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Nr. 482 41. Jahrgang

Dank des Vaterlands.

2. Beilage des Vorwärts

Für das Recht der Schwerkriegsbeschädigten.

Bon Erich Roßmann .

In den letzten Monaten ist mir in meiner Eigenschaft als Mitglied des Reichstags eine große Anzahl lebhafter Be= schwerden von Kriegsbeschädigten aus dem ganzen Reichsgebiet zugegangen, aus deren genauester Brü­fung ich die Ueberzeugung gewonnen habe, daß diesen hilfs­bedürftigen Boltsgenossen mit Hilfe der Personalabbauver ordnung ein bitteres Unrecht zugefügt worden ist, das der öffentlichen Kritik unterworfen werden muß, um Wieder­holungen in der Zukunft vorzubeugen.

Die Schwerkriegsbeschädigten unterliegen den Schutzvor schriften des Schwerbeschädigtengefezes vom 12. Januar 1923. Danach müssen mindestens 2 Proz. der Arbeitspläge mit Schwerkriegsbeschädigten besetzt werden. Neben diesem Recht auf Arbeit hat dieses Gefeß noch einen besonderen Schutz gegen die Entlassung von Schwerbeschädigten geschaffen. Einem Schwerbeschädigten fann nur mit Zustimmung der Haupt­fürsorgestelle gekündigt werden. Außerdem hat die Kündi­gungsfrist mindestens 4 Wochen zu betragen. Die Zustimmung zur Kündigung eines Schwerbeschädigten darf nicht versagt werden bei Betrieben des Reichs, der Länder und anderer öffentlicher Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffent­lichen Rechts, die aufgelöst oder nicht nur vorübergehend wesentlich eingeschränkt werden müssen, wenn das Gehalt vom Tage der Kündigung ab noch 3 Monate weitergezahlt wird und wenn noch mindestens 5 Proz. der Gesamtzahl der im beschränkten Betriebe verbleibenden Beschäftigten Schwer­beschädigte find. Gegen die Anordnungen und Entscheidungen der Hauptfürsorgestelle tann, sofern es sich um private Betriebe handelt, beim Schwerbeschädigtenausschuß der Hauptfürsorge­stelle, sofern es sich um öffentliche Betriebe handelt, nach dem Gesez sowohl von der Behörde als von dem Beschä digten Beschwerde bei der obersten zuständigen Reichs- oder Landesbehörde erhoben werden. Durch die Personalabbau verordnung ist den Schwerbeschädigten das Recht der Be schwerde bei der obersten Reichs- oder Landesstelle entzogen morden. Nur die Behörde selbst tann gegen die Bersagung der Kündigung bei ihrer vorgesetzten Dienststelle gegen die Ent­scheidung der Hauptfürsorgestelle Beschwerde einlegen. Die obersten Reichs- oder Landesbehörden haben es also trop des Schwerbeschädigtengefeßes ganz in der Hand, in welchem Um fange fie Kriegsbeschädigte weiter beschäftigen wollen. So die Rechtslage, soweit sie zum Verständnis der Einzelfälle, die ich nachstehend aus der Fülle meines Materials der Deffentlichkeit übergebe, geschildert werden muß.

1. Fall:

Ein Schwerbeschädigter mit völliger Bersteifung der linken Hand, Bater von 7 Kindern, Inhaber des Anstellungsscheins, feit 8 Jahren im Bostdienft tätig. wird im Juni 1923 entlassen. Auf Grund des Beschwerderechts, das den Beschädigten damals noch zustand, wehrt er fich und erreicht mit Zustimmung des Reichspoftministers feine Wiederanstellung. Um sich seiner jedoch jederzeit entledigen und die Einmischung der Hauptfürsorgestelle fernhalten zu können, wird das neue Arbeitsverhälmis von der Behörde als nur vorüber. gehend" charakterisiert. Dadurch wird erreicht, daß die Schup. vorschriften des Schwerbeschädigtengesetzes ohne Anwen bung bleiben. Nach dem Schwerbeschädigtengesek geht aber ein Dorübergehendes Arbeitsverhältnis ohne weiteres in ein dauerndes über, wenn die Beschäftigung 3 Monate überschreitet. Um das zu verhindern, führt die Postverwaltung im vorliegenden Fall eine tünstliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses herbei, entläßt den Schwerbeschädigten 2 Tage vor Ablauf der Dreimonats­frist wegen angeblicher Entbehrlichkeit und stellt ihn 2 Tage später wieder vorübergehend" ein. Eine Reichsbehörde sabotiert also absichtlich das Schwerbeschädigtengesetz und sucht sich durch einen ganz gewöhnlichen Trid, der jedem privaten Unternehmer die schärfste moralische Berurteilung eintragen würde, von den gesetz­lichen sozialen Verpflichtungen zu befreien, die durch das Schwer­chädigtengesetz allen Arbeitgebern auferlegt worden sind.

2. Fall:

Ein Poft amt beantragt bei einer Hauptfürsorgestelle die Zu­ftimmung zur Ründigung von sämtlichen 7 Schwerbe. schädigten, obwohl im ganzen Bereich der betreffenden Ober­poftdirektion nur 10 Schwerbeschädigte beschäftigt find. Also Abbau von 100 Proz. der betreffenden Dienststelle. Ohne die Entscheidung der Hauptfürsorgestelle, der man die notwendigen Auskünfte zur Be urteilung des ganzen Falles verweigert, abzuwarten, werden die 7 Schwerbeschädigten 14 Tage später einfach außer Beschäfti gung gesetzt. Bugleich teilt die Oberpostdirektion mit, daß eine Wiedereinstellung unter gar feinen Umständen in Frage kommen fönne. Mit einer verblüffenden Leichtfertigteit fegt man sich über unzweideutige Gefegesbestimmungen hinweg. Unter Ueberwindung schwerster Bedenten und nach weitestgehender Würdigung der von der Postverwaltung vorgebrachten Gründe stimmt die Hauptfürsorge­stelle schließlich der Kündigung von 4 Schwerbeschädigten zu. Die Postverwaltung aber verweigert die Weiterbeschäfti gung der übrigen 3 Schwerbeschädigten, obwohl die Hauptfürsorge­stelle darauf hinweist, daß diese durch ihre Entlassung in das größte Elend gestoßen werden, well bei der sehr schweren Art ihrer Beschädi­gung ein anderweitiges Unterfommen fast ausgefchloffen erscheint. Schließlich geht die ganze Kündigungsangelegenheit an das Reichs­arbeitsministerium, das sie wegen ihrer grundsäglichen Bedeutung an das Reichspoftministerium weitergibt. Nach 8 Monaten war noch feine Antwort des Reichspoftministers ein. gegangen! Die Schwerbeschädigten selbst stellten an den Reichs­poftminister einen bringenden Antrag um Wiedereinstellung, befon ders mit Rücksicht auf den Erlaß des Reichsfinanzministers, nach welchem der Abbauanteil der Schwerbeschädigten höchstens ein Biertel bes gefamten Abbauprozentjages betragen soll, so daß im ganzen Bezirt der in Frage fommenden Oberpoftdirektion nicht ein ein ziger Schwerbeschädigter hätte entlassen werden dürfen. Auf die Eingabe war nach 5 Monaten noch teine Antwort eingegangen.

Damit ist die Angelegenheit aber noch nicht erschöpft; ihre weitere Entwicklung ist geradezu ein Standal. Während die in Frage tommende Oberpoftdirektion sich nicht einmal mit der Ent­lassung des größten Teils der von ihr zur Kündigung vorgeschlagenen Schwerbeschädigten einverstanden erklären wollte, sondern darüber hinaus eigensinnig auf der Entlassung auch der Schwer ft beschä­bigten bestand, hatte sie 8 Wochen später wieder einen solchen Per fonalbedarf, daß 7 neue Kräfte neueingestellt werden mußten, darunter allerdings 2 Schwerbeschädigte, die sich jedoch mit

NEIN

Sonntag, 12. Oktober 1924

Keine Halbheiten mehr!"

( Siehe auch 1. Geite des Hauptblattes.)

O.K.

O.K.

L. Unser Banner hat nie geschwankt.

II. So ftand ich da ich konnte nicht anders!

O.K.

III. Fürs Baterland ließen wir uns in Stüde reißen.

einer nur vorübergehenden" Beschäftigung einverstanden erklären mußten, weil sie sonst nicht wieder eingestellt worden wären. In­zwischen steigert sich der Personalbedarf weiter, so daß in den Mo­maten Februar bis März nicht weniger als 18 Hilfsträfte eingestellt werden mußten, wobei tros dringender Borstellungen auf die entlassenen Schwerbeschädigten nicht zurückgegriffen wurde. Es wurden vielmehr die 2 bei der Wiedereinstellung berücksichtigten Schwerbeschädigten nach 3 Monaten gezwungen, ihren Dienst zu ver lassen, während die zugleich oder später eingestellten gefunden Kräfte im Dienste verbleiben durften.

Dabei war auch diese Entlassung rechtlich unzulässig, denn die Postbehörde hatte es unterlassen, die vorübergehende Beschäftigung der Hauptfürsorgestelle mitzuteilen, wodurch das Arbeitsverhältnis rechtlich als ein dauerndes anzusehen war. Es war also bei dem in Frage kommenden Bostamt ein bedeutender Personalbedarf zur Be­wältigung des laufenden Verkehrs vorhanden; es wurden neue Stadireviene eingerichtet, Wartegeldempfänger und Urlauber zurüd berufen. Es hätte unter diesen Umständen rechtlich überhaupt feine Entlassung von Schwerbeschädigten eintreten dürfen, aber den Schwerbeschädigten wurde taltlächelnd erklärt, daß ihre Entlassung zur Unterbrechung der dreimonatigen Beschäftigungsdauer erforder. lich sei. Wiederum also eine absichtliche Umgehung eines Reichsgefeßes durch die Behörden! Darauf aufmertfam gemacht, daß er sich durch ein berartiges Verfahren Unannehmlichkeiten aussehe, erklärt der verantwortliche Postbirektor, das könne ihm als Reichs

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OKOESTER

IV. Doch nun feine halbheiten mehr! Einig und geschlossen den Blick aufs hohe Ziel gerichtet!

beamten nicht paffieren, er handle nur im Auftrage feiner vor. gesezten Behörde. Nach vierwöchiger Arbeitslosigkeit werden die entiaffenen Schwerbeschädigten wieder eingestellt, nachdem man ihnen auf diese Weise die Rechte aus dem Schwerbeschädigtengefeß ge­nommen hatte. Auf alle Beschwerden schweigt sich der Reichspost minister aus! Eine unerhörte Rücksichtslosigkeit und ein außergewöhnlicher Mangel an sozialem Empfinden drückt sich ist dieser Behandlung von Schwerbeschädigten aus, mit deren Schicksal geradezu gespielt wird.

3. Fall:

Eine Reichsbantnebenstelle fündigt einem Schwerbeschädigten, die Hauptfürsorgestelle versagt die Zustimmung. Das Reichsbank direktorium entscheidet sich für die Entlassung und lehnt es ab, mit der Hauptfürsorgestelle in eine weitere Erörterung der Angelegenheit einzutreten. Das Reichsbantbirettorium weigert sich ferner, die gesetz­liche Berpflichtung einzuhalten, nach der dem Schwerbeschädigten 3 Monate lang, vom Tage der Kündigung ab gerechnet, das Gehalt weiterzuzahlen ist. Die Hauptfürsorgestelle interveniert beim Reichs­arbeitsministerium, bleibt aber wochenlang ohne Nachricht.

4. Fall:

Der Borstand eines Amtsgerichts muß auf Befehl des Oberlandesgerichtspräsidenten einen Schwerbeschädigten entlaffen, ob wohl er feinen Borgesezten auf die Unrechtmäßigkeit der Entlassung hingewiefen hatte. Der Vorstand des Amtsgerichts bittet die Haupt