Nr.380 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 194
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Donnerstag, den 14. August 1924
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Die Räumungsfrage im Mittelpunkt. Reform des Rechtswesens.
Mary befragt den Reichspräsidenten.
Noch kein Fortschritt. Mary
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daß fie die Souveränität Deutschlands in bezug auf Reichsbahnen und Eisenbahner unbedingt sicherstellen und andererseits eine Gewähr für die Sicherheit der Befahungstruppen geben werde. Der franzöfifche Ministerpräfident bemerkte noch, die Frage der Räumung von Düsseldorf , Duisburg und Ruhrort tönne nicht zwischen den Deutschen , Franzosen und Bel giern allein behandelt werden, da andere Alliierte an dem betreffenden Beschluß beteiligt gewesen seien.
Morgen vormittag 210 Uhr erfolgt eine Zusammenkunft der deutschen , französischen und belgischen Delegierten zur Besprechung einiger anderer fchwebender Fragen. Um 10 Uhr findet eine Sigung des Rats der Vierzehn statt.
Die entscheidenden Besprechungen in London , die am| Herriot , er werde eine Lösung vorschlagen, von der er glaube, gestrigen Mittwochvormittag begonnen haben, sind in der fechsten Nachmittagsstunde wieder aufgenommen worden. Es nehmen daran teil Reichskanzler Marr, die Reichsminister Stresemann und Luther für Deutschland , Ministerpräsident Herriot , sein Rabinettchef Bergerie und fein Ministerialdirektor Peretti della Rocca für Frankreich , Ministerpräsident Theunis und Außenminister Hymans für Belgien . Der französische Kriegsminister General Mollet und der französische Finanzminister Clémentel waren an diesen Besprechungen vormittags nicht beteiligt, woraus hervorgeht, daß die Frage der internationalen Militärfontrolle in Deutschland und der deutsch - französische Handelsvertrag zunächst nicht Gegenstand dieser Besprechung waren. Das Ergebnis des heutigen Tages tann dahin zusammengefaßt Man hat gestern in London ausschließlich über die Fragen werden, daß in den meisten behandelten Punkten eine der militärischen Räumung des Ruhrgebiets, Einigung erzielt wurde, nur nicht in der Hauptfrage der milider Rückkehr der Ausgewiesenen, des Vertärischen Ruhrräumung. Die Auffaffung in den Kreifen der deutschen bleibens von viertausend franco belgischen Delegation über die hierdurch entstandene Lage ist ern ft. Eisenbahnern im westdeutschen Eisenbahndienst und über den Transfer verhandelt. Es ist also die zentrale Be= deutung der Zurückziehung der militäri= schen Ruhrbesehung auch von Frankreich und Belgien offenbar anerkannt.
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In vorgerückter Nachtstunde liegt ein Teilergebnis der Londoner Mittwochbesprechung vor. Die französische Abordnung will die militärische Räu mung des Ruhrgebiets erst in einem Jahre vornehmen und auch beenden. Die deutsche Abordnung fordert, daß die militärische Räumung der wirt fchaftlichen Räumung ebenso auf dem Fuße folge, wie die französische Besagungsarmee dem wirtschaftlichen Santtionspersonal bei der Ruhrbefehung gefolgt ist. Frankreich und Belgien haben wiederholt in offiziellen Regierungserklärungen an das Ausland, auch an Deutschland , wie vor ihren eigenen Barlamenten die militärische Ruhrbefehung ausschließlich als Sicherungsmaßnahme und Bollziehungsgewalt für die wirtschaftliche Santtion bezeichnet. Im Versailler Vertrag findet die Ruhrbesetzung feine Stüße. Das Recht ist unzweifelhaft und unbestreitbar auf der Seite der deutschen Forderung.
Loucheur als Quertreiber.
Paris . 13. August.( Eigener Drahtbericht.) Ueber die Rolle, die der frühere Minister Loucheur in London spielt, gehen in Paris Gerüchte, die ernsthafte Quertreibereien der von Loudeur gegründeten Gruppe der Radikalen Linken befürchten lassen. Es verlaubet, daß Loucheur den französischen Ministerpräsidenten darauf aufmerksam gemacht habe, daß diese Fraktion, die mit ihren 40 Mitgliedern ben rechten Flügel der Regierungsmehrheit bildet, über den bisherigen Verlauf der Londoner Verhandlungen start beunruhigt sei und die Regierung auf ein Vertrauensvotum von ihr nur rechnen fönne, wenn sie als Gegenleistung für die von Frankreich gebrachten großen Opfer entsprechende Zugeständnisse bei den interalliierten Schulden und vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet mitbringe. Wie weit Loucheur er mächtigt ist, im Namen feiner Fraktion, der allerdings eine Reihe sehr unzuverlässiger Clemente, wie der ehemalige Finanzminister Alo, angehören, zu sprechen, sei dahingestellt. In Paris nimmt man jedenfalls an, daß sein Manöver darauf berechnet ist, Herriot zu zwingen, sich bei den Verhandlungen mit den Deutschen das zu der privaten Infereffensphäre Lou cheurs gehörende Projekt einer franzöfifchen Rapitalbeteili. gung an wichtigen deutschen Industrien zu eigen zu machen.
Parallelverhandlungen.
Die Stellung des Vorsitzenden im Strafgericht. Man schreibt uns:
Der Zwischenfall im Potsdamer Waffendiebstahlprozeß hat eine Frage wieder einmal in den Vordergrund gerückt, die zu den wichtigsten der Strafrechtspflege gehört. Der Fall vor dem Staatsgerichtshof ist ein besonders auffallender unter zahllosen anderen, die im Wesen nicht besser sind. Und sie find alle begründet in einem falschen System, das bringend der Aenderung bedarf.
Jeder kennt das Bild des Einzelrichters oder des Gerichtsvorsitzenden, der in der Hauptverhandlung den Angeflagten verhört. Er hat die Alten, die er bereits studiert hat oder doch haben soll, vor sich liegen und richtet nun an den Angeklagten und später an die Zeugen die Fragen, die geeignet sind, ein Geständnis oder die Neberführung des leugnenden Angeklagten herbeizuführen. Neben ihm haben die etwaigen Beisiger, auch die Schöffen, Staatsanwalt und Berteidiger, auch der Angeklagte gegenüber Zeugen und Sachperftändigen, das Recht der Fragestellung. Aber der Vorsigende steht durchaus im Vordergrund. Seine Stellung als Berhandlungsleiter vereinigt sich mit seiner Attentenntnis, um die ganze Wucht der von Staatsanwaltschaft und Unterfuchungsrichter vorbereiteten Anklage auf den Beschuldigten herabfansen zu lassen.
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dieser Verhandlungsleiter nicht nur Richter, sondern auch Zwei Dinge sind dabei unverkennbar. Erstens, daß Untersuchungsführer ist, der wenn er an die Schuld glaubt auf die Schuldigerflärung hinarbeitet. zweitens, daß von der völligen Unvoreingenommenheit, die sein sollte, fast nie die Rede ist. Der Vorsitzende hat sich nach vor dem Abschluß der Verhandlung bei dem Richter vorhanden dem Atteninhalt bereits eine Meinunng gebildet. Es bedarf sehr schwerwiegender Ueberzeugungsgründe, um ihn davon, d. h. in der Regel von der Annahme der Schuld des Angeklagten, den ja der Eröffnungsbeschluß bereits als„, hinreichend verdächtig" erklärt hat, abzubringen. Kommen dazu noch besondere Borurteile sozialer oder politischer Art, wie sie in den Kommunistenprozeffen fast immer zuungumsten, in ben gegen rechts gerichteten nicht selton zugunsten der Angeflagten ins Gewicht fallen, fo fann von gleichmäßiger Berteilung von Licht und Schatten, von einer wirklich gerechten Gerichtsverhandlung nicht die Rede sein.
das weismachen?"- ,, Nun, wir werden ja die Zeugen darAeußerungen wie die: Angeklagter, wem wollen Sie über hören" und ähnliche find in unseren Gerichtsfälen an der Tagesordnung. Handelt es sich dann gar um Richter wie den berüchtigten Brausewetter, der am Ende in geistiger Umnachtung gestorben ist, um ausgefprochen politische Prozeffe, in denen, wie in dem Prozeß föder von Nachteil des Hofpredigers) eine Rolle spielt, oder gar um 1882 das ,, Sentiment" des Borfizenden( damals freilich zum gesinnungslose Werkzeuge politischer Machthaber im Richtertalar, dann fann es geschehen, daß die Gerechtigkeit mit Füßen getreten, die Gerichtsverhandlung zur Bosse wird.
Die Londoner Konferenz soll nach dem übereinstimmenden Willen ihrer Teilnehmer Europa endlich den wahren Frieden und die Möglichkeit ungestörten Wiederaufbaus und zu= nehmender Völkerversöhnung bringen. Das französische Volk hat durch die Kammerwahl vom 11. Mai diesen Willen mit überwältigender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, die belgische Regierung hat mehr als einmal Zeichen des Verständigungswillens gegeben. Eine Verlängerung der militärischen Besetzung über die wirtschaftliche Räumung und über die tech nische Notwendigkeit hinaus, die der Abzug einer solchen Militärmacht erfordert, müßte, vor allem im Ruhr gebiet , als eine Ausnugung der Gewalt, aber nicht als eine mentel und Nollet feien bemüht, in dieser Hinsicht Zuficherun- der Richtung zum Bolksgericht werden nötig sein, um alle
Wiederherstellung des Rechts empfunden werden.
Deutscher Verhandlungsbericht. London , 13. Auguft.( WIB.) Der Sonderberichterstatter des WIB. erfährt über die heutigen Berhandlungen zwischen den deutschen , franzöfifchen und belgischen Delegationen, die den ganzen Vormittag und Nachmittag in Anspruch nahmen, daß in der Hauptfrage der militärischen Räumung fein Fortschritt erzielt wurde. Vormittags war die französische Delegation durch den französischen Ministerpräsidenten Herriot , Peretti della Rocca und Bergery vertreten. Am Nachmittag nahmen auch der französische Finanzminister Clémentet und der Kriegsminister Nollet an den Verhandlungen teil. Der franzöfifche Ministerpräsident erklärte, fein Vorschlag gehe dahin, daß die Ruhr geräumt werden solle in einem magimum von einem Jahr. Er fügte hinzu, er könne teine Angaben über eine staffelweise Räumung machen. Die von deutscher Seite gestellte Frage, von welchem Tage ab die Räumungsfrist in diefem Jalle zählen würde, soll morgen beantwortet werden.
Der Reichskanzler Mary war heute mitlag bei dem brifischen Ministerpräsidenten Macdonald, um ihm von dem Ernst der Lage Kenntnis zu geben und ihm mitzuteilen, daß die deutsche Delegation auf diese franzöfifchen Borschläge nicht eingehen könne. Da nachmittags angesichts des starken Gegenfatzes zwischen den beiderseitigen Auffassungen eine Stocung eintrat, teilte der Reichskanzler mit, daß er angesichts der überragenden Bedeutung dieser Frage sich mit dem Reichspräsi denten in Berbindung sehen würde. Es ist anzunehmen, daß dieje Befragung erst morgen erfolgen wird, wenn die Franzosen die verfprochene Auskunft gegeben haben.
Es wurde dann noch über die Frage der Rückkehr der Ausgewiesenen verhandelt, in der eine Einigung erzielt wurde. Zur Frage der Eisenbahner erklärte Ministerpräsident
Paris , 13. Auguft.( WEB.) Nach dem Londoner Sonderberichterstatter der Agentur Havas hätte man unabhängig von den Fragen, die heute morgen zwischen den französischen, belgischen und deutschen Delegierten verhandelt wurden, noch die Bedingungen zu beffimmen, unter denen die Probleme der interallierten Schulden, der deutsch - franzöfifchen Handelsbeziehungen und der Entwaffnung Deutschlands geregelt werden sollen. Cré
gen zu erhalten. Wenn fie fie erhalten sollten und wenn auf der anderen Seite heute abend mit den Deutschen eine Einigung über die Räumung des Ruhrgebietes zustande käme, sowie über die damit zusammenhängenden Fragen, würde in den Arbeiten der Konferenz ein beträchtlicher Fortschritt erzielt fein, und der Abschluß fönnte dann ziemlich ruhig erscheinen.
Das Kriegsschuldenproblem. London , 13. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Auf franzöfifcher Seite macht sich der Wunsch immer stärker bemerkbar, gleichzeitig über die inferalliierten Schulden Zusicherungen zu erlangen, die zum mindesten eine Lösung dieser Frage im Sinne der Formel ermöglichen, die vor 1½ Jahren von dem fonservativen Kabinett Bonar Law in Aussicht gestellt wurde. Nicht nur Elemente um Coucheur, der seinen Aufenthalt in London verlängert hat, drängen auf eine Klarstellung dieser Frage. Auch die franzöfifchen Sozialisten sind der Auffassung, daß die Lösung des Reparations. problems unmöglich set ohne eine Regelung der Schulden Frankreichs .
Die Anleiheanssichten.
Paris , 13. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Nach hier vorliegenden Meldungen sollen die amerikanischen Bankiers Otto Kahn und Sisson, die am Mittwoch, von einer Europareise zurückkehrend, in New York gelandet sind, die Ueberzeugung ausgesprochen haben, daß die 800- Millionen- Anleihe sehr schnell gezeichnet werde. Man glaube, daß die internationale Finanz sich darüber innerhalb vierzehn Tagen einigen werde. Als Bedingungen werden genannt: eine 7prozentige Berzinsung und ein Ausgabeturs von 93.
Puffchversuch in Portugal . In Lissabon sand nach offiziellen Mitteilungen ein kommunistischer Butschverfuch statt. Einige Bom ben find ge vorfen, im Anschluß daran mehrere Personen verhaftet worden. Militär und Polizei beherrscht die Stadt.
Durchgreifende Umgeftaltungen unseres Rechtswesens in
folche Klippen einer gerechten Rechtspflege zu vermeiden. Aber die Umgestaltung des Berfahrens im Sinne größerer Sicherung des Angeklagten ist eine Aufgabe für sich, deren Lösung nicht mehr lange verschoben werden darf.
Im Strafgerichtsverfahren gibt es zwei grundfäßliche Richtungen, die als Inquisitions- und als Anklageprozeß bezeichnet werden. Das Wesen des Inquifitionsprozesses, bei dem man nicht immer an die Greuel der alten Rezerverfolgungen zu denken braucht, besteht darin, daß der urtellende Richter zugleich die Untersuchung führt, in der der Angeschuldigte lediglich als Gegenstand der Untersuchung, nicht als gleichberechtigte Prozeßpartei erscheint. Bei dem Anlage oder Parteien prozeß wird die Anklage entweder durch private Ankläger oder durch die Polizei, selten durch eine besondere Staatsanwaltschaft erhoben und bis zum Richterspruch durchgeführt. Auch in der Gerichtsverhandlung, in der der Richter nur die Berhandlung leitet, nicht aber den Angeklagten verhört. Dieser oder sein Verteidiger sind dabei dem Ankläger völlig gleichberechtigt; ebenso wie er Partei im Rechtsstreit.
In Deutschland hat an Stelle des altdeutschen Barteiprozesses sich vom Mittelalter an nach dem Muster firchlichen ( fanonischen") Rechts der geheime und schriftliche Inquifitionsprozeß durchgesetzt, als dessen Behelse früher die Felter, später immer noch eine Reihe fühlbarer Zwangsmittel ange= wandt wurden. Unter dem Einfluß der französischen Repolution und der im lintsrheinischen Deutschland mit den französischen Errungenschaften gemachten Erfahrungen setzte fich seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine Umbildung in der Richtung zum Anklageprozeß durch. In der Frankfurter Reichsverfassung von 1849 heißt es in den Grundrechten (§§ 178, 179):„ Das Gerichtsverfahren fox öffentlich und mündlich sein. In Giraffachen gilt der Anklage= prozeß. Schwurgerichte sollen jedenfalls in schwere