Nr. 408 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 208
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Sonnabend, den 30. August 1924
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Alles angenommen!
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Zweidrittelmehrheit für das Eisenbahngesetz! Deutschnationalen verkaufen sich für Ministersite!
Der Reichstag hat gestern, Freitag nachmiffag, wie der Vorwärts" bald nachher durch ein Ertrablatt mitgeteilt hat, in namentlicher Abstimmung das Eisenbahngeseh mit 314 gegen 127 Stimmen, also mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit, angenommen. Borher waren die anderen Gefehe mit einfacher Mehrheit angenommen worden, und zwar: das Bankgejeh mit 259 gegen 172 Stimmen bei 2 Enthalfungen, das Industrieobligationsgesetz mit 260 gegen 176 Stimmen bei einer Enthaltung, das Gesetz über Liquidierung des Rentenmarfumlaufs mit 262 gegen 172 Stimmen bei einer Enthaltung, das Aufbringungsgejeh mit 261 gegen 173 Stimmen bei 2 Enthaltungen. Mantelgesetz und Entschliegungen wurden in gewöhnlicher Abstimmung, also ohne Festftellung des Stimmenverhältnisses, angenommen.
Neunundvierzig Deutschnationale, faft genau die Hälfte der Fraktion, haben gestern für das Eisenbahngesetz gestimmt, indem sie in der einen Hand rote Mein- Zettel hielten und mit der anderen weiße Ja- Bettel abgaben. Als ein Att der Selbstverhöhnung wäre diese noch nie erlebte Art der Abstimmung geistreich gewesen als ein lebendes Bild zu dem Bibelwort: Laß deine rechte Hand nicht wissen, was die linfe tut:" Das fonderbare Manöver hatte aber einen anderen Zweck. Die Deutschnationalen fürchteten, die Sozial Demokraten könnten, wenn sie ihren Umfall bemerkten, Abfommandierungen vornehmen, um den Fall des Gesetzes und die Auflösung herbeizuführen.
So sehr waren diese neunundvierzig Deutschnationalen auf die Sicherung des zweiten Versailles " und die hoff nungslose Verstlavung des deutschen Volkes" erpicht, daß fie eine kleine Kriegslist für angebracht hielten, um die dazu nötigen Gesetze nur ja ganz sicher in den Hafen zu bringen. Die Vorsicht war ganz überflüssig. Die sozialdemokratische Fraktion hatte furz zuvor eine Sigung abgehalten. Mit dem bevorstehenden Umfall der Deutschnationalen wurde ziemlich allgemein gerechnet. In dieser Sigung wurde es aber allgemein als ganz selbstverständlich erachtet, daß sich an der sachlichen Stellung der sozialdemokratischen Frattion nicht das geringste ändern dürfe, und daß alle Fraktionsmitglieder bis auf den letzten Mann für das Eisenbahngesetz zu stimmen hätten. Die Sozialdemokraten dachten nicht daran, das schmutzige Manöver der Deutschnationalen mit etwas Aehnlichem zu beantworten.
Die Sozialdemokratie hat sehnlich die Auflösung gewünscht. Aber sie dachte nicht daran, dieses taktischen Bieles wegen irgend etwas an ihrer grundsätzlichen Haltung zu ändern. Sie dachte nicht daran, selber das zu gefährden oder preiszugeben, wofür sie seit Jahren mit zähigkeit gefämpft hat.
wollen es getrost abwarten. Vielleicht ist es nur die Bürgerblod Pleite.
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Juristen mögen sich den Kopf darüber zerbrechen, inmieweit jener Kaufvertrag Geltung gewonnen hat. Die deutschnationale Partei hat nur zu 50 Prozent an dem Zustandetommen des Londoner Pattes mitgewirkt, also hat sie nach dem Berliner Batt wohl auch nur Anspruch auf 50 Prozent des Kaufpreises. Hergt, Westarp, Schlange Schöningen haben gegen das Eisenbahngefeß gestimmt, find also wohl auch nicht regierungsfähig geworden. Aber noch mehr, die Deutschynationalen haben sozusagen geschloffen" gegen alle Gesetze zur Ausführung des Londoner Vertrags geftimmt- bis auf das eine, zu dem gerade wegen der Zweidrittelmehrheit ihre Zustimmung erforderlich war. Als diese kritische Abstimmung vorüber war, erwachten auch wieder pünktlich die deutschnationale Ueberzeugungstreue und der deutsaynationale Mannesmut. Es war zum heulen schön, wie jest wieder alle Deutschynationalen tapfer gegen die weiteren Berstlavungsgesehe" stimmten, bei denen es auch ohne sie ging.
Auch gegen das Eisenbahngeset hatten die Deutschnationalen bei der Einzelabstimmung der dritten Lesung noch gefchloffen gestimmt, erst zwanzig Minuten später, bei der Schlußabstimmung, fiel die Hälfte von ihnen um.
Wenn die Volfspartei mun meint, solche Verdienste um den Staat müßten auch gebührend belohnt werden, so wird es, auch außerhalb der sozialdemokratischen Partei, Leute geben, die diese Meinung nicht teilen. Auch bei den Demokraten und einem Teil des Zentrums herrscht über das Schachergeschäft, das die Bolkspartei hinter ihrem Rücken abgeschlossen hat,
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Die
helle Entrüftung. Diese Entrüstung wird von allen anständigen Menschen geteilt werden.
Der Bürgerblock ist noch nicht fertig, aber mag er kommen, so wird er sehr bald mit einer fürchterlichen Pleite enden.
Als erste Morgengabe soll den umgefallenen Deutschnationalen heute die Zollvorlage entgegengebracht werden. Damit ist der innere Kampf, der Kampf um die Lastenverteilung, eröffnet, in dem die Sozialdemokratie ihren Mann stehen wird.
Am Ende des Bürgerblockerperiments steht der Zu= fammenbruch der bürgerlichen Politik in Deutschland , die Zersehung der Mittelparteien und ein neuer gewaltiger Aufstieg der deutschen Sozialdemo= fratie.
Auf die offene Feldschlacht der Reichstagswahlen hatte sich die ganze Partei gefreut, sie war von Kampfesfreude aufs tiefste erfüllt. Die Gelegenheit der großen Auseinandersetzung ist uns entgangen. Die Kampfesfreude wird uns erhalten bleiben. Der Tag der Abrechnung kommt, er wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Die deutsche Sozialdemokratie grüßt an diesem Tag, der den Zusammenbruch der nationalistischen Demagogie und ihren Anstrengungen um die Verständigung der Völker einen geschichtlich bedeutungsvollen Erfolg gebracht hat, die Sozialisten der anderen Länder, vor allem Frankreichs , Belgiens und England s. Sie wird als Hüterin der Bertragstreue weiter machen und sie wird nicht dulden, daß der deutsche Arbeiter von den Regierern des Bürgerblocks zum Baria und Lohndrücker der ganzen Welt gemacht wird. Kampf, Kampf und abermals Kampf!
Hergts großes Wunder.
Wie die Deutschnationalen ihren Idealismus verkaufen.
hat fünf Jahre lang auf Deutschland gelastet und das deutsche Voit hart an den Rand des Untergangs geführt. Das deutsche Volt ist ohne Rettung verloren, wenn es heute diesen Fluch von neuem auf sich lädt."
Sie haben für das zweite Bersailles gestimmt! Sie hätten in Weimar für das erste Bersailles in ähnlicher Situation gestimmt! Heute weiß man, was es mit der verlogenen Demagogie der Sünde wider den Geist nationaler Selbstbehauptung" auf sich hat.
Es gibt in der Geschichte der politischen Parteien aller| pflichtungen und der Fluch der Sünde wider den Geist Länder fein Beispiel für einen so schmachvollen Umfall, wie ihn die Deutschnationalen gestern vollzogen haben. Niemals ist ein so schändlicher Schacher mit Gesinnung betrieben worden, niemals hat eine so schamlose Preisgabe aller feierlichen Versicherungen, aller Grundlagen der Parteiauffassung stattgefunden. Die größte Heuchelei der Geschichte ist durch den deutschnationalen Umfall enthüllt. Diesen entlarpten Händlern und Schacherern muß ein Spiegel entgegengehalten werden! Wir halten ihnen entgegen, was sie bis in die letzten Tage hinein gesagt haben, damit die Deffentlichkeit das Maß Die Annahme der Dames- Geseze durch diesen Reichstag ihrer Heuchelei ermessen tann. Zunächst lassen wir die sogar durch diesen! ist rein fachlich gesehen, ein undeutschnationalen Urteile über das Gutachten nach seiner Vergeheurer Erfolg der sozialdemokratischen öffentlichung folgen: Politit. Die Sozialdemokratie hat vom ersten Tage an, zuerst in fast völliger Isolierung, für die Annahme und Durch= führung des Dawes- Plans gewirkt. Ja, die Annahme der zur Ausführung notwendigen Gesetze durch diesen Reichstag sogar durch diesen- ist ein unerhörter Triumph der sozialdemokratischen, auf Verständigung und Vertragserfüllung gerichteten Außenpolitt über die wüste De magogie der nationalistischen Phrase.
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Diese Demagogie liegt zerschmettert am Boden. Es ist aus mit der Partei, die sich fünf meltgeschichtliche Minuten lang rühmen durfte, die größte Deutschlands geworden zu sein; es ist aus mit der deutschnationalen Partei! Gleichgültig, ob fich die Partei heute noch spalten wird, wie manche wissen wollen, oder ob um die geplakte Tonne ein verrosteter Reif gelegt wird, es gibt kein ernst zu nehmendes politisches Gebilde mehr, das Deutschnafios nale Barfei heißt. Die Teile mögen versuchen, ob sie für sich lebensfähig sind, das Ganze ist politisch und moralisch unmöglich geworden, es ist eine Lächerlichkeit, eine Berächt lichkeit, ein schmuziger Trümmerhaufen und weiter nichts.
Für die Auffassung der Deutschen Volkspartei ist es tennzeichnend, daß nach ihr die Deutschnationalen in dem Augenblid regierungsfähig geworden seien, in dem sie fich in einer Weise, deren gleichen die Geschichte nicht kennt, öffentlich selbst geohrfeigt und prostituiert haben.
„ Heller Wahnsinn."
Im ganzen aber fann und muß schon heute mit allem Nachdruck gefagt werden, daß die Vorschläge der Sachverständigen wirtschaftliche Bumutungen an Deutschland stellen, die zum größten Teile heller Bahnsinn sind. Daß sie nicht einmal in einer Gesamtbegrenzung der Reparationen letztes Ziel und letzte Grenze zeigen, macht sie unter diesen Umständen noch unerträglicher. Wenn es deshalb in dem Schreiben des Generals Dawes heißt, die Zurückweisung dieser Bor fchläge durch Deutschland würde im Endergebnis das deutsche Volf in hoffnungsloses Elend verstriden, so können wir nur sagen: Ein grauenvolleres Eiend, als Deutschland durch die Zustimmung zu derart wahnwigigen Vorschlägen auf sich laden würde, ist nicht denkbar. Ihnen gegenüber tam es nur heißen: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!"
Herr Paul Baecker, der diese Zeilen in der ,, Deufschen Tageszeitung" vom 10. April schrieb, hat gestern für den Wahnsinn, für den Wahnwig gestimmt, er hat den Schrecken ohne Ende" dem Ende mit Schrecken" vorgezogen. Ein Held und wahrhafter Mann! Das zweite Bersailles."
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Unter dieser Ueberschrift schrieb am 18. April Helffe rich in der Deutschen Tageszeitung":
Die Deutsche Volkspartei hat den Deutschnationalen als ,, Aber auch die Berantwortung für die Annahme der ExpertenBreis für ihren Umfall schriftlich- den Kaufvertrag publi- vorschläge ist ebenso groß, wie es die Verantwortung gieren wir an anderer Stelle einige Ministerportefeuilles für die Unterzeichnung des Versailler Dittats im Reichsfabinett zugesagt. Ist das der Bürgerblod? Wir war. Der Fluch der Unterzeichnung unerfüllbarer Ber
Vor der Konferenz von London begannen die Deutschnationalen zu wechseln. Gleich nach den Wahlen gab Herr Hergt zu verstehen, daß sie sich ihre ,, nationale Gesinnung" abhandeln lassen möchten. Die deutschnationalen Wähler und Mitglieder wurden unruhig. Da bemühte sich Graf We starp, in der Kreuzzeitung " vom 12. Auguft ihnen zu versichern, daß die deutschnationale Politik klar und eindeutig sei:
,, Klarheit und Eindeutigkeit."
,, An der nötigen Klarheit und Eindeutigkeit der deutschnationalen Erklärungen hat es nicht gefehlt. Es kommt nun also auf die Glaubwürdigkeit an, die man ihnen beimißt, und auf den höheren oder geringeren Grab des Vertrauens in ihre Festigkeit."
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Die Glaubwürdigkeit deutschnationaler Erklärungen ist gleich Null das ist die Lehre von gestern! Am Ende der Londoner Konfereng begann nun ein müſt verlogener, hegerischer Kampf gegen das Ergebnis von
,, Kampf mit aller kraft."
„ Der Nährstand liegt am Boden, der Bucher - und Händlergeist triumphiert, und schon rüstet sich auch das internationale Kapital, fich auf dem Wege des sogenannten Dawes- Gutachtens an dem all. gemeinen Raub gegenüber dem landwirtschaftlichen Produktionsstand zu beteiligen. Deshalb kämpft das Landvolt ihm innewohnt."( Deutsche Tageszeitung" vom 12. Auguſt.) gegen das Dames Gutachten mit aller Kraft, die „ Das Schandgutachten."
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Bir lehnen es ab, durch Annahme des Dawes- Gutachtens zu Silaven der Feindstaaten zu werden, und verlangen Ablehnung des Shandgutachtens, in dem wir ein zweites, nog