Abendausgabe
Nr. 525 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 263
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Vorwärts
Berliner Volksblatt
5 Goldpfennig
Donnerstag
6. November 1924
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Coolidges Außenpolitik.
Erklärung nach der Wahl.
Auf Anfragen der amerikanischen Presse im Weißen Haus in Washington über die Außenpolitik des wiedergewählten Präfidenten Coolidge ist folgende Antwort erteilt worden:
1. Weitere Betreibung der internationalen Schiedsgerichte. 2. Abrüftung.
3. Reine Streichung ausländischer Schulden an Amerita, also auch der Kriegsschulden der Alliierten.
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5. Beteiligung an europäischen und Weltangelegenheiten, fo
weif amerikanische Lebensinteressen im Spiel sind.
Eine Erklärung Coolidges.
New York , 6. November. ( kabeldienst der Telunion.) Die gesamte republikanische Presse hat einen scharfen Kampf gegen La follette eröffnet. Coolidge hat in einer Erflärung zum ersten male die äußere Politik gestreift, ind.m er erklärt, die Macht Amerifas müsse dazu benutzt werden, bedrückten Völkern zu helfen und die friedlichen Beziehungen zwischen allen Bölkern wieder herzustellen. Der Erfolg Coolidges ist hauptsächlich eine Folge des wirtschaftlichen Aufschwungs, den die Vereinigten Staa. ten unter den Republikanern nach der Not der Nachkriegszeit nahmen. Biele Deutsche verließen im letzten Augenblid Cafollette, da sie befürchteten, eine Verschleppung der Kongreßwahlen durch ein totes Rennen fönne Geschäftsunsicherheit zur Folge haben.
Lafolletts Erfolge.
6 bis 7 Millionen Stimmen. New York , 6. November. ( Eigmer Drahtbericht.) Die Verteilung der Wählerziffern bei den amerikanischen Wahlen ist immer noch nicht bekannt. Bis jeht hat Coolidge in 34 Staaten gefiegt und daraus 389 Wahlmännerstimmen erhalten. Davis ist der Sieger in 13 Staaten, während Cafollette, wie sich jetzt herausstellt, nicht nur in Wisconsin , sondern auch noch in einem anderen Staat siegreich gewesen ist.
Sowohl die republikanische wie die demokratische Presse haben den Erfolg Lafollettes bisher zu verkleinern gesucht. Jeht aber müssen fie, wenn auch widerwillig, zugeben, daß von einem großen Erfolg Lafollettes gesprochen werden muß. Die genauen Stimmenzahlen liegen noch nicht vor. Aber es erscheint wahrscheinlich, daß etwa sechs Millionen Wähler fich für Lafollette entschieden haben. Besonders bemerkenswert ist, daß zwei Millionen dieser Stimmen aus den konservativen Nordstaaten stammen. Trotz der Parolen der Gewerkschaften und der Farmerverbände find die Stimmen der Farmer und Arbeiter zu einem großen Teil bei den kandidaten der beiden alten Parteien geblieben. Das will jedoch für die Zufunft gar nichts bejagen. Entscheidend ist, daß Lafolleff: und seine engeren Freunde der Meinung sind, daß durch das Wahlergebnis die Lebensfähigkeit der neuen Partei dargetan und eine weitaus genügend breite Grundlage für die Fortsetzung der Parteiarb.it gegeben ist.
Lafollette nicht entmutigt.
New York , 6. November. ( Eigener Drahtber cht.) Lafollette und der Generalsekretär der neuen Fortschrittspartei haben übereinstimmend erklärt, daß die Partei aufrechterhalten werde und sich schon jetzt für den Wahlkampf um das Repräsentantenhaus vor= bereite.
New Yort, 6. November. ( Tul.) Es besteht die Möglichkeit, daß die Republ faner nur eine knappe Mehrheit im Re. präsentantenhaus erhalten, die aber so schwach sein wird, daß die demokratisch- fectschrittliche Minderheit die größte Bedeutung haben wird. Im Senat werden die Demokraten und die Forf schr ttspartei zusammen mindestens ebenso start wie die Re publikaner sein, vielleicht werden sie sogar eine knappe Mehrheit haben. Den Republikanern ist es äußerst unangenehm, daß die Fortschrittler Lafollettes als dritte Partei bestehen bleiben wollen.
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Ein New Yorker Kabeltelegramm der B. 3." gibt die Stimmenverteilung wie folgt an: Coolidge 17, Davis 8 und Lafolette 7 Millionen Stimmen.
Faschisten- Dämmerung. Erregung in Italien .
Rom , 6. November. ( Eigener Drahlbericht.) Die 3u fammenstöße zwischen Faschisten und Anhängern der Vereinigung„ Jtalia libera" bei der Siegesfeier am Dienstag sind nicht nur auf Rom beschränkt geblieben. In allen Städten von Neapelbis Trient sind ähnliche Zwischenfälle vorgekommen. Bei der Feler in Verona tam es zu einer wüsten Prügelei zwischen Faschisten und Frontkämpfern der Italia libera". Die Truppen mußten eingreifen und die Ordnung wiederherstellen. Die Erregung in der Bevölkerung über das Treiben der Faschisten gegenüber der Front
beschlagnahmen. Der Beschlagnahme verfielen ebenso verfchiedene Zeitungen, darunter der„ Avanti" wegen Veröffentlichung „ übertriebener Einzelheiten" der Zusammenstöße am Dienstag.
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Prag , 6. November. ( Tschechoslowakisches Pressebüro.) In der Sizung des Budgetausschusses erklärte der Abg. Bobet( DeutschChristlichsozial): Wir sind überzeugt, daß alles Reden unnük iſt, denn die Gegenseite behütet das Budget als ein unantastbares Heiligtum. Wir sind aber nicht hierhergeschickt worden, um das Budget so zu schlucen, wie es uns vorgelegt wird. Aus diesem Grunde haben wir den Entschluß gefaßt, diesmal eine andere Taftif einzuschlagen, und uns der von den deutschen Sozialdemokraten angekündigten Taktik anzuschließen. Abg. Bollmann( Bund der Landwirte) führte aus: Wir haben durch vier Jahre hindurch uns bemüht, in diesem Parlament getreu der Sendung, die uns seitens unserer Wähler zuteil geworden ist, uns an dieser hohen Aufgabe zu beteiligen. Wir sind aber nicht mehr in der Lage, unter den gegenwärtigen Verhältnissen den uns gegebenen Versprechungen, daß uns eine gedeihliche Mitarbeit er= möglicht werden wird, Glauben zu schenken. Wir müssen uns gegen die Behandlung verwahren, die die Opposition hier erfährt. Es ist nicht möglich für uns, weiter an den Verhandlungen des Budgets teilzunehmen, und ich bin namens der Arbeitsgemeinschaft beauftragt zu erklären, daß wir uns an der Debatte nicht mehr beteiligen werden. Finanzminister Be da beantwortete dann die in der Debatte gestellten Fragen. Was die von deutscher Seite vorgebrachten Einwürfe anbelangt, daß auch in diesem Jahre das Budget wieder verspätet vorgelegt wurde, so entschuldigte der Minister die Verspätung mit der außerordentlichen Sommersession im Der Generalberichterstatter schlug in seinem Monat September. Der Generalberichterstatter schlug in seinem Schlußwort eine Resolution vor, worin der Regierung aufgetragen wird, alljährlich spätestens in den ersten Oktobertagen dem Abgeordnetenhaus das Budget vorzulegen. Der Ausschuß beschloß hierauf, morgen die Spezialdebatte zu beginnen.
Der Fall Nathusius.
Der deutsche Botschafter in Paris hat bereits am Montag die französische Regierung um Aufklärung über die Verhaftung des Generals a. D. v. Nathusius ersucht und dabei auf die Erregung hingewiesen, die durch diese Verhaftung in Deutsch lond hervorgerufen werden dürfte und der am besten durch die Freilassung des Verhafteten vorzubeugen sein würde. General v. Nathufius in die Liller Arrestanstalt überführt. Paris , 6. November. ( TU.) General v. Nathusius ist gestern abend um 7.11 Uhr in Lille eingetroffen.„ Deuvre" meldet, daß sich General v. Nathusius den Meter Rechtsanwalt Nikolai zum Verteidiger genommen habe. Das Blatt stellt weiter fest, daß die Verhaftung des deutschen Generals in Lothringen , namentlich in Thionville und Forbach , eine gewisse Erregung hervorgerufen habe.
Linksblockwünsche für das Budget.
Paris , 6. November. ( Eigener Drahtbericht.) ( Eigener Drahtbericht.) Die radikale und radikalfoziale Partei hat am Mittwoch eine Abordnung zum Finanzminister gefchickt, um mit diesem gewisse Verbesse rungen des eingebrachten Haushaltsplanes zu beraten, und damit den Haushalt mit den im Frühjahr gegebenen Ber fprechungen in Einklang zu bringen. Sie haben u. a. in Anregung gebracht, daß bis zur völligen Aufhebung des zwanzig prozentigen Einkommensteuerzuschlages die Regierung weitere Erleichterungen zugamsten der kleinen Steuerzahler eintreten läßt und den dadurch verursachten Ausfall durch eine Abgabe auf den Vermögenszuwachs ausgleicht. Der Finanzminister hat eine Prüfung der Anregungen zugesagt.
Warschau , 6. November. ( Eca.) In den Wandelgängen des Sejm tam es vorgestern zu einer Schlägerei zwischen den Abgeordneten der Wyzwolenie- Gruppe, dem Oberstleutnant im General stab Miedzinski und dem Abgeordneten Dr. Rabski, einem Mitarbeiter des„ Kurjer Warczowska". Durch einen Artikel Rabff's fühlte sich der Abgeordnete Miedzinski beleidigt. Er griff vorgestern während der Sgung Rabski tätlich an und versetzte ihm e'nen Schlag ins Gesicht. Der Abgeordnet: Rabsti antwortet mit Ohr feigen, worauf Miedzinski einen Revolver zog und auf Rabski anlegte. Inzwischen waren jedoch Abgeordnete herbeigeeilt, die die beiden Kämpfer trennten.
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Die Unternehmer beeilen sich, die sozialpolitische Abbaufonjunktur noch auszunuzen, der 7. Dezember könnte leicht einen Umschwung herbeiführen. Der Lohnabbau ist, zum Teil wenigstens, am Widerstand der Gewerkschaften gescheitert. Auch der Abbau des Achtstundentages ist aus demselben Grunde nicht ganz gelungen. Nun versucht man es auf einem dritten Gebiet, wo man weniger auf einen Widerstand der Arbeiterschaft um so mehr aber auf das„ Verständnis" der politit. Schon hört man von„ eingehenden" Darstellungen und Reichsregierung zu stoßen hofft der allgemeinen SozialBerechnungen, nach denen die Wirtschaft" sozialpolitisch zu start belastet" sei und diese Lasten nicht mehr tragen könne. Das ist nichts Neues und brauchte weiter nicht aufzuregen. Wer erinnert sich nicht, daß uns Gleiches mit genau denselben Argumenten schon vor 20 und 25 Jahren erzählt und sogar gewisse großẞindustrielie Kreise von jeher besonders starf. Es bewiesen“ wurde. Im„ Beweisen" derartiger Dinge waren fehlte bloß noch ein zweiter Doktor Alexander Tille , der den Nachweis" führt, daß die Sozialpolitik das Volk auch moralisch verseucht( Moralinseuche), dann wäre in der Tat alles da, was wir früher auf diesem Gebiet auch schon erlebt haben. Wenn es nach den damaligen Propheten gegangen wäre, dann wäre die deutsche Wirtschaft schon vor zwanzig Jahren totsicher zufammengebrochen". Ungefähr das Gegenteil hat sich bis zum Kriege vollzogen. Wenn man aus den Erfahrungen Der Vergangenheit also einen Schluß ziehen darf, so wäre es der, daß die deutsche Wirtschaft sehr lebensträftig ist und unmittelbar vor einem neuen Aufschwung steht.
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Damit könnte man, wie schon angedeutet, die Sache auf sich beruhen lassen. In der heutigen Reichsregierung aber denkt man, wie es scheint, anders darüber. Man soll dort die Darlegungen der Unternehmer als sehr ernst" be trachten und gar darüber be stürzt sein. Man soll weiter sehr eifrig darum bemüht sein, die von den Unternehmern vorgebrachten Argumente wenn möglich! durch die Tat fachen zu widerlegen.
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Es fann sich für die Reichsregierung gar nicht darum handeln, dem Borstoß des Unternehmertums dadurch zu begegnen, daß fie die Richtigkeit seines Zahlenmaterials nachprüft zu dem 3wed, die Aufrechterhaltung und Weiterführung der Sozialpolitik davon abhängig zu machen, ob diese Zahlen stimmen oder nicht. Denn in dem Augenblick, wo sich die Reichsregierung auf diese schiefe Ebene begibt, ist es mit Das hieße, die der Sozialpolitit Matthäi am letzten. Unternehmertums zur Kaffenbücher des Grundlage der Sozialpolitik machen. Das hieße, den Grundsatz aufgeben, daß Sozialpolitik ebenso wichtig und notwendig ist wie Arbeit und Wirtschaft und daher um ihrer selbst willen getrieben werden muß. Ja, es hieße, die Erfahrungen früherer Jahrzehnte verneinen, die den Beweis erbracht haben, daß Sozialpolitik nicht eine Belastung, sondern eine För derung und Befruchtung von Arbeit und Wirtschaft bedeutet. Jedes fachliche Eingehen auf die Beweisführung" dieser Unternehmerkreise bedeutete nichts anderes als die Anerkennung des Prinzips, daß Sozialpolitik nur getrieben werden darf, wenn die Wirtschaft derart im Ueberflusse schwimmt, daß es selbst mit Hilfe der gewagtesten Bilanzverschleierungen, der schlauesten Aufsichtsratskniffe und tollsten Abschreibungen nicht mehr versteckt werden
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fann.
Aber die Sache hat doch auch noch eine andere Seite. Angenommen selbst, die Angaben der Gegner wären objektiv richtig, was wir allerdings bestreiten, so zeigen uns die lohnstatistischen Feststellungen des Statistischen Amtes deren methodische Zuverlässigkeit aber mit guten Gründen bestritten wird, daß es bis jetzt nur die ungelernten Arbeiter sind, deren Löhne gegen die Vorfriegszeit eine so starke relative Steigerung aufzuweisen haben, daß sie der Steigerung der Lebenshaltungskosten scheinbar gleichkommt. Wobei aber zu bemerken ist, daß der vom Statistischen Amt errechnete Lebenshaltungsinder noch viel stärker angegriffen wird, und zwar hinsichtlich seiner fá ch Ii ch en Richtigkeit. Von den gelernten und qualifizierten Arbeitern hat nur ein sehr kleiner Teil relativ und absolut die Vorkriegslöhne erreicht. Die große Mehrzahl steht sogar hinsichtlich des Nominallohnes noch erheblich unter Friedensparität. Dasselbe gilt für die Angestellten und den größten Teil der Beamten. Man macht sich daher keiner Uebertreibung schuldig, wenn man behauptet, daß selbst im statistischen Durchschnitt die große Mehrheit der Arbeitnehmerschaft den Stand des Friedensnominallohnes noch nicht ganz erreicht hat. In Wirklichkeit ist der Stand viel ungünstiger, gerade weil es die Löhne der ungelernten Arbeiter sind, die die statistische Steigerung entscheidend beeinflussen. Daraus ergibt sich, daß die Gesamtlohnsumme, die die Arbeitnehmerschaft im Verhältnis zur Vorkriegszeit bezieht, erheblich unter dem Friedensstande liegt.
Der Moskauer Maulkorb. Christiania , 5. November. ( Eigener Drahtbericht.) Der fomgroß. Wie Nuovo Paese" meldet, haben die Leiter des italienifchen Frontfämpferbundes als Proteft gegen das Auftreten der Niederlage der Moslau- Kommunisten bei der norwegischen Wahl Kommunistblad" cheflo bat angesichts der vernichtenden Faschisten ihren Austritt aus der faschistischen Partet erklärt. veriucht, Krint an den Moskauer Instruktionen und der von dort Beppino Garibaldi, der Enkel des berühmten italienischen Freiheits - befohlenen Taktik zu üben. Er ist catauibin prompt iemes Amtes helden, hat in einer Proklamation die Regierung für die Vorkommentboben und ein williger Moskaujünger zum Chefredakteur nijje verantwortlich gemacht. Die Regierung ließ sie jedoch ernannt worden.
tämpfervereinigung, die über 800 000 Mitglieder zählt, ist sehr munistische Parteiführer und Chefredakteur des Christianaer festzustellen". Eine solche wäre in diesem Falle objektiv und
Ist das aber der Fall, dann ist es in der Tat kein Kunststück, eine höhere sozialpolitische Belastung als vor dem Kriege relativ felbst dann vorhanden, wenn die Beiträge, Umlagen u. a. nominal unverändert geblieben wären. Tatsächlich find allerdings auch die Beiträge usw. gestiegen. Also doch eine Höherbelastung? Bei der Beurteilung der Sachlage ist das folgende zu beachten. Die Kosten des Produktionsprozesses sezen sich be=