Nr.528 41.Jahrgang Ausgabe A nr. 268
Bezugspreis:
Böchentlich 70 Goldpfennig, monatlich 8, Goldmark voraus zahlbar. Unter Kreuzband für Deutschland . Danzig , Gaar- und Memelgebiet. Defterreich, Litauen , Lugemburg 4.50 Goldmart, für das übrige Ausland 5,50 Goldmar! pro Monat.
Der., Borwärts mit der Sonntags beilage Boll und Beit mit..Gieb. lung und Kleingarten sowie bez Unterhaltungsbeilage Seimmelt und Frauenbeilage Frauenstimme erscheint wochentäglich zweimal, Sonntags und Montags einmal.
Telegramm- Abreffe: Sozialbemotrat Berlin
Morgenausgabe
Vorwärts
Berliner Volksblatt
10 Goldpfennig
Anzeigenpreise:
Die einfpaltige Nonpareille Beile 0.70 Goldmart, Reflamezeile 4.- Goldmart. Kleine Anzeigen bas fettgedrudte Wort 0,20 Gold. mart ( auläing awei fettgedruckte Borte), tebes weitere Wort 0.10 Goldmart. Stellengefuche das erfte Wort 0,10 Goldmart, jedes weitere Wort 0,05 Goldmart. Worte über 15 Buchstaben zählen Für zwei Worte. Familienanzeigen für Abonnenten Reile 0.30 Goldmart. Eine Goldmart. ein Dollar geteilt burch 4,20.
Anzeigen für die nächste Nummer müssen bis 42 Uhr nachmittags im Sauptgeschäft, Berlin SW 68, Linden ftraße 3, abgegeben werden. Geöffnet von 9 Uhr früh bis 5 Uhr nachm.
Redaktion und Verlag: SW 68, Lindenstraße 3
Ferniprecher:
Redaktion:: Donhoff 292–295 Verlag: Dönboff 2506-2507
Sonnabend, den 8. November 1924
Unsere Kandidaten.
Die Vorschlagslisten für Berlin und Potsdam II.
Der gestrige außerordentliche Berliner Bezirks. parteitag widerspiegelte das Bild der inneren Geschlossenheit und Festigkeit der Berliner Parteiorganisation. In einer knappen Stunde wurden die Kandidaten für den Reichs- und Landtag aufgestellt. Während die Sieger von gestern, die Deutschnationaien, nicht nur Tage, sondern Wochen zu benötigen scheinen, um aus der Menge der Ja- und Neinsager diejenigen auszuwählen, die im fünftigen Reichstag vielleicht Gelegenheit haben sollen, mannhafte teutsche Politit nach berühmten Vorbildern zu treiben ,, steht die Sozialdemokratie, von altem Kampfgeist beseeit, in geschlossener An
grijfsfront.
Bor Eintritt in die Tagesordnung sprach die Bersammlung den Genossen Hirsch und Heimann durch den Vorsitzenden, Genossen Künstler, ihren Glückwunsch zu ihrer bisherigen 25jährigen erfolgreichen Arbeit aus, die sie zum Wohl der Einwohner Berlins in der Stadtverordnetenversammlung und ihren Ausschüssen geleistet hatten.
Die Reichstagskandidaten.
Genosse Künstler berichtete dann über die Vorarbeit des erweiterten Bezirksvorstandes zur Aufstellung der Reichstags- und Landtagskandidaten. Er betonte dabei insbesondere, daß diese Bors fchläge vom engeren Bezirksvorstand und den Vorsitzenden der Ber liner Kreise einstimmig angenommen wurden. Nach kurzer Ausiprache, die sich insbesondere auf die Doppelfandidatur der Genoffin Ryned bezog. wurden folgende Listen für den Reichstag per Attlamation gemäß den Vorschlägen des erweiterten Bezirksvor= standes angenommen.
1. Artur Crifpien
2. Hugo Heimann
6. Dr. Julius Mojes
8. Corenz Breunig
Vorschlagsliste für den Wahlkreis Potsdam II.
4. Elfriede Ryned
5. Dr. Kurt Löwenstein
7. Richard Krille
8. Hans Holtz
9. Ella Seger
10. Wilhelm Reimann.
Eisenbahnerstreik in Deutschösterreich. Rücktritt der Regierung und des Generaldirektors der
Bundesbahuen.
Wien , 7. November. ( Eigener Drahtbericht.) In den heutigen entscheidenden Verhandlungen über die Forderungen der Eisenbahner drohte die chriftlichsozial- großdeutsche Regierung wiederholt mit ihrem Rüdiritt, wenn die Forderungen aufrechterhalten würden. Die Bertreter der Eisenbahner erwiderten, daß sie für wirtschaftliche Ziele fämpfen und sich nicht unter politischen Druc stellen lassen. Während die Forderungen für das affive Personal so ziemlich bewilligt wurden, lehnten Regierung und Generaldirektion der Bundesbahnen eine genügende Erhöhung der Bezüge der Pensionisten ab. Daran scheiterten schließlich die Berhandlungen. Die Regierung erklärte, daß sie nunmehr dem Bundespräsidenten und dem Hauptausschuß des Nationalrats ihren Rüdtritt anzeigen werde. Auch Generaldirektor Günther ift zurückgetreten.
Die Richtlinien für den Streit, die von dem sozialdemokratischen, dem christlichsozialen und dem großdeutschen Eisenbahnecverband bereits vor mehreren Tagen gemeinsam herausgegeben worden waren, sollten im Fall der Einigung widerrufen werden. Da es nicht zur Einigung gefommen ist, erfolgt auch ein Widerruf nicht und das Gesamtpersonal der Bundesbahnen trift heute nacht 12 Uhr geschlossen in den Streit.
Im weiteren Verlaufe des Abends find inoffizielle Berhandlungen mit der Generaldirektion der Bundesbahnen wieder eingeleitet worden, jo daß es nicht ausgeschlossen ist, daß der Streit nur furze Zeit dauern wird.
Auch diese Nachverhandlungen sind, wie spät nachts aus Wien amilich gemeldet wird, gescheitert.
Wien , 7. November. ( WTB.) Die Generaldirektion der öfterreichischen Bundesbahnen veröffentlicht eine längere Mitteilung, worin sie zunächst die den Angestellten zugestandenen Lohnaubesserungen aufführt. In den Verhandlungen über die von den Gewert.
Die Landtagskandidaten.
ein Antrag Berlin- Mitte eine furze Aussprache hervor, der forderte, Bei der Aufstellung der Kandidaten zum Landtag rief daß Genossen, die in verantwortlichen Verwaltungsstellen der Gee meinde tätig sind, nicht als Reichs- oder Landtagskandidaten benannt werden sollten. Der Antrag wurde alsdann abgelehnt. In der weiteren. Aussprache wurden einige Aenderungen in der Stellenbefehung vorgeschlagen, die jedoch durch die Annahme der vom Bezirksvorstand vorgelegten Wahlvorschläge abgelehnt wurden. Folgende Listen wurden für den Landtag auf 1. Wahlreis, Berlin .
gestellt:
2. Karl Leid
6. Dr. Weyl
8. Gustav Sabath
9. Eduard Zachert
10. Helene Schmih 11. Emil Klenz 12. Karl Weiner 13. Willi Marste 14. Paul Hennig
15. Auguft Gebert.
2. Wahlkreis, Potsdam II ( Teltow - Beeskow ):
1. Friedrich Bartels
2. Georg Klaußner
3. Luife Kähler
4. Emil Klodt
5. Willi Drügemüller
6. Hermann Harnisch
7. August Heitmann
8. Albert Horlih
9. Franz Czeminsfi
10. Georg Wendt
12. Hans Woŋwod
13. Georg Richter
Ferner beschloß der Bezirksparteitag, dem Parteivorstand zu. empfehlen, die Gen. Adolf Hoffmann , Marie Kunert und Dr. Herz- Spandau an sicherer Stelle auf die Landestifte zu setzen. Der zweite Vorsitzende. Genosse Müller, schloß den Parteitag mit einer furzen Ansprache, in der er auf die Einigkeit und Geschlossenheit hinwis, die der Parteitag durch seine fajnelle und er= erfolgreiche Arbeit befundet hatte. Mit einem begeistert aufgenomme nen Hoch auf die Sozialdemokratie erreichte der Berliner Bezirks
parteitag fein Ende.
schaften ultimativ mit dem 7. November befristeten Forderungen erklärte die Bundesbahnverwaltung, einen Betrag von 42 Mil liarden( 2,82 Millionen Mart) zur Ausschüttung einer unmittelbaren Teuerungszumendung und 25 weitere Milliarden für andere Forderungen zuzugestehen. Zum Schluß hebt die Mitteilung hervor, daß die Bundesbahnverwaltung trotz der bereits zugestandenen Aufbesserungen im Ausmaß von 892 Milliarden( 55,3 Millionen Mark) auch diesmal zu schwer ins Gewicht fallenden Opfern bereit sei.
Massenflucht der Fremden.
Wien , 7. November. ( TU.) In Wien hat eine Maffenflucht der Fremden eingefeßt. Die abgehenden Züge wurden gestürmt, ohne daß annähernd alle Passagiere mitfahren fonnten. Die vor nehmen Stadthotels leerten sich schon nachmittags, und es blieben nur wenige Fremde, die über Autos verfügen, zurüd.
Nordamerikanisches Gesamtergebnis.
Zwei Sozialisten im Repräsentantenhaus. Washington , 7. November. ( WTB.) Die Republikaner erlangten im Repräsentantenhaus 246 Size, also einen Zuwachs von 21 Sigen, wodurch sie eine Mehrheit von 28 erhalten. Die Demokraten haben 173, die Farmerlabour- Partei 3 und die Sozialisten zwei Site. Die Demokraten nahmen den Republikanern vier Site ab und verloren 27. Die zwei Sozialisten find die wiedergewählten Victor Berger . Wisconsin und Cagmardia- New York . mardia- New York . Sie werden dem Cafollette- Blod angehören. Die drei kandidaten der Farmerlabour- Partei wurden in den Kongreßdistrikten von Minnesota gewählt, wo die Republifaner einen Sit verloren.
Jm Senat erhöhte sich die Zahl der Size der Republikaner con 49 auf 52, abgesehen von Jowa und Minne, ota, wo die Senatswahl noch unentschieden ist, die Demokraten 39, die FarmerlavourParteien einen. Die Republikaner nahmen den Demokraten vier Senatssige ab.
Vorwärts- Verlag G.m.b.H., SW 68, Lindenstr. 3 Postichedkonto: Berlin 375 36 Bankkonto: Direktion der Diskonto- Gesellschaft, Devofitentajie. Lindenstraße 3
Kriegsschuld- Taktik.
Stammtischpolitik oder wissenschaftliche Forschung
Es ist bezeichnend für das beschämend niedrige Niveau der deutschnationalen Gesamtpolitik, wie entsetzlich wenig man gerade im Lager der Hergt, Winckler und Genossen von der Kriegsschuldfrage weiß. Von dieser Seite ist am allerwenigsten geschehen, um die Klärung der Schuldfrage vorwärtszubringen. Die wichtigsten Beiträge, die auf diesem Gebiete von bürgerlichen Politikern und Forschern geliefert wurden, stammen von Leuten wie Delbrück und Montgelas , die von der Reaktion entschieden bekämpft werden. Als die deutschnationale Fraktion nach den letzten Maiwahlen vorübergehend. gestärkt in den Reichstag zurückkehrte, setzte sie die Besprechung einer Interpellation über die Schuldfrage durch. Der für diese große, langersehnte Aktion" von ihnen vorgeschickte Frattionsredner Berndt entwickelte in einer wohl seit Wochen und Monaten vorbereiteten anderthalbstündigen Rede einen Gemeinplatz nach dem andern und brachte auch nicht einen halben neuen Gedanken zum Ausdruck. Er offenbarte dabei eine absolute Untenntnis der wichtigsten internationalen Kriegsschuldliteratur und seine ganze Wissenschaft schien sich auf die Lektüre des 1916 erschienenen E. D. Morelschen Buches zu beschränken.
-
-
Mit Recht hat Macdonald in einer vielbeachteten Stelle seiner Genfer Rede vor dem Bölkerbund erklärt, daß die Prüfung der Schuldfrage eigentlich den Historikern überlassen werden sollte, und daß man zu einem endgültigen und ficheren Urteil erst in 50 Jahren kommen dürfte. Aber diefelben rechtsstehenden Leute in Deutschland , denen diese Aeußerung fo gut gefiel, weil sie darin wohl mit Recht- ein Abrücken von der Schuldlüge erblickten, wollen die Behandlung der Schuldfrage zu einem großen Boltsrummel gestalten, veranstalten in Berlin und München , in Hamburg und Breslau immerfort Massenfundgebungen, in denen Bierbanfreden geschwungen werden, deren geistiger Inhalt womöglich noch tiefer steht als die langweilige Interpellation des Herrn Berndt.
Für dieses Verhalten gibt es nur zweierlei Erklärungen: Entweder sie haben nicht begriffen, daß es bei der Behandlung der Schuldfrage ausschließlich darauf ankommt, einen Um- schwung in der öffentlichen Meinung des Auslandes herbeizuführen und daß solche„ vaterländischen" Rundgebungen jeden derartigen Umschwung nicht nur nicht fördern, sondern sgoar bis zur Unmöglichkeit erschweren, erstens ihres deutsch - monarchistischen Charakters wegen und zweitens, weil sie meist in der Ableugnung einer deutschen Reparationspflicht ausklingen. Oder es kommt den Herrschaften gar nicht auf die Befehrung des Auslandes und auf die Revision des Schuldurteils von Versailles an, sondern sie erstreben lediglich innerpolitische Propagandavorteile zugunsten der Monarchie.
In Wahrheit ist ein solcher Umschwung in der öffentlichen Meinung des Auslandes, namentlich in Frankreich , bereits seit langem im Werden. Macdonald sprach eigentlich nur das offen aus, was von Millionen von Franzosen, Engländern, Amerikanern, Italienern bereits gedacht wird, was aber niemals laut verkündetes Gemeingut bei unseren früheren Gegnern sein wird, solange die Möglichkeit besteht, daß die deutsche Reaktion zugunsten eines mit Recht verhaßten und gestürzten Regimes davon Nuzen zieht. Wir hatten die Hoffnung niemals aufgegeben, daß das französische Volk die Kriegssschuld eines Boincaré einmal erkennen würde. Diese Hoffnung verwirklicht sich seit einiger Zeit in immer stärkerem Maße, nicht dank der„ vaterländischen" Kundgebungen, sondern trotz dieses störenden Rummels. Einmal ist es die Mentalität der Bölker, die sich in der Richtung einer um so stärkeren Fähigkeit zur kritischen und unparteiischen Stellungnahme entwickelt, je mehr man sich von den Ereignissen zeitlich entfernt, und außerdem sind es die Ergebnisse der historisch wissenschaftlichen Forschung, die alle Vor- und Fehlurteile zu korrigieren helfen.
-
Allein in den allerletzten Monaten sind z. B. in Frank reich mehrere Arbeiten erschienen, die aus dem bisherigen Stand der Kriegsschuldforschung das Fazit ziehen, und zwar in einer Weise, die für Poincaré geradezu vernichtend ist. Lange Zeit hatte die französische Presse die Taktik befolgt, die Beröffentlichungen der Gesellschaft für das dokumentarische Studium der Kriegsursachen" totzuschweigen. Das lag vielleicht auch daran, daß die meisten Autoren dieser kleinen Gruppe- Demartial, Pevet, Morhardt, Gouttenoire de Toury gewissermaßen zu umgelehrten Grelling wurden und mit einem Fanatismus alle Fragen behandelten, der es selbst dem unparteiischen Deutschen manchmal schwer macht, ihnen beizupflichten. Alles, was von Ententeseite im Juli 1914 geschehen ist, trägt in ihren Augen verdächtigen, wie nicht gar verbrecherischen Charakter; alles, was deutscher - oder gar österreichischerseits damals geschah, wird dort begründet und gerechtfertigt. Ist es nicht einem dieser Autoren sogar eingefallen, gegen die Randbemerkung Wilhelms II. zu dem Wortlaut der serbischen Antwort auf das 1 Wiener Ultimatum, wonach Desterreich nunmehr alles erreicht