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Nr. 87.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage ,, Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30mt. proQuartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3Mt. pr.Monat. Eingetr. in der Post Beitungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7198.

Vorwärts

12. Jahrg.

Enfertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Versammlungs- Anzeigen 20 Pig. Inserate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: " Sozialdemokrat Berlin !

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Von der Aera Nikolaus II.

Aus Rußland wird uns geschrieben:

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Freitag, den 12. April 1895.

Expedition: SW. 19, Benth- Straße 3.

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und Boditschew, die den Lesern bereits bekannte Petition| hafte Ausweisungen und Ausschließungen von Studenten zu mit 45 gegen 11 Stimmen durchzusetzen und unter verzeichnen, die einerseits durch die Studentenunruhen in einem wahren Beifallssturm den Beschluß zu fassen, diese Moskau und Petersburg , andererseits durch Nichtentrichtung Es ist geradezu wunderbar, daß die arme russische Adresse sofort durch den Minister des Junern dem Zaren von Kollegiengeldern zu erklären sind. Gesellschaft noch die Fähigkeit befigt, ihre klägliche politische zu unterbreiten. Bald darauf erhielt der Gouverneur von Im Gegensatz zu der anfänglich behaupteten Toleranz Lage durch allerlei Märchen und Dichtungen zu bemänteln. Twer vom Minister eine Buschrift, wonach auf allerhöchsten gegen die jüdischen Mitbürger ist zu konstatiren, daß neue Nach der berühmten Rede des Baren vom 17. Januar Befehl die Herren Boditschen und Golowatschow aus der Beschränkungen für Juden Platz gegriffen haben, die sich müßte wahrhaftig jede Spur von den verschiedenen Er- Deputation der Semstwo ausgeschlossen werden mußten. auf die Aufenthalts Erlaubniß und die Zulassung zum zählungen über den Liberalismus und selbst den Radikalismus und am 19. Januar wurde derselben Semstwo mitgetheilt, Studium beziehen; sogar die Hebammen- Kurse und Aehn­des jungen Väterchens, über die bevorstehende Entlassung daß der Zar auf ihrer Adresse die Anmerkung zu machen liches sind diesen Beschränkungen unterworfen worden. des Torquemado- Pobedonoszew, über die Berufung der Herrn geruht habe: Drei Professoren Besobrasow, Jwanow und Milukow Bunge und Miljutia und noch mehrerer anderer in alle" Wir sind sehr verwundert und entrüstet über das un- find vom Katheder der Universität Moskau und ihren Winde geweht sein. Es trat in der That eine Periode ein, anständige Benehmen der 45 Mitglieder der Semstwo von Gymnasialstellungen entfernt worden, weil sie das furcht­wo von seiten jener Elemente, die der Illusion nicht mehr Twer ." bare Verbrechen begangen hatten, in Nischnij- Nowgorod fähig find, mit dem Offenen Briefe an Nikolaus II. " Das war der Ton, der in der Musik der neuen öffentliche Vorlesungen abzuhalten. Daß diese Vorlesungen und ähnlichen Proklamationen geantwortet wurde, während Reaktions- Aera angegeben wurde. Die Thaten der neuen von dem dortigen Gouverneur vorher erlaubt worden waren, andere, die ihren eigenen Kräften nicht mehr vertrauen und Regierung würden schon einen sehr respektablen Band aus- hinderte freilich nicht denselben Satrapen sie nachher eine Abhilfe von außen erwarten, der Verzweiflung ver- füllen und dieser Band würde eine treffliche Belehrung für für umstürzlerisch zu erklären. Hatte der Professor fallen find. Die ersten Augenblicke der Ueberraschung die kommende Generation sein. Wir unsererseits wollen Besobrasow doch sogar die Kühnheit" gehabt, einen Vor­waren vorübergegangen und man ging wieder daran, nur einige charakteristische Proben von dem Treiben der trag über die Frauenfrage zu halten. die Legende von dem Liberalismus des Zaren aufzufrischen. Reaktion in den letzten vier Monaten anführen. Der Minister des Innern, Durnowo , dem u. a. auch die Man wollte wissen, daß Nikolaus II. seine geistreiche Rede Als Nachspiel der Aera Alexander III. ist unter Post unterſtellt ist, hat eine Reihe von Birkularen an die nur unter dem furchtbaren Druck der alten Hofpartei ge- anderem ein Fall zu verzeichnen, der mit den Sammlungen Postbehörde gerichtet, die höchst charakteristisch für den russischen halten habe, daß Pobedonoszew bei dieser Gelegenheit die zu gunsten eines Denkmals für den verstorbenen Zaren zu Liberalismus sind. Zuerst wird die Aufmerksamkeit Schatten des verstorbenen Waters beschworen, daß die sammenhängt. Die ländlichen Behörden suchen unter dem der Postbeamten auf die Briefe aus London gelenkt, wegen Kaiserin- Mutter geweint und sogar vor dem Sohne auf Vorwande, freiwillige Sammlungen zu erheben, die Bauern der dort wohnenden Emigranten; der zweite Erlaß bezieht den Knien gelegen habe, damit der junge Bar geradezu zu berauben; und wenn jemand sich sträubt, so schlägt sich auf die Briefe aus Genf und Zürich ; der dritte auf die Abordnungen nach bester Manier abthue. Einige man ihm einfach ins Gesicht. die Korrespondenz aus Bern ; der vierte auf die aus Wien Mitglieder der Deputationen sollen selbst behauptet Jm Gouvernement Orenburg in der Umgebung der und anderen verdächtigen Städten"; wobei hauptsächlich haben, fie hätten mit eigenen Augen" gesehen, Stadt Tscheljabinsk sind allerdings zwei Sammler( Samsky auf gelbe und grüne Kouverts Aufmerksamkeit zu ein­wie die Hände des Baren gezittert, das Manuskript Natschalniki) ihrer patriotischen Thätigkeit zum Opfer ge- richten ist. verdächtige Brief der Rebe in den Fingern des Baren geschwankt und Thränen fallen, indem sie von den mißhandelten Bauern kurzer Hand geschrieben" sein, so empfehlen die Zirkulare den durch die Stimme des Zaren hindurchgeklungen hätten. hingerichtet wurden. Adressaten auf das Postbureau zu laden und unter Man behauptete ferner, daß der Zar beinahe zusammen Auf dem Gebiete der Politik wollen die Verhaftungen dem Vorwande, daß der Brief vermuthlich Geld enthalte, gebrochen wäre und den Saal verlassen hätte, noch ehe die gar nicht aufhören. Dabei erwähnen wir jedoch nur die ihn dort von dem Adressaten eröffnen zu lassen. Wenn in Rede zu Ende war. Die junge Raiserin hätte angeblich Fälle von Verhaftungen, die am schwierigsten publik werden, dem Briefe dann wirklich etwas Gedrucktes ermittelt ist, dem empörenden Schauspiel gar nicht beiwohnen wollen und nämlich die Verhaftungen im Militär. Es sind u. a. in so ist die Drucksache zu beschlagnahmen und sofort der sei deshalb nicht erschienen, die Abordnungen zu empfangen, den letzten Monaten verhaftet worden: der Offizier Gendarmerieverwaltung zu übergeben. Wenn einfache Briefe und so weiter. Gusew aus Kowno , zwei Offiziere aus Grodno , der Verdacht erregen, so ist der Brief ohne jede Zeremonie zit Nun verkündet aber allen diesen Legenden zum Troß eine dem 102. Petrosawodsky Regiment, der erbrechen und die eventuelle Einlage zu vernichten. Anfangs der offizielle Bericht, daß Nikolaus II. mit fester und lauter andere aus dem 101. Germsky Regiment. Der Staats- dieses Jahres ist sodann ein neues Birkular erlassen worden, Stimme" seine Rede gehalten habe, und aus ganz authen- tapitän Saizew aus Beloserst ist wegen Betheiligung an das die ganze Privatkorrespondenz der unumschränkten tischen Quellen ist andererseits bekannt geworden, daß die einer geheimen politischen Gesellschaft zu 15 Jahren Willkür preisgiebt. Endlich ist ein ganz geheimes" Birkular entrüstete" Kaiserin im Nachbarsaale die soeben beschimpften Zwangsarbeit verurtheilt worden. In Wilna ist Fähndrich erlassen worden, das dem Postmeister vorschreibt, bei Geld­Abordnungen zusammen mit ihrem Gemahl empfangen habe. Michailowsky sammt's Arbeitern zu 6 Monaten Gefängniß sendungen nach dem Ausland, die 300 Rubel übersteigen, Und selbst wenn die entgegengesetzten Behauptungen verurtheilt worden. ,, unbemerkt vor dem Absender und den niederen Be­wahr wären, was hätte man dann auch von einem solchen Auf dem Gebiete der religiösen Toleranz" ist zu be- amten, auf einem besonderen Blatt Papier , wenn auch einem Bleistift, die besonderen Kennzeichen willenlosen, kraftlosen und zur Despotie verurtheilten" merken, daß die Verfolgungen der Stundistenfekte fort nur mit Absenders zu notiren, und an demselben während im Zunehmen begriffen sind. Allein im Gouvernement des Väterchen gutes zu erwarten? Inzwischen sind die Einzelheiten des harten Kampfes Kiew zählen die Dörfer nach hunderten, in denen den Tage noch diese Liste sofort an die Gendarmerie- Ver­bekannt geworden, die sich bei den Verhandlungen in den Stundisten ihr Gottesdienst und die Errichtung von Bet- waltung und an den Gouverneur, in den Provinzen an den Semstwo: Versammlungen über die Abfassung der Adressen stuben verboten ist. Und wenn man bedenkt, daß die be- Ispravnik, zu übersenden". Und nun das gelobte Reich der Presse! Da ist es an den Baren abgespielt haben. Die Semstwo des Gouverne- züglichen Verfügungen geheim sind und nur dem Popen und ments Twer hat bei dieser Gelegenheit wie auch in anderen der Polizei bekannt werden, so wird man eine Vorstellung wieder der Herr Durnowo , der allmächtige, den die Lor­Fällen mit besonderer Entschiedenheit gehandelt, und es ist davon bekommen, wie sie gehandhabt werden. beeren Ihres Herrn v. Köller nicht ruhen lassen oder ihr gelungen, unter Führung der Staatsräthe Golowatschow Auf dem Gebiet der Voltsaufklärung sind massen- umgekehrt? Zuerst wollen wir der Drangsalirungen der

Feuilleton.

( Nachdruck verboten.]

Zu Tode gehet!

Eine Erzählung nach dem Leben von Franz Held.

VII.

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aus

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Kendelmann als Zwangsverwalter hatte alles in Grund und Boden hineingewirthschaftet. Die Aecker waren nicht bestellt, das Vieh im höchsten Grade vernachlässigt. Bon Wiederaufbau der Wirthschaftsgebäude keine Rede, des Wohnhauses ganz zu gefchweigen! Unter diesen Umständen sah Schwarz ein, daß die Wiederaufnahme der Wirthschaft doch nicht die Gelder verlohnen würde, die er hätte hinein­stecken müssen, um alles wieder in regelrechten Gang zu bringen, denn es war so gut wie keine Ernte zu erwarten.

Gottlob hatte er dem Kendelmann die Zinsen noch nicht bezahlt! Er brauchte also wenigstens für das nächste Vierteljahr außer Sorge zu sein für seine Familie.

,, Sie hat mir jedes Butterbrot vorgerechnet, Frik!" flagte Frau Schwarz bald nach dem Wiedersehen ihrem Mann. Nun sie schwimmen selbst nicht im Ueber­fluß!" suchte der zu begütigen. Annchen war ganz verschüchtert. Ihre 10-15jährigen Vettern und Basen hatten sie's beim Spielen beständig merken lassen, daß sie einen Verbrecher zum Vater habe. Sie ging Bei feinem Bruder Karl, einem in kleinen Verhältnissen übrigens wie in wachem Traume herum. Der Gedanke an lebenden Landwirth , der wenig mehr als den eigenen einen postlagernden Brief, den ihr Karl ihr geschickt hatte, Familienbedarf erzeugte, fand Schwarz statt der erwarteten ließ sie alles um sich vergessen, alle Demüthigungen mit Theilnahme nur fühles Achselzucken. Karl war ein gut einem Lächeln hinnehmen. Ihr Karl schrieb ihr ja, daß er Die Staatsanwaltschaft hatte seine Meineids- Denun­müthiger, aber beschränkter und engherziger Mensch. Er die Anfangsbuchstaben ihrer beiden Vornamen in einen hatte auf Friz, den er eigentlich sehr gut leiden konnte, großen Ahornbaum, der im Schulgarten stand, eingeschnitten ziation gegen Rendelmann nicht berücksichtigt, weil aus den Strafakten nichts Belastendes gegen den Inkulpaten in letzter Zeit eine geheime Wuth gefaßt, weil die Leute habe!- so viel und meist hämisch Ungünstiges über seinen Fall Als die Zustände im Hause des Schwagers ganz uner- hervorgehe." Den lieben Nachbarn würde er also, wenn sprachen. trägliche geworden waren für den Besuch, schickte zum er da bliebe, immerzu in der Flanke sigen haben! Weil er jeden Augenblick neue Niederträchtigkeiten von Nun freilich, Du bist freigesprochen. Aber-es bleibt größten Glück der Vater von Fritzen's Frau eine Summe, doch immer etwas hängen!" die er mit äußerster Kraftauspannung zusammengebracht beffen Seite befürchten mußte, entschloß er sich, dem uner Ganz, wie der Sezer gesagt hatte! hatte. Es war genug, berechnete Schwarz, um die fälligen bittlichen Feinde den Willen zu thun und sein Bündel zu Auch that Karl's Frau ihr möglichstes, die natürliche Binsen zu bezahlen und einige Monate zu wirthschaften. schnüren ehe es wirklich zu einem blutigen Zusammens Bruderliebe in ihrem Mann zu ertödten. Sie hatte längst Wenn die Erute( man stand im Spätsommer) etwas verstoße fäme. Denn manchmal, wenn all' das Erlittene jäh in auf ihren Schwager eine starke Eifersucht gefaßt, weil ihr spräche, würde er vielleicht die Subhastation vermeiden und ihm aufwallte, fühlte er sich kaum noch seiner selbst mächtig. Mann so häufig von ihm sprach und ihn überhaupt offen- das Gut halten können! bar gut leiden mochte. Dann verdroß es sie auch sehr Er umarmte und küßte seine Frau wie närrisch in der ( und ihren Mann ebenfalls!), daß der Schwager, auf dessen neu erwachten Hoffnung. doch augenscheinlich günstige Position sie ehedem für die Dann fuhr er mit den Seinen unverzüglich nach Geuden eigene Familie so große Hoffnungen gesetzt hatten, nun zurück. einen derartig schmählichen Schiffbruch leiden mußte, der" Ich glaube nicht dran," sagte ihm sein Bruder zum seine Familie umgekehrt ihnen zur Last fallen ließ. Das Abschied; wer solche Schande über die Familie bringt, in der Baumrinde Auskunft zu geben und sie zu einem Zusammenleben mit Friedrich's Frau und Tochter hatte nun der muß es auch büßen!" vollends alles verdorben. Das Vorhandensein einer zweiten

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Sie hatten die paar Tage im Gasthaus des Palinski gelebt. Dort zechte der junge Karl Neumann, der gerade auf Ferien da war, jezt, wo er von der Anwesenheit der Schwarz'schen Familie wußte, mit auffälliger Ausdauer. Er fand denn auch Gelegenheit, Annchen heimlich zu sprechen, ihr über den augenblicklichen Zustand des Herzens Rendezvous am späten Abend zu bereden. Sie sollte einen Gang nach Geuden vorschüßen und ihn unter der großen Hausgarten stehen geblieben war.

Frau in ihrem Hauswesen und obendrein einer hübschen, Welch ein Schauspiel bot sich den Heimgekehrten auf Linde treffen, die allein noch von dem niedergebrannten ihrem Gut! stattlichen! war ihr sehr gegen den Strich.