Nr. 50$ 4 41. Jahrgang
1. SMtM ÜLS Vsrwärts
Vonnerstag, 2Z. Oktober 1024
Viele Personen, die emen Freund oder Verwandten aus der alten Heimat herüberkommen lassen wollen, zögern oft lange, ehe sie zur Auswanderung aufmuntern oder das Reisegeld hinüber- schicken. Hauptsächlich werden sie dadurch abZehalten, daß der Ein- wanderer aus irgendeinen! Grund« nicht zugelassen werden könnte, nachdem er die Brücken hinter sich abgebrochen und das Reisegeld verausgabt hat. Niemand scheint imstande zu sein, ihm bestimmt zu sagen, ob der Einwanderer zugelassen werden wird oder nicht. Tat- sächlich kann kein Zeitungsredakteur, kein Jnformotionsbureau, an die man ssch gewöhnlich wendet,«in« bestimmte Antwort geben; denn de» endgültigen Entscheid treffen die Cinwanderungsbchörden der Vereinigten Staaten , die sich in bezug auf die Zulässigkeit des Einwanderers vor dessen Eintreffen im Ankunstshafen nicht äußern können. die Mmen. Die größte Zahl der Abgewiesenen findet man in der Rubrik L. P. C. Dies« Anfangsbuchstaben bezeichnen den englischen Ausdruck„b-ilcelzr to become a Public Charge"(wird wahrscheinlich der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last fallen). Dies« Gruppe umfaßt Einwanderer, deren Lebensunterhalt nicht genügend verbürgt ist oder die einen körperlichen Mangel aufweisen, der sie daran hindern kann, ihren Lebensunterhalt zu oerdienen. 8233 Einwanderer dieser Kate- gorie wurden von der Landung ausgeschlossen, und weiter« 1088 Aus- länder dieser Gruppe wurden im Laufe des Jahres von den Ein- lvanderungsbehörden aufgegriffen und abgeschoben. Allein reisende Frauen und Kinder kommen fast sicher in diese Kategorie, wenn sie kein ordentliches..Ailiüavit ol Support" aufweisen können. Das
Abschied von der Heimst.
gleiche trifft zu auf eine Witwe, die zu einem entfernten Verwandten I ri* kommt, auf«ine alt« Großmutter, die sich zu einem Sohn begibt, der augenscheinlich mittellos ist. Um zu entscheiden, ob ein Ausländer wahrscheinlich der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last fallen wird, ziehen die Einwandcrungsbehördcn unter anderem folgende Ding« in Betrocht: seinen Beruf(einschließlich der physischen Fähig- keit, dem Beruf nachzugehen), die Zahl der lebenden Personen, die in bezug auf den Lebensunterhalt von ihm abhängen, die Möglichkeit, die sich dem Einwanderer bietet, Arbeit zu finden und zu behalten, und die Geldsumme, die er besitz'. Es ist wohl zu beachten, daß«in > Affidavit, welches die amerikanischen Konsuln in Europa zufrieden- ! stellt«, nicht immer den Ansprück?en des Cinwanderungsinspektors im amerikanischen Ankunftshafen entspricht. Man tut daher gut, die Affidavits sehr sorgfältig ausstellen zu lassen, und zwar von dem nächskcn Vluksverwondlen. Wenn möglich, sollte man neben dem Affidavit«in Empfehlungsschreiben von einem angesehenen ameri- konischen Bürger, wie etwa von dem Arbeitgeber der Person, die den Einwanderer kommen läßt, hinüberschicken. Analphabeten. 2396 Analphabeten wurden von der Landung ausgeschlossen, da das Einwanderungsgesetz verlangt, daß der Einwanderer lesen kann. Die Leseprllfung des Ausländers wird so vorgenommen, daß der Inspektor ihm«ine Kart« zu lesen gibt. Dies« Kort« enthält Aus- züge aus der Bibel in vielen Sprachen und etlichen Dialekten. Bei der Prüfung kann d«r Ausländer die Sprache wählen, in der er ge- prüft werden will. Er muß nicht weniger als 33 und nicht mehr als ig Wort« mit Verständnis lesen können. Die Korten für Ein- wanderer aus nichtchristli-Hen Ländern enthalten kein« Bibelstellen, sondern ein« Aufforderung, irgendein« einfache Handlung zu voll- ziehen. Bewohner der Vereinig'«« Staaten, ob Ausländer oder Bürger, sowie zulässige Ausländer können ihren Vater, ihren über 66 Jahre alten Großvater, ihre Frau. Mutter oder Großmutter und ihre unverheiratete oder verwitwete Tochter herüberkommen lassen oder mitbring«n, ohne daß die Lesebestimmung auf diese Ber - wandten Anwendung ffndet. Von der Bestimmung sind ebenfalls ausgeschlossen Ausländer, die in zufriedenstellender Weife beweisen können, daß sie in dieses Land kommen, um der religiösen Verfol- gung zu entgehen. Kontraktarbeiter. Di« drittgrößt« Gruppe der Ausgeschlossenen bilden die so- gemmnten Kontraktarbeiter. Viele Einwanderer glauben, daß nur solche als Kontraktarbeiier von der Landung ausgeschlossen werden, die einen bestimmten Arbeitstontrakt unterzeichnet haben. Die Be- stimmung über Kontraktarbeiter schließt jedoch jeden aus. der durch mündliche Arbeitsversprechungen bewogen worden ist, noch den Vereinigten Staaten auszuwandern. Wer im Ausland ein« Stellung?- anzeige gelesen hat und dadurch veranlaßt worden ist,� herüber- zukommen, wird genau so als Kontraktarbeiter betrachtet wie jemand, dessen Reise von einer Gesellschaft bezahlt worden ist, die ihn als Arbeiter zu beschäftigen sucht. Eine Ausnahm« wird bei gelern. ten Arbeitern gemacht, wenn«in Mangel an solchen gelernten Arbeitern besteht, aber in dem Fall muß das Arbeitsdepartement in Washington die Einreise solcher Einwanderer vorder besonders bewilligen. Aach Dienstboten werden zu der Klasse der Kontraktarbeiter gerechnet. Solange die Quote nicht erschöpft ist, können ssch Dienstboten, die sonst allen Bestimmungen der Einwanderunqsgefttze genügen, nach einer bestimmten Familie in diesem Lande begeben. Nach der Erschöpfung der Quote ihres Geburtslandes dürfen Dienst- boten auch dann landen, wenn sie sich in Begleitung der Familie be- finden, von der sie vorher im Ausland beschäftigt waren, oderjvenn sie sich nach dieser Familie begeben. Zofen und Kindermädchen werden nicht zu der Klasse von Dienstboten gerechnet. Kranke. Heber 1300 Personen, die nicht landen dursten, gehören zu den Klassen 2.C.D. und D.C.D. L.C.D. ist die Abkürzung für „Loathsome and Contagious Disease"(ekelhofie und ansteckende Krankheit), wi« hauischwainm. Läusejucht. Trachoma(Augenkrank- heit) und ähnliche Krankheiten. Die an solchen Krankheiten leiden-
In der neuen Welt den Einwanderer sind automatisch von der Landung ausgeschlossen. Der von der Einwanderungsbehörde benützte Ausdruck D. C. D. be- deutet„Dangerous and Contagious Disease"(gefährliche und ansteckende Krankheit, wie Geschlechlsk raukheilen und Schwindsucht). Unter der Rubrik der wegen körperlicher Mängel Abgewiesenen
finden wir 783 Fälle von Irrsinn oder Fallsucht. 166 Fäll« von geistig gering.~ 7 oder«inen ernsteren Defekt, wi« etwa den Verlust der Seh-
minderwertigen Personen und 86 chronische Säufer. Die Frag«, ob ein Einwanderer, der ein geringes körperliche, Gebrechen aufweist,
kraft auf einem Auge, den Verlust eine» Gliedes, der Hörtraft oder der Sprache, landungsfähig ist. kann nicht im voraus vor der Umeriuchung im Ankunftshafen entschieden werden. Derartige körperliche Mängel reihen den Einwanderer nicht an und für sich den unbedingt auszuschließenden Personen an. werden aber ernsthaft bei der Cnffcheidur.g in Erwägung gezogen, ob der Aus- länder wahrscheinlich der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last fallen wird. Ist ein Auswanderer sonst zulässig, so kann er unter Bürg- schaft landen, d. h. jemand muß für ihn einen sogenannten Bond stellen und dafür bürgen, daß der Ausländer nicht der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last fällt. kinüer. Ferner wurden 262 Sinder unter IS Zcchren ausgejchlossen, die allein reisten oder sich zu einem ihrer Eltern begaben. Das Einwan- derungsgefetz ist sehr streng in dieser Hinsicht. In vielen Fällen hat eine Mutter oder ein Vater in den Vereinigten Staaten einen
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Der Mittelweg.
Von Sir Philip Gibbs . „Ach Bertram, ich furchte, das Kind ist ganz zu den Sinn- feinern übergegangen. Sie begeistert sich dafür, wie damals für die Suffragettes. Der Vater droht, sie aus dem Hause zu werfen, wenn sie noch ein einjigesmal davon anfängt. Wir hatte» gestern eine entsetzliche Szene." Bertram konnte sich das vorstellen. Susanna schwärmte für Szenen. Sie war eine irische Rose mit vielen scharfen Dornen. Ihr Blut kannte keine normannische Kühle. Sie hatte nichts von der Sanftheit ihrer Mutter. Frau Pollard ließ mehr als ihre gewöhnliche Aengstlich- keit durchblicken.„Wenn es nur nichts Schlimmes mit Susanna ist. Vor einigen Tagen ist schon ein Schutzmann hiergewesen." „Ein Schutzmann? Das hört sich ja wie ein Melo- drama an." Er wollte, daß ihm Susanna die Adresse eines jungen Iren Dennis O'Brien sagte.„Susanna behauptete nichts von ihm zu wtfsen, aber ich weiß, daß sie sich immer mit ihm schreibt." Bertram entfuhr ein„Donnerwetter!" wofür er sich bei seiner Mutter sofort entschuldigte. Er versuchte vor ihr seine eigene Erregtheit zu verbergen. Er kannte Dennis O'Brien. Er war mit ihm in der gleichen Mafchinengewehrabteilung gewesen und von ihm hatte er immer die Neuigkeiten aus Irland gehört. Keine Nachrichten, über die man leichtherzig debattieren konnte. Der Junge war mit Leib und Seele Sinnfeiner.., „Wo ist Susanna? fragte er kurz. Frau Pollard griff sich an die Stirn:„Kann ich das wissen? Moderne Töchter ziehen ihre Mütter nicht mehr ins Vertrauen. Sie kommen und gehen, wie es ihnen gefällt, und weisen Fragen zurück. Zu meiner Zeit ist das nicht fo gewesen." Bertram mußte bei den letzten Worten lächeln. Wie oft hatte er sie früher gehört. Wie oft halten er und die beiden Mädels— alle drei Nebellen— als Kinder vor Iahren über sie gelacht. Sein Bruder Digby, der jetzt als Schwarz-Gelber — welch entsetzlicher Gedanke— in Irland war, war damals noch zu klein gewesen, um über diesen Spaß zu lachen. Er blieb noch etwas, seine Gedanken lösten sich allmählich von Joyce und seinem toten Kinde. Bei seiner Mutter, deren
Liebe beruhigend und alles verstehend war, fühlte er sich wieder als Knabe. Sie sprachen von alten Zeiten und die Mutter oergoß ein paar Tränen, weil sich alles so sehr oer- ändert hatte, und sie sich so einsam und verlassen fühlte, wo nun auch Digby, ihr Jüngster, nach Irland in den Mittel- punkt all dieser Schrecklichkeiten gegangen war. Sie machte keine Anspielung, daß auch Joyce an ihrer Vereinsamung etwas mitschuldig war. Joyce schien sie nicht sehr zu lieben und hielt Bertram mehr als es höflich war, von seiner Mutter zurück. Bertram erriet ihre Gedanken..Wenn es Joyce erst wieder gut geht, werden wir öfter zu dir kommen, Mutter." „Das ist lieb von euch," antwortete sie ruhig, aber nicht sehr hoffnungsvoll. Er verließ sie kurz vor Mitternacht und war bereits wieder in der Holland Street, bevor das Parlament eine lange Debatte über die Lage in Irland beendet hatte. Am nächsten Morgen sah Bertram, daß seines Vaters Rede wörtlich in der Zeitung abgedruckt worden war. Er las sie nicht. 5. Joyces Genesung schritt nur langsam vorwärts. „Braucht Aufheiterung!" meinte die Pflegerin, die noch im Hause geblieben war.„Aber Besuch kann ich noch nicht erlauben. Das Aufheitern ist Ihre Sache, Herr Major!" Bertram tat. was er konnte, um sie zu erheitern, ging im Krankenzimmer aus und ein, brachte Blumen, Bücher, illustrierte Blätter mit und äußerte heitere Bemerkungen über das Wetter und die Dinge im allgemeinen. Aber Erfolg hatte er nicht. Joyce schien sich über etwas zu kränken und blieb niedergeschlagen. Nur wenn die Pflegerin sie manikürte, oder wenn ein.,Truelooe"-Mädchen kam, um ihr das kurz- geschnittene Haar zu kräuseln, heiterte sie sich etwas auf. Auch zerstreuten sie die vielen Erkundigungen noch ihrem Befinden, die meistens von so vielen Blumen begleitet wurden, daß Bertrams Sträußchen darunter ganz oerschwand. So oft es läutete war sie gespannt, welcher von ihren Freunden es wohl fein konnte. „Ist Kenneth noch nicht hier gewesen?" fragte sie und auf Bertrams Antwort:„Mindestens ein halbes Dutzend mal" sah sie ihn belustigt und provozierend an.„Ein netter Junge! Die Pflegerin muß mir erlauben, ihn zum Tee einzuladen." Bertram unterdrückte eine plötzliche Eifersucht. In diese Dummheit durfte er nicht wieder verfallen. Nach einer kurzen Pause, die Joyce wohl verstand, erlaubte er sich nur den.
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schüchternen Vorschlag, daß sie vielleicht besser täte, zuerst Familienmitglieder zu empfangen, ihre Mutter z. B. und auch seine, und auch Susie, seine Schwester. Sie würden sich immerhin verletzt fühlen, wenn andere dort Zutritt hätten, wo sie ausgeschlossen wären. Joyce schnitt eine drollige Grimasse.„Ach. bei dir muß alles nach den Regeln des Anstands gehen! Natürlich muß ich Mama empfangen, aber wozu auch gleich Schwiegermütter und Schwägerinnen, das begreife ich nicht. Es wäre viel lustiger, Kenneth und noch ein paar aus meinem Kreise hier u haben, eine richtige tolle Teegesellschaft, mit der wir meine ückkehr in die Gesellschaft feiern könnten." „Gott ! fange doch so etwas nicht wieder cmt" sagte Bertram hastig. „So etwas?" ftagte Joyce kalt. Cr vermied eine direkte Antwort.„Laß uns erst mal ein bißchen ruhig bleiben, uns beide. Ich muß mir die Sache erst überlegen. Vor allem brauche ich Arbeit." „Daran werden meine Teegesellschaften dich nicht hin- dern," sagte Joyce, setzte sich im Bette auf und wurde dunkelrot. Bertram, fangen wir doch nicht wieder mit den alten Argumenten an. Ich lasse dir freie Hand. Ich bin auf keinen deiner Freunde eifersüchtig, obgleich der Sozialist, dieser Christy, einen üblen Einfluß auf dich ausübt. Ich be- stehe darauf, meine eigenen Freunde zu haben und sie zu treffen, wann und wie es mir gefällt. Wenn du kein Ber - trauen zu mir hast, so beleidigt mich das in meinem Ehr- gefühll" „Aber geliebtes Kind," flehte Bertram zerknirscht und demütig. Natürlich vertraute er ihr, es war ja alles ganz harmlos, natürlich war er davon überzeugt, daß ihre Freund- jchoft mit Kenneth Murleß absolut rein und ehrlich war, und doch war diese Freundschaft ihm so verhaßt, denn er liebte seine Frau mit eifersüchtiger Liebe und haßte alle aus ihrer Umgebung, denn sie verdrängten ihn aus dem absoluten Be- sitzerrecht, nach welchem er sich sehnte. „Ich werde Kenneth morgen zum Tee bitten," sagte Joyce entschieden,„und danach andere von all denen, die mich be- suchen möchten. Mir graut schon vor dieser ganzen Kranken- stubenexistenz. Hoffentlich nie wieder nach dieser einen Er- fahrung!" „Lade ein, wen du nur möchtest," sagte Bertram und beugte sich über sie, um sie zu küssen, aber sie wich ihm ver- drießüch aus.(Fortsetzung folgt.)