Nr. 502 41. Jahrgang Ausgabe A nr. 255
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Freitag, den 24. Oftober 1924
Hergt abgesägt.
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Der Vorstand der Deutschnationalen Partei hielt gestern im Reichstag eine lange und stürmisch bewegte Sihung ab, in deren Berlauf Herr Hergt sein Amt als Parteivorfihender niederlegte. Mit der Führung des Amtes wurde provisorisch, bis zur statutengemäßen Neuwahl, die zu Ende d. 3. erfolgen soll, der preußische Landtagsabgeordnete Dr. Windler betraut.
Die Bürgerblockfront hat einen schweren Schlag erhalten. Herr Hergt, der Führer der Fraktion der fünfzigprozentigen Gesinnung, ist abgefägi worden. Seine Führerrolle ist zu Ende. Nicht als ob der Verlust dieses Führers ein harter Schlag für den Bürgerblod wäre. Ob Herr Hergt oder eine andere Erzellenz, ist vollständig gleichgültig. Die persönliche Qualifikation für das Führeramt kommt dabei nicht in Frage. So geistvolle Säße, wie den vom ,, Banner, das nie geschwankt hat", oder den vom„ beinahe nicht anders können", fann schließlich jeder beliebige prägen. Nicht deshalb ist die Abfägung des Herrn Hergt ein schwerer Schlag für die Bürgerblodfront. Sie reißt die künstliche Fassade, der politischen Richtlinien, Erklärungen, Versicherungen, der Redensarten von Volksgemeinschaft, Versöhnung, Konsolidierung ein, die vor dem Bürgerblod errichtet worden ist. Sie läßt erkennen, was dahinter steckt, und wie der Bürgerblod eigentlich aussieht. Der Bürgerblock sollte zustandekommen durch einen, riesigen Betrug. Am 29. August begann es mit dem fünfzig prozentigen Umfall der Deutschnationalen in der entscheidenden außenpolitischen Frage. Die Jasager sollten die Deutschnationalen in den Bürgerblod einkaufen, die Neinsager den Kurs im Bürgerblock bestimmen. Die Jasager sollten der Deffentlichfeit Sand in die Augen streuen, sollten den Eindruck erwecken, als seien die Deutschnationalen auf dem Wege, sich zur Er füllungspolitik zu befehren, die Neinjager sollten als fünfzigprozentige Triarier die lebende Garantie gegen den Wählerschwund bilden. Die Jasager sollten für die bürgerbloctolle Bolkspartei Vorwand und Begünstigung liefern zur Herbeiführung einer Regierungskrise mit dem Ziele des Bürger blocks, die Neinjager sollten die wirklichen Teilhaber werden. Die Volkspartei war nicht etwa das Objekt, gegen das der Betrug sich richtete! Um den Handel zu erleichtern, versuchte fie die klare Linie der deutschen Außenpolitik immer wieder zu verwischen und abzubiegen. Die Eskapaden des Herrn Strese mann von der flaren außenpolitischen Linie bezeichnete sie als originelle Erfindung, als die eigene außenpolitische Linie der Volkspartei nur um den Deutschnationalen näher zu fommen. Sie wußte, daß es 47 von den 48 Jasagern der deutschnationalen Fraktion nicht darum zu tun war, eine andere außenpolitische Linie als die der nationalen Phrase einzuschlagen, sondern nur darum, einer Abrechnung im Wahltampf aus dem Wege zu gehen. Und wenn sie es nicht gewußt hätte, so hätten sie die Auseinandersetzungen bei den Deutschnationalen belehren können. Es wurde bald flar, daß die Rechtsradikalen bei den Deutschnationalen in der Ueber zahl waren. Laut und grob sagten sie ihre Meinung und forderten als Garantie gegen ein Verlassen der alten agitatorischen Linie in der Außenpolitik den Kopf von Hergt. Der Schacher um die Regierungsbildung mit den Deutschnationalen vollzog sich unter der Begleitmusik der unentwegten deutschnationalen Preffe. Im Chor wiederholte sie den Refrain: Hergt muß fort. Herr Hergt, der doch selber ein Neinsagar ift, konnte die offene Rebellion nur mit dem Versprechen befänftigen, daß er vom Führeramt zurücktreten werde, wenn die Verhandlungen über die Regierungsbildung zu Ende sein würden. Die Deutsche Volkspartei wußte also von vornherein, daß nach der Bildung des Bürgerblocks die Führung in der Deutschnationalen Partei an die Schlange und Laverrenz übergehen würde! Hätte sie das befristete Rücktrittsversprechen von Hergt nicht belehrt, so hätte sie die Nominierung von Laverrenz als Verkehrsminister durch die deutschnationale Frattion schließlich belehren sollen. Aber sie bedurfte feiner Belehrung! Die fünfzigprozentige Ehrlichkeit der Deutschnationalen war der Volkspartei gerade recht!
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Auf der Grundlage der Unsicherheit und der Lüge über die vom Bürgerblock zu verfolgende Außenpolitik sollte der Bür gerblod aufgebaut werden. Man wollte ihn erst bilden, und dann erst die Flagge zeigen. Die Auflösung des Reichstags hat das saubere Spiel durchkreuzt. Nun wurde es für die Hergt und Genossen schwierig, das System der fünfzigprozen tigen Ueberzeugung durchzuhalten; denn schließlich wollten die Wähler nicht zwei Ueberzeugungen zu je fünfzig Prozent ihrer Partei hören, sondern eine hundertprozentige. Die Unentwegten bei den Deutschnationalen wurden nun rebellisch, als fie erkannten, in welche katastrophale Situation sie durch die
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Politik der Halb und Halben geführt worden waren. Sie wurden unangenehm deutlich. Noch gestern Abend schrieb die wurden unangenehm deutlich. Noch gestern abend schrieb die „ Deutsche Zeitung" drohend:
,, Wenn jetzt aber wirklich das Unerhörte Tatsache werden sollte, daß die Parteibureaukratie versucht, Exzellenz Hergt, dessen forte gesetzte Mißerfolge und Niederlagen die Partei bis an den Rand des Abgrunds geführt haben, noch zu halten, dann muß jede Rücksicht aufhören.
Es handelt sich doch nicht um die Person allein ,, es handelt sich um das System Hergt und das Verbleiben Exzellenz Hergts fönnte nur so ausgelegt werden, daß die Parteileitung beabfichtigt, die jammervoile und in jeder Beziehung verunglückte Er füllungs- und Kompromißpolitit der letzten Monate fortzusetzen. Für eine solche Politit find aber weder die Bölkischen noch die Vaterländischen in der Partei zu haben. Sollte versucht werden, sie ihnen trotzdem aufzuzwingen, dann müßten sie sich, wenn auch schweren Herzens, für ein andere Lösung entschließen."
Gegenüber der deutlichen Drohung mit der Parteispaltung hat er gt nicht erst einen Beschluß der Borstände der deutsch Her nationalen Landesorganisation abgewartet, sondern sich rechtzeitig selbst abgefeßt. 5
Er ist nicht abgefägt worden, weil er das erbärmliche Spiel vom 29. Auguft betrieben hat, nicht aus Schamgefühl darüber, daß er als Neinjager 48 Jajager gegen vier Ministersize verhandeln wollte. Nicht politisches Reinlichkeitsgefühl hat ihm den Hals gebrochen. Er war den Laverrenz und Schlange, den Leuten von der Deutschen Zeitung", zu unsicher, zu kompromißfüchtig, nicht entschieden genug in der Bertretung nationalistischer Kraftphrasenpolitik. Sein Abgang ist eine Konzession an den Rechtsradikalismus. Die Wahlfundgebung der Deutschnationalen, die Rede Westarps, die Abjegung Hergis alles zeigt, wie wenig die Deutschnationalen daran denken, sich zu einer vernünftigen Außenpolitik zu befehren. Die Absetzung ergts zerstört die Lüge, auf Die der Bürgerblock aufgebaut werden sollte, die Lüge von der außenpolitischen Wandlung der Deutsch nationalen. Sie ist eine Ohrfeige für die Bür gerblodfreunde in den anderen Lagern. verdirbt den Bürgerblöcklern das Wahlkonzept.
Aber für die Deutschnationalen? Sind sie dadurch wieder ehrlich geworden? Keineswegs: die Schmach bleibt auf ihnen figen, daß sie mit Gesinnung handelten wie mit alten Hosen. Ift ihre innere Krise nun vorüber, werden sie nun den ersehn ten großen Führer" an die Spizze stellen? Gestern abend schrieb die ,, Deutsche Zeitung":
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.Bu solch tatenfroher und zukunftsgewisser Zielsetzung bedarf es allerdings eines Mannes von hoher geistiger Schwungtraft, wie sie nur allein einem solchen eignet, der nicht bereits in gewissem Sinne, durch die aufreibende Tätigkeit des Alltags verbraucht ist, men er an seine Führertätigkeit herantritt. Es muß eine Hauptaufgabe der Deutschnationalen Partei fein, sich den neuen Führer genau darauf anzusehen, ob er frisch und unverbraucht genug ist, die ausgefahrenen Geleise der bisherigen Parteipolitit zu verlassen und selbst mit festem Wollen und hohem Streben erfüllt, feiner Partei einen neuen und gewissen Geist" einzuhauchen."
An der Stelle von Herrn Hergt erscheint Herr Windler. Seine hohe geistige Schwungkraft besteht darin, daß er weder jasagerisch noch neinsagerisch festgelegt ist. Der neue Führer ist also ein Kompromißprodukt, ein Platzhalter für den kommenden wirklich großen Führer". Den Ünverfür den kommenden wirklich großen Führer". Den Ünverbrauchten, den Schwungkräftigen. Der schließlich auch eine Niete sein wird, wie Kapp und Kahr und Tirpitz. Da sie ihn nie finden werden, wird ihre innere Verwirrung weitergehen. Die Bürgerblockwahlen fangen gut an für die Deutsch nationalen.
Wie sag' ich's meinen Kindern?
Der dramatische Borgang der Absetzung von Hergt wird in einer parteioffiziösen, beschönigenden Mitteilung in folgen der Form mitgeteilt:
Der Parteivorstand der Deutsch nationalen Volkspartei hielt heute im Reichstage eine Sigung ab, in der an erster Stelle die Frage des Wahltampfes erörtert wurde und der bisherige Parteivorsitzende Staatssekretär Hergt entsprechend feiner bekannten öffentlichen Ankündigung mitteilte, daß er den Parteivorsiz niederlege, nachdem die Verhandlungen über die Regierungsbildung ihr Ende gefunden hätten. Der Parteivorstand nahm mit schmerzlichem Bedauern den Entschluß des hoch verdienten Parteiführers zur Kenntnis, sprach ihm den herzlichen
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Dank für seine erfolgreiche und selbstlose Leitung der Partei aus und richtete an ihn die einmütige Bitte als Mitglied der Parteileitung weiterhin der Partei seine Kraft zur Verfügung zu stellen, die unter ihm zur stärksten Partei Deutschlands geworden sei. Mit der Parteiführung wurde bis zur saßungsgemäßen Neuwahl der Parteiinstanzen Ende dieses Jahres der Vorsitzende der preußischen Landtagsfraktion Dr. Windler betraut. zu gleicher Zeit wurde Großadmiral v. Tirpit einhellig zum Mitglied der Parteileitung ernannt. Im Laufe der nächsten Woche werden die Vorsitzenden der Länderverbände der Deutschnationalen Volkspartei zu einer Eizung zusammentreten.
Nach dieser diplomatischen Darstellung hat sich die Abfägung des Parteiführers in den friedlichen Formen einer Geburtstagsfeier bewegt. In Wirklichkeit hörte man den Streit und den Lärm aus dem Beratungszimmer der Deutschnationalen bis weit auf den Gang hinausschallen.
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Die Freude werden Sie nicht erleben!" Während die Deutschnationalen Herrschaften im Reichstag Herrn Hergts Schicksal entschieden, hielt Gen. Heilmann im Preußischen Landtag eine ausgezeichnete Rede, über die wir in der Beilage dieses Blattes berichten. Eine Stelle verdient jedoch besonders in der vollen Ausführlichkeit des stenographischen Protofoills wiedergegeben zu werden. Es entwickelte sich folgendes anmutige Frage- und Antwortspiel: Aber, meine Herren, Sie haben ja Ihren Lohn schon dahin. 3ft Herr Hergt eigentlich noch Ihr Führer?( 3uruf bei der Deutschnationalen Volkspartei : Das geht Sie gar nichts an! Stürmische Heiterfeit.) Meine Damen und Horren, was öffentlich erörtert wird, geht die Oeffentlichkeit an( Sehr richtig! links), und nachdem Sie gestern in der Deutschen Zeitung" gelesen haben: heute bietet die Partei ein Chaos und sie wird sich daraus nur retien, wenn sie diesen Führer"- nämlich Herrn Hergt in den Abgrund stürzt", darf ich doch wohl die Frage stellen.( 3uruf bei der Deutschnationalen Volkspartei : Die Freude werden Sie nicht erleben!) Ist Herr Hergt schon den Weg gegangen, den Herrn Baecker aus der Chefredaktion der„ Deutfchen Tageszeitung" herausgegangen ist( Heiterfeit links), der Herrn Hoesch aus der Kreuzzelung" herausgeführt hat? Herr Hergt ist ja der Verfasser des berühmten Wortes von den„ Amerikanern, die nicht fliegen können". Da interessiert es uns doch, zu wissen, ob Herr Hergt fliegen fann.( Große Heiterfeit links.)
Er fann es, fann es besser als prophezeien. Ihm bleibt nur der Trost, daß er nicht der einzige schlechte Prophet seiner Partei ist. Denn zur selben Stunde, da der Ruf erscholl:„ Die Freude werden sie nicht erleben", hatte Hergt schon auss gezappelt.
Wer ist's?
Landtags; freilich sind ihm die schönen Tage des Dreiflaffenhauses Herr Winckler gehört zum eisernen Bestand des preußischen entschwunden. Dort war er, der Bürgerliche, das ausführende Organ der. hochedlen Junker für die Hausknechtsarbeit der Schlußanträge, mit denen man den Sozialdemokraten das Wort abschnitt. Zuweilen ward er cuch als Verhandlungskommis zu anderen Barteien geschickt, wozu sich so ein Pappenheim oder Arnim- 3üsedom ja nicht gern hergab. Gifrig lief Wincler, hochjunkerlichen Befehlen zu folgen und gar freudigen Herzens, wenn es was recht Mude= und ists wohl noch risches zu tun gab. War er doch dent der evangelischen Generalfynode. Als fgl. Landrat a. D. und Präfi aftiver Rittergutsbesitzer hatte er ouchy die nötige weitliche Daseinsgrundlage. Diesen trockenen Schleicher sich als Führer der größten deutschen Partei" vorzustellen, das geht über die Kraft derer, die ihn fennen. ihn kennen. Durch den notgedrungenen Rücktritt Hergts war eben ein Loch entstanden. Man suchte etwas, um es zu stepfen, fand Herrn Winckler.
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Die Monarchisten verlangen Aufklärung. Ja oder nein?!
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Tirpitz in
der Klemme. München , 23. Oftober.( Eigener Drahtbericht.) Im Anschluß an einen Vortrag, den jüngst Großadmiral a. D. Zirpik por geschlossenem Kreise in München gehalten hat, erhob, wie die demofratische Münchener Allgemeine Zeitung " zu berichten weiß, der deutschynationale banerische Landtagsabgeordnete Professor Bauer, der von Herrn v. Kahr bestellte Vorsitzende der Vaterländischen Verbände, die Forderung, daß eine fünftige Redjtsregierung im Reiche fefert an die Vorbereitungen für die Wiedereinführung der Monarchie, vor allem in Bayern , zu gehen habe. Die Meinung der Versammlung zu diesem Vorschlage war geteilt. Tirpig selbst anwortete ausweichend und ließ durchblicken, daß eine mittelsbachische Sondermonarchie mit seinen prer Bischen Gefühlen nicht ganz in Einflang zu bringen fei. Ein T