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Nr. 577» 41. Jahrgang 2« 01�0�0�(5 Sonntag, 7. dezember r92»

Der tzelö von Tannenberg. Sudendorffs wirkliche Rolle bei der SchlachtvonTannenberg Bon Pawlo«. Der bekannte General Ludendorff benutzt jede Ge- legenyeit, um der Oeffentlichkeit vorzutragen, daß er der Held von Tannenberg sei. In seinenKriegserinnerungen" hebt er wiederholt feine gewaltige Rolle bei dieser Schlacht, seinen Heldenmut und seine Verdienste um das Vaterland her- vor, die selbstverständlich in die Annalen der Geschichte ein- getragen werden müßten. Ebenfalls versäumte Ludendorfs nicht, bei dem Hochverratsprozeß in München zu vetfünden, daß er kein einfacher Sterblicher, sondern der berühmte Held von Tannenberg ist. In dieser Eigenschaft hat er den Anspruch auf die Freisprechung für seine Hochverrats- d e l i k t e erhoben. Und die glorreiche bayerische Justiz hat auch die mehr als eigenartige Forderung des Angeklagten als berechtigt anerkannt: er sei einmal der Held von Tannenberg, also müsse ihm alles gestattet sein, selbst Hochverrat zu treiben und die Republik den größten Erschütterungen auszusetzen. Daß Bescheidenheit eine Tugend ist, hält Ludendorfs ojjen- bar für ein spießbürgerliches Vorurteil. Sonst hätte er nicht oviel von den großenVerdiensten" seiner Persönlichkeit ge- prochen, wie'man es in denKriegserinnerungen" lesen kann. besonders auffallend und bemerkenswert ist dabei der folgende Umstand: in seinenKriegserinnerungen" erinnert sich Luden- dorff sehr schlecht an seine Fehler; hier versagt sein Gedächtnis vollkommen. In den Fällen aber, wo sich die Mißerfolge nicht abstreiten lassen, schreibt Ludendorff wir", d. h. Hindenburg und er und nur da, wo Siege zu verzeichnen sind, stellt er das stolzeich" hin, Hindenburg wird mit keinem Wort erwähnt. Was ist eigentlich Tannenberg, und warum hebt es Luden- dorff so hervor? Welche Rolle hat Ludendorff bei der Schlacht von Tannenberg gespielt? Auf diese Fragen finden wir eine erschöpfende Antwort in dem soeben erschienenen sehr wert- vollen Beitrag des Profesiors der Akademie des russischen Generalstabs, General N. G o l o w i n über die erste Periode >es Weltkriegs.*) Die eingehenden Ausführungen Golowins über die Rolle Ludendorffs bei Tannenberg verdienen die Aus- merksamkeit nicht nur des engen Kreises der militärischen Sach- verständigen, sondern auch der breiten Oeffentlichkeit. Tannenberg" stellt zunächst der russisch« General fest ist«in Städtchen, das in der Nähe des Schlachtrayons liegt, also nicht in den Kampfgebieten selbst. Im Jahr« 14t0 haben dort die Slawen mit den Polen an der Spitz« die Teutonen besiegt und sich von ihrem Joch befreit. Mar hielt es für notwendig, jetzt, nach fünfhundert Iahren, den alten Schandfleck aus der Welt zu schaffen und im Jahre 1914 ein neuesTonnenberg" in die Ge- schichte einzutragen, bei dem die Slawen die Besiegten sind. Und so kann man die groteske Feststellung machen: trotzdem dieses Mal auf der geschichtlichen Stell« kein Tropsen Blut weder deutsches nock) russisches vergossen worden ist, wurde General Gudendorfs beim Kaiser vorstellig, die Kämpfe des deutschen Heeres mit General Semsonofss Armee mit dem Gesamtnamen.Taimen» 'berg" taufen zu dikkfen." Damit habe Ludendorff nichts anderes erstrebt, als eine kriegspolitische Reklame großen Stils. Daß diese Behauptung der Wirklichkeit nahe kommt, geht aus Ludendorffs eigener Darstellung hervor. In seinenKriegserinnerungen"(S. 44 45) schreibt er mit einem Pathos, das hier kaum angebracht ist, wörtlich: Die Schlacht wurde auf meinen Vorschlag die Schlacht von Tannenberg genannt, als Erinnerung an jenen Kampf, in dem der deutsche Ritterorden den oereinigten litauischen und polnischen Armeen unterlag. Wird der Deutsche es jetzt, wie damals(1410), zulassen, daß der Litauer und namentlich der Pole aus unserer Ohn- macht Nutzen ziehen und uns vergewaltigen? Soll Jahrhunderte alte deutsch « Kultur verlorengehen?" Mit der größten Entschiedenheit bestrettet Prof. Golowin die Wahrheit von Ludendorffs Darstellung des Verlaufs der Schlacht von Tannenberg.Nach dieser(Ludendorffs) Le- gende," erklärt Golowin,werden die Kämpfe mit den Armeen des Generals Samsonoff wie folgt dargestellt:Der geniale Ludendorff konzentriert mit ungewöhnlicher Kühnheit gegen Samsonoff die gesamte 8. deutsche Armee, indem er sie dem General Rennenkampf sozusagen direkt vor der Rase ent- zog. Um die Niederlage vorzubereiten, heißt es, hätte Luden- dorff darauf den General Samsonoff in seinen Mittelpunkt oerlockt. Dabei scheute Ludendorff nicht davor zurück, den Zentralpunkt zu schwächen und sich sogar einem vorübergehen- den Mißerfolg auszusetzen. Mit einem Wort, als wäre hier die Wiederholung von Hannibals Schlacht bei Cannä zu ver- zeichnen, dieses Musters der Kriegskunst. Infolge dieses genialen und kühnen Plans hätte die umkreiste Armee Samfo- nosfs die Waffen gestreckt."Diese Legende," führt General Golowin aus,ist vom ersten bis zum letzten Wort eine glatte Unwahrheit." Der Verlauf der Kämpfe spielte sich, nach Golowin, in Wirklichkeit folgendermaßen ab: Vom 13. bis 17. August hielt sich die russische Armee stand- hast gegen die doppelten Streitkräfte der Deutschen . Die Folge dieser Ungleichheit war. daß die Rests der 2� russischen Armee- korps durch den rechten Flügel des deutschen Armeekorps von der Grenze abgeschnitten wurden. Einem Teil dieser Reste ist es gelungen, sich durchzuschlagen, während der andere Teil in Gesangenschast geriet. Den deutschen Operationen lag gar nicht," fährt General Golowin fort,d i e I d e e C a n n ä s, die der Umfassung, zu- gründe, sondern die des Angriffs auf den linken Flügel der russischen Armee, die den Vormarsch auf Allenstein unternahm. Das war die Idee, die der deutsche Generalstab einige Jahre vor dem Kriege ausgearbeitet hatte. Ludendorff kann daher unter keinen Umständen als der Vater dieser Idee betrachtet werden. Sie wurde am 8. August(dem Tage nach der Schlacht bei Gumbinnen ) vom Befehlshaber des 20. Armeekorps, General Scholz, vorge- schlagen, mit ihr erklärte sich der Befehlshaber der 8. Armee. General P r i t t w i tz.«nvsrstanden, und der Chef des Ge- »)Aus der Geschichte der Kampagne 1914 an der russischen Front Der Ansang des Krieges und die erster Operationen in Ostpreußen ."(Die Arbeit russisch:Is istorii kampani 1914 na lusskom fronte. Natschala wojni i perwija opiratii wostotschnoi Prussii" erscheint im VerlagPlamja", Prag . Einen ausführlichen Bericht über das Werk gibt das russische BlattPoslednii Nowosti", Paris , wieder.*

vor öer Wahl.

Nach öer Wahl.

Jn den Gzean schifft mit tausend Mosten der Jüngling;

Still auf gerettetem Soot treibt in den Hasen der Greis. schw«.

neralftabs, v. M o l t k e, drängte schließlich zu ihrer Durch- sührung. Dementsprechend war das 1. deutsche Armeekorps unter dem Kommando des Generals F r a n y o i s von Anfang an durch General P r i t t w i tz vom Schlachtfeld bei Gum- binnen abkommandiert worden, um die rechte Flanke des Generals S ch o l z zu stärken." Bis zu diesem Zeitpunkt spielte Ludendorff hier absolut keine Rolle, da er erst am 9. August ausgefordert wurde, im Hauptquartier zu erscheinen, wo man ihm die Mitteilung von seiner neuen Berufung machte. In seinenKriegserinnerungen" stellt Ludendorff die Be- hauptung auf. daß er bereits von Koblenz aus(wo sich damals das Hauptquartier befand) den Befehl erlassen hatte, die Rich- tung des 4. Armeekorps des Generals Fran�ois zu ändern. Diese Behauptung ist sicherlich auf Ludendorffs svezisische Ge­dächtnisschwäche zurückzuführen: denn General Fran�ois be- zeichnete sie in seinem BucheMarneschlacht und Tannenberg" als unzutreffend. Genau so wird von Professor Golowin Ludendorffs Ver­sion, wonach er zum Kampfe gegen General Samsonoff das 1. Reserve- und das 17. Armeekorps herangezogen hätte, quali- fiziert: dieser Gedanke gehörte nicht Ludendorff , sondern v. Moltke; am 8. August hatte v. Moltke darüber eine tele- phonische Unterredung mtt General Prittwitz. Da General Prittwitz in seiner Stellungnahme schwankend war, setzte es v. Moltke durch, diesen Befehlshaber durch General Hinden- bürg zu ersetzen. Es steht also fest, daß Ludendorffs Betettigung an dem Zustandekommen der günstigen strategischen Gruppierung, bei der die 8. deutsche Armee die Armee Samsonoffs angriff, ganz gering war. Als Ludendorfs auf dem leitenden Posten erschien, war die Vorphase des Angriffs, wenn nicht schon vollendet, so doch endgültig ausgearbeitet und akzeptiert. Und nun Ludendorffs Rolle bei der Schlacht selbst. 3. August. Der erste Tag der entscheidenden Kämpfe mit Samsonoffs Armee. Der linke deutsche Flügel, der sich aus dem 1. Reserve- und dem 18. Armeekorps der 6. Landwehrbrigade zusammensetzte, war bei weitem dem 6. russischen Armeekorps uberlegen und griff es an. Es ist aber interessant, festzustellen, daß die Verbindung dieses Flügels während der ganzen Operation sehr schlecht war. und die Befehlshaber der Armee- korps die Operationen auf eigene Initative führten." Anders gestattete sich die Lage am 13. August auf dem rechten Flügel: dort war die nahe und unmittelbar« Kommandoführung möglich. Der Befehlshaber des 1. Armeekorps, General Franoois, ersuchte Hindenburg um Erlaubnis, die entscheidende Aktion nicht am 13., sondern am 14. August vorzunehmen, da am 13. August erst die Hälfte der Artillerie des Armeekorps an Ort und Stelle war. Ludendorsf sprach sich gegen diesen Vor- schlag aus und drang darauf, am 13 August anzufangen. Die Folge davon war, daß das 1. deutsche Armeekorps, das sich in den gleichen Verhältnissen befand wie die Rüsten, seine Auf- gäbe nicht erfüllen konnte.

Zugleich mit den Operationen des 1. Armeekorps fanden die Kämpse des 20. deutschen Armeekorps statt, das in seiner vollen Zusammensetzung den Kampf mit der 2. russischen Infanteriedivision, die aus einer Strecke von 10 Werst zerstreut war, aufnahm. Die 2. Division wurde geschlagen. Jnsolge- dessen wurden am 13. August abends die Wege nach Neiden- bürg, dem wichtigsten Kommunikationspuntt im Hinterland der zentralen russischen 15. und 13. Armeekorps, für den deut- schen Vormarsch stei. Hier entstand eine Lücke von 20 Werst Brette, die durch die Reste der 2. Infaitterie-Diviston nicht ge- deckt werden konnte. Ludendorff erfaßte die neue Situation nicht, denn in seinem Befehl vom 14. August. 9 Uhr abends, behauptet er. daß auf der Stelle desstrategischen Lochs" die russischen Streitkräfte, nämlich zwei Armeekorps, konzentriert seien. Und diesesLoch" befahl Ludendorff zu umfasten. Infolge der energischen Aktion des 15. russischen Armee- korps, das am 14. August im Mittelpunkt kämpfte» war Luden- dorff bestrebt, nicht, wie er behauptet, die Russen nach diesem Mittelpunkt zulocken", sondern gerade das Gegenteil zu tun: aus Angst um den Zentralpunkt hielt er das 20. Armee- korps zurück, das direkt gegen dasstrategische Loch" mar- schieren sollte, veranlaßte es, abzuschwenken und kommandierte eine Division zur Stärkung des Mittelpunktes und die andere, um den Mittelpunkt zudrängen". Auf diese Weise führten Ludendorsfs Befehle nicht zur Einschließung der Rüsten, sondern sie ermöglichten ihnen den Rückzug. Am 15. August setzte Ludendorff diese Taktik fort. Unter dem Eindruck des tapferen Kampfes des 15. russischen Armee- korps ließ er weiter die rechte Flanke zum Zentrumdrängen" und verkleinerte dadurch die Brette der Umfassung. An diesem Tage, und zwar um 9,10 Uhr morgens und um 12,25 Uhr mittags, erteilts er dem Befehlshaber des 1. Armeekorps, General Fran?ois. entsprechende Instruktionen.(sReben- bei bemerkt: in seinenKriegserinnerungen" hat General Ludendorff diese Instruktionen zu erwähnen vergesten.) General Fran�ois führte aber Ludendorffs Befehle nicht genau aus. Aus eigener Initiative richtete er seinen Hauptangriff nicht gegen Sann, wie ihm vorgeschrieben war. sondern auf Neidenburg . Da- durch war es ihm möglich, rechtzeitig die Wege für den Rück- zug der Rüsten zu besetzen, nämlich die Chaustee Neidenburg- Willenberg. Interestanter ist Ludendorffs strategische Führung der linken Flank«, die sich aus dem 1. Reserve» und dem 17. Armee- korps zusammensetzte. Durch den Befehl vom 15. August, 5,30 Uhr nachmittags," stellt General Goiowin fest,wurden diese beiden Armee- korps zurückgezogen. Dabei wurde General Mackensen befohlen, das 17 Armeekorps nach Gutstadt zurückzuziehen, d. h. um 30 Werst in der Richtung nach dem Hinterland von der Stelle, wo das Armeekorps stand. Aber General Mackensen, genau wie General Fran?ois, leistete Ludendorsfs Befehl kein« Folge und setzte den Vormarsch in der Richtung