltischen Höhsn- zuges. Schon von der Bahn aus sieht man die leicht geschwungenen Kuppen, auf deren gutem Boden das Getreide prächtig wächst. Dos zwischen der Warthe und Pommern   sich hinziehend« mittlere Gebiet ist ein riesiges Waldquartier: der 400 000 Morgen große neumärkische Forst. Hier zu wandern ist herrlich. Am Westrand der Neumark liegt nun ein« Anzahl alter Städte, die ihrer Bauten wegen dos Interesse des Besuchers verdienen. Entstanden in der Zeit, da wehr- hast« Rüstung notwendig war, sind sie von Mauer und Wall um- geben, und«in gütiges Geschick hat es gefügt, daß die alten Um- wallungen sich vielfach in fast lückenloser Form erhalten haben. Hier- zu gehören auf der Strecke Küstrin Stettin die Städte Bärwalde  , Mohrin, Königsberg  . Oie Staüt Ser schönen Tore. Wenden wir heute unsere Schritte dem letztgenannten Städtchen Königsberg in der Neumark zu, so führt eine schottige Allee von dem stattlichen Bahnhof in 15 Minuten zu dem Eintritt in die eigentliche Stadt durch das Vernikowcr Tor. Die Bahnhofsallee ist von netten Einfamilienhäusern begleitet, auch einige meist landwirtschaftliche Maschinen herstellende Fabriken, aber glücklicherweise ohne das übliche Fabrikgepräg«, finden sich vor. Ueberhoupt darf man es der Stadt nachrühmen, daß sie sich gänzlich freigehalten hat von den scheußlichen Mietkasernen, mit denen der betriebsam« Geist der Neu- zest zahlreich« näher an Berlin   liegende alte Landstädtchenver- schönt" hat. In Königsberg   legt man mehr Pietät an den Tag; das Tor mit dem malerischen Königsberger   Wappen an dem Patrizier- Haufe in der Holzgasic, sowie ander« treu bewahrte alte Hausbcstand- teile zeigen dies an. Kurz vor dem Bernikower Tore findet sich zur Linken der Kirchhos mit malerischer, cpheuumsponncner Kapelle, rechts das Schützenhaus, dann nach links das im bekannten Postbau- ten-Stil errichtete Landratsamt(unwillkürlich sucht man nach dem Briefkasten, um die fälligen Ansichtskarten einzustecken) und jetz: steht man vor dem Tore. Alle Achtung!.«iochaufragend, zunächst viereckig in drei Stockwerken, deren mittleres die doppelte 5)öhe der anderen zeigt, dann«in achteckiger Turmaussatz: Unterbau und Ober- bau mit Zinnen gekrönt und durch ein Kegelspitze abgeschlossen. Wir treten in die Bernikower Straße ein, die, wie auch die übrigen Straßen, einen sehr sauberen, freundlichen Eindruck macht. Bald gabelt sie sich und geht links als Königstrahc, rechts als Holzstraße weiter. Dazwischen zwei weitere Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt: die gotische Marienkirche und das Rathaus, beides Backstein- bauten von schönen Formen, reichem Schmuck und bester Erhaltuno. Die Kirche erinnert an dep charaktervollen Bau der Katharinenkirche in Brandenburg   a.d.H.: ein gewaltiges Schiff und ein schlanker Turm. der mit seinen 100 Metern das höchste kirchliche Baumerk der Mark ist. Der Turm ist, wie auch sein helleres Aeußere zeigt, neueren
Datums; er wurde 1857/68 von Soller und Stüler errichtet. Sehr beachtenswert sind die Portale, dos schlanke Hauptportal und das breite Seitenportal mit ihren malerischen Verzierungen. Glasiert« Ziegel und Friese erhöhen den Reichtum des Schmuckes des Bau- werks. Das Rathaus, 14. 15. Jahrhundert, hat prächtige Giebel aufzuweisen und zeigt in dem Aufbau der gottschen Etagen eine so glückliche Harmonie der Form, daß es berechttgt ist, es in der Wert- fchätzung neben das berühmte Rathaus in Tangermünde   zu stellen. Am Ende der Königstroße links biegend, gelangen wir in die nach Schwedt   führende Straße und nach wenigen Schritten in ihr zu dem Schwedler Tor. Es übertrifft an malerischer Wirkung noch das be- reits geschilderte Bernikower. Aus viereckigem Unterbau erhebt sich ein achteckiger Aufbau, von vi«r kleineren Türmen flankiert, und
Das Schwedter Tor In Königsberg. von einem Kegel bekrönt. Namentlich von der Seite über blühende Gärten hinweg gesehen, zeigt es sich in feiner vollen malerischen Ge­stalt. In den beiden Toren, dem Rathaus und der Marienkirche find die Glanzpunkte des Städtchens gegeben. Oestlich von der Kirche führt die Klostergasse auf das zum Teil verfallene ehemalige Augusti- nerkloster, dessen Mittelbau jetzt Wohnzwecken dienstbar gemacht ist. Die Stadtmauer. Wer Nürnberg   und andere süddeutsche alte, noch ganz oder teil- weise von Mauern umgebene Städte kennt, wird sich stets mit Ver- gnügen der malerischen Veduten erinnern, die diese alten Zeugen einer städtischen Wehrhafttgkeit bieten. Zumeist tritt bei ihnen noch der Reiz dunkler Gewässer hinzu, die den romantischen Zauber ver- stärken. Nun, Königsberg   hat auch eine an vielen Stellen malerische
Stadtmauer, die die Stadt noch ganz umgibt, ober freilich, mit dem Wasserzauber sieht es weniger verlockend aus. Nicht daß es fehlte. aber wenn man aus den auf die Stadt.mauer mündenden Gehöften und Gärten das Schmutzwosser sich durch die Mauer in ein undeii- nierbares Massenbett ergießen sieht und riecht, so ist die? gerade kein« Erhöhung des ästhetischen Genusses. Aber trotzdem bietet ein Gang zwischen der Mauer und den Bretterzäunen der GeHöste man- chen Reiz. Die Wachtürme sind freilich bis ans wenige verschwunden: man hat die Ziegel zu anderen Zwecken verwendet. Andererseits hat man die Mauer, wo sie hinfällig zu werden drohte, zu stützen gewußt. Neben den alten Ziegelsteinen findet man moderne, auf denen Iah- reszahlen wie 1903 und 1908 stehen. Interessant ist es, die Maße der Ziegel zu vergleichen: die alten sind bedeutend größer; sie wiegen 12 Pfund, die neuen 7 Pfund. Unternehmen wir die Wanderung längs der Mauer, so stoßen wir ab und zu auf kleine angeklebte Häuser, auch in die gegenüberliegende Zaunsront haben sich solche Liliputwohnungen geschoben, vor deren Türen alte Leute sitzen, die sich der prallen Sonne erfreuen. Der Weg ist meist gepflastert, aller- dings leider mit jenen Martersteinen, die den leichten Stöckelschuheir der Damen gefährlich werden. Er ist breit genug, um einen Wagen passieren zu lassen, und die überall noch hängenden, von dem Ernte- wagen abgestreiften Halme zeigen, daß er«rst kürzlich befahren ist. Daß die praktisch« Neuzeit sich an die Poesie der alten Zeit nicht. kehrt, lehrt der kurz vor dem Schwedter Tor errichtet« neu« Turrp. den Transformator für die Ueberlandleitung enthaltendVorsicht Lebensgefahr" steht angeschrieben. Lieblicher sind die Blicke aus die uns begleitenden Obstgärken: di« rotbraun-bäckigen Birnen hängen in dichter Füll« an den Zweigen. Ein Weinstock scheint sich an dieser Stelle weniger wohl zu stählen nur wenige Trauben waren zu sehen. An einer Biegung des Mauerweges überrascht uns ein freundlicher Anblick: ein Dutzend junger Mädchen hat sich auf Schemeln niedergelassen und ist unter Leitung des Lehrers beflissen, einen alten Turm mit drübsrhängenden Kastanienzweigen aus Pa- pier zu bringen/ Das ist doch etwas Vernünftigeres der Natur auf den Leib zu rücken als im Klassenzimmer nach Gips zu zeich- nen. Unter Scherzfragen und Antworten passieren wir die zum Eng- paß gewordene Stelle die jungen Damen hatten augenscheinlich ihren guten Tag kein blödes Gekicher, sondern schlagfertig Ant- wort gebend. Und gleich darauf noch eine Ueberraschung: auf hohem Turm ein Storchennest mit behaglich sich sonnendem Storchenpaar. Möge diese Nähe«in gutes Om«n für die glückliche Zukunft der ein- stigen jungen Frauen sein. Der Charakter der Staüt. Di« Nettigkeit und Sauberkeit der Straßen, die Reichhaltigkeit der Läden, die wohltuende Ruhe des ganzen Stvaßenlebens lassen darauf schließen, daß hier ein angenehmer Wohlstand zu Hause ist. Kreis kranken ha us, Hospiz, Stift usw. weisen aus geordnete Fürsorge- kätigkeit hin. Die Kirche ist ein Hauptsaktor: ihr gehört ein großer Teil des Ackerlandes, das die Ackerbürger von ihr in Pacht haben. Ein« landwirtschaftliche Bank, eine Einkauf- und Verkaufgenossen- schast und manches Andere lassen ebenso den agrarischen Charakter erkennen, wie die gebotenen materiellen Genüsse den Schluß auf die provinzielle Fähigkeit in der Wertschätzung eines guten Lebens ge- statten. Vorzüglich ist das Bier Boresch-Bier aus Stettin   und ein einheimisches Bier, beides leicht und bekömmlich. Warum kann Berlin   solches Getränk nicht lzaben wie es einst von dem Grün- thaker Bier repräsentiert wurde, während jetzt ein paar Firmen der Weltstadt den Genuß eines Bieres vorschreiben, das sich im Ge- fchmack mit den genannten provinziellen Erzeugnissen nicht verglei- chen läßt. Daß in einer so gearteten Stadt die sogenanntenational«" Rich­tung zu Haus« ist, empfindet man instinktiv, auch wenn nicht die bei- den Kränze mit den schwarzweißroten Schleifen am Kriegerdenk- mal diese Tatsache untersttichen. Von 7000 Einwohnern Königsbergs haben 300 sozialdemokratisch gewählt. Aufgabe des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold(o heiliges Farbensymbol des Freiheitsttaumes unserer Väter!) wäre es, durch Massenaufgebot seiner Mannschaften von Zeit zu Zeit etwas Hecht-im-Karpfenteich-Charakter in die Ein- förmigkeit des politischen Denkens solcher Landstädte zu bringen. Daß so etwas ohne Reibung geschehen kann, haben neuere Ereignisse deutlich genug gezeigt._ Die Rätsel de» Menschenleben," ist da? Thema einer Vortragsreihe, die der Dozent der Volkshochschule Lichtenberg   Dr. Näg ler sür das Winter- semester in Aussicht genommen hat. Nutzer diesem Vortragszyklus sind noch tlurse über Mathematik, Nadio-Telesonie, Biologie, Volkswirtschaft, Pädagogik, Kunst und Musik vorgesehen.
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Die Rebellion. Roman von 3oseph Roth.
Das ist der Dank, daß ich Dich aufgenommen habe," schrie sie.Gehst herum und lebst von meiner Hönde Arbeit, ja, von meiner Hände Arbeit und fängst dir Streit mit srem- den Herren an und verlierst deine Lizenz. Bist du ganz ver- rückt geworden? Zehn gesunde Männer an jedem Finger hätte ich haben können, statt deiner, statt eines elenden Mannes, der einem kein Schutz ist und keine Freude imd jetzt auch noch eine Schande. Man wird dich einsperren, bei Wasser und Brot wirst du sitzen und ich muß deinen Namen trigen. Pfui! Pfui! Pfui!" Und dreimal spuckte Frau Katharina aus. Einmal traf sie die Hose ihres Mannes. Andreas wischte den Speichel seiner Frau mit zitterndem Handrücken weg. Dann erst wandte sich Katharina den häuslichen Ange- leasnbeiten zu. Sie warf sich auf die Knie und begann mit einem quietschenden Fetzen den Boden aufzuwischem Da- zwischen schrie sie:Äennchen, stell die Vase auf. und tummel dich!" und:schone Bescherung! und:so ein wütete scheuernd gegen die längst getrockneten und gelblich glänzenden Dielenbretter. Sie fuhr mit den Nageln zwischen die einzelnen Bretter m die Fugen und wirbelte und spritzte kleine Erdklümpchen auf. Trotz ihrer ange streng- ten Tätigkeit konnte sie denken und sogar in Wehmut sthmel- aen. Aus dem Boden ausgestreckt und ihn«»e zur Strafe. bearbeitend, dachte sie traurig an ihr verpfuschtes Leben. Ach, sie dachte an den schmucken schlanken Unterinspektor der Polizei, Vinzenz Topp, den sie eines Krüppels wegen ausgeschlagen hatte. O, wo waren ihre Augen gewesen.. Schnell erhob sie sich. Schnell löste sie ihr geschürztes Kleid, warf sie den Schlüsselbund auf de« Tisch, ergnff sie einen Kamm, stellte sich vor den Spiegel und ordnete ihre �Donn schlug sie die Tür ins Schloß und rannte den Korridor entlang zu der Wohnung des Klempners Faßbend, bei dem der Unterinspektor ein möbliertes Kabinett inne hatte. Binzenz Topp hotte in der letzten Nacht Dlenst gehabt. Jetzt war er gerade im Begriff, sich zu rasieren. Mil einem halb eingeseiften Angesicht lief er zur Tür. Entschuldigen Sie, entschuldigen Sie» ich bitte vielmals
um Entschuldigung!" sagte Vinzenz Topp, während er die Frau Katharina in sein Zimmer führte. Die Familie Faß- vend war sür zwei Tage aufs Land gefahren zu der Kind- taufe eines tandwirtschaftlichen Onkels. Vinzenz Topp ließ Frau Katharina niedersitzen und bat, sich rasieren zu dürfen. Die Höflichkeit war eine zweite Natur, man hätte ihn mitten in der Nacht wecken können und er wäre höflich gewesen. Frau Katharina war gekommen, um seinen juristischen Rat zu erbitten. Sie hatte zu ihm Vertrauen, wie zu einem Rechtsanwalt. Sehr schnell und mit jener präzisen Sachlich- keit, die sie vor ihren Geschlechtsgenossinnen auszeichnete, er- zählte sie den ganzen Vorfall. Binzenz Topp kniff die Unterlippe ein, um sein wund- rasiertes Kinn mit dem Stein einzureiben. Dann streute er wohlriechenden Puder auf sein Angesicht. Hierauf nahm er den Unisormrock von der Stuhllehne und schlüpfte in ihn sorg- fältig, wobei seine Knochen knackten. Jetzt erst war er fähig, eine Auskunft zu erteilen. Ach, es war nicht das erstemal, daß sich Leute,Laien wie er sie nannte an ihn um Rat und Auskunft gewandt hatten. Er wußte manches aus seiner Praxis. Dieser Fall schien ihm sehr oerwickelt. Das ist bewaffneter Widerstand gegen die StaatsgewaU und übrigens Amtsehrenbeleidigung. Ihr Herr Gemahl" Vinzenz sagte immer: Herr Gemahl, denn er war ein besserer Menschkann froh sein, wenn er mit einer Polizeistrafe davon kommt. Wahrscheinlich wird sich auch das Gericht mit der Sache beschäftigen." Katharina breitete ihre Arme aus, stützte sie auf den Tisch und ließ den Kopf aus die Platte sinken. Nach einer Weile wurde ihr Schluchzen hörbar. Ihre Arme lagen rosig, rund- lich und verlockend da. Binzenz Topp legte seine duftende Hand auf einen dieser Arme.Trösten Swsich!" sagte er. Dann ging er zur Tür und schob für alle Fälle den Riegel vor. Katharina erhob ihr tränxnüberströmtes Antlitz. Sie wußte selbst nicht, ob sie um ihren Mann weinte. oder um Vinzenz Topp. Er war so schön mit seinem weißgevuderten Kinn und seinem noblen Toiletteseifengeruch. Seine Unifonn saß wie angegossen. O. wo waren ihre Augen gewesen? Sie verglich. Sie konnte nicht anders. Retten Sie mich!" schluchzte sie plötzlich auf und breitete ihre Arme aus. Vinzenz ließ sich in sie fallen. So kam er endlich zu dem Genuß dieser Frau, die er
lange und insgeheim ersehnt hatte. Es war eine freundliche Fügung des Schicksals. Er vergaß nicht, schwere Beschuldigungen gegen Andreas zu häufen, den er nicht mehrHerr Gemahl" nannte. Auch der Frau Katharina machte er sanfte Vorwürfe. Aber alles sprach er in einem zärtlichen, überlegenen Schäkerton, wie ihn Katharina noch niemals vernommen hatte. Als sie seine Wohnung verließ, war es später Abend. Sie roch nach seiner Seife und sie trug freudig seine Atmosphäre mit sich herum. Man kann sagen, daß sie an diesem Abend vollkommen glücklich war. 9. Das Unglück Andreas Pums hatte noch einem anderen wohlgetan: dem Herrn Arnold nämlich. Sein Zorn war ver- raucht. Den unangenehmen Luigi Bernotat versuchte er zu vergessen. Morgen wollte er zum Rechtsanwalt gehen. Er küßte seine Frau und seine blühenden Kinder. Er sprach wieder freundlich mit dem Dienstmädchen. Und obwohl ein strenger Ernst über seinem Wesen und seinen Bewegungen und seinen Worten lag, atmete seine Umgebung dennoch auf. Er warf einen freundlichen Schatten auf seine Familie. Andreas Pum aber ging in den Stall. Da stand Muli und hauchte Wärme aus. Eine Fledermaus hing im Winter- schlaf zwischen zwei Pfosten, die im Winkel ein Dreieck bil- deten. Das feuchte Stroh stank und war in der Nähe der Tür gefroren. Der Wind blies durch ihre Fugen. Andreas sah ein paar Sterne des nächtlichen Winterhimmels durch eine Ritze. Er spielte mit einem Strohhalm. Er flocht einen Ring aus drei Halmen und schob ihn auf das Ohr Mulis. Das Tier war gut und ließ sich liebkosen. Es hob mit freundlicher Langsamkeit einen Hinterfuß und das sah aus, als hätte es den ungelenken Versuch gemacht, Andreas zu streicheln. Es war hell genug, daß man seine Augen sehen konnte. Sie waren feucht, als stünden sie voller Tränen und schämten sich doch zu weinen. Je weiter die Nacht fortschritt, desto kälter wurde es. Andreas hätte am liebsten gewimmert, wenn er sich nicht vor dem Tier geschämt hätte. Sein fehlendes Bein schmerzte wieder, nach langer Zeit. Er schnallte die Krücke ab und be- tastete seinen Stumpf. Er hatte die Form eines abgeflachten Kegels. Dünne Rillen und Vertiefungen zogen sich kreuz und quer über das Fleisch hin. Wenn Andreas seine Hand darauf legte, milderte sich der Schmerz. Aber der andere, der in seinein Innern wütete, hörte nicht ar; .Einsetzung- folgt.)