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Abendausgabe

Nr. 403 41.Jahrgang

Ausgabe B Nr. 202

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Berliner Volksblatt

27. August 1924

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Geschäftszeit 9-5 Uhr

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Kommunistischer Ueberfall im Reichstag.

Der Demokrat Brodauf von einem Kommunisten verletzt.

Dieser Reichstag muß fort. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, die sch machvollen Szenenvon heute morgen haben ihn geliefert. Durch Feilschen und Schachern im Augenblick geschichtlicher Entscheidung hat dieser Reichstag selbst Ansehen und Würde untergraben, die eine Bolksvertretung besitzen muß, wenn sie als Trägerin der Souveränität des Volkes, als höchste politische Instanz vor aller Augen gelten soll. Die fommunistische Frat tion, die den ungeist und das Rowdytum bewußt ins Parlament hineinträgt, hat dem Ansehen und der Würde des Reichstages den legten Stoß gegeben. Die Kommunisten haben den Reichstag zum Schauplaß einer wüsten Schlägerei gemacht. Dieser Reichstag ist eine Schande für das deutsche Volt. Aber die kommunistische Frat­tion ist eine noch größere Schande.

Das war der Vorgang: Der Reichstag lehnte die kommu­ nistischen Anträge ab, die ausgeschlossenen und inhaftierten Ab­geordneten zur Abstimmung hinzuzuziehen. Die sozialdemo fratische Fraktion stimmte für diese Anträge. Der National­sozialist Frid beantragte, den Amnestieantrag noch einmal for­mell auf die Tagesordnung zu setzen, um die Ueberweisung an den Ausschuß zu ermöglichen. Bizepräsident Dittmann erklärte, gegen diesen Antrag fönne niemand etwas einzumen­den haben, wenn sich daran keine Debatte im Plenum knüpfe. Trotzdem erhob Abg. Brodauf( Dem.) Widerspruch. Un geheurer Lärm bei den Nationalsozialisten und Kommunisten war die Folge. Kommunistische Abgeordnete dringen auf Brodauf ein, Genosse Peine stellt sich vor Brodauf. Der Kommunist Gr ube, Parteisekretär aus Zwidau, dringt auf ihn ein und erhebt den Arm zum Schlag gegen Brodauf. Beine schiebt ihn zurüd. Da schlägt der Kommunist Nedder meyer, Parteisekretär aus Bielefeld , wild auf Beine ein. Im Nu fängt ein großer Teil der kommunistischen Fraktion nach dem Vorbild von Neddermeyer eine wüste Schlägerei an. Die ganze Niedrigkeit der Gesinnung, der Kaschemmengeist in der Fraktion offenbart sich. Sie benugen die Gelegenheit, um, mit Fäuften und anderen Kampfmitteln, über die sozialdemokratischen Abgeordneten herzufallen. Eine wüste Schlägerei entsteht, wie sie Trunkene, innerlich rohe Elemente in Kaschemmen entfesseln, wenn der Alkohol alle Hemmungen des Anstandes zerbrochen hat. Eine Schmach und Schande ist diese Fraktion aus verrohten und verlotterten Elementen. Die Prügelhelden der Kaschemmen haben noch die Ausrede, daß sie unter der Wirkung des Alfo= hols handeln, aber diese Fraktion hat mit faltem Geiste aus innerer Roheit heraus, diese schmachvolle Szene entfesselt. Noch nach dieser Szene erklärte Herr Iwan Ka y zynisch, daß Brodauf Prügel hätte haben müssen. Sie haben also be= wußt eine Prügelfzene herbeiführen wollen. Kalter Lynch nennt man bei den Kommunisten diese Methode

Abg. Brodauf liegt erheblich verlegt im Kranten­zimmer des Reichstages. Er hat eine ernste Verlegung am rechten Auge davongetragen. Er steht in der Behandlung der sozialdemokratischen Aerztin Frau Stegmann.

Als eine sozialdemokratische Abgeordnete ihrer Empö­rung über die schändliche Szene in Entrüftungsrufen Luft machte, rief ihr verrohtes fommunistisches Gesindel von Abge­ordneten zu: Schade, daß Sie nicht auch eins in die Fresse bekommen haben!

Ein schmachvolles Bild, dieser Zusammenstoß! Wild fchlugen die Kommunisten von oben auf Brodauf ein. Die an gefallenen fozialdemokratischen Abgeordneten setzten fich energisch zur Wehr und drängten die Kommunisten zurüd. Man sah in dem Knäuel von schlagenden und tobenden Ab­geordneten, wie ein fozialdemokratischer Abgeordneter sich mit einem Zeitungshalter gegen ihn bedrängende Kommunisten zur Wehr sehte. Stürmische Pfuirufe aus dem Haus, von den Breffetribünen, aus dem Publikum. Der Präsident verließ feinen Blaz. Die Sizung war aufgehoben. Die fer Reichs­tag muß fort!

Es muß abgerechnet werden mit dem Geist des Schachers und der Erpressung, der ein niedriges Ziel mit den Lebens­intereffen des ganzen Volkes spielt. Es muß aberechnet werden mit der gewiffenlosen Fraktion der Deutsch nationalen und dem völkischen Anhang. Es muß abgerechnet werden mit der Fraktion berinneren Beriotterung und Verrohung, mit der Fraktion der Kommunisten. Diese Fraktion will die geistige Verwirrung der Inflationszeit ver­längern, solange dieser Reichstag noch lebt.

Dieser Reichstag muß fort! Er ist keine Bolts­vertretung, er ist ein Tollhaus. Er ist eine Gefahr für die geistige Gesundung Deutschlands . Er darf keine 24 Stun ben mehr am Leben bleiben. Abrechnung mit der gewiffen losen nationalistischen Demagogie, Abrechnung mit tommu nistischem Raschemmengeist. Fort mit diesem Reichstag, fort mit dieser Schande Deutschlands !

20 Minuten.

*

Bräsident Wallraff eröffnet die heutige Gizung um 11 Uhr Auf der Tagesordnung steht zunächst der kommunistische Antrag, der zu der Abstimmung über das Londoner Abkommen alle ausgefchloffenen und inhaftierten Abgeordneten zulaffen will.

Amtlich wird mitgeteilt:

Der Reichskanzler erstattete heute vormittag dem Reichspräsidenten Bericht über die politische Lage, in deren Beurteilung fich völlige ebereinstimmung zwischen dem Reichskanzler und dem Reichspräsidenten ergab. Der Reichspräsident erklärte sich mit der Unterzeichnung der Londoner Abmachungen am 30. August einverstanden und stimmte dem Reichskanzler darin zu, daß die Unterzeich­nung auch die Verpflichtung zur Ausschöpfung aller parla­mentarischen und verfassungsmäßigen Möglichkeiten für die Verabschiedung der zur Durchführung des Gutachtens erforder­lichen Maßnahmen in sich schließt. Demgemäß erklärte der Reichspräsident dem Reichskanzler seinen Entschluß, den Reichstag aufzulösen, falls die zu beschließenden Gefehe nicht die erforderliche Mehrheit finden.

Wie Abg. Hampe( Wirtsch. Vgg.) als Berichterstatter mitteilt, hat der Geschäftsordnungsausschuß diesen Antrag abgelehnt. Die Kommunisten beantragen nunmehr, wenigstens die aus ge­fchloffenen Abgeordneten Remmele und Dr. Schwarz zu der entscheidenden Sihung zuzulassen.

Abg. Dr. Rosenfeld( Soz.) hält es für notwendig, daß angesichts der großen Bedeutung der bevorstehenden Abstimmung alle Abge­ordnete daran teilnehmen müßten. Für den Abg. Remmele würden die zwanzig Sigungstage, für die er ausgeschlossen ist, ohnehin am Donnerstag ablaufen.

Abg. Scholem ( Komm.) wirft der Mehrheit vor, daß sie die Zu­laffung der ausgeschlossenen und inhaftierten Abgeordneten nur ver­hindere, um auf diese Weise vielleicht noch eine Zweidrittelmehrheit für den Sklavenvertrag zusammenzubringen. Er wäre damit ein­verstanden, wenn man die Inhaftierten gefeffelt zur Wahlurne in den Gaal hineintragen würde. Das wäre ein Symbol für die Ab­ftimmung, die das deutsche Bolt jetzt zu vollziehen habe.

Der fommunistische Antrag auf Hinzuziehung der ausgeschioffe= nen und inhaftierten Abgeordneten wird gegen die Sozial be motraten, Rommunisten und Nationalsozia liften abgelehnt, ebenso der tommunistische Antrag, wenigftens die Abgg. Remmele und Dr. Schwarz zuzulassen. Der Aus­schußantrag wird dann unter lebhaften Pfuirufen der Kommunisten

angenommen.

Kommunistische Prügelhelden.

Abg. Frid( Nat.- Soz.) beantragt, einen Antrag seiner Fraktion auf Amnestierung der sogenannten politischen Verbrecher dem Rechtsausschuß zu überweisen, da durch das Londoner Abkommen die separatistisen Hochverräter im besetzten Gebiet begnadigt würden. Als Abg. Brodauf( Dem.) gegen die Behandlung dieses An­frages Widerspruch erhebt, entsteht to bender Lärm bei den Kommunisten und Nationalsozialisien, die erregt aus ihren Bän­ten ftürzen und auf den Abg. Brotauf eindringen, um den sich seine Freunde schühend sammeln. Der Lärm hält minutenlang an, die Kommunisten dringen mit geballien Fäusten vorwärts. Nur mühsam schafft der Präsident Ruhe.

Auf einmal stürzen die Kommuniffen mit geballten Jäufften auf den Abg. Brodauf los, der durch die demokratischen Abgeord­neten Sorell, kopsch, Dietrich- Baden und andere gefüht wird. Brodauf verteidigt sich mit einem zufammengeballien Bündel Jel­fungen. Die kommunistischen Abgeordneten Höllein und koe­nen schlagen mit den Fäusten auf die Demokraten ein. Sozialdemokraten und Zentrumsabgeordnete mischen sich da­zwischen. Es entsteht ein ungeheurer Tumult. Es entwickelt sich eine regelrechte Prügelfzene, an der sich die meisten fommu­nistischen Abgeordneten beteiligen.

Die Tribünenbefucher erheben sich spontan von den Plähen und stoßen Bfuirufe aus. Im Hause herrscht eine ungeheure Er­regung.

Der Präfident, der vergeblich versucht hat, Ruhe zu schaffen, und mit der Glocke nicht mehr durchgedrungen war, verläßt den Sigungsfaal. Die Sigung ist damit gefprengt. Die Abgeordneten fichen noch lange in erregten Gruppen zusammen. Der Abg. Brod­auf wird von seinen Freunden aus dem Saal geführt. Nach etwa 10 Minuten erscheint

Präsident Wallraf wieder auf seinem Blak und eröffnet die Sigung aufs neue. Er gibt unter lebhafter Zustimmung dem Ge­fühl der Empörung über die Vorgänge von vorhin Austru und fügt hinzu: Ich werde diejenigen

leider sich als notwendig erwiesen haben; daß diese Maßnahmen nicht überflüssig sind, haben gerade die Vorgänge von vorhin be­wiesen.( Lebhafte Zustimmung der Mehrheit. Gebrüll der Kom­

munisten.)

Abg. Kah( Komm.): Wie begründet der Hinweis Stöckers war,

geht daraus hervor, daß der Spißel während der Rede Stöckers den Saal verlassen hat. Nachdem Abg. Brodauf Widerspruch erhoben hat gegen einen Antrag, mit dem jeder einverstanden sein mußte, der nur einen Funken Anstand und Menschlichkeit hat( stürmisce Entrüftungsrufe der Mehrheit, Geschrei der Kommunisten), beantrage ich, noch einmal festzustellen, ob jemand im Saal Widerspruch erh bt. Präsident Wallraf: Das ist geschäftsordnungsmäßig unzulässig. ( Heftige Rufe der Kommunisten gegen den Bräsidenten.) Der Präsident teilt einem inzwischen eingelaufenen Antrag mit, der den Antrag Bredt( Wirtschaftsp.) für verfassungs= widrig erflärt und Uebergang zur Tagesordnung über diesen An­trag vorschlägt. In der fortgesetzten

Besprechung des Londoner Vertrags. spricht dann Abg. Seibert( D. Bp.) für das Eisenbahngeseh, das bg. Rahl( Natfoz.) befämpft.

Abg. Lang( Bayr. Bp.) macht seine Bedenten gegen die Ueber­tragung der Reichsbahnen an eine Gesellschaft geltend. Reichsverdehrsminister Dejer gibt beruhigende Zusicherungen für die Zukunft der Reichsbahnbeamten ab. Wir wer den diese Erklärungen in der Morgenausgabe nachtragen.

Das Eisenbahngefeß wird in zweiter Lesung bei schwach be= fettem Hause, da mehrere Fraftionen Sizungen abbalten, erledigt, die zweite Lesung der Gutachtengeseze beendet, worauf das Haus eine Anzahl fleiner Vorlagen ohne Besprechung in der ersten und zweiten Lesung annimmt.

( Schluß im Morgenblatt.)

Landtag und Londoner Protokoll. Bei Ablehnung im Reichstag Zusammentritt am 3. September.

Der Aeltestenrat des Landtages hát am Dienstag be schlossen, daß im Falle der Ablehnung des Londoner 3. September zusammentritt. Der Zusammentritt Abkommens durch den Reichstag der Landtag am des Landtages foll im Falle der Ablehnung vor allem durch die Eisenbahnfrage bedingt sein. Die deutschnationale Fraktion des Landtages hatte einen Antrag auf sofortige Einberufung des Landtages eingebracht.

Rheinische Landwirtschaftskammer für Annahme.

Bonn , 27. August. ( WIB.) Der Borstand der Landwirt. [ chaftskammer für die Rheinprovinz hat folgende Ent­fchließung gefaßt: Der Vorstand der Landwirtschaftskammer für die Rheinproving hat Renntnis genommen von der Stellungnahme, welche die Bertreter der Landwirtschaftstammer in den Verhandlun gen der Vorstände des Deutschen Industries und Handelstages, des Reichsverbandes der deutschen Industrie und des Wirtschaftsaus fchuffes für die besetzten Gebiete zu der durch die Londoner Ab­tommen geschaffenen Lage am 22. August eingenommen haben. Der Borstand der Landwirtschaftskammer billigt diese Stellung nahme und stimmt seinerseits der dort angenommenen Ent­fchießung zu, da durch eine Ablehnung die Landwirtschaft as be­lehten Gebiets aufs schwerste geschädigt und einer Jufunft engegen­getrieben würde, die wirtschaftlich und politisch die schwersten Ge­fahren in sich birgt und die cheinische Landwirtschaft in ihrer Eristenz­möglichkeit erschüttern würde. Dabei spricht aber der Vorstand die zuversichtliche Erwartung aus, daß es gelingen möge, einen Weg zu finden, die Entscheidung über das Londoner Abkommen im Reichstag auf breitester Basis durch alle der Landwirtschaft nahestehenden Barteien herbeizuführen, damit auch die Durchführung der notwen­digen Geseze gesichert ist, wobei weitere Belastungen für die Land­wirtschaft angesichts ihrer Lage als untragbar abzulehnen sind.

Die Konsolidierung der französischen Schuld

Paris , 27. Auguft.( Eigener Drahtbericht.) Nach einer Mel­dung der Chikago Tribune" soll in maßgebenden amerikanischen Finanzkreisen ein Projekt der Konsolidierung der französischen Schuld diskutiert werden. Danach soll an dem Lage des Inkrafttretens des Dawes- Planes an die Berzinsung der französischen Schuld, die sich einschließlich der rückständigen Zinsen auf rund Milliarden Dollar beläuft, auf 5 Jahre unterbrochen werden. Nach Ablauf der Frist foll die Leistungsfähigkeit Deutsch­ lands einer neuen Nachprüfung unterzogen werden, ob es in der Lage sei, über die im Dawes- Plan festgesetzte Jahreszahlung von Millarden hinaus eine weitere Laft zur Abdeckung der französi­ schen Schuld an Amerika zu übernehmen. Die Berzinsung dieser Schuld soll zunächst mit 2 Broz. beginnen, die Tilgungsquote auf 1 Proz. festgesetzt werden. Die aufzubringenden Beträge würden fich danach auf etwa 100 Millionen Dollar im Jahre belaufen un die franzöfifche Schuld in ungefähr 70 Jahren getilgt werden.

Maßnahmen gegen die Schuldigen treffen, die die Geschäftsordnung vorsieht. Der Weltestenrat wird um 2 Uhr zufammentreten. Ich bitte jegt in der Verhandlung fort­zufahren. Das Wort hat der Abg. Stöcker, dem ich es schon vorhin erteilt habe, wenn er nicht darauf verzichtet. Abg. Stöder( Romm.): Zu der hier im Hause eben aufgeführten Komödie( Buruf links: die Ihr gemacht habt! Gefchrei der Kom­munisten) paßt es durchaus, daß jezt auch schon hier auf den Plähen des Reichsrats ein berüchtigter Polizeispiel sich aufhält. Seit wann ist das hier erlaubt?( Rufe der Kommunisten nach der Reichs­ratseftrade: Rousi Raus!) Die Begleitung von Regierungsvertreter durch Boltzeispitzel entspricht nur der Würde dieses Hauses.( Leb- Polens gift für gefahrbrohend. Nach amtlichen Ermittelungen mu hafte Entrüftungsrufe gegen die Kommunisten.) Präsident Wallraf stellt fest, daß

teinerlei andere Sicherheitsmaßnahmen

Bor einem Aufstand in Off- Polen? Die Lage in den Ostgebieten mit der Möglichkeit eines Aufstandes gerechnet werden. Ein bc= sonderer Ministerrat hat sich mit dieser Frage beschäftigt und mili­tärische Vorbereitungen angeordnet, über die nichts befanntgegeben

im Reichstag getroffen find, als die schon seit langer Zeit wird.