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Nr. 512 41. Jahrgang

2. Beilage des Vorwärts

Das Ziel des Bürgerblocks.

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Klaffenherrschaft der Inflationssieger.

In der Zeit der Geldentwertung hat sich das Verhältnis der Klassen zueinander verschoben. Geldentwertung durch Inflation bedeutete wohl Berarmung Deutschlands , aber nicht Verarmung aller Deutschen . Es ist den Arbeitern, den Angestellten, dem Mittelstand schlecht genug ge­gangen in der Inflationszeit. Es gibt aber auch Sieger der Inflation! Das sind nicht nur die Spekulanten und Schieber bei denen es übrigens meistens heißt: wie gewon­nen, so zerronnen. Das sind vor allem die Großindustriellen in Deutschland . Was die Arbeiterklasse und die Klaffe des Mittel­standes verlor, hat die Klasse der Großunternehmer gewonnen. Nachdem die Zeit der Stabilität ein Jahr angehalten hat, werden die Klassenverhältnisse wieder durchsichtig. Auch der oberflächliche Beobachter erkennt, was eigentlich geschehen ist. Der Ruf nach der Aufwertung ist die erste Reaktion auf die in der Zeit der Inflation eingetretene Verschärfung der Klassengegensätze. Er ist nicht nur ein Hilferuf der wirtschaft­lich Bedrängten, sondern er entspringt dem Gerechtigkeits­gefühl, der Empörung des verlegten Rechtsgefühls über die brutale Niederdrückung und Ausplünderung ganzer Klaffen zugunsten der Siegerklaffe der Inflation. Er ist vom Mittel­stand aus gesehen der Ruf nach Freiheit gegenüber der Ab­hängigkeit, in die der Mittelstand von der Siegerklasse der Inflation geraten ist.

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Die Ueberzeugung, daß das soziale Ergebnis der In­flationszeit nicht geduldig als unabänderlich hingenommen werden kann, bricht sich eben in allen Klassen Bahn, die durch den Aufstieg des Großunternehmertums in wirtschaftliche Be­drängnis und Abhängigkeit geraten sind. Wenn der ge­schädigte Mittelstand nach Aufwertung, nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ruft, so ist das grundsäglich das gleiche, wie wenn die Arbeiterschaft, die unter der Inflation gelitten hat, in ihren Lohnkämpfen und in ihrem politischen Kampf eine Lebenshaltung zu gewinnen sucht, die ihr ein kulturwürdi­ges Dasein gestattet. Es ist das gleiche Streben nach Frei­heit gegen großkapitalistische Abhängigkeit, wenn der Mittel­stand um freien Raum für Bildungs- und Kulturmöglichkeiten und unabhängige politische Betätigung ringt, und wenn die Arbeiterschaft gegen Verlängerung der Arbeitszeit und poli­tische reaktionäre Treibereien anfämpff. Dies Ringen um Freiheit gegen die Siegerklasse der Inflation, gegen das Groß­unternehmertum, ist Klassenkampf.

Klassenkampf ist nichts, was durch Parteien und Agita­toren fünstlich gemacht werden kann. Ohne Klassengegensätze fein Klaffentampf, ohne die Unterdrückung von Arbeiterschaft und Mittelstand durch das Großunternehmertum nicht das Sich- zur- Wehr- sezen gegen Ausbeutung und Abhängigkeit. Die Siegertlasse der Inflation aber möchte, daß die in der Inflation ausgeplünderten Klaffen den jetzigen sozialen Zustand als unabänderlich hinnehmen. Wenn die Bürgerblöckler die Parole ausgeben: gegen den Klassenkampf, so meinen fie: für die Klassenherrschaft des Großunternehmer­

tums, der Sieger der Inflation.

Das deutsche Großunternehmertum hat in der Inflations­zeit wahre Orgien des Klaffentampfes gefeiert. Mit Betrug gegen den einzelnen und gegen den Staat, unter Ausnügung der Notlage von Bolt und Staat hat es seine Klaffenmacht gestärkt. Ueber Treu und Glauben, über alle Gebote der Ehr­lichkeit, der Menschlichkeit, der Baterlandsliebe hinweg hat es den Prozeß der Ausplünderung des Volkes und der Anfamm­lung eigener Reichtumsmacht vollzogen. Das war die bru­falste, die niederträchtigste Form des Klassenkampfes, die mög­lich war. Der Klassenkampf der Großunternehmer ging auf Kosten des ganzen Boltes, der Arbeiter wie des Mittelstandes!

Die Nuznießer dieses Klassenkampfes rufen nun: nieder mit dem Klaffentampf! Sie wollen ihre Machtstellung be­haupten, das Inflationsunrecht verewigen, neues Unrecht hin­zufügen. Sie wollen den Bürgerblock, um auch die Groß­agrarier zu stärken auf Kosten des Volkes.

Bürgerblock ist klassenherrschaft, ist poli­tische Form des Klassentampfes von Groß­unternehmern und Großagrariern gegen alle anderen Klassen des Volkes! Hinter dem Ruf: Nieder mit dem Klassenkampf! verbirgt sich der Wille der Sieger der In­flation zum Klaffenkampf, die Forderung, daß die Ausge­plünderten und in Abhängigkeit Geratenen ihr Schicksal schweigend und ohne Abwehr hinnehmen sollen. Klaffen­herrschaft des Bürgerblocks heißt Berewigung des sozialen Unrechts.

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Den Bürgerblöcklern muß am 7. Dezember eine Nieder­lage bereitet werden das ist der erste wirksame Schritt zur Wiedergutmachung des In­flations unrechts!

Die Stimmzettelumschläge für die Wahlen.

Es ist in Aussicht genommen, für die Abgabe der Stimm­zettel zur Reichstags- und Landtagswahl nur einen Umschlag zu verwenden, und zwar den für die Reichstagswahlen ausgegebenen Umschlag, der außer dem Adlerstempel feinen weiteren Aufbrud trägt. Nach einer Verfügung des Preußischen Ministers des Innern find in erster Linie die ungebrauchten und schon einmal gebrauchten Umschläge dieser Art mit dem neuen Adlerstempel zu verwenden; soweit diese nicht ausreichen, muß aus Sparsamteitsrüd­sichten auf die ungebrauchten und schon einmal benutzten Umschläge mit dem alten Adlerstempel zurüdgegriffen werden. In jedem Wahiraum dürfen aber nur Umschläge gleicher Art benutzt werden. Die Verwendung der für Ostpreußen , Schles­ wig- Holstein und Oberschlesien seinerzeit gelieferten gelben Umschläge mit dem neuen Ablerstempel und dem weiteren Aufdrud Reichstags­ wahl " tommt in diesen Provinzen für die bevorstehenden Wahlen nicht in Frage.

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Georg Wilke

Der Sturz der Verdammten.

Gewerkschaften und Partei.

München , 29. Oftober.( Gigener Drahtbericht.) Die Zeit der Kommunisten in den Münchener Gewerkschaften ist endgültig vor­über. Das zeigte sich ganz flar in einer außerordentlich stark besuchten Delegiertensitzung, die sich in der Hauptsache mit den tommenden Wahlen befaßte. In der eingehenden Aussprache meldete sich nur ein einziger Kommunist zu Worte, der die übliche Mostauer Grammophonplatte ablaufen ließ und fast nur Seiterfeit auslöfte. Das Ergebnis der Aussprache war die Aufstellung folgen der Richtlinien, die mit allen gegen 4 Stimmen angenommen wur­ben: Die Mitglieder der freien Gewerkschaften werden aufgefordert, in der Einzelagitation alles zu tun, um die Wahlsäumigen in Arbeiterfreifen aufzurütteln und zur Wahlurne zu bringen. Die Arbeiterkreisen aufzurütteln und zur Wahlurne zu bringen. Die Beitung selbst wurde ermächtigt, selbständig alle die Maßnahmen zu treffen, die im Interesse der Gesamtarbeiterschaft liegen. Dabei wurde unsbesondere betont, daß als Vertreterin der Arbeiterschaft die Sozialdemokratische Partei in Frage fommen die Sozialdemokratische Partei in Frage kommen

tann.

Der wahre Dolchstoß.

Geständnis des Freiherrn von Wangenheim. Der Führer des Reichslandbundes, der Freiherr von Wangen­heim- Klein- Spiegel, hat auf der Tagung des Reichslandwirtschafts­rates ein wertvolles Geständnis abgelegt. Er erklärte:

Aber wer nur einigermaßen hinter die Kuliffen sehen fonnte, dem mußte es schon im Herbst 1914 tlar fein, daß wir schon unmittelbar vor dem Zusammenbruch der Brotver­forgung standen."

Schon damals wußten Wangenheim und Genoffen, wie es aus­fah. Sie haben trotzdem das wahnwihige Annerionsgefchrei erhoben. Sie haben durch das Hochtreiben der Lebensmittelpreise die Not des Bolles verschlimmert. Die Großagrarier find die wahren Dolch­tößler. Jetzt wollen sie durch Brotwucher und Hochschuh­3011 einen neuen Dolch stoß gegen das deutsche Volt führen. Am 7. Dezember Abrechnung mit den großagrarischen Dolchstößlern.

Abschied von Hergt.

RUSCH

KOESTER

WILKE

ABEKING

O.K.

Die Zeichner des Borwärts": Exzellenz fehen uns faffungslos ob der Größe des Verlustes, den wir erleiden. Hergt: Nur Mut, meine Herren, ich empfehle Ihnen meinen Herrn Nachfolger.

Donnerstag, 30. Oktober 1924

Vom Untertan zum Staatsbürger.

Was jeder Wähler bedenken sollte.

Jeder Staat wehrt sich gegen gewaltsamen limsturz. Die demo­fratische Republik hat bei solcher Abwehr auch noch das mora= lische Recht auf ihrer Seite, denn fie gibt jedem Staatsbürger das gleiche Recht zur Beeinflussung der Staatsleitung und wenn in einer bemokratischen Republik die niedergehaltenen Putschisten in fittlicher Entrüstung machen, so ist das um so verlogener, als ihre Gesinnungsgenoffen dort wo sie die Macht haben die Fa­schisten in Italien und die Kommunisten in Rußland selbst die friedliche Betätigung einer oppofitionellen Meinung, geschweige denn die Werbung dafür, mit dem schändlichsten Terror unterdrücken. Dies fei grundfäßlich vorausgeschickt und nun betrachten wir einmal den Fall Breußen- Deutschland.

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Staatsrechtlich gab es schon in der Monarchie feine Untertanen mehr. Allein die preußisch- deutsche Monarchie und besonders ihr letter Kronenträger liebten es, ihr Gottesgnadentum zu betonen; als Instrument des Himmels sich betrachtend, so sagte Wilhelm II. in einer feiner klassischen Reden, gehe er seinen Weg. Und mag dieser Weg auch das von ihm so herrlichen Zeiten entgegengeführte Bolt über die Marneschlacht und unter den Siegfrieblern à la Claß, Hergt, Ludendorff, Tirpik nach Versailles und Ihn selbst nach Doorn gebracht haben es gab doch genug Deutsche , die sich trotz aller Fußtritte als allerhöchstseine Untertanen fühlten und es gibt ihrer heute noch eine erfleckliche Anzahl, die bereit sind, wieder eine solche Militär- und Junkermonarchie auf sich zu nehmen. Dieser Knecht­finn hat das lange Bestehen einer Staatsform ermöglicht, die die ganze Welt leider nicht nur durch ihre majestätischen" Kinberlitzchen ergötzbe, sondern sie auch durch ihre Ueberheblichkeiten beunruhigte und sie schließlich durch die Mißachtung der Neutralität Belgiens - das einzige fast, was von dem Schlieffenschen Feldzugsplan übrig­geblieben war, ohne daß man was besseres an feine Stelle hätte feßen tönnen im Haß gegen das faiserliche Deutschland einigte, den dann das deutsche Volk auszubaben hatte. Damit ist es aber nach der Meinung unserer Monarchisten noch nicht genug; fie wollen Kaiser, Wehrpflicht und Revanchefrieg. Um in die Reichs­regierung hineinzukommen, haben sich die Monarchisten bereit er. tlärt, Erfüllungspolitik zu treiben, um so nach und nach ihren Mon­archen mit dem Junkerregiment dahinter durchsetzen zu können. Fürs erste würde also das deutsche Volk neben den Reparationen auch noch Zivillisten für die p. t. Monarchen und Dynastien zu zahlen haben, mit der Aussicht auf die baldige Wiederkehr jener politischen und sozialen Unterdrückung, deren sinnfälligster Ausdruck das erst am 9. November 1918 beseitigte Dreitlassenwahl. recht gewesen ist. Die Ernennung des eifrigsten Verteidigers dieser deutschen Nationalschmach, des heiligen Windler zum Vor­fizzenden der Deutschnationalen Volkspartei " zeigt deutlicher als alles, wohin ihr Kurs geht.

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Erst die Republik hat die Deutschen auch tatsächlich zu Staatsbürgern gemacht, indem sie ihren allen, auch den Frauen, auch den Jugendlichen vom 20. Jahr an, das gleiche Recht gab, die Führung der Reichs- und Staatsgeschäfte durch die Voltsvertretun­gen, bei denen alle Macht liegt, zu beeinflussen. Schon dieser ge­waltige Rechtszuwachs, den die Republik jedem einzelnen gebracht hat, sollte es bei einem reifen Bolt undenfbar machen, daß sich nennenswerte Teile von ihm nach dem Untertanenverhältnis zu einer Monarchie zurückfehnen könnten.

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noch nicht so bewußt geworden zu sein, daß sie sich ihrer mit hör­Indessen scheint tatsächlich die Untertänigkeit vielen Deutschen barem Aufaimen entäußern. Die einen erstreben wenn selbst nicht die Monarchie so doch den Militarismus, der ja auf der sklavischen Untertänigkeit gegenüber dem Vorgesetzten, und wäre es der sadistischste oder schurkischste Menschenschinder, aufgebaut ist. Die anderen sind auch in durchaus unreligiösen Dingen unter­die Untertänigkeit allerhand Deutscher gegenüber den Moskauer tänig der Kirche und schließlich sehen wir, als neuere Erscheinung, Terrortyrannen, von denen sie sich in aussichtslose Butsche hinein­hehen und von denen sie sich ihre Führer ernennen und absetzen lassen.

So betrachtet und dazu noch die Untertänigkeit bedauernswerter Volksgenossen gegenüber dem Geldsack mit der Aufschrift Bolks­partei" genommen, sehen wir, daß über die Monarchisten hinaus selbst die meisten deutschen Parteien, die jetzt um die Wähler­stimmen werben, an irgendeinem Untertänigteitsverhält nis festhalten, auf ihm aufgebaut sind, aus ihm zu profitieren hoffen oder wirklich aus ihm Nußen ziehen..

Des gleichberechtigten republikanischen Staatsbürgers ist jedes Untertänigkeitsverhältnis unwürdig. Will er den Boltsstaat vorwärts bringen, ihm die Kraft geben, damit er die mon­archistisch reattionären Berwaltungs- und Justiz schladen aus seinem Blutkreislauf abzustoßen vermag, so muß er fich von all den Untertänigteitsparteien los­fagen. Und dann bleibt ihm kaum noch eine Wahl, dann kann er nur für die Partei der Einheit stimmen, für die Sozial­demokratie.

Wir müssen sie gewinnen!

Werbt unter den Wahlmüden!

Berfall der nationalistisch- kommunistischen Demagogie, Wieder­cufstieg der sozialistischen Bewegung: das ist das allgemeine Kenn­zeichen der in der jüngsten Zeit vorgenommenen Einzelwahlen. Un­zweifelhaft vollzieht sich im öffentlichen Leben Deutschlands ein Ge sundungsprozeß, der seine deutlichsten Auswirkungen in dem tata­strophalen Rückgang der kommunistischen und natio= nalistischen Stimmen und in dem Anwachsen der sozial­demokratischen Stimmen zeigt. Neben diefer erfreulichen Entwicklung läuft aber ein bedenklicher Borgang einher, nämlich eine gewisse Wahlmüdigkeit, besonders in Arbeiterkreisen.

Die kommunistische Presse meint, daß der Rückgang der Wahl­beteiligung vor allem die KPD. treffe und daß der Ausfall der tommunistischen Stimmen auf die Enttäuschung breiter Schichter der Arbeiterschaft über das Parlament zurückzuführen sei. Das ist falsch. Ein großer Teil der bisher kommunistischen Arbeiter ist nicht per­lamentsmüde, er ist nur müde der Parlamentshysterie der Scholem und Ruth Fischer , er ist müde der Kindertrompetentonzerte und Prügelszenen der kommunistischen Abgeordneten.

Richtig ist nur das eine, daß von der Wahlmüdigkeit zunächst nur jene Schichten befallen werden, die bisher kommunistisch oder völkisch gewählt haben. Die Arbeiter fallen von der Kommunistischen Partei ab, weil sie sich betrogen und belogen fühlen und von der Aussichtslosigkeit der kommunistischen Bewegung überzeugt sind. Nunmehr drohen sie aber in einen neuen Fehler zu verfallen. Se entsagen jeder politischen Tätigkeit und versinken in dem Sumpf des Indifferentismus. Das muß verhindert werden! Der Sozialdemokratischen Bartei erwächst jetzt die außerordentlich wichtige Aufgabe, diese Arbeiter zurückzugewinnen, fie wieder einzuordnen in das große Heer des sozialistisch geschulten Proletariats.