Einzelbild herunterladen
 

Nr.599 41. Jahrgang Ausgabe A nr. 305

Bezugspreis:

Böchentlich 70 Goldprennig, monatlich 8- Goldmart voraus zahlbar. Unter Kreuzband für Deutsch and Danzig , Saar und Memelgebiet. Defterreich), Zitauen, Suremburg 450 Goldmart, für das übrige Ausland 3,50 Goldmar! pro Monat

Der Borwärts mit der Gonntags beilage Bolt und geit mit Gied. Lung und Aleingarten fomie dez Unterhaltungsbeilage Seimmelt und Frauenbeilage Frauenfiimme erfcheint wochentäglich zweimal, Sonntags und Montags einmal

Telegramm.breffe:

Sozialdemokrat Berlin *

Morgenausgabe

Vorwärts

Berliner Volksblatt

10 Goldpfennig

Anzeigenpreise:

Die einipaltige Nonpareille geile 0.70 Goldmart Reflamezeile L. Goldmart...Aleine Anzeigen bas fettgebrudte Bort 0,20 Gold mart( auläffa awet fettaedritate Borte). tebes weitere Bort 0.10 Goldmart. Stellengefuche das etite Bort 0.10 Goldmar! tedes weitere Bort 0.05 Goldmatt brte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Familienanzeigen für Abonnenten Reile 0.30 Golbmast Eine Goldmart ein Dollar geteilt burch 4.20.

Anzeigen für die nächste Summer müffen bis 4 Uhr nachmittags im Sauptgeschäft. Berlin G 68. Linden fraße 3 abgegeben werden. Geöffnet son 9 Uhr früb bis 5 Uhr nachm

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: GW 68, Lindenstraße 3 Ferniprecher: edation: Conhoff 292-295 Verlag: Donbon 2306 2507

Sonnabend, den 20. Dezember 1924

Vorwärts- Verlag 6.m.b.H., SW 68, Lindenstr. 3. Bottschecktonto: Berlin 375 36 Bankkonto: Direktion der Distonto- Geiellichaft. Devontenkane Lindenstraße

Fechenbach, Mühsam und Hitler frei.

Die bayerische Austausch- Amnestie.

Muchen, 19. Dezember( Eigener Drahtbericht.) Amtlich wird folgende Meldung verbreitet:

Das Oberfte Landesgericht hat die Beschwerde der Staatsanwalt. fchaft vom 29. September gegen den Beschluß des Landgerichts München I, durch den Hitler und kriebel Bewährungsfrist be­willigt worden ist, verworfen. Es erhalten also Hitler und Stiebel für den Rest der Strafe Bewährungsfrist. Dagegen wurde vom Oberffen Landesgericht der Beschwerde des Staats­anmalis gegen die Bewilligung einer Bewährungsfrist für Dr. Weber stattgegeben. Das Oberfte Landesgericht ist nach der Be­gründung des Beschlusses der Auficht, daß über die Frage der Be­willigung einer Bewährungsfrist für Dr. Weber erst dann entschieden verden fann wenn nach Abschluß der Boruntersuchung wegen Fort­führung des Buntes Oberland das Landesgericht Beschluß darüber ge­faßt hat, ob gegen Dr. Weber das Hauptverfahren zu eröffnen ist oder ob er außer Berfolgung zu setzen ist.

Bom Staatsministerium der Juffiz wurde am Freitag unter Minderung der Strafe die Strafvollziehung gegen mühjam, Sauber, Karpf und Olschewsky unterbrochen und ihnen für den Rest der Strafe Bewährungsfrist bewilligt. Es sind das bie tehten Festungsgefangenen der Räterepublit, die feit 1918 fich un­unterbrochen in Feftungshaft befinden.

Ferner Fechenbach, Gargas und Lembke Bewäh­rungsfeit für den Reft ihrer gleichzeitig geminderten Strafe bewilligt werden. Bei dieser Begnadigung ging das Justizminifterium von dem Standpunkt aus, daß die Schuld der drei B- rurteilten nach dem Guiachten des Obersten Landesgerichts einwandfrei feststeht, daß es aber angezeigt jei, die Strafen den vom Reichsgericht in ähnlichen Fällen angewandten Strafmaßen anzupassen.

Die Befreiung Fechenbachs aus dem Zuchthaus ist ein Sieg des Rechts.

Die Freude an diefem Sieg fann nur wenig dadurch ver­fümmert werden, daß die bayerische Regierung an der Fittion festhält, fie gewähre einem Schuldigen Gnade. Die Frage nach der Schuld. oder Unschuld Fechenbachs ist längst dem Rahmen eines strafprozessualen Berfahrens entrüdt. Die öffentliche Meinung Deutschlands und der ganzen Welt hat fich mit ihr beschäftigt und hat ihr Urteil gesprochen. Die bayerische Regierung flammert sich mit formaler Korrektheit an das Gutachten des Obersten Landesgerichts, das an ber der Schuld. Fechenbachs festhält. festhält. Diesem Gutachten stehen die Gutachten der berühmtesten Rechtsge lehrten Deutschlands und steht das Urteil des Ausmär­tigen Ausschusses des Reichstags gegenüber, der die Geschichte von der Schädigung auswärtiger Reichsinteressen durch Fechenbach in das Reich der Fabel verwies.

Bom Standpunkt des reinen Rechts aus hat Fechenbach eiren Anspruch auf Freispruch und Entschädigung für die unschuldig erlittene Strafe. Es steht bei ihm, ob er diesen harten und weiten Weg beschreiten will. Notwendig ist das vom Standpunkt der Politif aus nicht.

Der Fall Fechenbach war von uns in dem Augenblic, als das unerhörte Urteil fiel, mit der französischen Affäre Dreyfus verglichen worden. In beiden Fällen war es zu ungeheuerlichen Fehlsprüchen gekommen, weil an Stelle ber Unparteilichkeit, die allein Anspruch auf den Siz des Richters hat, blinder politischer Fanatismus gegen politische Gegner zu Gericht faß. Zwischen diefen beiden Fällen besteht aber ein großer Unterschied insoweit, als es sich im Fall Dreyfus um einen ftrittigen Tat bestand, im Fall Fechenbach über die ftrittige Beurtei lung des Tatbestandes handelte. Im Fall Dreyfus ging es um die Frage, ob der Angeklagte wirklich gegen Frankreich der deutschen Regierung Spionendienste getan hatte. War diese Behauptung richtig sie war aber falsch dann war Dreyfus schuldig. Fechenbach hat nie bestritten, dem Schweizer Journalisten Baŋot das Ritter Telegramm übergeben, und einem Nachrichtenbureau Notizen über rechtsputschistische Borbereitungen geliefert zu haben daß man aus diesem zugestandenen Latbestand einen Landes­perrat tonftruierte, den man mit 11 Jahren Zuchthaus ahn dete, das war die Ungeheuerlichkeit des Urteils.

-

Fechenbach braucht also fein Bieberaufnahmeverfahren anzustreben, um zu beweisen, daß man ihn einer Tat beschul­bigte, die er nicht begangen hat. Die Frage ist: War das, was Fechenbach getan hat, Landesverrat? Diese Frage ist für die zukünftige Rechtsprechung von sehr großer Bedeutung, von ihrer Beantwortung hängt das Schicksal zahlreicher Bersonen ab, nach denen der Landesverratsvara graph seine fautschufartig verlängerten Arme ausstrect­für Fechenbach persönlich bedeutet sie nicht mehr viel, da nor or Deffentlichkeit längst rehabilitiert ist.

Im Fall der Münchener Räterepublikaner handelt es fich um die Milderung von Strafen, deren Härte in feinem Berhältnis steht zu der Behandlung, die bayerische und andere deutsche Rechtsputschisten vor Gericht erfahren haben. Gerade hier drängt sich der Vergleich mit Hitler- Kriebel auf, die im ganzen wenig über ein Jahr eines fehr bequemen Festungsaufenthalts hinter sich haben, während die Müh am und Genossen über fünf Jahre lang in einem Ge­fängnis gehalten wurden, das man schönfärberisch als Festung bezeichnete.

Man kann daher den Beschluß des bayerischen Staats­minifteriums feineswegs einen Aft ausgleichender Gerech­tigkeit nennen. Fechenbach hat über zwei Jahre im Zucht­haus gefeffen, man entläßt ihn und attestiert ihm dabei noch feine Schuld. Die Linksputschisten mußten fünfmal so lang figen wie die Rechtsputschisten. Dabei wird man das Ge fühl nicht los, daß es der bayerischen Regierung mehr darauf anfam, Hitler freizulassen, als in den Fällen Fechenbach und Mühsam dem Recht Genüge zu tun.

höriger gewesen, der für seine Tätigkeit 12 Jahre Zuchthaus erhielt. Nach Fechenbach hatte ein Journalist Lembke die Münchener Be richterstattung für Gargas übernommen, er erhielt dafür 10 Jahre Zuchthaus.

Das fogenannte Ritter- Telegramm, dessen Auslieferung an Payot Fechenbach mit 10 Jahren Zuchthaus angerechnet wurde, war ein Bericht des bayerischen Gesandten beim Vatikan , Kittar, aus der Zeit vor dem Kriegsausbruch und hatte folgenden Wortlaut: Rom , den 24. Juni 1914.

Ministerium des Aeußern, München . Bapst billigt scharfes Vorgehen Defterreis gegen Sere bien und fäßt im Kriegsfall mit Rußland russische und fran­ zösische Armee nicht hoch ein. Kardinalstaatssekretär hofft eben­falls, daß Desterreich diesmal durchbält, und wüßte nicht, wann es sonst noch Krieg führen wollte, wenn es nicht eins mal eine ausländische Agitation, die zum Mord des Thronfolgers geführt hat und außerdem bei jeziger Konstellation Desterreichs Eriffenz gefährdet, entschloffen ist, mit den Waffen zurückzuweisen Daraus spricht auch die große Angst der Kurie vor dem Pan­Ranismus. gea Ritter.

Wenn aber Bayern , das den Mörder Eisners, den Das Boltsgericht, das unter dem Borsiz des Landgerichtsdirek­Grafen Arco, ohne Kompensationen begnadigt hat, diesmaltors as togte, nahm an, daß durch die Veröffentlichung dieses iin Fall Hitler um Rompensationen nicht herumtam, so ift Telegramms eine Intervention des Papstes zugunsten das eine Folge der Aufrüttelung der öffentlichen Deutschlands bei den Friedensverhandlungen ver Meinung zugunsten Fechenbachs und der Gefangenen von Hindert werden sollte und tatsächlich verhindert worden set. Niederschönenfeld . Es gibt immerhin Dinge, die zu fraß find, als daß irgendeine Regierung sie noch wagen könnte. zu diesen Dingen hätte es gehört, wenn die bayerische Re­gierung Hitler entlassen, Fechenbach und Mühsam aber noch länger im Rerter gelassen hätte.

Adolf Hitler hat für das, was er angerichtet hat, eine lächerlich geringe Strafe erlitten. Aber politisch ist seine Freilassung nicht zu bedauern, denn politisch ist Adolf hitler feine Gefahr. Die von ihm geleitete Bewegung ist zusammengebrochen, der 7. Dezember hat mit ihr aufges räumt. Soweit es noch eine rechtsputschistische Gefahr gibt, hat sie ihren Sig viel weniger in der von Hitler gegründeten

Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung" als im radi. talen Flügel der Deutsch nationalen und den ihm angeschlossenen rechtsradikalen Berbänden. Und was be­fonders Bayern betrifft, so ist das schwarzweißrote Dachfeuer gründlich gelöscht, aber der weißblaue Deckenbrand schwelt weiter..

Doch ganz abgesehen davon, ob Hitler eine Gefahr ist oder nicht jedenfalls ist das Gerede von seiner angeblich geplanten Ausweisung Unfug. Hitler ist als Deutscher einige Kilometer hinter der reichsdeutschen Grenze geboren, er ist Angehöriger eines deutschen Volksstammes, dessen An­schluß an das Deutsche Reich erstrebt wird, er hat im deut­fchen Heer gedient- ihn aus dem Lande zu schaffen, weil seine Papiere nicht in Ordnung sind, wäre ein Polizei­partifularismus übelster Art.

gegen

3

Jagows und Hitlers Entlaffung sind eine Mahnung, auf dem Weg der Amnestie nicht stehen zu bleiben. Die Am­neftie für verurteilte kommunistische Linksputschiften, die wir fordern, ist ein Art der Gerechtigkeit, denn die Strafen, die über sie verhängt wurden, sind um ein Vielfaches härter als die die wenigen Rechtsputschiften, die dem Arm der Gerechtigkeit nicht entwischten. Die Amnestie ist aber auch ein Art der politischen Klugheit. Die Rom munisten find von ihrem Gewaltfieg ebensoweit entfernt wie die Nationalsozialisten" Hitlerscher Prägung. Eine Ge­fahr sind sie wohl für die Arbeiterbewegung, an deren Ber­ftörung fie arbeiten, eine Gefahr sind sie als der parlamen­tarische Stoßtrupp zur Förderung der Bürgerblockbestrebun gen, aber eine Gefahr für den Bestand des Staates find fie nicht!

Die Republik wird nicht schwächer, sondern stärker werden, wenn sie das Licht der Gerechtigkeit gleichmäßig über alle scheinen läßt und wenn sie milde übt, wo sie keinen Anlaß mehr sieht, sich durch Härte zu schützen.

Der Fall Fechenbach.

Am 20. Oftober 1922 murde Fechenbach vom Münchener Boltsgericht megen angeblichen Landesverrats zu 11 Jahren Zucht haus verurteilt. Seinen Landesverrat sollte Gechenbach dadurch be­gangen haben, daß er, der Eefretär bes ermordeten nifterpräfi­denten Eisner, im Frühjahr 1919 dem Schweizer Journalisten René Bayot ein diplomatiches Schriftftüd übergeben und ferter für ein englisches Nachrichtenbureau, Transatlantic News Transmission Agency", Rachrichten über rechtsputschstische Borbereitungen ge liefert hatte. Berliner Bertreter jenes Bureaus war der frühere Biener Rechtsammelt Dr. Bargas, ein polnischer Staatsange

Diese geradezu unsinnige Annahme ist durch folgendes Gut achten des Auswärtigen Ausschusses des Reichstags zerstört worden:

1. Daß die Veröffentlichung des sogenannten Ritter- Tele gramms auf die Lage des Deutschen Reiches bei den Friedens. verhandlungen Einfluß ausgeübt hat, ist nicht tlargestellt; weber die Friedensdelegation in Versailles noch das Auswärtige Amt in Berlin haben dieser Beröffentlichung Beachtung gefchenft.

2. Durch einen im Frühjahr 1915 abgeschlossenen Vertrag zwischen J.alien, England, Frankreich und Rußland war die Kurie von jeder Beteiligung an den Friedens. verhandlungen ausgeschlossen. Diese Tatsache wird in der Urteilsverfündung nicht erwähnt.

Damit war dem Urteil, soweit es sich auf das Ritter- Telegramm bezog, die Grundlage entzogen Im Fall der Nachrichtenvermittlung über rechtsputiiftische Vorbereitungen nahm das Gericht Epionage zugunsten Englands an, obwohl es sich um Fach­richte handelte, die zum größten Teil schon veröffentlicht waren, und um Vorgänge, die fich den Augen feines Beobachters entzogen. Tie englische Regierung erklärte, sie habe mit dem Burean des Dr. Gorgas nichts zu tun. Außerdem aber muß man bedenten, daß in der damaligen Zeit Frankreich den Separatismus, der sich hinter den bayerischen Bürgerwehren verbarg, begünstigte, Eng­land dagegen ihn bekämpfte. Die Berichterstattung über die rechts­putschistischen Vorbereitungen war eine Leilaktion im Kampf für die Reichseinheit, sie führte nach der Lage der Dinge ebenso noch der englischen Seite mie der bayerische Partitularismus nach der französischen .

Die Bewegung gegen das Fechenbach- Urteil hatte sofort ein­gefeßt, als es gefällt worden war. Den Sozialdemokraten im Reihstag gelang es, das schon zitierte Gutachten des Aus wärtigen Ausschusses zu erzielen und den Fall auch im Reichstag zur Sprache zu bringen. Am 2. Juli v. 3. hielt Genoffe Dittmann im Reichstag eine Aufsehen erregende Rede für Fechenbach. Der bayerische Regierungsvertreter v. Breger erklärte, falls Fechenbach ein Begnadigungsgesuch einbringe, werde die banerische Regierung ein Gutachten des Obersten Landesgerichts einfordern. In der fol­genden Debatte standen Emminger und der Deutschnationale Strathmann als Berteidiger des Urteils allein.

Die Borgänge im Reichstag gaben der Bewegung für Fechenbach reuen Antrieb. Es erschienen zahlreiche Schriften und Gutachten berühmter Rechtslehrer, die sich für die Unschuld Fechenbachs, ein­fetten. Trotzdem schien es, als ob die bayerische Regierung all diefen Stimmen das Dhr verschließe, als ob alles vergeblich wäre! Es war nicht vergeblich! Fechenbach ist frei!

Die Niederschönenfelder.

Der finnlose Räteputsch von München hat micht nur für Bayeun die unheilpofften politischen Folgen gezeitigt, er hat auch Taufende von an ihm Beteiligten zu Opfern einer unbarmherzigen Juftiz gemacht. Wegen Hochperrat und Beihilfe zum Hochverrat wurden 1919 über zmeitausend Teilnehmer an der Räterepublik zu Gefängnis, etmo fünfzig zu Zuchthaus und über vierhundent zu Feftung verurteilt, ins efamt zu fünftausendfünfhundert Jahren! Bon den Reichsamneftien 1920 und 1922 wurder die tanerischen Räterepublikaner ausgeschlossen. Ende 1924 befanden sich noch fechs Gefangene in dr Festim Niederschönenfeld, darunter

ihsam mit 15 Jahren, Rarof mit 12 Aabren. Sauber mit