Nr. 553 41. Jahrgang
Gegen den Brotwucher!
Helfferich gegen die Schutzzoll- Politik.
2. Beilage des Vorwärts
Sonntag, 23. November 1924
„ Doch hat Ihm nie was Grau'n gemacht Bei Tage noch um Mitternacht."
( Uhland)
Anläßlich der bevorstehenden Reichstagswahl ist es nicht uninteressant, einmal festzustellen, wie sich die wissenschaftlichen Rapazitäten der Deutschnationalen selbst über die Schutzzollpolitik der Deutschnationalen äußern.
Es ist außerordentlich bedauerlich, daß die wissen= schaftlichen Arbeiten Helfferichs selbst den deutschnationelen Führern anscheinend unbekannt geblieben sind und daß selbst Graf Westarp Helfferichs Buch über Handelspolitik und speziell das 9. Kapitel über die landwirtschaftlichen Zölle noch nicht einmal gelesen hat. Nachfolgend einige Auszüge C: 15 dem vorerwähnten Kapitel, das den Deutschnationalen, und zwar nicht nur den Führern, sondern ganz besonders auch den Wählern zur genauen Durchsicht bestens empfohlen werden muß:
,, Der Wert eines Grundstüdes muß sich nach seinem Ertrag 1ichten, nicht umgekehrt der Ertrag nach einem übertriebenen hohen Bodenwert."
,, Kann man dem Staat ernstlich zumuten, daß er durch seine Zollpolitik eine hinreichende Verzinsung dieses übertriebenen hohen Bedenwertes gewährleiste?"
„ Das Mißverhältnis zwischen Bodenwert und Bodenertrag ist der Kern der Notlage der Landwirtschaft."
Bon allen Zollerhöhungen, welche die Agrarier verlangen, stehen oben an die Getreidezölle."
...
" Für die Industrie aber, namentlich soweit sie mit dem Auslande fonfurriert, kommt neben der absoluten Höhe der Ge. tre depreise sehr wesentlich das Verhältnis der Inlandspreise zu den Auslandspreisen in Betracht."
" Zunächst ist an den Getreidezöllen nur ein Teil der sämtlichen Landwirte interessiert, namentlich diejenigen, die mehr Getreide produzieren, als fie in ihrer eigenen Wirtschaft verbrauchen."
„ Man kann also sagen, daß drei Viertel aller landwirtschaftlichen Betriebe nicht an den Getreidezöllen intereffiert find."
" Den Hauptvorteil von den Getreidezöllen haben die 25 000 Grundbesiger mit mehr als 100 ettar, aber auch ein Teil der durch Getreidezölle unmittelbar nicht berührten oder nur wenig betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe wird indirekt durch die Getreidezölle geschädigt, nämlich diejenigen Betriebe, deren Schwerpunkt in der Biehzucht liegt. Die große Masse der Bevölkerung ist in Einkommensverhältnissen, bei denen jede starke Erhöhung der Getreide- und Brotpreise den Ver. brauch von entbehrlicheren und teuereren Dingen einschränken muß. Je billiger das Brot, desto mehr kann die breite Masse der Bevölkerung vor allem an Fleischnahrung verbrauchen. Je höher de Brotpreise, desto mehr wird der inländische Fleischverbrauch ein geschränkt werden müssen, mit desto niedrigeren Fleischpreisen werden fich die Viehzüchter zufrieden geben müssen. In dieser Beziehung ist derjenige Teil der landwirtschaftlichen Betriebe, der vorwiegend Viehzucht treibt, geradezu an niedrigen Getreide preifen interessiert, doppelt interessiert an billigen Preisen für Futtermittel, die zugunsten des vorwiegend aderbautreibenden Teiles der Landwirte gleichfalls mit hohen Zöllen belastet werden sollen. Nun ist die Viehhaltung, wie die folgende Uebersicht zeigt, relativ am stärksten gerade bei den kleinen und mittleren Betrieben. Hier zeigt sich noch deutlicher als vorher, daß im allgemeinen nur die großen Besizer ein mehr scheinbares Interesse an einer Erhöhung der Getreidezölle haben."
„ Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, muß der Gedante eines umfassenden, allen Broduktionsintereffen in gleicher Weise Rechnung tragenden 3011schautes als eine Illusion, um nicht zu fagen eine Täuschung erscheinen: und diese Wahrheit hat... ihre Bedeutung nicht nur fü: das Verhältnis von Landwirtschaft, Industrie und Handel, sondern auch für die einzelnen
3 weige der Landwirtschaft selbst."
„ Nur der große Grundbesitz mit seiner Massenprobuftion von Getreide hätte erheblichen Vorteil von einem folchen System, der mittlere und kleinere Besiz, der die Geschäfte des Großbefizes besorgt, würde sich heute in der agrarischen Bewegung vielfach noch um die erhofften Borteile betrogen fehen."
"
,, Nach den Erfahrungen, daß der Verkehrswert des Bodens stets der Erhöhung feines Reinertrages noch vorausgeeilt ist, muß man mit Sicherheit erwarten, daß die durch den gesteigerten 3011 schutz zu bewirkende Erhöhung der Reinerträge sich abermals äußern würde mindestens in einer entsprechenden, vielleicht in einer mehr als verhältnismäßigen Steigerung der Bodenpreise." Kurz, der Zoll würde zwar eine Art kapitalschenkung für die gegenwärtigen Befiher bedeuten, aber er würde die Lage der deutschen Landwirtschaft gerade durch die weitere Erhöhung der Bodenpreise nicht nur nicht verbessern, sondern direkt verschlechtern."
„ Nun ist es eine feststehende Tatsache, daß im allgemeinen in den wohlhabenden Schichten der Bevölkerung, in denen mehr an Fleisch, an Zucker usw. verbraucht wird, der Brotverbrauch geringer ift, als in den unteren Schichten, die mehr auf überwiegende Brot nahrung angewiefen sind. Ein 3oll auf Getreide trifft deshalb die ärmeren klassen nicht nur relatio starter, fondern auch mit einem absolut höheren Betrag als die günstiger gestellten Klaffen."
" Damit ist vom fozialpolitischen Standpunkt aus das Urteil über die Wirkung der Getreidezölle gesprochen. Wir haben gesehen, daß die größten Grundbesiger den Hauptvorteil von den Getreidezöllen haben, und jetzt fehen wir, daß gerade die ärmsten lassen am meisten durch die Getreidezölle getroffen werden."
" Daß die Grundbesitzer an Kauffraft ebensoviel gewinnen würden, wie die übrige Bevölkerung, wie wir jetzt festgestellt haben, hauptsächlich die Arbeiterbevölkerung, an Kauftraft einbüßt infolge der höheren Getreidepreise. In Wirklichkeit aber würde die Kauffraft des inneren Marktes nicht nur nicht steigen, sondern fogar eine ausgesprochene Abnahme erfahren müffen." Die Nahrung des industriellen Arbeiters ge. hörf mit zu den Produktionstosten der Industrie. Je höher die Preise der Nahrungsmittel, desto höher die industriellen Produktionstoften."
Es ist eine befannie Tatsache, die durch einen vergleichenden BI'd auf die verschiedenen Länder bestätigt wird... Ein gewiffes Verhältnis besteht zwischen der Lohnhöhe und der Leistungsfähigkeit des Arbeiters, daß die Länder mit den höchsten Arbeitslöhnen auch die leistungsfähigsten Arbeiter haben und ein englischer Eisenbahnunternehmer, der in allen Weltfeilen Bahnen gebaut hat, hat dabei die Erfahrung gemacht, daß infolge dieses Verhältniffes der effettive
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„ Der dritte Mann im zweiten Glied der Kerl hat falschen Tritt."
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Preis der Arbeitsleistung eigentlich dort am niedrig-| der sittlichen und körperlichen Gesundheit großer ften war, wo er die höchsten Arbeitslöhne hat zahlen Voltsteile durch eben diese Entwidlung bedroht..., fehen, wie vielfach an Stelle der zähen Arbeit schlaffes Wohl. müffen." ,, Nach den Herren vom Bund der Landwirte hat Deutschland ja leben, an Stelle der strengen Sparsamkeit sinnlose Bereinen Zollfrieg mit Rußland , Desterreich- Ungarn, Amerika , England fchwendung und herausfordernder Luxus, an Stelle und einigen anderen Ländern durchaus nicht zu fürchten. Wer diese der Opferbereitschaft und Pflichterfüllung Begehrlichkeit und mutige Zuversicht nicht teilt, der wird als ein antinationaler Genußsucht." Gefelle und als ein Feigling, der sich vor dem Ausland fürchtet, gebrandmarkt. Es handelt sich hier aber nicht um Mut oder Furcht, sondern um die objektive Erwägung der Eventuali täten, zu denen eine Erhöhung der Getreidezölle führen kann und der Mut, mit dem man nicht feine eigene Haut, sondern eine fremde zu Markte trägt, der Mut, mit dem die Agrarier die Interessen und Existenzgrundlagen der Industrie und des Handels aufs Spiel setzen dieser Mutist eine billige Tugend, vor der der Himmel diejenigen bewahren möge, denen er die Leitung der Geschicke eines großen Staales anvertraut hat." großen massen, eine Zunahme der Auswanderung, eine leidensvolle Zurüddämmung der Bevölkerungs3 unahme,
Eine Herabfeßung der Lebenshaltung
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das ist die Perspektive, die uns die Erfüllung der agrarischen Forderungen eröffnet. mit ihrer Behauptung, daß die deutsche Landwirtschaft bei aus: vielleicht möchten dann die Agrarier am letzten Ende recht behalten reichend hohen Preisen imstande sei, den deutschen Nahrungsbedarf ausschließlich zu versorgen; aber nicht weil dann die deutsche Landwirtschaft entsprechend mehr produziert, sondern weil die deutsche Bevölkerung weniger fonfumiert, weil sie in ihrer Zahl herabgedrückt und auf schmale Rationen gesetzt wird."
Bergleicht man diese wissenschaftlich begründeten Ausführungen des späteren Führers der Deutschhnationalen, Helfferich, mit der Schutzzollforderung der Deutschnationalen Boltspartei, so sieht man, daß diese Forderungen nicht im Interesse des Volkes liegen, daß ferner die Schutzzollforderung eine nationale Gefahr bedeutet und zu einem Ruin des Industriestaates Deutschland führen muß und somit die Deutschnationale Volkspartei weder deutsch , noch national, noch eine Bolkspartei ist.
Helfferich würde heute von seinen Parteifreunden, wie die ehemalige wissenschaftliche Stüße der Konservativen, die alte Exzellenz Adolf Wagner , unweigerlich ausgepfiffen werden, da für die Deutschnationalen bzw. die Konservativen nicht die wissenschaftliche Begründung, sondern das taktische Verhalten ihrer Führer maßgebend ist. Dieses Schicksal hat Helfferich vor vielen Jahren geahnt, indem er, wie bereits oben erwähnt, fagt: Wer den Bund der Landwirte nicht unterſtüßt, sondern ihn wissenschaftlich und fachlich zu widerlegen versucht, wird ols ein antinationaler Geselle geschmäht und als ein Feigling gesellschaftlich geächtet. Diese Kampfesweise der Deutschnationalen , die der Profeffor Helfferich seinerzeit bekämpft hat, ist unverändert geblieben, und es ist dem deutschnationalen Führer Helfferich nicht gelungen, die Moral der Kampfesweise seiner Parteifreunde auf eine höhere Stufe zu heben. Die Leitung der Deutschnationalen Volkspartei ist fonservativ und lediglich eine Interessenvertretung des Bundes der Landwirte bzw. der Großgrundbesizer. Nicht das Wohl der deutschen Nation und nicht das deutsche Volt, sondern die Stärkung des eigenen Geldbeutels ist das einzigste Biel diefer Partei, die nach Helfferich die Reichen reicher und die Armen ärmer macht.
In Erkenntnis dieser Tatsache hat Helfferich im Jahre 1913 zum Jubiläum Kaiser Wilhelms II. warnend seine Stimme erhoben.
In einem Beitrag zu dem Jubiläumswerte„ Soziale Kultur und Volkswohlfahrt während der ersten 25 Regierungsjahre Kaiser Wilhelms II." schreibt Helffe rich in seinem Schlußwort:
Die Masse der Wähler der Deutschnationalen Volkspartei , - Beamten, Offi die sich größtenteils aus dem Mittelstande ziere und dergleichen- rekrutieren und in den letzten Jahren in rapider Weise ihr sauer erspartes Vermögen dahinschwinden sahen und ohne Zweifel guten Willens find, an dem Wiederaufbau Deutschlands ernstlich mitzuarbeiten, haben noch immer nicht erkannt, daß sie lediglich das Werkzeug derer find, die sie an den Rand des Elends geführt haben und sie restlos in die Verelendung stoßen.
Hunger Unterernährung,
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schlechte Kleidung und ungesunde Wohnungsverhältnisse, Tuberkulose und Epidemien find die absoluten Folgen der Schutzzollpolitik, die nur wenigen Großagrariern die Möglichkeit gibt, in großen Schlössern zu wohnen und zu schwelgen, sich erotische Fürsten einzuladen und auf Jagden sich zu ergötzen, während gleichzeitig ernährung verstorbenen Kinder steht. die Masse der deutschnationalen Wähler an den Gräbernihrer an Tuberkulose und Unter
Wirths Kampfruf für die Republik .
Aus der Reichsbanner- Zeitung".
Das Reichsbanner Schwarz- Rot- Gold läßt soeben die erste Summer einer„ Illustrierten Reichsbaanner- Zeitung" erscheinen. Das ungemein reichhaltige und vortrefflich illustrierte Wochenblatt bringt u. a. folgenden Leitspruch des früheren Reichskanzlers Dr. Wir th:
Die letzten Wochen und Monate führten mich ins deutsc Land. Der deutsche Volksstaat, die Republit ist in den Herzen unseres Boltes verandert. Mein mutiges Bekenntnis:„ Ich bin Republikaner" löfte immer tiefste Zustim= mung aus. Das Bolt will ein flares Bekenntnis und eine bestimmte Richtung des Fühlens und Denfens über den Volksstaat. Er soll ein Staat und eine Staatsform fein, die soziale Gerechtigkeit und politische Freiheit allen Gewalten zum Trog verwirklichen wollen. Widerstände sind da! Mit Mut und Ausdauer und aufrichtiger, durch nichts beirrbarer Ueberzeugnua tommen wir vorwärts! So spricht ein Mana! Anders ein Stresemann!
Meister der Phrase.
Für wielange gilt bei Stresemann die Republik ? In der Hilfe" lesen wir folgende bezeichnende Geschichte: erklärt, er sei der Meinung, daß die Deutsche Volkspartei für vorläufig unabsehbare Zeit auf dem Boden der Republik
stehen würde.
Diese Aeußerung hat eine amüsante Borgeschichte.
Als Herr Stresemann im vorigen Jahr zur Regierungsbildung zusammen mit den Sozialdemokraten berufen wurde, wollte er in der Regierungserklärung angeben, daß die Republik für abseh. bare 3eit die einzig mögliche Staatsform fei. Das genügte den Sozialdemokraten nicht, und so erflärte er sich statt dessen mit einer leichten Handbewegung damit einverstanden, die Republik für un absehbare 3eit als die einzig mögliche Staatsform zu be zeichnen.
Heute, unter dem Zeichen der Rechtsschwentung gibt es eine dritte neue Nüance; denn heute erklärt er sich für„ vorläufig" un absehbare Zeit als Republikaner. In der Tat, Herr Strefe man würde in einer Rechtsregierung ein fester Schützer der Republik gegen deutschnationale Attentate sein."
Während unsere Nation als Ganzes in wirtschaftlicher Krafts Herr Stresemann ist ein Meister der Phrase. Eure Rede sei entfaltung das höchste leistet, sehen wir die Grundlagen ja, ja, nein, nein, mas barüber if, it pom- Siresemann.