Einzelbild herunterladen
 
Beilage zumVoMiirts" Berliner   Volksblatt. Ur. 86. Donnerstag, den 11. April 189S. 13. Jahrg. LoKsles. Eine der bekannten Zrestesfreuden ist unserm Kollegen P ö tz s ch vom christlichen Staat bereitet morde»' Er erhielt gestern vom Staatsanwalt die Aufforderung, spätestens am 13. d. M. im Redakteursheim Plötzensee die sechs Monate Ge- sängniß anzutreten, die ihn, von Richtern des Reiches der Gottesfurcht und frommen Sitte wegen Preßvergehen zudiktirt worden sind. Immer vorwärts im Kampfe! Staatsarbeiten. Die Erfahrung hat die Arbeiter schon seit langem darüber belehrt, daß bei den weitaus meisten der- jenigen Arbeiten, die der Staat durch Submittenten herstellen läßt, ein Lohn geboten wird, der hinter dem Durchschnitt dessen. was die Mehrzahl der reellen Unternehmer zahlt, in sehr scheuer Entfernung zurückbleibt. Es paßt die.? ja auch recht gut zu den auf Maßregelung sozialdemokratischer Arbeiter abzielenden und anderen, die Erbitterung der Massen maßlos steigernden Maxime». Ein recht drastischer Fall von Lohn- Herabsetzung ereignete sich vorgestern in einem für den Militär- siskus arbeitenden Geschäft. Die Firma Simon u. Ko. in der Heidestraße fertigt zur Feit Militärbaracken in großen Mengen an. Bereits zu Beginn dieser Arbeiten wurde der Lohn dafür gegen früher um ein Viertel herabgesetzt, ohne daß die Arbeiter leider dagegen Stellung genommen hätten. Da der Koup das erste Mal so trefflich geglückt war. so plante die Geschäfts- leitung vor einigen Tagen, wahrscheinlich zur höhere» Weihe des heiligen Osterfestes wiederum eine Lohnherabsetzung. Als Vorspiel zu dieser Maßregel mußten die Zimmerer drei Tage aussetzen und als sie am Morgen des vierten Tages wieder an- traten, wurde ihnen rund und nett die weitere Lohnreduklion zur gefälligen Kenntnißnahme vorgelegt. Zum Glück hatte die sLaats- erhaltende Firma diesmal die Rechnung ohne die in betracht kommenden Arbeiter gemacht, die sich, wie es ihre Pflicht er- heischte, energisch weigerten, die Arbeit zu Hungerlöhnen wieder auf. zunehme». Dieser pflichtbewußte Widerstand mußte aber doch wohl imponirt haben, denn dieFirma ließ nach einstündlichcmKampfe zum Rückzüge blasen und erklärte, von ihrem menschenfreundlichen Vorhaben vor der Hand absehen zu wollen. Immerhin war aber aus den dunklen Andeutungen des Meisters zu entnehmen. daß den Uebelthätern zu gelegener Zeit ihre Strafe zugedacht ist. Doch stehen die Zimmerer in dem gedachten Geschäft jetzt stramm organisirt da und sehen dem drohenden Unheil mit Gemüthsruhe entgegen. Fälle wie diese sind vortrefflich geeignet, auch den mittelbar oder unmittelbar für den Staat arbeitenden Proletariern die Augen darüber zu öffnen, daß es die Pflicht aller ehrenhaften Arbeiter ist. den Streichen ihrer Feinde in stramm geschlossener Organisation zu begegnen. Praktische Sozialpolitik im Gegenlvartsstaat. Die Kolonie Grunewald   wird zur Zeit kanalisirt. Die Schachter. welche bei angestrengtester Arbeit pro Tag etwa 2,S0 M. bis 3 M. verdienen, forderten vorige Woche eine ge- ringe Erhöhung des Lohnsatzes. Sie wurden aber von dem Vertreter des Unternehmers Fiebig in Berlin   mit dem Be- deuten abgewiesen, daß eine einzige Postkarte ge» n üge, unr aus Oberschlesien   hunderte Arbeiter kommen zu lassen. So begegnet man im Zeitalter der patenttrten Sozialreform den Arbeitern, die das vermessene Ver­langen tragen, sich und ihre Familie ein wenig besser wie die Hunde zu nähren. Hungerlöhne und Umsturzparagraphen sind za das modernste Rezept zur Heilung der sozialen Schäden. Die Arbeiten zur Fundamentirung des Millionendenkmals für den seligen Heldengreis haben eingestellt werden müssen, da das Wasser im Schleusenkanal gefahrdrohend gestiegen ist; die auf verankerten Flößen stehenden Lokomobilen sind unter Wasser gesetzt und es wird längere Zeit dauern, ehe die Arbeiten auf der Wasserseite wieder aufgenommen werden können. Ob der Patriotismus es zuläßt, daß die Arbeiter, welche nunmehr feiern müffen, für die unfreiwillige und zum Feste doppell fühl- bare Arbeitsruhe entschädigt werden? Eine Antwort aus diese Frage wäre erwünscht. Wie sich das Wohlwollen deS Staates alte» Sub- alternbeamten gegenüber äußert. Die Umgestaltung der Kassen im Bereich der Verwaltung der direkten Steuern hat hauptsächlich für die in Berlin   angestellten Steuererheber harte Folgen gehabt. Diese Beamten sind mit einem Gehalt von 1500 Mark angestellt und steigen durch Einführung der Dieustaltersstufen in einundzwanzig Jahren auf baare 210v Mark. Außerdem hatten diese Beamten eine Kaution von 3000 Mark zu stellen und, da sie durchschnittlich wöchentlich 3040 000 M. in ihrer Wohnung aufzubewahren hatten, so gehörten diese Stellen zu den vertrauensvollsten im Reiche. Durch die Umgestaltung der Kassen sind diese Stellen nunmehr überflüssig geworden und die Beamten in eine traurige Lage gerathen. Dreien derselben ist einfach gekündigt, sieben andere, welche durchschnittlich eine 22 bis 2Sj ährige Dienstzeit hinter sich haben, sind als Gefangenenaufseher und Gerichtsdiener in die östlichen Provinzen versetzt worden. Als solche beziehen sie das höchste Gehalt von 1500 M. und haben eine Steigerung nicht zu erwarten. Daß sie außerdem durch ihre Versetzung von Berlin   hart betroffen werden, ist selbstverständlich. Wie stimmt dies Verfahren überein mit den Auslassungen des Finanzministers Dr. Miquel, welcher bei Berathung des Gesetzes im Landtage ausdrücklich erklärte, daß im großen ganzen diese Beamten auf das wohlwollend ste behandelt werden würden, daß sie nicht nur keine inateriellen Verluste erleiden, sondern für ihre Zukunft noch sicherer gestellt werden würden? Ob dem Fiskus nicht manchmal der Gedanke konimt, daß es den mensch» lichen Fähigkeiten etwas viel zumuthen heißt, bei solcher BeHand- lung nochstaatstreu" zu bleiben? An der hiesigen städtischen Webeschule, Markusstr. 49, werden von Sonntag, 21. d. M. an, jeden Sonntag von 9 bis II Uhr. Vorträge über Färberei mit Demonstrationen gehalten werden. Meldungen zur Theilnahme sind vorher in der Schule beim Direktor der Anstalt anzubringen. Das Honorar beträgt für das Halbjahr 6 M. A»S derGesellschaft". Herr v. Kotze soll nach einem Bericht desBerl. Tageblatts" von der bekannten gegen ihn er- hobenen Anklage freigesprochen worden sein. Es wird nicht gemeldet, ob es nun noch zu den vor einiger Zeit von den Blättern in dieser Affäre angekündigten Ehrenrettungs-Prügeleien kommen wird. Von einem Raubmorde wird anS unserm Nachbarorte Wcißensee berichtet: In dem Hause Scdanstraße 33 E wohnte in der zweite» Etage die 3Kjährige Näherin Tatmeyer, eine durchaus unbescholtene Person, welche im Hause arbeitete und sich ihren Lebensunterhalt durch angestrengte Thätigkeit verdiente. Die Wohnung bestand aus Stube und Küche; die Stube selbst war an zwei Schlafburschen vermiethet, deren einer der 28jährige Strumpfwirker Geringer ist. Beide Schlafburschen begaben sich am Dienstag Morgen zur Arbeit, ohne ihrer Wirthin. die in der Küche wohnte, wie sonst stets guten Morgen gewünscht zu haben. Auch den Haus- bewohnern fiel es nicht sonderlich aus, daß Frl. T. sich im Laufe des gestrigen Tages nicht sehen ließ, da die Näherin als eine sehr stille Person bekannt war. welche Hausfreundschaften nicht liebte und Gesprächen mit Nachbaren geflissentlich aus dem Wege ging. Am Dienstag Abend kam der zweite Schlafbursche, der achtzehnjährige Tachrau nach Hause und klopfte an der Küchen- thür, um seiner Wirthin etwas mitzutheilen. Es wurde ihm aber von Fräulein T. nicht geöffnet und T. begab sich nun nach seiner Stube, wo er den Schlafburschen Geringer noch nicht an- traf. Der junge Mann legte sich, ohne etwas Schlimmes zu ahnen. zu Bett, war aber am Mittwoch Morgen sehr erstaunt, als sein Kollege noch immer nicht anwesend. Wiederum klopfte er gegen> Vz8 Uhr an die Küchenthür, und als ihm nun noch nichl geöffnet wurde, drückte er die Klinke der unverschlossenen Thür auf. Dem Eintretenden bot sich ein entsetzlicher An- blick dar; im Bett lag halb entkleidet Frl. Tatmeyer todt mit entstellten Zügen. Um den Hals war eine.blaue Küchenschürze geschlungen, das Gesicht war mit den Enden der Schürze bedeckt. Der Raum selbst bot den Anblick eines Kampfes, der zwischen dem Mörder und seinem Opfer geherrscht haben muß. Mehrere Stühle lagen am Boden, Kleidungsstücke waren aus dem Schrank Herausgeriffen und dieser selbst war heftig durchwühlt. Der Schlafbursche alarmirte nun die Hausbewohner und die Polizei, es wurde sofort ein Arzt (Dr. Kochmann) geholt, welcher den bereits gestern Vormittag eingetretenen Tod durch Erdrosseln feststellte. Naturgemäß fiel der Verdacht der Thäterschaft auf den Strumpfwirker Geringer, der die Nacht über nicht nach Hause gekommen war. umsomehr als die Arbeitsstelle des Mannes, die Strumpfstrickerei von Lehmann, nur wenige Minuten von der Sedanstraße abgelegen ist. Der Verdacht bestärkte sich noch mehr, als Tuchrau bei einer Revision seines Schrankes fand, daß ihm sämmtliche Wäsche, seine beiden Anzüge, sein erspartes Geld, alles in allem über 100 M. gestohlen worden waren. Dazu kam noch. daß Geringer am heutigen Morgen nicht mehr zur Arbeit erschienen war. Nach dem Ausspruch des Dr. Kochmann scheint dem Morde ein Sittlichkeitsverbreche», verübt an der Tatmeyer, voraus- gegangen zu sein, doch dürste darüber erst die gerichtliche Ob- duktion näheres ergeben. Geringer, der seit 7 Monaten in Schlafstelle bei der T. wohnte, und in Weißensee als ein fleißiger, solider Arbeiter bekannt war, ist mit 6 Jahren Zuchthaus vorbestraft; er ist etwa 1,58 Meter groß, breitschultrig, untersetzt, hat schwarzen Schnurrbart und schwarze Haare. Wahrscheinlich hat sich der Mörder nach verübter That nach Berlin   geflüchtet. Die Staatsanwaltschaft des kgl. Landgerichts II, sowie die Berliner   Kriminalpolizei wurden telephonisch von dem Morde verständigt. Zu dem Morde wird des weiteren berichtet, daß die An- nahine, es handele sich um einen Lustmord, immer mehr schwindet. Geringer, der am Sonnabend und auch am Sonntag Abend gegen 12 Uhr in seine Schlafstelle zurückkehrte, hatte bei der Tatmeyer 12 M. Schulden. Die letztere war nun selbst in Geldverlegenheit und hat zu dem Lackirer Dubeau geäußert, daß sie sich oft nur von Schrippen ernähre. Am Sonnabend hatte sie sich von der Hanswirthin 3 Mark geliehen und ain Abend noch 3,25 Mark von Dubeau ver- einnahmt. Von diesem Gelde hat sie bis Dienstag gelebt, sodaß nicht viel davon übrig geblieben sein dürfte. Aermuthlich hat nun die Tatmeyer den Mörder aufgefordert, seine Schulden bei ihr zu bezahlen. Dabei mag es zu einem Wortwechsel gekommen sein, und Geringer hat sich auf seine Wirthin gestürzt, während sie in der Kabuse mit dem Aufhängen von Wäsche beschäftigt war. Um den Verdacht von sich abzulenken und die That als Lustmord darzustellen, hat er seinem Opfer die Kleider aufgeschnitten. Ein Lustmord erscheint aber nach einem späteren Befund ausgeschlossen. Nach der That hat der Mörder die Wäsche gewechselt, von einem Brot gegessen, dann den Koffer seines Schlasgenossen erbrochen und gegen 10 Uhr, wie ein Kind bemerkt hat, mit einem Packet, das die gestohlenen Sachen ent- hielt, das Haus verlassen. Geringer hat seit etwa drei Wochen nicht gearbeitet, wie er dem Lackirer Dubeau selbst mitgetheilt hat. Dies wird auch durch eine Post- karte bestätigt, aus den sein in Berlin   wohnender Arbeitgeber ihn aufgefordert hat. die Beschäftigung wieder auf- zunehmen, widrigenfalls seine Stelle anderweit besetzt werde. Eine Gerichtskommission erschien am Mittwoch Nachmittag um 3 Uhr an Ort und Stelle, um den Befund aufzunehmen. Später wurde die Leiche der Ermordeten nach der Halle des Friedhofes übergeführt. Ueber den Verbleib des Mörders war auch bis Mittwoch Nachmittag nichts bekannt. Einen nichtswürdigen Streich vollführten am Dienstag Abend gegen 3/47 Uhr mehrere halbwüchsige Burschen, welche aus Arbeiter- Wochenkarten einen Südringzug benutzten. Auf der Strecke zwischen Schlcsischer Bahnhof und Jannowitzbrücke warfen sie einen brennenden Feuerwerkskörper, einen sogenannten Frosch, über die Scheidewand zum Nachbarkoupee hinüber, in welchem sich mehrere Damen befanden, die durch die sprühenden Feuer- funken natürlich in große Aufregung versetzt wurden, während die Thäter sich köstlich amüsirten. DieSpaßvögel" wurden aus Station Jannowitzbrücke festgenommen und ihre Personalien auf der nächstbelegenen Polizeiwache festgestellt. Berliner   Ausstellung 1896. In der gestrigen Sitzung des geschästssührenden Ausschuffes wurde beschlossen, die elektrische Beleuchtung in sämmtlichen Jndustriehallen der Ausstellung zum Zwecke des Offenhaltens au den späteren Abendstunden ein- zuführen. TaS Kuratorium der Berliner   Uufallstationen schreibt uns: In betreff Ihrer Notiz in der Nummer 84, betreffend unsere Unfallstation V, Brüderstr. 33. beehren wir uns Ihnen mitzutheilen, daß der Vorfall sich nicht auf einen unserer Aerzte, sondern auf einen Arzt, der nicht unter unserer Verwaltung stehenden Sanitätswache bezieht. Im Einvernehmen mit dem Vorstande der Sanitätswache sind Vorkehrungen getroffen worden, um derartige Vorkommnisse für die Zukunft zu ver- meiden. Wir sind selbstverständlich jederzeit für Anregungen seitens der Presse dankbar und werden ihnen stets so weit als möglich Folge geben. Aufsehen erregt eine Verhaftung, die in Charlottenburg  vorgenommen worden ist. Sie betrifft die Gattin des Landwehr- Hauptmanns R.. die aus grund einer Anzeige infolge Anweisung der Staatsanwaltschaft zu Halberstadt   von der Polizei fest- genommen wurde und auch bereits nach Halberstadt   überführt worden ist. Ueber den Thalbestand wird strenges Stillschweigen beobachtet; doch ist bereits so viel i» die Oeffenllichkeit gedrungen. daß Frau R. in Thale   am Harz   ein fremdes Kind für ihr eigenes ausgegeben haben soll. Andererseits heißt es, daß es sich um die Unterschiebung eines illegitimen Kindes handele. Da an- genommen wurde, daß auf die Sache bezügliche Schriftstücke in der Wohnung des Ehepaares vorhanden sein könnten, so wurde daselbst eine polizeiliche Durchsuchung vorgenommen. Diese hat aber zu keinem positiven Ergebnis geführt. Als Rechtsbeistand ist von der Familie R. ein in Berlin   sehr bekannter Anwalt angenommen worden. Man neigt der Annahme zu, daß die Angelegenheit in nichts zerfallen werde. Theodor Lebrun  , der frühere Direktor des Wallnertheaters ist am Dienstag in Hirschberg gestorben. Ein Ramschwaarenhändler hatte in der Brunnenstraße ein Geschäft eröffnet und sich ein großes Reklame-Ficmenschild an das Haus malen lassen. Als die Maler Bezahlung ver- langten, wurden sie hinausgeworfen. Nun hat der Farbenkünstler auf eigene Faust das Schild mit Regenbogenfarben übertüncht und am Dienstag früh war anstatt der Firma darauf in Lapidar- schrift zu lesen:Wegen Nichtbezahlung noch I X gestrichen!" Von Hunden wurde am Mittwoch zu ganz früher Morgen» stunde der 47 Jahre alte wohnungslose Drahtbinder Albert Hillen zerfleischt. Er hatte sich an einem Lagerplatze in der Trift- straße zum Schlafen niedergelegt. Die Wächter jenes Ortes drei große und ein kleiner Hund witterten seine Nähe, stürzten sich auf den Schlafenden und zerrissen ihm namentlich das rechte Bein. Zwei Kutscher von Straßenkehrmaschinen wurden auf den Vorgang aufmerksam und gingen mit ihren Peitschen auf die wüthenden Bestien los. Dadurch wurde Hillen gerettet; indeß hat er so gefährliche Wunden erlitten, daß er nach einem Kranken- hause gebracht werden mußte. Warum hat der unvorsichtige Drahtbinder sich auch nicht im Hütel de Rome einquartirt! Festgenommen ist ein Arzt in Moabit   auf Veranlassung eines auswärtigen Staatsanwalts wegen Vergehens gegen§ 278 des Strafgesetzbuchs(Ausstellung falscher Atteste.) Vor dem Betrete« der Hasenhaide und des Tempel- hofer Exerzierplatzes warnt der Polizeipräsident von wegen der etwa aus den Schießständen abirrenden Geschosse. Schon längst hätte die Schießerei in einer menschenleereren Gegend verrichtet werden sollen. Einen Vergiftungsversuch hat eine Krankenpflegerin S., bei der eine Durchsuchung nach Mitteln gegen das keimende Leben vorgenommen wurde, während dieser Zeit unternommen. Sie nahm eine Sublimatlösung zu sich, wurde aber noch lebend nach einem Krankenhause gebracht. Polizeibericht. Am 9. d.M. morgens wurde in der Hasen- Haide, in der Nähe der alten Pionier- Wache, ein Mann mit zwei Schußwunden im Kopfe todt aufgefunden. Er hat sich offenbar selbst getödtet. Auf einem Grundstück in der Müller- straße wurde Vormittags ein obdachloser Mann mit schweren Bißwunden am ganzen Körper ausgefunden und nach der Charitee gebracht. Seiner Angade nach ist er auf einem benachbarten Grundstücke, wo er nächtigen wollte, von den Wachthunden an- gefallen worden. Vormittags wurde ein Tischler in einein Schuppen eines Grundstücks in der Zeughosstraße und nachmittags ein Schlächter auf dem Boden eines Hauses in der Posenerstraße erhängt vorgefunden. In der Artilleriestraße gerieth nach- mittags ein siebenjähriger Knabe unter die Räder einer Droschke und erlitt einen Rippenbruch. Im Laufe des Tages fanden fünf Brände statt. WitternngSübersicht vom 1«. April 189Z. Wetter-Prognose für Tonnerstag» 11. April 189S. Warmes, vielfach heiteres, zeitweise wolkiges Wetter mit etwas Regen und mäßigen südwestlichen Winden. Berliner   Wetterbureau. Ttzecllev. Tas Tchiller-Thcater hatte sich gestern des seligen Roderich B e n e d i xZärtliche Verwandten" zu Gaste geladen. Dies Stück ist nebst den andern Werken des fruchtbaren Mannes gar oft von oben herab getadelt worden, und vor der Kritik strenger Kunstrichter mögen Benedix' Werke gewiß einen sauren Stand haben. Wenn man sich aber das Elend betrachtet, das in den zwanzig Jahren nach dieses Mannes Tode über den Geschäfts- zweig hereingebrochen ist, der sich deutsche Possen- und Lustspieldichtung nennt, so ergiebt sich, daß Roderich immer noch auf respektabler Höhe stand. Es ist doch kein ganz baarer Unsinn, der von ihm sabrizirt wurde, und seine Schöpfungen waren doch immer von irgend einem Gedanken getragen, mochte dieser Gedanke auch noch so philiströs und ledern sein. Es war vorauszusehen, daß Benedix das klein- bürgerliche Publikum des Schillertheaters in Entzücken versetzen würde. Die Mühe, die sich die Künstler gaben, das derb outrirt gehaltene Spiel, und das angenehme Behagen im Publikum, von der ersten Szene an zu wissen, wie der Hase läuft, verschafften dem Lustspiel einen fast unbändigen Erfolg. DenZärtlichen Verwandten" folgt eine einaktige Kommiß- schnurreEinStrasrapport" genannt. Ein säbelrasselnder Hauptmann randalirt mit heiserem Gebrülle gegen die ungeputzten Knöpfe eines Einjährig-Freiwilligen. Anfangs dachten wir, daß das Stück in vermessener Weise den modernen Militarismus persifliren sollte; da das Gebrülle aber in das Jawort zu einer Verlobung zwischen dem Einjährigen und der von Fräulein Levermann brav gespielten Hauptmannstochter aus- klang, so wurden wir gewahr, daß der ganze Lärm ernst genieint sei. Wie es dem Stück möglich war, das Schiller-Theater heim- zusuchen, bleibt uns unklar. Freilich ist dieselbe Frage auch den Zärtlichen Verwandten" gegenüber am Platz. GerWzks�Beitung. Prozeß Labaschin und Genossen.(Letzter Tag der Ver- Handlungen.) Nach Eröffnung der Sitzung durch den Vorsitzenden Laudgerichtsrath Braun um 2 Uhr Nachmittag erbittet sich Staatsanwalt Strähler das Wort zu einer kurzen Be- richtigung: Bei den in seinein Plaidoyer enthaltenen Be- merkungen über den Sachverständigen Oliven habe insofern ein Jrrthum obgewaltet, als angenommen wurde, daß der Zeitungsbericht, durch welchen sich Herr Oliven nach seiner Meinung in Widerspruch mit den Anschauungen der bisher in den Wucherprozessen ergangegcnen Urtheile setzte, während der jetzt abgeurtheilten Strafsache erschienen sei. Das sei aber ein Jrrthum. Der betr. Artikel des Herrn Oliven sei bereits am 19. Januar erschienen, d. h. vor Erhebung der Anklage in dieser Sache. Der erhobene Vonvurf, daß er in einer Strafsache, in welcher er als Sachverständiger ein Gutachten abzugeben hatte,