Einzelbild herunterladen
 

Nr. 88.

Erscheint täglich außer Montags. Prets pränumerando: Biertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mr., wöchentlich 28 Pfg. fret in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illuftr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30mt. proQuartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3Mt. pr. Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preislifte für 1895 unter Nr. 7128.

Vorwärts

12. Jahrg.

Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Juferate für die nächste Nummer müssen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Expedition ist an Wochen­tagen bis 7 Uhr Abends, an Sonn und Festtagen bis 9 Uhr Vor­mittags geöffnet.

Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin !

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Die Die nächste Nummer des ,, Vorwärts" erscheint des Osterfestes wegen am Mittwoch, den 17. d. M.

Ostern grau und grün.

Sonntag, den 14. April 1895.

die den bürgerlichen Zeitungen jetzt Woche für Woche so schönes Füllsel mit hochachtbaren Namensunterschriften liefeen! Nie wird man die Empfindung los: sie würden beide Augen zudrücken zu den staatsrettenden Thaten des Unglücksraben, sofern sie nur die beruhigende Zusicherung hätten, daß er blos den bösen Sozialdemokraten die Augen aushacken solle.

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Der Generalstreik in Belgien .

"

-

Ueber den Entschluß der belgischen Parteileitung, vom Generalstreit abzurathen, ist sehr viel Unzutreffendes zusammen­durch die energischen Maßregeln" der belgischen Regierung, geschrieben worden. Die einen sprachen von Einschüchterung insbesondere durch die Mezelei von Renaix ( Ronse ), die anderen Daß der junge Galgenbogel, so ganz anders bewehrt, von anderem- und ganz schlaue Leute entdeckten sogar einen Es sind keine fröhliche Ostern, die den Vertretern des als der nationalliberale Klingel es erwartet hatte, in das tiefsinnigen Plan, dessen Fäden sie auch gewissenhaft dem Publikum heute in Deutschland obwaltenden Staats- und Gesellschafts- Leben tritt, hat die Sozialdemokratie dem Zentrum zu auf die Nase banden. Für niemand, der die belgischen Verhält­systems herandämmen. Sie hatten sich, verfrüht, zum danken, die Sozialdemokratie, sagen wir ausdrücklich; niffe fennt, war der Entschluß des Nationalraths über­ersten April bereits, in einen erkünftelten Rausch zu ver- denn wir haben den Vortheil davon. Es war ein solcher raschend. In Belgien , deffen Arbeiterbewegung naturgemäß start setzen gesucht durch ein Uebermaß von Begeisterungs- auffälliger Beweis nöthig, um auch dem blödesten Auge in unter dem Einfluß der französischen steht, hatte der Glaube an alkohol, und nun wirkt das abermals hereingebrochene graue Deutschlands Philisterschaaren es klar zu machen, daß der Ausstandes oder Generalstreits ähnlich, wenn auch nicht in die Unwiderstehlichkeit der grêve générale des allgemeinen Elend um so niederdrückender auf ihr Bewußtsein. Im Sozialismus innig verknüpft ist mit allen großen Er- gleichem Maße, sich eingenistet wie in Frankreich . Bekanntlich grauen Elend aber treibt die Hoffnung ihr Phantasie- rungenschaften unserer Kultur. Man kann ihn nicht gelang es unseren Genossen in Frankreich , auf dem letzten spiel nicht. Die Zukunft hüllt sich in den nämlichen antasten, man kann ihn nicht zerren und zausen, französischen Arbeiterkongreß einen einstimmigen Be­düsteren Nebelschleier, der die Gegenwart so unbehaglich ohne alles das zu gefährden, was der moderne schluß gegen die rückständige Utopie des Generalstreits zu macht. Wie soll da aus den Wortführern der heutigen Mensch in Wissenschaft und Kunst zu schätzen und zu erwirken, allein der darauf folgende französische Gewerk­Gesellschaft unerheuchelte Osterfreude sprechen können! verwehren gewohnt ist. Und wenn die heutigen Kultur- fchaftstongreß faßte allerdings nur mit knapper Und doch hätte sie ja eigentlich einen förmlichen Anlaß epigonen der Klassischen Periode unserer bürgerlichen Kunst Majorität einen Beschluß zu gunsten des Generalstreits; und selbst sonst so flare Genossen, wie Vaillant, haben sich zu freudiger Genugthuung. Was sie so lange ersehnt, haben auch nur Schwächlinge find, die sich hysterisch sie in der Hand: Das Osterküken der Umsturzvorlage ist spreizen, wenn sie Selbstbewußtsein zeigen wollen, die von dieser Illusion noch nicht ganz befreit. Aehnlich in Belgien . Die meisten Führer der Arbeiterpartei von der Kommissionsflucke noch rechtzeitig ausgebrütet mit erkünfteltem Flitterkram den dürftigen Gedankeninhalt waren bis vor drei Jahren etwa noch von der Kinderkrankheit worden. Da sollte doch eitel Freude und Hochgefühl ein- ihrer Machwerke aufputzen, um originell zu erscheinen, so des Generalstreits befallen, und wir selbst haben seinerzeit mit ziehen in die Brust aller derer, die es so sehnlichst ist ihnen doch die Lehre in Fleisch und Blut übergegangen, dem braven Bolders eine ziemlich lebhafte Korrespondenz über erwartet haben, seit die wohlgesinnte Presse des zahlungs- daß Schaffensfreiheit die leben- und kraftspendende Vor- diese Frage gehabt. Volders, gleich den meisten der bekannteren fähigen Bürgerthums zuerst darauf los trähte und fakelte, bedingung ist für jedwede Schaffensmöglichkeit. Genossen, gelangte auch zu durchaus richtigen Ansichten. Allein in den daß durchaus und durchaus etwas geschehen müsse gegen Da kommen nun die gottgesegneten Vorkämpfer für Bewerkschaften, namentlich unter den Bergarbeitern, den Umsturz. Religion, Ordnung und Sitte aus der päpstlichen Zentrums bewegung vor zwei Jahren, der fälschlich von vielen den Aus­war die Idee festgewurzelt, und der Erfolg der Wahlrechts­Nun tommt das ausgebrütete Dfterküken angewatschelt; schaar daher und ziehen mit Beihilfe der nicht minder gott ständen der Arbeiter zugefchrieben wurde, obgleich diese Ausstände der Rintelen und der Buchka stolziren schüßend ihm zur Seite. Da begnadeten Junker und Juristen aus dem protestantischen burchaus nicht allgemein" waren gaben dem Glauben an das wollen sie nichts mehr von ihm wissen, die Wortführer des Boruffen- und Obotritenlande die Dornhecken ihrer Straf- scheinrevolutionäre Trugbild wieder frische Kraft. Als es neuer­zahlungsfähigen Bürgerthums; denn wie sie das liebe kleine paragraphen um Ghe, Eigenthum, Religion und Monarchie, dings galt, die Bewegung gegen das reaktionäre Gemeinde­Ungethüm schärfer ins Auge fassen, bangt ihnen, daß Dornhecken, in denen, lebten sie heute noch, nicht nur der Jude" wahlrecht zu organisiren, wurde sofort der Generalstreit als ein gar grauslicher Bogel daraus wird, der ihnen selbst Heine, sondern die großen Heiden Goethe und Schiller , in denen Hauptschlachtroß herangeschleppt. Die meisten der bekannteren die Bunge zerbeißen und die schreibfertigen Finger zer- unsere verehrtesten Philosophen Kant , Fichte und Hegel, in Führer suchten einen Beschluß, der den Generalstreit in Aussicht hacken könnte. denen alle sich verfangen müßten, denen Deutschland es stellte, zu verhindern, allein sie wurden überſtimmt. Der Entwickelung der Dinge war es vorbehalten, die nöthige Und flugs erhebt sich unter dem nämlichen Federvolk, das verdankt, daß es auch heute noch aus alter Gewohnheit Klarheit zu bringen. Es zeigte sich bald, daß die Gegner der im Herbst das Kommen des Umfturzgesezes sehnend erkrähte hin und wieder das Land der Dichter und Denker ge- Arbeiter fich des Trugbilds bemächtigten und es zum Schreckbild und erkakelte, ein noch ungefügerer Lärm: Nein, wir nannt wird. aufputten, das die bürgerlichen Elemente ins Regierungslager treiben sollte. Die Mezelei von Renaix öffnete auch denen, die aufs hartnäckigste an die Wunder des Generalftreits geglaubt hatten, die Augen und zeigten auch den wenigst Scharfblickenden, daß der Generalstreit nur den Feinden der Arbeiter von Nußen war ein Umschwung der Meinungen fand statt; die Gegner des Generalstreits bekamen Oberwaffer, und der Beschluß zu gunsten desselben wurde aufgehoben

"

wollen nichts von ihm wissen, fort mit dem Scheusal! Dank darum jenen trefflichen Heckenpflanzern, Dant Rehrte doch auch die gute Tante Nolte in Wilhelm Busch's auch unserem unentbehrlichen Minister v. Köller, dem Dichtung von dem einst verhätschelten Unglücksraben deutschen Musterkunstrichter z. D.! Hans Huckebein sich ab in tugendhafter Entrüstung: Sie Alle haben dazu mitgewirkt, daß den Trägern Nein, sprach sie, er ist doch nicht gut, weil er mir was und Wortführern unserer bürgerlichen Gesellschaft die Er­zu Leide thut." fenntniß ihrer eigenen würdelosen Stellung aufdämmert, daß Ach, wenn sie doch in ihren Protesten nicht gar zu sehr griesgrämlich und grau nur ihnen die Osterzeit naht, an die gute Tante Nolte erinnerten, jene Professoren, während uns die Saat hoffnungsgrün emporsprießt, deren Doktoren, Pastoren, Versemacher und Novellenschreiber, Ernte wir mit zukunftssicherem Blick erschauen.

-

Feuilleton.

[ Nachdruck verboten.]

Zu Tode gehetzt!

-

17

als

-

Nimm's Dir nur mit, sonst müssen wir's uns neu anschaffen. Auf so ein paar Lumpereien kommt's wahrhaftig nicht an." Ja, und weißt Du noch, wie sie damals auszogen? Da haben sie uns ganz andere Sachen mitgenommen." Sie schafften also die Töpfe und das Waschfaß auf den Leiterwagen. Gerade, wie sie abfuhren, bemerkten sie eine Magd, die ihnen nachschaute und dann sofort in die Küche rannte.

Eine Erzählung nach dem Leben von Franz Held. Da werd' ich doch nicht so oft kommen können, In der bescheiden, aber freundlich eingerichteten Ver­ich dachte. Das ist ja ganze sechs Stunden weit! Aber walterwohnung zu Bogenau fühlten sie sich wie von einem hm schweren Alp befreit. Dem Schwartz war es, wie er den jedenfalls ich werde Dich ewig lieben!!"- Noch lange Jahre nachher, als Annchen noch viel, viel altgewohnten Beschäftigungen in der Brennerei nachging, weiter fortgegangen war wenn Karl dann als ernster als wären die letzten drei Jahre nur ein böser Traum nüchterner Gutsbesitzer an dieser Linde vorbeifam( er hatte gewesen. schon viele Kinder einer ungeliebten, aber vermögenden Hier brauchen wir doch wenigstens nicht jeden Abend Frau und machte längst keine Verse mehr-) dann beim Einschlafen bange zu sein," sagte er zu seiner Frau, gemahnte ihn dieser rauschige Baum, wenn er seine daß uns in der Nacht das Dach über dem Kopf in Brand Frühligsdüfte in's Land streute, wehmüthig- hold an jenen gesteckt wird." Abend und an den Lindenblüthen Duft von Annchens Doch auch diese Freude sollte nicht lange dauern. Blondhaar. Aus Haß gegen den Amtsvorsteher Zwiebel hatte Schwarz es unterlassen, sich abzumelden und sein neues Domizil Das Mädchen hatte ihren Schah recht berichtet. anzugeben. Er hätte sich ja durch die Abmeldung gewisser In der That hatte der Brennereibefizer in Bogenau maßen als Zwiebel's Untergebener bezeigen müssen, dachte er. dem Schwarz, als dieser ihm sein ganzes Herz ausschüttete, Auch wollte er auf diese Weise alle etwaigen neuen An­Glauben geschenkt und ihm eine gerade frei gewordene schläge des Kendelmann hintertreiben. Wenigstens für die Stelle übertragen, Schwarz war überglücklich, für sich und nächste Zeit.

die Seinen wenigstens eine Existenz gerettet zu haben. Er Da bekam seine Frau von einer ihr bekannten Dame miethete einen Leiterwagen; sie fuhren an ihrem alten Hof aus Allenfeld eine kürzlich erschienene Nummer des dortigen vorbei. Dort wurde wieder ein wenig gearbeitet. Schwarz Kreisblattes zugesandt. Sie faltete es beim gemeinschaft­sah Geräthe umherstehen, die ihm gehört hatten. lichen Morgenkaffee auseinander.

" Sie haben vielleicht auch in der Küche alles beim Das erste, was ihr durch den rothen Strich am Rand alten gelaffen," meinte seine Frau. Sie stiegen ab, gingen auffiel, war die gerichtliche Mittheilung, daß am 2. Oktober über den menschenverlassenen Hof und traten in die Küche. das Grundstück und Wohnhaus des Friedrich August Thatsächlich standen dort noch einige Rochtöpfe und ein Schwarz nebst Beständen an Getreide, Vieh und Utensilien Waschfaß. auf dem Wege der Subhastation an Rendelmann verkauft worden sei.

" Frau Rendelmann wird sie nicht nöthig haben damals hab' ich sie auch schon mit hergebracht--" meinte Frau Schwarz noch unentschlossen.

Einige Minuten herrschte peinliche Stille. Sicher so billig," sagte dann Schwarz, daß seine Ach was! Der Frau Kendelmann gehören sie ja vor- Hypothekenforderung höher ist, und er braucht also gar läufig gar nicht. Er muß erst das Gut ersteigert haben. nichts zu bezahlen."

-

Man sieht, die Sache ging sehr natürlich zu. Die Logik der Verhältnisse forrigirte, wie das so oft geschieht, die Logik der Menschen, und die Vernunft und die Thatsachen siegten über die

Nun hat er doch, was er wollte!" seufzte die Frau, indeni fie das Zeitungsblatt sinken ließ.

" Unrecht Gut gedeiht nicht!" murmelte Schwarz über seiner Kaffeetasse. Der wird schon noch zu seiner Strafe kommen."

,, Muttchen, da steht aber ja noch was roth angestrichen!" rief Anna und wies mit dem Finger auf die Stelle. Die Frau laserbleichte jäh- starrte auf die ge­druckten Zeilen wie geistesabsend hin.

ein

Sie schwieg. Sie wagte es ihrem Mann, der gerade Butterbrot schmierte, gar nicht zu zeigen.

"

Was hast Du denn nur? So laß doch sehen!"

Er riß ihr das Blatt heftig aus der Hand und wurde ebenfalls freideweiß.

Es war ein Steckbrief, vom Amtsgericht Hohenthal hinter ihm her erlassen. Hinter ihm her, hinter Friedrich August Schwarz her. Und warum? Weil er die paar alten Kochgeschirre mitgenommen hatte.

Gott , o Gott!" jammerte seine Frau. " Freilich", sagte Aennchen, das hättet Ihr auch nicht Aber die thun sollen. Wo doch alles gepfändet war. Kleinigkeit es hat ja alles zusammen keine drei Thaler Werth! Nein, so' ne Gemeinheit!"

"

Es ist eine Schickung vom Himmel vom Himmel!" Frau Schwarz rang die Hände. Wir sollen zu Grunde gehen!" Schwart ging an's Fenster und starrte hinaus. Er überlegte, was da zu thun sei.

Aber wer kann Dir nur das Blatt geschickt haben, Mutter?" frug Anna.

Sicher eine Freundin von der Frau Kendelmann aha! sie sah auf die Rückseite des Kreuzbandes, wo die Adresse standja, es stimmt. Die Frau Rektor Belten. D, die giftige Kreatur!"

Mädchen.

Was kann sie aber nur dabei haben?" meinte das Das hat ihr die Kendelmann'sche eingeblasen!" sagte die Mutter. Sie wußte ja sehr gut, warum die Frau Kendels mann sie kränken wollte.

Schwarz kam vom Fenster wieder an den Tisch zurück.