Nr.434 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 221
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Bozialdemokrat Berlin
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Sonntag, den 14. September 1924
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Drüber und drunter.
Seltsame Wahrheitskämpfer.
Können Katzen, denen man die Schellen umhängt, sittlich| entrüstet sein? Wir wissen es nicht, aber wir würden es menschlich begreiflich finden. Sind nämlich einer Kaze die Schellen umgehängt, so ist ihr das Vergnügen des Vogelfangens in der unangenehmsten Weise erschwert.
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Die Volkspartei als Kaisermacherin. Fall Stresemann .
Regierung Stresemann , die Regierung der großen Roalition. Und nun erlebte man das Schauspiel, daß die Volkspartei eine Regierung, an deren Spize ihr eigener Führer stand, in zwei gewaltigen Stößen erst havarierte, dann in die Luft sprengte. Sodann wurde im Mai d. J. die gänzlich sinnlose Krise der Regierung Marg in Szene gelich wurde im Auguft zwischen Boltspartei und Deutschnatio nalen jener berühmte Bertrag geschlossen, der die Entfesselung einer neuen Regierungsfrise zum Ziel hat. Die Volkspartei ist die eigentliche Krisenmacherin der Re publik . Und wenn jetzt der Führer dieser Partei, Herr Strefe mann, erklärt, von einer Krise sprächen nur diejenigen, die mann, erflärt, von einer Krise sprächen nur diejenigen, die sie wünschten und dabei mit dem Zaunpfahl nach der Sozialdemokratie mintt, so ist das auch eine Probe von Wahr haftigteitsfinn, die erschreckend wirkt.
Daher also die sittliche Entrüstung, die sich in der deutschnationalen und der volksparteilichen Bresse über den„ Borſeht, die damit endete, daß alles beim Alten blieb. Schließ wärts" fund gibt, weil er den engen Zusammenhang zwischen der Notifizierungsfrage und der frisenhaften Lage unferer Innenpolitit festgestellt hat. Es war vorauszusehen, daß behauptet werden würde, dieser Zusammenhang bestünde nicht und sei bloß von uns tonstruiert. Denn für jene Sorte von Diplomatie, die wir jetzt schaudernd erleben, gehört es zum Handwerk, auch das Greifbarste und Sichtbarste für nicht eristierend zu erklären.
3. B. Herriot und Macdonald haben Briefe des Reichstanzlers in Händen, in denen der Versuch gemacht wird, die Notifizierung der Kriegsunschuldnote schonend einzuleiten. Ausländische Regierungen sind davon unterrichtet worden, daß Graf Keßler als inoffizieller Mittelsmann des Auswärtigen Amts zu betrachten sei. Aber amtlich wird zunächst die Existenz der Briefe abgeleugnet, Reßler in ordinärster Weise abge schüttelt. Bis dann Herr Stresemann nach Berlin kommt und
die Dementis dementiert.
Das ist eine eigenartige Methode, den Rampf um die Wahrheit in der Kriegsschuldfrage zu eröffnen. Wahrfcheinlich will man seine Ehrlichkeit beweisen, indem man zeigt, daß man nicht lügen kann.
Der Zusammenhang zwischen dem Notifizierungsstandal und der inneren Krise ist ebenso gerichtskundig wie die Briefe des Reichskanzlers und die Mission des Grafen Reßler. Sie leugnen zu wollen, ist genau ebenso vergebliches Bemühen.
Seid doch wenigstens ehrlich! Entweder der Bertrag zwischen Volksparteilern und Deutschnationalen gilt, dann ist die Krife da. Oder es gibt feine Krise, dann gilt eben der Bertrag nicht. Besteht die Volkspartei darauf, mit allen Mitteln" für den Eintritt der Deutschnationalen in die Regierung zu wirken oder besteht sie nicht darauf? Diese flare Frage fordert eine flare Antwort.
unerfüllbar ist und daß er gegen die guten Sitten verBielleicht hat die Bolkspartei entdeckt, daß der Bertrag stößt? Bielleicht hat sie bemerkt, daß der Kaufpreis für die versprochenen Ministersize gar nicht richtig gezahlt worden ist? In dem Vertrag heißt es nämlich:
Uebrnimmt die Deutschnationale Bolfspartei die Berantwortung für das Zustandekommen des Londoner Pattes mit uns, wird die Reichstagsfraktion der Deutschen Bolkspartei mit alle mitteln auf einer ihrer Bedeutung entsprechenden Teilnahme der Deutschnationalen an der Reichsregierung bestehen.
Es heißt die Dinge auf den Kopf stellen, wenn man an uns die Mahnung richtet, wir sollten außenpolitische Fragen Es wird nun sehr schwer sein zu behaupten, die Deutschnicht mit innenpolitischen Dingen vermengen. Waren etwa nationalen hätten die Verantwortung für das Zuwir es, die ihre Auffassung in einer grundlegenden außen- standekommen des Londoner Pattes mit übernommen. Sie politischen Frage rucartig wechselten aus inner politischen haben das Gegenteil davon getan. Bei der Abstimmung haben Gründen? Die Sozialdemokratie hat an die Annahme des fie fich zwischen den beiden Verantwortungen für die Ableh Dawes Planes feinerlei innenpolitische Bedingungen nung wie für die Annahme feige durchgeschwindelt, nach der gefnüpft. Sie hat diese Angelegenheit wie auch die Fragen Abstimmung erklären fie treu und bieber, sie seien allesamt des Bölkerbundes und der Kriegsschuld nach rein außenpoliti- Gegner des Londoner Pattes, und nur aus innerpolitischen schen Gesichtspunkten gewürdigt. Gründen habe ein Teil von ihnen sein Zustandekommen ermöglicht. Herr Stresemann meint jekt:„ Es gibt keine Krise!" Will er damit meinen, daß die Voraussetzungen des Berliner Baftes nicht erfüllt und daß er damit null und nichtig sei?
Es waren die Deutschnationalen, die nach ihren eigenen Erklärungen ihre außenpolitische Haltung zu 50 Proz. pöglich änderten, um den Sturz in die innerpolitische Ohn macht zu verhindern, den eine Reichstagsauflösung für sie zweifellos bedeutet hätte. Es waren die Deutschnatio= nalen, die pölzlich zur Hälfte den„ Bersklavungsgesehen" zustimmten, weil sich ihnen eine Aussicht auf Ministersize eröffnete. Und es war die Volkspartei, die durch das Angebot innerpolitischer Zugeständnisse an die Deutschnationalen deren außenpolitischen Umfall herbeiführte.
Von dieser Seite Belehrungen darüber anzunehmen, daß man Außenpolitik nicht mit Innenpolitit verquiden dürfe, lehnen wir ebenso höflich wie entschieden ab.
Man hat oft behauptet, daß die Bolkspartei nichts weiter als die Fortsetzerin der alten nationalliberalen Traditionen sei. Das ist aber nicht unbedingt richtig.
Die Nationalliberale Partei hat in dem Kaiserreich allen Regierungen, die durch einen unerforschlichen Ratschluß über das deutsche Volf perhängt wurden, treu und ehrlich gedient. Sie war ganz einfach die Personifikation der Untertanen, wie er in dem bekannten Roman von Heinrich Mann dargestellt ist. Eine faiserliche Regierung stürzen zu wollen, wäre ihr als das aberwikigste und verbrecherischste Unternehmen erschienen, das es in der Welt gibt.
In der Republik aber erwachte ihr stolzer Unabhängig teitsfinn. Alle Regierungen wurden von jetzt ab von ihr entweder von außen bekämpft oder von innen gesprengt. Nur zwei Regierungen bildeten Ausnahmen und fanden ihre hingebungsvolle Unterſtügung: die Regierung Fehrenbach, die mit dem Londoner Ultimatum endete, und die Regierung Cuno, die zum Ruhrkrieg und seinem Zusammenbruch führte. Zunächst stürzte die Regierung Wirth, weil die Boltspartei auf ihren Eintritt in das Kabinett drängte und die beiden anderen Mittelparteien schwach genug waren, ihr nicht zu widerstehen. Nach dem Zwischenspiel Cuno tam die
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Ueberhaupt, ach Gott, was meint Herr Stresemann gängen" der allerlegten Zeit könnte man fast auf den Gealles und was meint er nicht! Nach den„ Ereignissen und Vorbanken kommen, er habe den Zickzackkurs der wilhelminischen era deshalb mit solcher Begeisterung unterstützt, weil er selber eine kongeniale Natur sei. Es tut uns leid, in solchem Ton von einem Mann sprechen zu müssen, den wir stets als einen Gegner betrachtet haben, deffen äußerlich blendenden Eigenschaften wir jedoch gern Anerkennug zollten.
Deutschland braucht in seiner heutigen Lage Männer, die nicht nur eine bewegliche Zunge, sondern auch einen ruhigen Ropfund eine feste hand haben. Es ist zu bedauern, daß man bei den Parteien, die augenblicklich die einflußreichsten sind und sich zu noch größerem Einfluß drängen, am wenigsten davon findet.
Wir könnten über das Bild der Verwirrung, der Berlegen heit, der Kopflosigkeit, das sich im rechtsbürgerlichen Lager zeigt, Schadenfreude empfinden, wenn nicht der Schaden, der aus solchen Zuständen entspringt, zu allererst von den arbeitenden Massen des Volkes getragen werden müßte. Diese Zustände stellen eine Groteske dar, die auszu schöpfen feine Feder des Satirikers ausreicht. Und doch sind sie nur ein fleines Vorspiel von dem, was uns bevorsteht, wenn der sagenhafte Bürgerblod Wirklichkeit wird und Herr Hergt das Kommando übernimmt. Dann wird das republikanische Bigblatt Lachen links" zum täglichen Erscheinen übergehen müssen, nur leider der Schluß wird Heulen und Zähneflappern sein.
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Darum lieber: macht dem Spuf ein Ende und löst den Reichstag auf!
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Der
Methode Stresemann.i
Wie man den Kampf gegen eine Lüge führt.
Es geht darum, an Stelle der Lüge des Artikels 231 dte Wahr. heit zu sagen. Der ganzen Welt soll dabei die Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe der deutschen Politik beigebracht, nachgewiesen werden.
Zu diesem Zwed wird folgendermaßen verfahren:
I. In London läßt man vor dem Beginn der Verhandlungen distret anfragen, ob man nicht, z. B. in der Eröffnungsrede des Reichskanzlers, die Schuldfrage erwähnen könnte. Man wird ebenso distret wie eindeutig auf das Entschiedenste davor gewarnt: Das tönnte sehr wahrscheinlich gleich zu einem bösartigen Zwischenfall führen, Herriot und Theunis würden vermutlich den Saal demonstrativ verlassen. Daraufhin ist man so einfichtig und unterläßt diesen Versuch.
Nach der Rückkehr aus London , als die Gesetze unter Dach und Fach find, läßt man eine Kriegsschuldkundgebung los. Herr Strefemann erflärt dies damit, daß man in der Haft der vierzehntägigen Berhandlungen in London teine Minute für die Erwähnung der Schuldfrage übrig gehabt habe.
II. Der Reichtsanzler Marg, in Borahnung der Torheit, die auf
deutschnationalen Befehl begangen werden soll, richtet zwei Briefe
an Herriot und Macdonald in der löblichen Absicht, den erwarteten fatastrophalen Eindrud abzuschwächen. Die Tatsache dieser Briefc wird bekannt, was natürlich unvermeidlich war, denn Herriot und
Macdonald mußten ja zumindest ihre Delegationskollegen sowie die Belgier von der beabsichtigten Notifizierung unterrichten, zumal man fich gerade in diesem Augenblick über den Eintritt Deutschlands in den Böllerbund geeinigt hatte. Was aber mindestens zwanzig Ber fonen erfahren müssen, kann auf die Dauer nicht ganz geheim bleiben. t nach
Die zuständige Stelle" in der Wilhelmstraße erklärt nacheinander: 1. ein Brief des Reichskanzlers Dr. Marg in Sachen des Völkerbundseintritts Deutschlands existiert nicht; 2. es gibt überhaupt feinen Brief des Reichskanzlers an Herriot und Macdonald; 3. die Briefe eriftieren wohl, aber ihre Eristenz hätte niemals bekannt werden dürfen.
III. England hat vor dem Zusammentritt der Genfer Tagung in der Wilhelmstraße angefragt, an wen die englische Delegation sich etwa wenden könnte, falls man mit Deutschland Rücksprache wegen unseres Eintritts in den Völkerbund nehmen möchte. Das Auswärtige Amt bezeichnet den früheren Gesandten, Grafen Reßler, als die in Frage fommende Persönlichkeit. Graf Keßler wird dahin instruiert, Deutschlands grundsätzliche Bereitwilligkeit zur Aufnahme au betonen. Es werden ihm ganz folgerichtig- Chiffreure des deutschen Auswärtigen Amtes beigegeben, die sehr bald eine rege Tätigkeit entfalten müssen.
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Die deutschnationale Presse bekommt Wind davon und zürnt. durch WTB. ausdrücklich feststellen, daß Keßler teinerlei Auftrag Sofort läßt das Auswärtige Amt durch die Stresemann- Zeit" und befize, und schüttelt ihn ab für den Fali", daß er in Genf diesen Anschein erweckt haben sollte.
allem bei der englischen Delegation. Daraufhin muß Herr In Genf erregt diese Desavouierung lebhaftes Erstaunen, vor Stresemann zugeben, es sei richtig, daß Keßler der englischen Regierung als die Vertrauensperson der Reichsregierung bezeichnet worden sei.
IV. Herr Stresemann hatte die grundsätzliche Bereitwilligkeit Deutschlands zum Eintritt in den Bölkerbund durch den Grafen Keßler betonen lassen. Vor der Presse erklärt aber Stresemann, es sei ganz ausgeschlossen, daß wir in den Bund eintreten, ehe nicht der Schuldartikel 231 widerrufen sei, was praktisch einer Ablehnung unseres Beitritts gleichkommt.( Von dieser unmöglichen Bedingung hatte er natürlich vorher nichts verlauten lassen.)
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Fünfzehn Stunden später erklärt Herr Stresemann in der B. 3.", er sei durchaus für den Eintritt, verkenne durchaus nicht die Vorteile unserer Anwesenheit im Völkerbunde, aber nur, wenn man us fein neues Schuldbekenntnis aufzwinge.
Dabei weiß Herr Stresemann, daß davon längst nicht mehr die
Rede ist.
V. Herr Stresemann erklärt vor der Presse ganz unzweideutig unter dem lebhaften Beifall der Bürgerblod- Journalisten, er sei stets für eine fofortige Motifizierung der Unschuldserklärung gewesen, und die Notifizierung müsse jetzt erfolgen, sonst verliere die Regie. rund jede Autorität nach innen und außen. Fünfzehn Stunden Später erklärt Herr Stresemann durch die B. 3.", er sei gar nicht für eine fofortige Notifizierung, er fehe durchaus ein, daß diese sehr schädliche Folgen für Deutschland haben könnte.