Nr. 396+ 41. Jahrgang
Beilage des Vorwärts
Sonntägliche Wanderziele.
Und fragst du doch: ben vollsten Reiz Wo birgt ihn die Ruppiner Schweiz? An jeder Stelle gleichen Reiz Erschließt dir die Ruppiner Schweiz . So sagt Fontane und wir werden auf unserer Wanderung sehen, daß er recht hat. Wir beginnen die Wanderung in Neu ruppin, das wir vom Stettiner Fernbahnhof über Kremmen erreichen( Sonntagsfarte). Neuruppin ist der Geburtsort Theodor Fontanes, des Altmeisters der märkischen Wanderei, der hier am 30. Dezember 1819 das Licht der Welt erblickte. In den Anlagen am Königstor hat man Fontane ein Denkmal errichtet, das ihn als schlichten Heimatwanderer und schilderer darstellt, auf einer Steinbant sigend. Schreibstist und Buch in der Hand, Wanderstab, Mantel und Hut neben sich. Von den ehemaligen Befestigungsanlagen der Stadt sind noch die Reste des dreifachen Walls im Nordwesten er halten. Wir verlassen Neuruppin durch das Rheinsterger Tor. Eine fchattige Chauffee bringt uns gen Nordost zum Chauffeehaus, wo die Seepromenade nach Altruppin rechts abzweigt, der wir folgen. An der Nordspize des langgestreckten Ruppiner Sees liegt Altruppin . Wir wandern von der Stadt gen Nord durch Kiefernwald zur Niederung des Rhins . Ueber Neumühle erreichen wir Moltow am Ostufer des Molchowfees. Das Dorf ist ein ausgeprägter Rundling mit großem freien Dorfplatz, der in der Mitte etwas erhöht ist und von Eichen, Kastanien, Lindet und Akazien beschattet wird. Wir fiberschreiten das Verbindungsgewässer zwischen Molchow und Tegensee und wenden uns fogieich rechts ab, auf dem Westufer des Tegenfees gen Nord. Der Weg führt anfangs am Rand des Kiefernwaldes entlang, der von Laubgebüsch und Birken eingefaßt wird, dann durch schönen Mischwald mit vielen Eichen. Weiterhin entfernt sich der Weg vom See. An Kolonie Stende iz vorbei fommen wir zum 3ermüßelsee. Der reich gegliederte See wird von bewaldeten Höhen umrahmt. die prächtige Ausblicke auf die Buchten und Halbinseln bieten. Gleich hinter der Brücke über ein fleines Fließ auf dem Westufer des Gees folgen wir dem Fußsteig nach links zum Ufer der Kellen, zwei kleine Seen, von fieferne und buchenbestandenen Höhen ungeben. Auf dem stillverträumten Wasser schaukeln geheimnisvoll die Mummelblätter. Vom Nordende der Kellen gehen wir an den Hauptweg zurück und kommen westlich Dom Forsthaus Stendeniz vorbei zur Niederung, die den Tornowfee mit dem Zernügelsee verbindet und vom Rottstielfließ durchflossen wird. Bei Forsthaus Rottstiel überschreiten wir das Fließ. Bald hiegen wir von der Straße nach linfs as und wandern am Tornowsee hin. Der Wald, der tisher reine Kiefernbestände bildete cher ein Mischwald war, geht jetzt in reinen Buchenwald über. An der Ablage Buchhorst vorüber fommen wir auf halber Höhe der Buchenhänge zum Nordende des Tornowfees. Hier liegt die Boltenmühle, die uns so recht den stillen Zauber der Wassermühlen im Waldesgrunde in das Bewußtsein ruft. Wir überschreiten Sen Binenbach und wandern auf seinem Westufer gen Nord.
In tiefem Einschritt schlängelt sich das Fließ zwischen den buchen bestandenen Höhen hin. Der Boden weist häufig quellige Stellen auf, umgestürzte Baumstämme liegen quer über Weg und Fließ , vom Waffer murmelnd umspült. Wir bleiben neben dem Binenbach bis zum Kalfsee, dessen Abfluß er bildet. Am Nordufer des Gees fiegt Binenwalde. Bon der Abflußstelle aus dem Kaffee wen: den wir uns auf der Fahrstraße gen Südsüdwest zurück zum Tornow: see, wo der Kunsterspringbach in diesen See mündet. Wir bleiben auf dem Nordufer dieses Baches und wandern gen West zur Kunsterspringmühle. Bon dieser Mühle folgen wir der Chaussee durch die schöne Forst Ruppin nach Neuruppin zurüd. Weglänge etwa 40 Kilometer. Steht uns nur der Sonntag zur Verfügung, dan fahren wir mit dem Dampfer von Neuruppin nach Molchow, wodurch die Fußwanderung um 8 Kilometer gekürzt wird. Kienbaum- Kagel.
Abseits vom Verfehr liegen die beiden Dörfer, in die uns die heutige Wanderung führt. Wir fahren von der Stadtbahn über Erfner( umsteigen) bis Fangschleuse. Eine furze Wanderung von der Bahn gen Nord bringt uns an die Lödnih, eins der schönften märkischen Waldfließe. Wir halten uns diesseits des Fließes und wandern am Rand von Wald und Wiese nach rechts. Der Weg
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Die Rebellion.
Roman von Joseph Roth . ,, Aber die Spazzen zu füttern, wird man Ihnen nicht erlauben! Es st so was einfach zu umständlich. Man fann Ihnen doch nicht eine Leiter in die Belle bringen!"
Wozu hab ich dann ein Gesuch geschrieben?" " Das ist Borschrift. Wenn Sie einen Wunsch haben, müffen Sie ihn schriftlich äußern. Aber erfüllt wird er Ihnen nicht." Der Doktor lächelte. Er war ein alter, beleibter Herr mit grauen Stoppeln auf Wangen und Doppeltinn. Er trug eine unmoderne, goldgeränderte Brille. lleberlassen Sie doch dem lieben Gott die Sorge um seine Vögel!"
Ach, Herr Doktor!" sagte Andreas traurig. ,, Manche fagen: Ueberlaffen wir Gott die Sorge um diesen Menschen! Dann sorgt Gott nicht!"
Der Doktor lächelte wieder:„ Es ist nicht gesund, ein Philosoph zu sein. Dazu reicht Ihre Kraft nicht. Man muß glauben, lieber Freund!" Der Doktor wußte bereits, daß er es mit einem Narren zu tun hatte; aber auch, daß dieser Narr ungefährlich war. Im übrigen hatte er noch im ganzen drei Wochen abzubüßen. Also beschloß er, Andreas sich selbst und feinen philosophischen Gedanken zu überlassen. Außerdem erwartete der Doktor heute seine Nichte. Er mußte zur Bahn und vorher noch einmal nach Hause. Und da er ein Menschenfreund war, reichte er Andreas die Hand.
Spät am Tage, es mochte vor Anbruch der Dämmerung fein, fah Andreas, wie draußen der Himmel sich lichtete. Ein Stückchen strahlenden Blaus war fogar durch die schmutzige fleine Scheibe zu sehen. Und wieder lärmten die Spazen.
Dann hörte er den leichten Trab eines Wägelchens, das regelmäßig jeden Tag hörbar wurde.
Obwohl es erst Februar war, nahm er an, daß die Knospen an den Weiden und Kastanien schon ziemlich groß sein müßten. Er dachte an sie mit derselben Zärtlichkeit, die er für die Vögel übrig hatte. Er nahm fich vor, einen weiten Spaziergang zu unternehmen, wenn man ihn freiließe.
In dieser Nacht schlief er spät ein. Er hatte Schmerzen im Knie. Der Wind wütete draußen und in den langen Gängen der Anstalt.
Am nächsten Tage war wieder Inspektion. Der Direffor fagte, die Sache laufe gut. In zwei Wochen könnte sie erledigt sein. Andreas würde also eine Woche früher freifommen. Man würde ein neues Verfahren einleiten. Dann könne Andreas sich vor Gericht beschweren. Dann würde man ja
bleibt in der Nähe der Löckniz, die sich durch saftige Waldwiesen da hinschlängelt. An Forsthaus Schmalenberg und an Klein- Wall vorüber führt die Wanderung; immer sind wir dem Fließ nahe. Der längste Teil des Lödnißlaufes liegt im Warschau- Berliner Urstromtal, in dessen Sandebere die Lödnig ihr flaches Bett gegraben hat. Mit meilenweiten Kiefernwäldern ist das große Tal bedeckt. Sie bilden mit der Löcknik und den übrigen zahlreichen Gewässern prächtige Wanderziele.
Gut eine halbe Stunde von Klein- Wall entfernt fommen wir zum Großen Rabenwall, eine halbinselartige, ebenfalls bewaldete Nase des Ufers, die dicht an das Fließ heranragt. Nach einer halben
Partie aus der Ruppiner Schweiz .
Stunde, am Ende des Waldes, führt der Weg rechts ab zur Straße nach Kienbaum, der wir nach links in einiger Entfernung von der Lödnißniederung folgen. Bald haben wir Kienbaum erreicht, ein altes Dorf, das allerdings jeht in einem ziemlich neuen Ge wand erscheint. Es soll seiner Namen nach einer jahrhundertealten Kiefer, einer Stiene, haben, die einſt im Dorf stand. In früheren Jahrhunderten tamen in Kienbaum im August jeden Jahres die Beidler aus großen Teilen der Mark Brandenburg zu einer großen Bersammlung zusammen, in der alle die Imkerei betreffenden Angelegenheiten beraten und die Sigungen des Zeidelgerichts abgehalten wurden. Bon Kienbaum wandern wir gen Nord nach Liebenberg . Hier überschreiten wir die Löcknig, deren Quellbäche sich in der Wiesenniederung rechts vereinigen. Kurz vor der Liebenberger Mühle biegen wir links ab zum Liebenberger See, deffen User wir eine furze Strede, bis zum Ende des abgeholzten Waldstreifens, folgen. Dann wenden wir uns nach links zur Landstraße, die uns am Jagdschloß vorüber nach Kagel bringt. Hier war früher ein Feldkloster, dessen Mörche den Abbau des Rüders dorfer Kalfsteins als erste betrieben. Auch Kurt Grottewiß, der Arbeiterwanderer und Naturfreund, besaß in Ragel ein Anwesen. Vom Nordende des Dorfes wenden wir uns westnordwestlich zum Garzauer Mühlenfließ, dem dritten Quellbach der
das Unrecht einsehen und Andreas freisprechen. Er, der Er, der Direktor, wolle jedenfalls ein hervorragendes Zeugnis schreiben. So ein Zeugnis hätte er noch niemandem geschrieben. Und was die Fütterung der Spaßen anbelange, so sei dergleichen nicht üblich. Die Anstalt sei schließlich kein Tierfchutzverein.
In diesem Augenblick entdeckte der Herr Direktor, daß der Kübel, in dem Andreas seine Bedürfnisse zu verrichten hatte, nicht neben dem Fenster, sondern in der Nähe der Bank stand, und weil der Herr Direktor die Ordnung fast genau so liebte wie die Menschlichkeit, sagte er streng: Ihre Pflichten aber dürfen Sie nicht vernachläffigen!" Und genau so, wie Willi, fügte er hinzu: Ordnung muß sein!" Er ging und hinter ihm flirrte der Säbel des Wärters.
16.
Ein Tag war schöner als der andere.
Man merkte es nicht nur im Hof, wenn man den vor: Schriftsmäßigen Spaziergang absolvierte. Man merkte es sogar im Hof weniger. Denn feine Luft war muffig und obwohl über seinen hohen Wänden der Himmel sich wölbte, schien es, als läge eine unsichtbare Decke über ihn gespannt. Nie fam die Sonne in diesen Hof. Deshalb war sein Pflaster immer feucht, als sonderte es Schweiß ab. Es war wie eine Krankheit der Pflastersteine.
Uebrigens famen jeden Tag die Spazen in ganzen Massen vor das Zellenfenster, als wollten sie Andreas an sein Versprechen erinnern. Das tat ihm weh. Er fah hinauf und betrachtete schmerzlich die lärmenden kleinen Seelen. Er hielt stumme Ansprachen und sein Herz redete zu den Tieren, ohne daß sich seine Lippen bewegten. Meine fleinen, lieben Vögel, lange Jahrzehnte war ich euch fremd und ihr wart mir gleichgültig, wie der gelbe Pferdekot in der Straßenmitte, von dem ihr euch nährt Wohl hörte ich euch zwitschern, aber mir war es gleich, wie das Summen der Hummeln. Ich wußte nicht daß ihr Hunger haben könntet. Ich wußte kaum, daß Menschen, also meinesgleichen, Hunger haben fönnten. Ich wußte faum, was der Schmerz ist, obwohl ich im Krieg war und ein Bein verlor, aus dem Kniegelent fallen ließ. Ich war vielleicht fein Mensch. Oder ich war frant am schlafenden Herzen. Denn so etwas gibt es. Das Herz hält einen langen Schlaf, es tickt und tact, aber es ist sonst wie tot. Eigene Gedanken dachte mein armer Kopf nicht. Denn ich bin von der Natur nicht mit scharfer Einsicht gesegnet und mein fchwacher Verstand wurde betrogen von meinen Eltern, von der Schule, von meinen Lehrern, vom Herrn Feldwebel und vom Herrn Hauptmann und von den Zeitungen, die man mir
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Sonnabend, 23. August 1924
Löcknih. Unmittelbar nach dem Ueberschreiten des Fließes folgen mir dem halbrechts abgehenden Fußsteig, der anfangs am Waldrand, dann durch den Wald auf den Biesenberg führt. Der Gipfel des Berges liegt 71,5 Meter über dem Meeresspiegel oder 25 Meter über feiner Umgebung; er wird von einem Bermessungsgerüst gekrönt. Ein prächtiger Rundblick auf das Industriegebiet von Rüdersdorf , Tasdorf, Hennickendorf und Herzfelde bietet sich von der Höhe des Berges, ebenso ouf das ausgedehnte Waldgebiet im Norden bis zum Marienberg südlich vor: Strausberg mit dem Aussichtsturm. Der Weg führt den Berg hinab zur Müncheberger Chaussee, der wir rach links zum Bahnhof Herzfelde folgen. Von hier Rückfahrt über Strausberg ( umsteigen) nach Berlin. ( Weglänge etwa 25 Kilometer.)
Unter den wirtschaftlichen Folgen des Krieges haben auch die Heil und Pflegeanstalten schwer zu leiden gehabt. Nicht wenige waren genötigt, wegen Mangel an Geld ihren Betrieb für längere Zeit einzustellen. Wo die Verhältnisse günstiger lagen, mußten mindestens die Leistungen sehr beträchtlich gekürzt werden. Wohl in feiner dieser Anstalten ist heute schon wieder der Zustand erreicht, der in der Zeit vor dem Kriege die Regel war und als Selbstverständlichfeit galt. Noch recht oft kommt es zu Auseinandersetzungen mit den Bfleglingen, die sich über Anstaltsmängel beschweren, weil sie geradezu den Heilerfolg in Frage gestellt sehen.
In der Lungenheilstätte Belzig haben die. Gegensätze zwischen der Verwaltung und den Pfleglingen zeitweise eine Schärfe angenommen, die man nur bedauern fann. Hier wird hauptsächlich geflagt, daß die Beköstigung sehr viel zu wünschen übrig läßt. Pfleglinge machen uns darüber recht unerfreuliche Mitteilungen. Die Kohl oder Bohnengerichte, die es zu Mittag bis zum Ueberdruß gibt, feien mit nur wenig Fleischbeilage gefocht und auch der Fettzusaz reiche nicht aus. Der Klecks Butter, der für die anderen Mahlzeiten zum Brot geliefert wird, sei zu gering, ebenso der Belag, wenn es welchen gibt. Milch gilt als wichtiges Nahrungsmittel für Lungenleidende, aber in Belzig erhalten die Pfleglinge, fagt man uns, täglich nur ½ Liter zu trinken. Im ganzen sei die Beföftigung nach Menge und Güte so unzulänglich, daß viele Insassen dieser Heilstätte gezwungen sind, sich aus eigenen Mitteln eine Zusatztost zu beschaffen. Nebenbei wollen wir übrigens erwähnen, daß ihnen gelegentlich die Morgen- oder Mittagssuppe, noch durch eine Beilage von Maden verefelt worden ist. Unterhandlungen einer Kommission der Pfleglinge mit der Verwaltung hatten einen Erfolg von nur furzer Dauer. Gegen eine außerhalb der Anstalt abgehaltene Bersammlung der Pfleglinge glaubte der Verwaltungsinspektor ein schreiten zu müssen. Als wegen dieser Versammlung ein Mitglied der Kommission entlassen werden sollte, griff faſt die Gesamtheit der Pfleglinge zu dem Ab mehrmittel des Hungerstreits. Die Entlaffung wurde dann nach wenigen Stunden zurückgenommen. Einen Pflegling, der seinen Verdruß über die Beköstigungsmängel in allzu träftiger Form geäußert hatte, wurde die Anstalt auf andere Weise los. Der Chefarzt untersuchte
ihn und kam zu dem Ergebnis:„ Ihre Lunge ist gefund!" und hiermit
hatte die Kur ihr Ende.
hauptsächlich den Krankenkassen der AGG., der Osram- Gesellschaft, Die Heilstätte Belzig ist mit etwa 140 Pfleglingen belegt, die ( die früher ein Teil der Ortsfrankenkasse Niederbarnim nar) auge. des Siemens- Konzerns und der Ortskrankenkasse Berlin Norden III hören. Daß durch zweckmäßige Verpflegung der Kranken die Heilung gefördert wird, ist doch auch für die Kaffen wichtig. Was fagen die Verwaltungen der Kassen zu den Klagen über Belzig ?
Schämen sie sich der Reichsfarben?
Bor dem Krieg wäre es gar nicht möglich gewesen, eine Aus. stellung oder einen Kongreß zu eröffnen und die Reichs- und Staatsbehörden dazu einzuladen, ohne im Festsaal und den Ausstellungsräumlichkeiten das Hoheitszeichen des Reiches zu zeigen. Die zur Vertretung der Behörden erschienenen Beamten wären vermutlich auch sofort mieder umgekehrt, wenn sie diese selbstverständliche Verbeugung vor Reich und Staat vermißt hätten. Auch in der gestern eröffneten Reklamemesse, deren Vertreter sich besonders eindringlich um das mohlwollende Entgegmentommen der Reichs-, Staats- und Gemeindebehörden bemühten, waren die Reichs.
zu lesen gab. Kleine Vögel, seid nicht böse! Ich beugte mich den Gesezen meines Landes, weil ich glaubte, eine größere Vernunft, als die meinige, hätte sie ersonnen, und eine große Gerechtigkeit führte sie aus, im Namen des Herrn, der die Welt erschaffen. Ach! daß ich länger als vier Jahrzehnte leben mußte, um einzusehen, daß ich blind gewesen war im Lichte der Freiheit und daß ich erst sehen lernte in der Dunkelheit des Kerfers! Ich wollte euch füttern, aber man verbietet es mir. Weshalb? Weil noch niemals ein Häftling diesen Wunsch hatte. Ach! jene waren vielleicht jünger, beweglicher und flüger und sie dachten, wenn sie euch sahen, nicht an eure Nöte, sondern an ihre Freiheit, meine Vögel, und ich weiß schon, weshalb ich euch liebe. Ich weiß auch, weshalb ich euch nicht fannte, als ich selbst noch frei war. Denn damals war ich, obwohl einbeinig, dumm und ait, selbst wie ihr und ahnte nicht, daß tausend Gefängnisse auf mich warten, lauernd in den verschiedenen Teilen des Landes. Seht! ich möchte euch von meinem Brot geben, aber die Ordnung verbietet es. So nennen die Menschen den Kerker. Wißt ihr, was Ordnung ist, kleine Bögel?
Die Nacht heftete sich an den Tag und zerrann wieder im fiegreichen Grau des Morgens. Andreas hörte auf, die Tage zu zählen. Jahre trennten ihn von seinm früheren Leben. Jahre trennien ihn von der kommenden Freiheit. Und, obwohl er sich nach ihr sehnte, tat es ihm doch wohl, zu glauben, daß er niemals feine Sehnsucht erfüllt sehen würde. tauchte in seinen Schmerz tief hinab und beweinte sich, wie einen teuren Toten. Er liebte seine Qualen wie treue Feinde. Er haßte seine verlebten Jahre wie verräteriſche Freunde. Eines Tages wurde er entlassen.
Er
Obwohl er dem Direktor der Anstalt bescheiden und demütig dankte und seine Hand in dessen dargebotene legte, fühlte er doch noch später stundenlang den Druck der mächtigen Direktorshand, wie eine feindliche Macht und wie den Willen des Staates und der Behörden, ihr Opfer nicht wieder freizulassen. Andreas faßte einen tiefen Argwohn gegen das Gefeß und seine Vertreter und schon begann er, sich vor dem neuen Verfahren zu fürchten. Hatte man ihn nicht zum ersten Mal ungerecht behandelt? Würde man ihn nicht noch einmal einsperren? Er wollte am liebsten fliehen. Die ganze Unermeßlichkeit der Welt war plöglich vor ihm aufgetan, er sah Amerika , Australien und die fremden Gestade der Erde, und als wäre seine neugewonnene Freiheit noch ein Kerter, so emp fand er das Land, in dem er lebte und in dem ihm Leid angetan war, als einen Gefängnishof, in dem er provisorisch frei spazieren durfte, um wieder in die Relle zurückzukehren. ( Fortfegung folgt.)