Nr. 563 41. Jahrgang
2. Beilage des Vorwärts
Sonnabend, 29. November 1924
bewiesen, daß die Reichswochenhilfe in diesem fast arbeitsunfähigen Reichstag wesentlich aufgebessert wurde. Das mag
Arbeiter, sorgt sorgt am 7. Dezember für einen Reichstag, folgende Tabelle zeigen:
DOORN
DEZEMBER
Erst stürzt er die arme Germania Jas Unglüd, dann ließ er sie fitzen Und lebte weiter in Saus und Braus Was soll auch das Darben nühen?
der diesem Skandal ein Ende macht!
Doch schrieb er ihr einen jammernden Brief, Wie lief er ins Elend geraten, Und ob er denn das etwa verdient Für seine herrlichen Taten?
trev
1000000
1000
6606
6666666
10000000
100000000
OTTENS.
Und am Schluffe hieß es ganz unverblämt, Daß er fie um Hilfe bate.
Drauf schickt ihm das arme Wurm sogleich Patete über Patete.
Jetzt aber, Germania , iff's genug, Er soll Dich nicht länger betrügen! Jetzt laffen wir den Schlagbaum herab- Mag jener die plaze triegen!
O. K.
Bevölkerungspolitik und Parlament.
Im allgemeinen versteht man unter Bevölkerungspolitit in der Gesetzgebung das, was unmittelbar mit Gebrt und Tod zusammenhängt. Gesetze, wie zum Beispiel die heichswochenhilfe, sollen die Lage der minderbemittelten Mütter erleichtern; sie fönnen dazu beitragen, die Zahl der Geburten zu heben und die Todesfälle der Säuglinge zu vermindern. Beschäftigt man sich mit diesem Problem etwas mehr, dann sieht man bald, daß in der gesamten Gesetzgebung bevölkerungspolitische Tendenzen vorhanden sind, die sich sowohl nach der negativen wie positiven Seite auswirken.
oder die Mutter mit der Familie in enger Wohnung zu fammenhausen, in der alle hygienischen Vorbedingungen zur Bermeidung der Ansteckung fehlen, wenn die noch gesunden, aber meistens für Ansteckung disponierten Familienmitglieder aus Raummangel oft sogar mit den Kranten in einem Bette schlafen müssen und es dann noch an der notwendigen Bettwäsche mangelt, nutzt alle andere Fürsorge nichts mehr.
Zu dem im preußischen Landtag angenommenen Gesetz zur Bekämpfung der Tuberkulose, an deffen Ausbau zu einem Fürsorgegefeh die sozialdemokratische Fraktion lebhaft beteiligt ist, sind darüber hinaus auf sozialdemokratische Initiative eine ganze Reihe Entschließungen angenommen worden, z. B.:
Das geborene Kind ist in seinen Lebensaussichten ab hängig von der sozialen Lage seiner Erzeuger. Die Mutter, die dauernd ein Leben der Entbehrung führen und dabei einen großen Teil ihrer förperlichen und seelischen Kraft aufwenden mußte, wird vielleicht( nicht immer) noch die ersten Kinder auf Kosten eigener Kräfte mit jenem Lebensfonds ausstatten fönnen, der ihnen von vornherein eine gewisse Gewähr für Gesundheit und normale Entwicklung gibt. Daraus ergibt sich, daß schon in der Ernährungspolitik eines Staates bevölkerungspolitische Tendenzen von stärkster Beziehen, 5. Ausbau und Vermehrung der Heilstätten für Tuberkulose deutung liegen. Hat doch die Unterernährung der Mütter und der Kinder dazu beigetragen, daß die Wissenschaft sich heute stärker als je mit den Problemen der Kindersterblichkeit, Strofulose, Tuberkulose, Rachitis und Kinderverkrüppelung beschäftigen muß.
Wenn die Sozialdemokratie im letzten Reichstag bis zur legten Stunde, die dieser Inflationsreichstag verlebt hat, es durch das stärkste parlamentarische Mittel, durch die Obstruktion verhindert hat, daß die 3ollvorlage( die einen Teil des Preises für den Umfall der Deutsch nationalen am 29. Auguft sein sollte) ohne Debatte an den Ausschuß verwiesen wurde, so hat sie damit deutschen Arbeitermüttern und ihren Kindern einen großen Dienst erwiesen, war doch im Bolltarif eine Belastung des Brot wiesen, war doch im Zolltarif eine Belastung des Brot quantums mit 63 M. für eine fünftöpfige Familie vorquantums mit 63 M. für eine fünftöpfige Familie vorgefehen. Nur müssen die Mütter wissen, daß die Zolltarifvorlage nicht für immer begraben ist. Die Deutschnationalen geben fich so leicht nicht zufrieden und werden ihre Ansprüche wieder anmelden.
Bevölkerungspolitische Auswirkungen finden wir vor allem auch in der Lösung der Wohnungsfrage durch die Gefeßgebung. Das Bestreben der bürgerlichen Vertreter im Reichstag ging feit langem dahin, den Wohnungskapitalismus zur vollen Blüte zu bringen. Eine gesunde Wohnungspolitit aber muß die Bauspekulation ausschalten. Das Woh nungselend war auch vor dem Kriege ungeheuer groß. Es ist verschärft worden durch die Knappheit der Wohnungen. Bei den Bemühungen der Behörde zur Minderung des Wohnungselends haben die Sozialdemokraten im Reichstag und im preußischen Landtag, aber auch in den Gemeinden es wahr lich nicht an tatkräftiger Hilfe fehlen lassen, während bei den bürgerlichen Parteien ihr privatkapitalistiches Intereffe oft genug alle sozialen Gründe übertönt.
In der Welt am Montag" wird auf eine Abhandlung eines Arztes( Dr. Martin Grunzer) in der Deutschen medizinischen Wochenschrift" hingewiesen. Er stellte erschütternde Fälle von gefchlechtlich infizierten Kindern zusammen, die ein Opfer der graufigen Wohnungsmifere geworden sind. Es find Mädchen von 16 Jahren abwärts bis zu 3% und 2 Jahren, die von Untermietern und Familienangehörigen zum Teil geschändet und angesteckt werden. Welch graufige Bernichtung von gesundheitlichen und moralischen Werten.
Bei der so bitter notwendigen Betämpfung der Zubertulofe ftoßen wir dauernd auf die Erschwerungen, die in der Wohnungsnot liegen. Wenn ein tuberkulöser Bater
1. Auf die Reichsregierung zu wirken, mit hunlichster Beschleunigung eine planmäßige und einheitliche reichsgesetzliche Bekämpfung der Tuberkulose in die Wege zu leiten, 2. sämtliche beamtete Aerzte zur Zusammenarbeit mit den in ihrem Bezirk befindlichen Fürsorgestellen zu verpflichten, 3. die Schulärzte zu verpflichten, auch die Berdachtsfälle auf Tuberkulose den Fürsorgestellen zu überweisen, 4. zur praktischen Mitarbeit in den Fürsorgestellen Frauen heranzuanzustreben, um eine längere Behandlungsdauer und fürzere Bartezeit zu ermöglichen, 6. eine bessere Ausbildung der Aerzte in allen Fragen der Tuberkulosebekämpfung anzuftreben, 7. für entlassene Lungentrante auf besondere Berücksichtigung bei den Arbeitsnach weifen und auf angemessene Arbeitsgelegenheiten hinzuwirken, 8. eine ausreichende Zahl und zwedentsprechende Verteilung von Tuberkulofefürsorgestellen in Stadt und Land anzuftreben.
Wichtig ist auch der Arbeitersch u z. Die Ratifizierung des Washingtoner Abkommens liegt durchaus nicht in den Wünschen der Rechtsparteien. Ein gefeßlich festgelegter Acht stundentag für den Arbeiter wirkt sich sowohl gesundheit lich wie moralisch bessernd auf das Familienleben aus. Doppelt, wenn damit ausreichende Ernährung und gesunde Wohnungsverhältnisse verbunden sind. Aber das Washingtoner Abkommen bringt auch ganz direkte Vorteile für die Arbeitermütter. Gein Artikel 3 fagt:
-
In allen öffentlichen und privaten gewerblichen oder Handels betrieben oder deren Nebenbetrieben mit Ausnahme derjenigen, in denen lediglich Mitglieder einer und derselben Familie beschäftigt finda) barf eine Frau während fechs Wochen nach ihrer Niederkunft nicht beschäftigt werden;
b) ist jede Frau berechtigt, die Arbeit zu verlassen. wenn fie ein ärztliches Zeugnis beibringt, daß ihre Niederkunft voraussichtlich innerhalb sechs Wochen stattfinden wird;
c) erhält jede Frau ihrer gemäß Abfaz a und b dauernden Abwesenheit eine Unterstützung, die ausreicht, um sich und ihr Kind in guten gesundheitlichen Verhältnissen zu erhalten. Diese Unterftügung. deren genauer Betrag durch die zuständige Behörde jedes Landes festzusehen ist, ist entweder aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten oder durch eine Versicherung aufzubringen. Außerdem hat die Frau Anspruch auf unentgeltliche Behandlung durch einen Arzt oder eine Hebamme. Irrt sich der Arzt oder die Hebamme in der Berechnung der Zeit der Niederkunft, so hat die Frau dennoch Anspruch auf diese Unterstützung von dem aus dem ärztlichen Zeugnis fich ergebenden Zeitpunft an bis zu ihrer Entbindung;
d) ist jeder Frau. die ihr Kind selbst nährt, während der Arbeitszeit zum Stillen täglich zweimal je eine halbe Stunde freizugeben." Der Entwurf zum Washingtoner Abkommen über die Beschäftigung der Frauen vor und nach der Niederkunft ist am 30. Auguft dem Reichstag zugegangen.
Der neue Reichstag wird darüber zu entscheiden haben. Daß die Sozinthemofratie für das schwere Los der Arbeitermütter Berständnis hat, ist am deutlichsten dadurch
Unterſtügung im Juli 1924
Einmalige Unterftügung ML. 6,- bis 7,- Wochengeld täglich
Stillgeld täglich
... W
"
Antrag der Sozialdemokrat.
0,10 0,11 tgl. 0,15 0,17 tql.
"
Zusammen Mt. 28,- bis 30.
Mt. 25
Beschluß'm So zialpolitischen u Hauptaussch. des Reichstages Mt. 25
0,75 0,75
0,50
"
0.25
"
140,-
81.
Ohne die dauernde Initiative der Sozialdemokratie hätten die Arbeitermütter heute überhaupt nichts.
In den Kreis dieser Betrachtungen muß man auch alle Maßnahmen und Borarbeiten auf dem Gebiete der Gesundheitspolitif, wie sie z. B. von der sozialdemokratischen Fraktion im Preußischen Landtag mit Ausdauer, mit Verständnis verfolgt wurden, hineinziehen. Das preußische Hebammengeseg erfüllt nicht unseren Wunsch, alle Hebammen zu Angestellten des Staates zu machen. Nach dem Gesetz soll aber eine den Bedürfnissen entsprechende Verteilung der Hebammen über das Stadt- und Landgebiet stattfinden, es wird ihnen ein Mindesteinkommen und eine Ruhestandsunterstützung sichergestellt, sie werden verpflichtet:
1. Zur Beratung der Schwangeren und Ausübung der Geburtshilfe,
2. zur Versorgung der Wöchnerinnen und des neugeborenen Kindes( Besuch 10 Tage lang ein bis zweimal),
3. zur Förderung der natürlichen Ernährung( Beratung der Mütter),
4. zur Mitwirkung in der örtlichen Säuglingsfürsorge.
Durch die Einrichtung von Kreishebammenstellen können neben Magistratsvertretern, Aerzten, Trägern der Krankenversicherung und Hebammen auch Mütter an der Ausführung und Beobachtung des Gesetzes mitwirken.
Bon gleicher Bedeutung für die Volksgesundheit ist es, wenn durch die Fraktion die Berbreitung der Familienhilfe der Krankenkassen gefördert wurde. Mütter wissen am besten, wie bitter es ist, wenn sie das Geld für eine notwendige ärztliche Behandlung ihrer Kinder nicht haben und sie mühevolle Gänge und manchmal vergebliche zur Erlangung der Hilfe ausführen müssen. Die hier angestrebte Entwicklung führt mit notwendiger Konsequenz zur Sozialisierung der ärztlichen Hilfeleistung. Nur darf, auf diesem und anderen Gebieten, die Entwicklung nicht durch einen schlechten Wahlausfall unterbrochen werden.
Darum auf zur Wahlarbeit. Alle Frauenstimmen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands !
Zur Wahrung des Wahlgeheimnisses. Vorbereitung der Reichstags- und Landtagswahlen.
Ein Einzelfall gibt, wie der Amtliche Preußische Pressedienst meldet, dem Minister des Inner Veranlassung, unter Hinweis auf seinen Erlaß vom 31. Oftober d. 3. darauf aufmerksam zu machen, baß die Wahl( Abstimmungs) Borteher nicht be. fugt find, bei Entgegennahme der Stimmzettelumschläge aus der Hand der Wähler nachzuprüfen, wieviel Stimmzettel der Umschlag enthält. Zur Wahrung des Wahlgeheimnisses find fie insbesondere nicht berechtigt, den Umschlag gegen das Licht zu halten.
Die Reichsdruckerei wird in diesen Tagen mit dem Bersand der für die Reichstags- und Landtagswahlen zu liefernden Wahlbrudiachen( Bordrucke für die Wahl- und Abstimmungsnieder fchriften der Abstimmungsvorstände nebst 3äh und Gegenliften) beginnen. Sie gehen den Land- und Stadtkreisen in Bostpaketen Druckfachen sind, wie der Amtliche Breußische Bressedienst mitteilt, zu. Etwa notwendig werdende Nachforderungen dieser Kreise an an die Regierungspräsidenten zu richten, denen für unvorherge sehene Fälle ein Vorrat von rund 10 Prozent des Gesamtbedarfs ihres Regierungsbezirts überwiesen wird. Sollten die Land. und Stadtkreise am 30. November nicht in den Besitz der Wahldrucksachen gelangen, fo haben sie dem Minister des Innern telegraphisch Anbeige zu erstatten.
Potemkinsche Dörfer.
Die deutschen Bolschewisten verstehen sich vorzüglich auf die Runft, ein X für ein U zu machen. Mit Vorliebe bedienen sie sich zu diesem Zwecke bürgerlicher Journalisten, die mit Erlaubnis der Sowjetregierung eine Sprigtour nach Rußland unternehmen dürfen. Was sie da zu sehen bekommen, find natürlich zum großen Teil Potemkinsche Dörfer, die sich ganz besonders wirkungsvoll auf dem Gebiete der Sozialversicherung und des Bildungswesens zeigen. Eine nähere Betrachtung ergibt, daß diese pompöse Aufmachung aus Bappe ist. So veröffentlicht z. B. die Rote Fahne " vom 27. Nopember einen Auszug aus dem Artikel eines gewissen Dr. Mar. fusion, ber die Krankenversicherung in Sowjetrußland als qualitativ die beste in der Welt verherrlicht, allerdings zugeben muß, daß sie in ihrem Umfange in der letzten Zeit eingeschränkt werden mußte. Vergleicht man aber mit dieser sowjetfreundlichen Uebertreibung eines Uneingeweihten den nüchternen Brief aus der Stadt Jaroslaw, der in der„ Prawda" vom 22 November zu finden ist, so erhält man von der Krankenversicherung in Sowjetrußland ein ganz anderes Bild. Da heißt es:
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,, Die medizinische Hilfe ist ganz ungenügend. Die Ambulatorien find schlecht ausgestattet und überlastet. Es fehlen die nötigen medizinischen Hilfsmittel, Meditamente und Aerzte. Am schlimmsten ist aber, daß die großindustriellen Unternehmungen, fogar sehr rentable, in ihren Zahlungen an die Krankenkaffen rückständig sind. Die Trusts aus den Zentren schicken das Geld nicht ein. So stehen 600 000 Rubel aus."
Der zweite Reflameartikel ist der Volksbildung gewidmet. Der dankbare Reisende bekommt nur die wenigen Musterschulen zu bewundern. Sie machen aber den Braten nicht fett. Man erzählt ihm lang und breit von der intensiven Bekämpfung des Analphabetismus und anderen schönen Dingen. Die Wahrheit ist aber anders! Die Prawda" vom 21. November teilt z. B. mit, daß allein in der traine 140 000 Kinder proletarischer Herkunft außerhalb der Volksschulen geblieben sind. Wieviel Kinder nichtproletarischer Herkunft noch hinzufommen, sagt das Blatt nicht. Bebe ift man jedoch, daß 3. B. der Volkskommissar für Bildungswesen kürzlich erklärte, die Zahl der Boiksschullehrer und der Volksschüler fei zurückgegangen und der Vorsitzende des Allrussischen Bollzugsrates Kalinin in seiner Rede vor einigen Tagen das Geständnis ablegte, daß im Laufe der siebenjährigen Herrschaft der Bolschewisten die Zahl der Kulturinftitutionen auf dem Lande immer weiter abgebaut worden sind, ferner in Leningrad Tausende von Kindern nicht in die höheren Lehranstalten aufgenommen werden konnten und die Universitäten bzw Technischen Hochschulen viele zehntausende Studenten weniger aufnehmen durften als im voraufgegangenen Jahre, so bekommt man eine richtige Borstellung von den Fortschritten des Beldungswesens in Sowjetrußland.