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Museen, an öenen Das Reichs Dielleichi wrrd es imwahrstheiMch anmuten, daß ein Museum, welches so zentral an der Ecke der Leipziger und Mauer- st r a ß e gelegen ist, wenig beachtet und besucht sein soll. Und doch rst es der Fall. Wenn man allerdings in diesen Sommer, und Feriemvcchen das Reichspostmuseum besucht, konnte man, verführt durch die Zahl der Besucher, zu andreren Schlüssen kommen. Das wäre indes eine Selbsttäuschung. Die meisten Besucher des Museums nämliche die man in diesen Wochen antrifft, kommen aus dem Reiche und sind in der Hauptsache Post- und Telegraphen beamte aus Urlaub, die sich die Kenntnis des Reichspostmuseums nicht entgehen lassen wollen. Der Berliner aber in seiner überwiegenden Mehrzahl hat den Weg in dieses außerordentlich sehenswerte Museum noch nicht gesunden. Im Parterre und zwei Etagen, rund um den hohen und hellen Lichthof, in dem eine lebensgroße Statu« Stephans steht, gruppiert, bietet dieses Museum geradezu ein Muster der Uebersicht- lichkeit und idealen Anordnung. Die üeutjche Post im 1�. und 20. Jahrhundert. Einen großen Teil der Parterreräume nehmemn Ausstellungs- gegenstände ein, die die Entwicklung des deutschen Postwesens»er- anschaulichen. Das Reichspostmuseum spielt also eine ähnliche Rolle wie das Verkehrs- und Baumuseum in der JnvalDenstraße, das über die Entwicklung des Eisenbahnwesens unterrichtet. Im Reichspost- museum steht man zunächst in einer großen Anzahl von Schränken Postuniformen der verschiedensten Zeiten, Posthörner, silberne und vergoldete Embleme der Postbeamten der Thurn- und Taxis-Post, Brustschi.lder u. a. m. Daneben fallen auf eine Reihe von eisernen IV ertge lassen mit zum Teil 10, auch 12 der verzwicktesten Kunst- schlösser. Denn Dieb« und Posträuber hat es auch damals bereits gegeben und sie sind durchaus nicht eine Erfindung der Republik , wie so manche lieb« Mitmenschen glaubhaft machen wollen. Hier steht auch in Lebensgröße die erste Draisine, das ersteprimitive Fahrrad, das im Jahre 1817 der Freiherr von Drais erfunden hat. Neben einer Reihe der verschiedensten Biefkästen sieht man in diesem Räume sodann Modell« von Postwagen, von Post- Häusern, von Postkraftwagen und Posieisenbahmvagen. In einem Winkel ist die Feldpost und ihre Tätigkeit durch die verschiedensten Ausstellungsgegenstände veranschaulicht. Einen besonderen Raum nimmt die Sammlung der Postwerkzeichen ein. Hier ist das Dorado der Briesmarkenkenner und-sammler, denn hier befindet sich alles an Postwertzeichen von der simpelsten bis. zur seltensten Briefmarke. Ein anderer Raum enthält die überaus interessante historische Sammlung. Alte Postkutschen, Post- und Reise wagen hoher und höchster Herrschasten versinnbildlichen, wie man in früheren Jahrhunderten gereist ist. Interessant ist auch ein Bild von dem Posthaus in Potsdam aus dem Jahre 178 4. Diese historisch« Sannn- lung birgt aber noch viel mehr Schätze und geht mit ihren Ausstel- lungsgegenständen zurück nicht nur bis ins Mittelalter, sondern auch bis zu den alten Römern. Aegyptern, Assyrern und den nordifch�ermanischen Völkern. Hier sieht man auch dos Gestell eines altgermanischen Wagens und einen Einbaum aus Eichenholz, der seinerzeit im Moor bei Mohrungen m Ostpreußen gefunden winden ist. Die Telegraph!?. Steigt man hinaus in den ersten Stock, so fällt zunächst rechts und links von der breiten Freitreppe die sogenannte Stephan- Samm- lung auf. Sie enthält Adressen, Glückwünsche, Kundgebungen für den verstorbenen Generalpostmeister sowie seinen Adelsbries. Zwei große Gemäß)« erzählen von seiner Aufbahrung im Lrchthof des Reichs- postmuseums, umgeben von einer unnennbar großen Fülle von Kränzen und Blumen. A« Entwicklung der deutschen Teleyraphi« ist in diesem Raum durch eine Reihe von Modellen auf dos beste erläutert. Dazu sind ausgestellt Post schisse aller Länder, Post- lvagenmodelle des Auslarros, die großen englischen, belgischen und französischen Briefkästen in Säulenform sowie eh großer vergoldeter Hochzeitstragesessel aus China . Warum dieses Stück si-nen Platz im Reichspostmuseum gefunden hat, ist wicht recht ersicht- lich. jedenfalls aber ist es sehr interessant und zieht die Blicke aller Besucher auf sich.
man vorübergeht.
Die Telephonie. Im zweiten Stockwerk kann man sich informieren über den Gang der Entwicklung des deutschen Telephons. Wie schnell hier die Entwicklung vor sich geht, kann man am besten an der Tatsache er- kennen, daß Tischtelephonapparate, schwer, breit, vergoldet, die im Jahre 1889 Siemens u. Halske auf den Markt gebracht haben, uns Heutigen bereits uralt erscheinen. Daneben erblickt man Modelle der Selbslanschlußsernsprecher, wie sie ja demnächst m ganz Deutschland eingeführt werden sollen. Man sieht Anlagen von Telephonzentralen älteren und neuesten Datums, man hört die singende Bogen-
lampe und' das lcmtversiärteird« Telephon. Hier steht auch das Modell einer Postflugzeugstation und daneben sieht man all« Apparate und Einrichtungen, für die Rohrpost. Ferner erfährt man, wie Kabel sowohl im Inland wie unterseeische zusammen- gesetzt sind, wie sie gelegt werden und wie die K a b e l d a m p f e r aussehen. Daneben sind Modell« mehrerer großer Kabelstationen ausgestellt. Ein« besonder« Sehenswürdigkeit in diesem Stockwerk bildet Zeilangabe, die drahtlos von der Großfunfftation in Nauen kurz vor 1 Uhr angegeben und vorher durch drei laute Huppentöne den Besuchern bekanntgegeben wird. Ein Archiv- räum schließt sich an, und im Lichthof sind neben den ältesten Modellen der Flugzeuge Modelle von Zeppelinen, Parseval- und Militärlustschisfen ausgestellt. Besonders zu begrüßen ist es und muß besonders betont werden, daß an jedem Tage zweimal durch die Diener des Museums Führungen statttinden. wobei die einzelnen ausgestellten Gegenstände nicht nur erläutert, sondern Telephon-, TelegraphenapparcUe, Eisenbahn, und Postwagen in Bewegung und Tätigkeit vorgeführt werden.
Mit der Schilderung dieses Museums, das durch viel« gute Gemälde und zahlreiche Plastiken geschmückt ist, soll die Reih? der Museen, die zu wenig bekannt sind und zu wenig besucht werden, geschlossen sein. Erwähnt sei nur noch, daß das Reichspostmuseum mit Ausnahme von Mittwoch und Sonnabend täglich von 9-— 3 Uhr nachmittags geöffnet ist. Neue öeftimmungen zur Hunöesperre. Seit der Verhängung der sogenannten Hundesperre am 5. Mal 1923 sind bisher 3 2 T o l l w u t f ä l l e bei Tieren in allen Stadt- teilen Berlins amtsiierärztlich und durch Untersuchung des Gehirns der Tiere im Institut für Infektionskrankheiten„Robert Koch " festgestellt worden. Bon tollwutkranken Hunden sind 19 9 P o r-i sonen gebissen worden, von denen zwei Nichtgeimpfte an Tollwut gestorben sind. Der wutkranke Hund ist eben nicht mehr der„Gefährte, Helfer und Freund" des Menschen, sondern ein sehr gefährliches Tier. Das sollte sich jeder Hundebesitzer sagen und den Borbeugungsmaßregeln Verständnis entgegenbringen. Wegen einer Unbequemlichkeit für den Hund darf nicht der Mensch schutzlos einer der schrecklichsten Krankheiten ausgesetzt werden. Wir geben daher den folgenden von amtlicher Seite kommenden Aus- fllhrungen Raum: „Die Seuche herrscht überall in Deutschland und hat als Folge des Krieges große Verbreitung gefunden. Berlin ist aber infolge der Derkehrsverhältnisse und seiner überaus starken Hundehaltung besonders gefährdet. Namentlich bilden die zahlreichen herrenlosen Hunde eine große Gefahrenquelle, und ihre Beseitigung wird schon seit längerer Zeit bettieben durch das Ein- setzen von Fangstreifen. Dieser bei der Bekämpfung der Tollwut wichtig« Zweig des Fangdienstes wird jetzt noch weiter ausgebaut und verstärkt werden. Infolgedesien ist eine Abänderung des Ber- fahrens bei Uebertretungen der veterinärpolizeilichcn Maßnahmen erforderlich geworden. Die Erhebung einer Auslösege- b ü h r an Ort und Stelle durch die Fangbeamten kommt ganz- lich in Fortfall. Zuwiderhandlungen werden künstig durch Polizcistrafen oder bei Vorsatz durch gerichtliche Sttafen geahndet werden. Hunde, die ohne oder mit Maulkorb frei umherlaufen, werden ausnahmslos fortgefangen und im Hundezwinger in Berlin-Lankwitz , Dessauer Straße 21 (Fernsprecher Lichterfelde 8), abgeliefert, wo sie, soweit sie an den Besitzer zurückgegeben werden dürfen, gegen eine Gebühr von 19 Goldmark ausgelöst werden können. Hierbei sei nochmals be- merkt, daß diese Beträge nicht der Fangunter- nehmer Marschall erhält, der seit März dieses Jahres fixiert und an dem Ergebnis des Hundefanges pekuniär nicht mehr unmittelbar beteiligt ist. Die Frist, noch deren Ablauf nicht aus» gelöste Hunde getötet werden, ist auf 48 Stunden nach der Einlieferung verlängert worden. Hunde, die ohne Maulkorb an der Leine geführt oder auf dem Arm getragen werden, werden nicht mehr fortge- fangen, sondern die Fangbeamten haben nur die Abstellung der Ueberttetung und die Feststellung des Zuwiderhandelnden zwecks Bestrafung zu veranlassen. In letzter Zeit sind wiederholt in der Press« Zweifel an der Wirksamkeit des Maulkorb- und Leinenzwanges erhoben worden. Hierzu ist zu sagen, daß die Maßnahmen nach dem einstimmigen Urteil aller Sachverständigen des In- und Aus- landes zur Unterdrückung der Tollwut durchaus geeignet sind, wenn sie vom Publikum befolgt werden. Auch die von den Hundebesitzern so häusig und gern geübten kleinen Uebertretungen: Loslassen der Hunde von Leine und Maulkorb, wenn auch nur für kurze Zeit. köimen bei der jetzigen Seuchenlage ungeahnte böse Folgen für den Eigentümer des Tieres und feine Familie haben und sie an Leib und Leben gefährden. Rur wenn das Publikum an der Inne- Haltung der Maßnahmen mitarbeitet und aufhört, in diesen Be- stimmungen, die mir zu seinem und seiner Hunde Schutz getroffen sind, eine polizeiliche Schikane zu sehen, ist es möglich, schneller zum Ziele zu kommen und der Tollwut Herr zu werden." Kampf mit Einbrechern. Einen aufregenden Kampf mit einer Einbrechervande hatte in der vergangenen Nacht ein Geschäst-Zinhaber aus der Mchaellirch- ftraße zu führen. Der GesckiästSmonn bemerkte, daß sich Unbefugte in feinen Lagerräumen aufhielten, die offenbar einen Raubzug beabsichtigten. Er trat ihnen mit der Waffe m der Hand entgegen. Nach seinen Angaben hat es sich um eine 8— 12köpfige Bande gehandelt. ES entwickelte sich nun zwischen den Eindringlingen
«i Die Rebellion. Roman von Joseph Roth . „Wie gewonnen, so zeronnen," sagte Willi. Dann sang er die erste Strophe eines Gassenhauers. „Fang Dir nicht mit den dummen Gerichten an!" sagte die weichherzige, aber immerhin etwas furchtsame Klara. „Geh hin und sitz Deine sechs Wochen ab." Aber Willi, der von Nachgiebigkeit nichts hören wollte, stieß sie in den Rücken, so, daß sie über den Tisch fiel. In dieser Nacht schlief Andreas den lächelnden, tiefen, reinen Schlaf eines Kindes. Aber am Morgen kamen zwei Kriminalbeamte. Sie hatten ihn bei seiner Frau nicht angetroffen und von ihr die alte Wohnung erfahren. Sie holten Andreas ab. Sie fuhren mit ihm zur Vorortbahn und ein gut Stück weiter außerhalb der Stadt. Die Strafanstalt lag in der Nähe weiter Felder, ein breiter Bau, mit vielen zackigen Türmchen, aus braunroten Ziegelsteinen.. � �...... So lag das Gefängnis, das Land beherrschend, heilig wie eine Kirche und finster wie ein gemauertes Gesetz. Das Letzte, das Andreas von der Welt sah, war eine junge Katze.' Sie mochte einem Gefängniswärter gehören. Sie lief, ein helles Glöckcken an einem roten Band um den Hals, an dem Zaun entlang, der das Haus der Gerechtigkeit von einem Feldweg trennte. Sie erinnerte an ein kleines Mädchen. 14. An seine Zelle gewöhnte sich Andreas sehr schnell: an ihre saure Feuchtigkeit, ihre durchdringende Kalte und an das schraffierte Grau, das ihr Tageslicht war. Ja, er lernte die Phasen der Dunkelheit unterscheiden, welche den Morgen, den Abend, die Nacht und die nebelhasten Stunden der Damme- rung kennzeichnen. Er wuchs in die Finsternis der Nächte hinein, fein Auge durchbohrte ihre Undurchdringlichkeit, daß sie durchsichtig wurde wie dunkelgefärbtes Glas am Mittag. Er entlockte den wenigen Gegenständen, unter denen er lebte, ihr eigenes Licht, so daß er sie in der Nacht betrachten konnte und sie ihm selbst ihre Konturen darboten. Cr lernte die Stimme der Finsternis kennen und den Gesang der lautlosen Dinge, deren Stummheit zu klingen beginnt, wenn die pol- ternden Tage vergehen. Das Geräusch em«r kletternden
Mauerassel konnte er vernehmen, sobald sie die glatte Wand- fläche verließ und eine Stelle erreichte, die den Mörtel ver- loren hatte und in ihrer rissigen Ziegelnacktheit lag. Die kümmerlichen Aeußerungen der großen Stadt, die bis zum Gefängnis drangen, erkannte er, jede in ihrer Art und einer jeden Herkunft und Abstammung. An den feinsten Unterschieden ihrer Laute erkannte er Wesen und Gestalt und Ausmaß der Dinge. Er wußte, ob ein vornehmer Privatwagen draußen vorbeisauste oder nur eine gutgebaute Droschke: ob ein Pferd die zarten Gelenke adeliger Zucht besaß oder die breiten Hufe des billigen Nützlichkeitsgeschlechts: er kannte den Unterschied zwischen dem flotten Trab des Rosses, das ein leichtes Wägelchen auf stummen Gummirädern führte, und jenem, das auf seinem Rücken den Herrenreiter trug. Er erkannte den schleppenden Schritt des alten Mannes und den schlendernden des jungen Naturliebhabers: das flotte Ge- ttippel des kurtigen Mädchens und den zielbewußten Tritt der geschäftigen Mutter. Er konnte mit dem Ohr einen Spaziergänger von einem Wanderer unterscheiden: den Zart- gebauten von dem Nierschrötigen: den Kräftigen von dem Schwachen. Er bekam die zauberhaften Gaben eines Blinden . Sein Ohr wurde.sehend. An den ersten Tagen seiner Haft versuchte er noch durch das hohe Gitter hinauszusehen. Er schob die Holzbank zum Fenster und ließ nicht nach, bis er mit seinen beiden Händen den unteren Rand der Mauerbuchtung gesaßt hatte, in der das Gitter saß. Ach— er war nur einbeinig, die stumpfe Krücke fand an der glatten Mauer nicht einmal den kümmerlichen Halt, den sein ge- sunder Fuß noch mühevoll ertastete, und er hing sekunden- lang mit seinem ganzen Gewicht an den krampfdurchzuckten letzten Gliedern seiner Finger. So schwebte sein Körper in der Luft und seine Seele zwischen dem Verlangen, einen kargen Ausschnitt der Welt zu sehen und der Furcht, hinunter- zufallen und den Tod zu finden. Nie hatte er größere Gefahr gekannt. Denn niemals— auch im Felde nicht— hatte er so die Kostbarkeit des Lebens empfunden, dieses kleinen Lebensrestes, den ihm die Zelle geewährte. Ihr entriß er mit List und mit tausend Mühen den kurzen Ausblick in die Welt durch das schmutzige Glas hinter den engen Quadraten: und kehrte dennoch erfrischt und bereichert in das ewige Dunkelgrau hinunter als hätte er alle Schönheiten der Erde genoffcii. Diese kleinen Ausflüge, die sein Auge unternahm, versöhnten ihn immer wieder mit der Unerbittlichkcit seines Kerkers: bewiesen sie im doch, daß nicht einmal die Zelle,
die ihn abschloß, außerhalb der Welt war und, daß auch er noch dem Leben gehörte. Er war ein Krüppel und nicht un- beschränkter Herr über die Erde wie ein zweibeiniger Mensch. Er konnte nicht lautlos gehen, nicht hüpfen, nicht laufen. Aber er durfte wenigstens hinken und mit einer Sohle die Erde betreten— später, sechs Wochen später, kurze sechs Wochen später. Manchmal hoffte er, die kleine Katze wiederzusehen, die er beim Eintritt in die Anstalt getroffen. Aber sein Äuge erreichte gerade noch den Saum des dunklen Föhrenwaldes in der Ferne und einen schmalen Streifen des Himmels: manch- mal ein geflügeltes Tier: eine hurtige Wolke: einmal sogar die schmalen Tragflächen eines Aeroplans, dessen Geräusch er immer hörte:— denn ein Flugplatz befand sich in der Nähe. Er aber sehnte sich nach der jungen Katze. Sie hatte er in dein letzten Augenblick seiner Freiheit gesehen. In der Nacht hörte sein geschärftes Ohr ein liebliches kleines Läuten. Er bildete sich ein, es käme von der Schelle, die um den Hals des Tieres gehängt war. Bald aber vergaß er es. Er kroch nicht mehr die Wand hinauf. Traulich erschien ihm die Zelle. Tausend Bilder er- blühten aus seiner Einsamkeit. Tausend Stiinmen erfüllten sie. Er sah ein Schwein, das mit dem Rüssel in die Fuge zwischen Tür und Wand des Stalles geraten war und sich nicht wieder befreien konnte. Er kannte dieses Bild. Als Knabe, bei seinem Onkel, der ein Steuereinnehmer auf dem Lande war und einen Hof besaß, hatte er es gesehen. Er sah ein Schwalbennest im Klosett: einen Papagei an einer Kette, der nach seinem Finger schnappte: den Kompaß und den silbergefaßten Zahn an der Uhrkette des Vaters: die Ge- burt eines Schmetterlings aus der dünnen gebrechlichen Hülle der Puppe in einer grasgefütterten Streichholzschachtel: ge- trocknete Anemonen in einem Herbarium: ein goldgerändertes Gesangbuch und den ersten Schlips aus roier Seide. Andreas hatte viel zu tun. Er mußte die Bilder ein- ordnen. Wie ein Kind an den Sprossen einer Leiter, so kletterte der neugeborene Andreas an diesen kleinen Erinne- rungen zaghaft empor. Es schien ihm, als müßte er noch lange klettern, um zu sich selbst zu gelangen. Er entdeckte sich selber. Er schloß die Augen und freute sich. Wenn er sie öffnete, hatte er ein neues Stück entdeckt, eine Beziehung. einen Klang, einen Tag und ein Bild. Ihm war, als begänne er zu lernen und Geheimnisse täten sich vor ihm auf. So hatte er also fünfundvierzig Jahre in Blindheit gelebt, ohne sich selbst und die Welt zu kennen.(Fortsetzung solgt.)