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Abendausgabe

Nr. 489 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 245

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Vorwärts

Berliner Dolksblatt

5 Goldpfennig

Donnerstag

16. Oktober 1924

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Nicht Bürgerblock, sondern Auflösung!

Ergebnis der Zentrumsberatungen.

Der Reichskanzler empfing heute mittag die Fraktionsführer der Koalitionsparteien. Nach Be­fannigabe des Beschlusses der Zentrumsfraktion stellte der Reichskanzler in Uebereinstimmung mit den Parteiführern fest, daß er weitere Berhandlungen mit den Fraktionen fiber die Erweiterung der Regierung für aussichtslos halte. Die Regierung behält sich ihre Entschließung vor.

Heute vormittag ist der Fraktionsvorstand der Reichstags­fraktion des Zentrums zusammengetreten, um über die durch den geftrigen Beschluß der demokratischen Reichstagsfraktion geschaffene neue Situation zu beraten. Am Schluß der Beratungen faßte er eine Entschließung, in der es heißt, daß die Erweiterung der Regierung nach rechts ohne die Demofraten unmöglich sei und daß er deshalb nach dem geftrigen Beschluß der Demokraten es dem Reichskanzler anheim stellt, den Reichstag aufsu­lösen.

Die Zentrumsfraktion hat einstimmig eine Ent­fchließung ihres Borstandes angenommen, die eine Dar­ffellung der bisherigen Entwicklung der Krise gibt und auseinander­feht, wie alle Lösungsversuche gescheitert feien. 3n­folgedessen wird dem Reichskanzler die volle Entschlußfrei­heit zurüdgegeben und ihm anheimgestellt, äußerstenfalls auch die Auflösung des Reichstages vorzunehmen.

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Erklärung des Reichskanzlers.

selbst von den. Deutschnationalen offenen Sohn, Berachtung und Beschimpfung erdulden müssen dank der heimlichen und offenen Bürgerblodfreunde in den eigenen Reihen. Mußte doch in den letzten Tagen das Zentrum selbst damit rechnen, daß die Krise kompliziert werden würde durch eine Kanzler frise, daß nach der Abstimmung des Reichskanzlers Mary in feiner eigenen Fraktion die Deutschnationalen die Frage der Person des Reichstanzlers aufwerfen würden. An Anzeichen dafür hat es in der deutschnationalen Presse nicht gefehlt. So stellt sich das Bild der Lage im Augenblick dar. Jegt ist nur eine Möglichkeit noch, daß die Auflösung des Reichs­tages, die notwendiger ist als jemals, nicht eintritt. Es müßte denn sein, daß die Deutsche Boltspartei, die der Treiber in dieser Krise gewesen ist, den Rückzug an­tritt und gemeinsam mit den beiden anderen Regierungs­parteien frog ihrer schriftlichen Erklärung als Regierungs­partei vor den Reichstag tritt. Das würde den schmachvollen Handel, der seit drei Wochen um den Bürgerblod getrieben worden ist, frönen. Aber schließlich lehrt die Erfahrung der legten Wochen, daß im Handel um den Bürgerblod nichts unmöglich ist.

Der Beschluß des Zentrums.

und höchstem Verantwortungsbewußtsein vorgenommenen Be­mühungen gescheitert, eine nach dem parlamentarischen Kräfte verhältnis bestands- und arbeitsfähige Regierung zu bilden. Ihr großes und ernstes Ziel, cine Regierung auf breitefter Grundlage der Boltsgemeinschaft zu schaffen, ist zu ihrem fiefften Bedauern nicht erreicht worden. Auch die daraufhin aus Gründen der Außenpolitik und im Intereffe der befeßzten Ge biete von der Fraktion erftrebte Beibehaltung der bisherigen Re­gierung war nicht durchzusehen. Ebenso scheiterte der weitere Ver­such, die Regierung in tragfähiger Form nach rechts zu erweitern.

Die Zentrumsfrattion ersucht daher den Reichskanzler, dem fie ihr volles Bertrauen ausspricht, fein Mittel unversucht zu lassen, und im äußersten Notfall an das politische Urteil des Boltes zu appellieren, um eine tragfähige Regierung zu fchaffen, die imftande und gewillt ist:

Der einstimmig gefaßte Beschluß des Zentrums lautet: " Die Zentrumsfraktion des Deutschen Reichstages fieht ihre, getreu ihren Grundsägen der christlichen Volfsgemeinschaft, des wirt­Die Verhandlungen der Bürgerblockfreunde find gefchaftlichen, sozialen und politischen Ausgleichs, mit aller Hingabe scheitert. Die Zentrumsfraktion ist der Entschließung ihres Fraktionsvorstandes gefolgt und hat die Erweiterung der Regierung nach rechts ohne die Demokraten für unmöglich erklärt. Jetzt sind nur noch zwei Wege möglich, die zum Ab­fchluß der Krise führen. Die Regierung Marr fann vor den Reichstag treten, ihr Programm entwideln und um die Zustimmung des Reichstages ersuchen. Boraussetzung dafür ist, daß die Deutsche Volkspartei diesen Weg billigt und in der Regierung verbleibt. Die Deutsche Volksparten hai aber schriftlich erklärt, daß fie ohne die Deutsch nationalen als Regierungspartei nicht mehr vor den Reichstag treten werde. So bleibt als einzige Möglichkeit die Auflösung des Reichstages. So scheint es nach wochenlangem Schacher, daß die Krise die politisch einzig vernünftige Lösung findet durch die Auf­lösung des Reichstages. An die Stelle des schmachvollen 1. die bewährte Linie der durch den Reichstanzler ge­Handels um den Bürgerblod, der in den letzten Wochen betragenen deutschen Außenpolitit zu sichern. trieben worden ist, würde damit die Entscheidung des Volkes 2. Die Aufgaben der sozialen Versöhnung und des selbst treten. Dann naht die Stunde der Abrechnung wirtschaftlichen Friedens weiter durchzuführen. mit jenen charakterlosen und heuchlerischen Politikern aus dem deutschnationalen Lager, die mit Hilfe eines erbärmlichen Ruh­handels sich in die Regierung eintaufen wollten, nachdem ihre eigene Politif, die sie bei der letzten Wahl den Wählern als den einzigen Weg zur Rettung Deutschlands angepriesen haben, so schmählich zusammengebrochen ist, daß fie selbst ge­zwungen waren, der Politik mit zum Siege zu verhelfen, die sie selbst mit Lüge, Gehässigkeit und Gemeinheit bekämpft haben. Dann naht auch die Abrechnung mit jenen national­liberalen Gestalten, die bei diesem unwürdigen Handel den Deutschnationalen Zutreiberdienste geleistet haben.

Damit ist die Krise zu ihrem Ausgangspunkt zurückge­fehrt. Die bürgerlichen Frattionen der Mitte hätten sich manche Demütigung ersparen können, die sie in den Wochen des schmählichen Handels um die Regierungsumbildung erfahren haben. Ihre moralische Position für den bevorstehenden Wahl­kampf ist durch die unklare und schwankende Haltung, die sie in den letzten Wochen eingenommen haben, wahrhaftig nicht gestärkt worden. Sie besaßen nach dem 29. Auguft eine unge­heuer starte moralische Position gegenüber den Deutschnatio nalen. Sie haben ihre eigene Position unterwühlt, sie haben

3.R.3 als Reparationsleistung. London , 16. Oftober.( WIB.) Reuter meldet aus Washing­ ton , daß annähernd 2200 000 Dollar als deutsche Reparations. zahlung an die Bereinigen Staaten gutgeschrieben würden, wenn das Luftschiff 3. R. 3 von der Regierung formell übernommen worden sei.

Die Leistung des Z. R. 3.

New Bort, 16. Oftober,( WTB. Funtspruch.) Nach einer offi­ziellen Aufstellung Dr. Edeners und des Cemmander Klein betrug die Fluglänge des 3. R. 3 5066 englische Meilen, die Flugdauer 81 Stunden 17 Minuten, die Durchschnitts geschwindigkeit 62,35 englische Meilen, die höchste Höhe 3680 Meter. Ueber New York flog das Luftschiff in einer Durch schnittshöhe von 400 Metern. Die Betriebsstofftants waren bei der Bandung noch ein Biertel voll, genügend für weitere 1800 Knoten. Dr. Edener erklärte, die drahtlosen Wetters berichte hätten es ermöglicht, ben Störungsgebieten auszuweichen nder sie schneller zu verlassen. 3. M. 3 durchfuhr die Nebelgebicie in schneller Fahrt mit 50 bis 60 Meilen Geschwindigkeit. Die Aero­nautische Kommiffion in Washington hat Dr. Edener und Kapitin Steele eingeladen, der heutigen Sitzung im Marineamt beizuwohner. Beide werden inoffiziell über den Flug Bericht erstatten.

3. Die christlichen Kulturgüter zu schützen und zur Ent­faltung zu bringen.

Die Beratung der Koalitionsparteien. Bom Zentrum nahmen an der heutigen Besprechung mit dem Reichskanzler die Abg. Stegerwald, Spahn und Dr. Höfle, als Vertreter des Vorsitzenden Fehrenbach, der die inzwischen fort gefeßte Fraktionssigung des Zentrums leitete, teil. Von den Demo­fraten waren die Abg. Koch, Erkelenz und Haas erschienen, von der Volkspartei Dr. Curtius, Dr. 3a pf und Scholz. Die Besprechung dauerte nur ganz furze Zeit. Stegerwalb teilte mit, daß die Zentrumsfraktion eine Entschließung vorbereitet, in der sie ihr Bedauern ausdrücke, daß die Versuche des Kanzlers zur Bildung einer Boltsgemeinschaft und zur Erweiterung der Koalition nach rechts mit Einschluß der Demokraten gescheitert seien.

Das Zentrum fei nun der Ansicht, daß nunmehr dem Kanzler die velle Sandlungsfreiheit zurückgegeben sei.

Die Parteiführer werden gegen 6 Uhr nachmittags über die weitere Entwicklung der Dinge unterrichtet werden. Um 6 1hr tritt die Fraktion der Deutschen Volkspartei zu einer Sitzung zufammen.

Der Erfolg der deutschen Anleihe.

England glaubt an ein neues Deutschland . Condon, 16. Oftober.( WIB.) Der Jinaustedaffeur de: Westminster Gazette" schreibt, der britische Anteil an der deutschen äußeren Anleihe jei gestern in der City fchähungsweise füff oder fechsmal überzeichnet worden. Times" führen in ihrem Finanzteil aus, wenige hätten erwartet, daß das Zeichnungsangebot fo groß sein würde, wie es tatächlich der Fall gewesen sei. Auch eine Beteiligung an dem franzöfifchen Anteil der Ausgabe fei gestern in London angeboten worden. Daily News" schreibt mit Bezug auf den gefrigen großen Zeichnungsertrag für den britischen Anteil der deutschen Anleihe, dieser müßte Deutschland mit großem Stolz er­füllen, denn der Wunsch, Anleiheanteile zu haben, jei eines der größten komplimente, welche man jeinem früheren Feinde machen fönnte. Ein neues Deutschland , welches sich friedlicher Tätig. feit widme, bedente in nicht geringem Maß ein neues Europa .

Boller Erfolg in Frankreich .

Paris , 16. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) Die Auflegung des französischen Anteils an der Dames- Anleihe hat bereits zu einem vollen Erfolg geführt. Die Zeichnungen waren bereits am Mittwoch, dem ersten Tage der Emission, wider Erwarten groß, jo taß aller Wahrscheinlichkeit nach bereits am Donnerstag die Zeich nung gefchloffen werden wird.

Die Wahabiten.

Englische Schwierigkeiten in Arabien .

Condon, 16. Oktober. ( WTB.) Caut Times" hat die britische Regierung die amtliche Meldung erhalten, daß die Wahabiten in Metta eingedrungen feien, wo sie den Palast des Königs und die Häuser der reichen Ceute geplündert hätten.

Der englische Schußstaat Hedjas im nördlichen Küsten­lande Arabiens ( am Roten Meer ) ift gegenwärtig zum Schau­plaz blutiger innerer Kämpfe geworden. Gemäß den letzten Nachrichten haben die Bahabiten schon die Zentren von Hedjas , Taif und Metta erobert und rüden weiter nach Norden vor gegen den anderen englischen Schußstaat der Araber mit dem Zentrum Amman . Der Herrscher" von Hedjas , König Hussein, mußte dem Throne entsagen und aus dem Lande flüchten.

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Bevor wir auf die politische Seite der Vorgänge näher eingehen, seien einige furze Angaben über die Wahabiten ge= macht. Unter diesem Namen sind alle Stämme Innerarabiens bekannt, die fich zu der von Mohammed ibn Abd el Wahhab( 1703-1791) geftifteten mohammedanischen Sekte bekennen. Infolge seiner Studien und durch seine persönlichen Erlebnisse war Mohammed Abd el Wahhab zur Einsicht ge­fommen, daß die Nachkommen des Propheten, und zwar mehr die Türken, sich von der ursprünglichen Reinheit des Islams entfernt hatten. Als Vierzigjähriger fing Wahhab seine Re­formationstätigkeit an. Er predigte nur den Koran und ver­warf alle Ueberlieferungen und religiösen Gebräuche. Er ver­marf auch den Kultus der Heiligen und verbot sogar die Wall­fahrt nach Medina zum Grabe des Propheten. Auch der Genuß von Tabat und geistigen Getränken, wie auch allerlei Prunk in der Lebenshaltung, waren für ihn heidnischer Natur und dorum auch unbedingt abzulehnen. Er verlangte vielmehr von feinen Anhängern ein puritanisches Leben, strenge Beachtung der Vorschriften über die täglichen Gebete, Fasten und Unter­fügung der Armen. Seiner Lehre lag der Koran zugrunde. Das Ziel feiner Reformation bestand in dem Grundsage: Zurüd zur Religion des Propheten in ihrer reinen Gestalt! Also eine puritanisch- zelotische Sefte in der Geschichte des Islams.

In seinem Heimatorte hatte Wahhab anfänglich feinen Erfolg. Er war sogar gezwungen, nach Derajirn zu flüchten. hier fand er in der Person des einflußreichen Scheichs Mohammed ibn Saud, seines Schwiegersohnes, einen eifrigen Anhänger seiner Lehre. Nun sollte die neue Sekte durch Feuer und Schwert verbreitet werden. Der religiöse Fanatis­mus der Wahabiten fennt feine Grenzen. Wer sich nicht frei­millig zu ihrer Sefte befehren will, wird erbarmungsios ver­nichtet. Auch Frauen, Kinder und Greise werden nicht ge= schont. Saud und seinen Nachfolgern gelang es, alle arabischen Länder zu dieser neuen Sette zu befehren. Sie gewannen fogor Anhänger in Indien und China . Wie der Islam selbst, so trägt auch die Sette der Wahabiten zugleich einen weltlichen Charafter; die religiösen Führer der Wahabiten waren und find jetzt noch gleichzeitig weltlich- politische Befehlshaber der Wahabitenstämme.

Die türkische Regierung versuchte lange Zeit vergeblich, diese Sette auszurotten und die arabischen Stämme wieder ihrer Herrschaft zu unterwerfen. Dies gelang nur am Anfang des 19. Jahrhunderts durch den ägyptischen Statthalter Mohammed Ali- Pascha . Seit dieser Zeit sind die Wahabiten durch innere 3wiffigkeiten noch mehr geschwächt worden.

Während des Weltkrieges gewannen die arabischen Stämme wieder an Bedeutung. Die Entente, und insbesondere England, zogen die arabischen Stämme auf ihre Seite. Schon 1915 schlossen die Engländer mit Hussein, dem Scheriff von Meffa, also einem Beamten der Türkei , einen Vertrag, fraft dessen der letztere gleich nach dem Kriege zum König von Hedjas eingesetzt werden sollte, wenn er sich gegen die türkische Herr­schaft erhebe. Das geschah auch in der Tat. Nun wurde Hedjas ( 200 000 Quadratkilometer und eine Million Einwohner) nach dem Kriege zu einem Schußstaate Englands, und der frühere Scheriff Hussein zum Könige dieses Landes gemacht. Noch mehr: einer der Söhne Husseins, Feissal, wurde König von Irat, der andere Sohn, Abdullah, Emir von Trans­jordanien. Auf diese Weise entstanden die drei wichtigsten eng­lischen Schuhftaaten in Arabien . Aber auch eine Anzahl anderer Stammesfürsten Innerarabiens wurden von England anerkannt und reichlich mit Geldmitteln unterstützt. Ünter diesen befand sich bis zur allerletzten Zeit auch Abdel Aziz ibnes Saud, der" Sultan " von Nedjd und der Häuptling der Wahabiten. Die Herrschaft des letzteren erstreckt sich über ein mehr als 500 000 Quadratkilometer großes Gebiet. Aus einer Anfrage im englischen Oberhause Anfang März 1921 ging hervor, welche großen Summen England den arabischen Herrschern" als Subvention bewilligt. Huffein befam damals monatlich 200 000 Pfund Sterling. Auch Abd el Saud bezog von den Engländern teine geringeren Summen. Gegenwärtig scheint er sich aber nach einer anderen Richtung orientiert" zu haben. Laut einer Meldung aus Konstantinopel steht die von Saud geführte Bewegung der Wahabiten mit der der Mohammedaner Indiens im Zusammenhang, welche auch jek die Wahabiten materiell unterstüßen sollen.

Bas bezwecken eigentlich die Wahabiten?

Ihr unmittelbares Ziel war es, den König Hussein abzu­fehen und ihn aus den heiligen Etätten Arabiens zu vertreiben. Hussein galt in den Augen der mohammedanischen Belt al ein Verräter des Islams und als Söldling der Engländer. M