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Nr. 59941. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

In den weihnachtslosen Häusern.

Man verrät nichts Neues mit der Tatsache, daß es in der Welt stadt Laufende und aber Tausende gibt, die dringend besorgt sind, ob sie sich zu Weihnachten wenigstens einmal werden fait effen fännen. Wir haben an dieser Stelle wiederholt während der vers flossenen Jahre und befonders auch alliährlich zu dieser Zeit, auf die Not jener Mitmenschen hingewiesen, denen der freudelose Alltag auch das freudelose Weihnachten gewärtig ift. Auch jetzt wollen wir das Ergebnis einer sozialen Streife wiedergeben, die wir mit einer Bezirksfürsorgerin im ärmsten Teil der Millionenstadt, dem Be 3irt Wedding unternommen haben.

Jm Keller.

Antonstraße. Kahle Hausmauern, duntie Höfe mit schmuhigen, tibelt edenden Winkeln. Wir steigen in einen Keller hinab. Infolge der Dunkelheit muß man sich mit den Händen an der Wand entlang tasten bis mir das heim entdeckt haben. Ein Kellerloch, zwei Meier breit und vier Meter lang. Das ist die ganze Wohnung für Mann, Frau und ein fünf Monate altes Kind. Das Bett, die einzige Schlafgelegenheit für die drei Berfonen, nimmt bald die Hälfte des Raumes ein. Ein Küchentisch und zwei Stühle beschließen das Mobiliar. Kein Holz, sondern Zementfußboden, der jetzt mit Brer tern belegt ist. An der rechten Band zieht sich ein Abortabflußrohr entlang, das undicht ist und einige Tropfen auf das Bett fallen läßt. Im übrigen ist der ganze Raum fo feucht daß die kleide: stod n. Der Mann, Hausbiener bei einer Restaurationsgesellschaft, erzählt einiges: Benn der Schornsteinfeger ins Haus tommt, ist die Boh rung ganz in Aschenrebel gehüllt." Die Familie muß dann immer den Raum verlassen. Trogdem der Mann nur 18 M. in der Woche perb'ent, hat er den Mut nicht verloren und hofft, daß er bald ein mirtliches Heim bekommt. Die 18 m. reiden knapp zum Leben und so muß die Frau, die ziemlich elend ist, durch Ausbessern von Klei bungsstücken dazu verdienen Erstaunt fragt man, wo sie denn

Der Keller als Wohnung. eigentlich ihre Arbeit erledige. Doch nicht etwa in diesem dunklen Rellerloch? Traurig lächelnd, bejaht sie die Frage. Bei einer Betroleumlampe wird der färgliche Nebenverdienst erschuftet. Als

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Der Mittelweg.

Bon Sir Philip Gibbs  .

Diese Worte beunruhigten Bertram aufs tiefste. Er ging mit Kenneth bis zur Gesandtschaft. Kenneth plauderte ge­wandt und fließend, aber Bertram unterbrach ihn unver= mittelt:

,, Haben Sie Joyce in der letzten Zeit oft gefehen?" Eine halbe Sefunde zögerte Kenneth mit der Antwort. " Jawohl Longchamps, im Bois, in der Oper usw. Schönes Wetter, diese lehten Tage, wie?"

Aber Bertram interessierte sich nicht fürs Better. ,, Ste missen, daß Joyce und ich fürzlich Meinungsver schiedenheiten hatten? Hat sie's Ihnen nicht gesagt?"

Wieder zögerte Kenneth mit der Antwort: Ich wußte wohl von einem Mißverständnis... Aber gestatten Sie mir, Ihnen zu sagen, ich diskutiere niemals die Beziehungen zwischen Mann und Frau. Finden Sie nicht, daß es eine gute Regel ist?"

Er sprach auf die freundlichste. Weise, aber seine Zurecht weisung ließ Bertram tief erröten. Ich hatte auch nicht die Absicht, meine Beziehungen zu Jonce mit Ihnen zu besprechen. Ich wünschte nur, Ihnen dafür zu danken, daß Sie ihr in meiner Abwesenheit ein guter

Freund gewesen sind."

Kenneth lachte eigentümlich gezwungen. Aber mein Lieber! Nichts zu danken... Ich versuchte nur, nach allen Regeln ehrliches Spiel zu spielen."

Er hob die Hand, fast wie zum Salutieren, und ver­schwand in der englischen Gesandtschaft, während Bertram fich in unbehaglicher Stimmung nach Passy begab.

41.

Ein

M. Mahony, Dennis' Onkel, bei dem Sufan fich aufhielt, wohnte im bescheidenen Teile der Rue de la Pompe. ungeheuer dicker Portier sagte Bertram brummig. Bescheid, pierter Stod links; der Herr würde die Tür schon finden, es märe stets Besuch da, der fürchterlichen Lärm" machte.

Bertram ging die vier Treppen hinauf. Es roch ab fcheulich nach Zwiebeln und schlechter Kanalisation. Als Bertram die Glocke an der Tür des vierten Stods zog, hörte er das Murmeln verschiedener Stimmen, aber nichts von einem ,, fürchterlichen Lärm". Susan selbst öffnete ihm. Sie war blaß, die irischen Rosen blühten nicht mehr auf ihren Bangen, die er zärtlich füßte.

Sonnabend, 20. Dezember 1924

das Wort Weihnachten  " fällt, schaut die Frau uns stumm an, als nung schwer zu underbrüden find. Aber wo die Wohnung feucht mollte sie sagen: hier in der Unterwelt fennen wir das nicht.

Zu ebener Erdz.

Wohnung zu ebener Erde. Als die Tür sich öffnet, weht uns ein Sparrstraße. Wir überqueren einen Hof Diesmal liegt die salimuffiger Luftzug entgegen. Die Küche mutet öde an. trobem fie, wenn auch einfach, eingerichtet ist, In der fleinen Stube fiegt

Tekniser

Nicht Wohnhaus, sondern Wohnstall.

im Bett die franfe Mutter. Gin fungentrantes Rind meilt zur Er­holung in Beelig. Bald wird auch der ebenfalls lungentrante, arbeitslose Balet   dorthin seinen Weg nehmen. Zwei fleine Kinder liegen, wohdem es schon mittagszeit ist, noch im Bett. Warme aleldung fehlt und so ist es schon beffer, wenn sie das Bett nicht ver­laffen. Troß der bitteren Notlage, troß der franken Mutter herrscht Gauberfeit im Raume. Der Mann, der bis 1917 Schreiber war und wegen feiner Krankheit dieses Handwerk an den Ragel hängen mußte, erzählt, wie er und feine Familie ihr Leben fristen. Die wöchentliche Arbeitslosenunterstühung beträgt 12,50 m. Und das soll für vier Berfonen ausreichen. Anzug, Kleiderschrant und Uhr haben schon lange den Weg zum Leihhaus gefunden. Jetzt ist die Uhr ver­fallen. Drei Marf foftet das Verlängern Woher nehmen? Er fchhüttelt den Kopf. Mein Antrag auf Unterstüßung, den ich beim Roten Kreuz eingereicht habe, ist überhaupt nicht beantwortet worden. Wir brauchen fein Weihnachtsfeft."

Tegeler Straße. Auch diese Wohnung liegt zu ebener Erde. Ein­fache weiße Gardinen laffen nidyt vermuten, daß hinter diesen Fenstern Not und Sorge fiändige Gäste find. Drinnen, in der Wohnung, sieht es entfeßlich aus, wenn auch Sauberkeit und Ord

,, Also bist du doch gekommen," sagte sie ruhig, aber bei dem Ruffe ihres Bruders, der ihr einst so lieb gewesen war, schmolz ihre Räfte. Sie legte ihren Kopf an seine Brust und meinte still.

,, Was ist denn, Schwester Susie?" fragte er liebevoll. ,, Ach, alles!" Sie trocknete sich die Tränen. ,, Kannst du nicht mit mir in ein fleines Café tommen, wo wir uns aussprechen tönnen? Mir ist heute abend nicht nach Gesellschaft zumute."

Aber sie antwortete, erst müsse er Dennis' Ontel und ihre Bekannten fennen lernen, und sie führte ihn in ein fleines, ärmlich möbliertes, schlecht beleuchtetes Zimmer, wo Bertram Betty O'Brien erkannte.

Sie tam ihm entgegen und gab ihm die Hand. Haar und sehr blauen Augen, dies ist Sufans Bruder. ,, Ontel," sagte sie zu einem alten Herrn mit weißem Mr. Mahony erhob sich und reichte ihm die Hand. ,, Susans Bruder! Also Irlands   Freurd." ,, Ein halber Jre, und ein guter Freund," sagte Bertram. wesenden, auch der freundliche alte Herr, zeigten in der leb Aber er hatte auch hier einen schweren Stand. Alle An­haft weitergeführten Unterhaltung, wie leidenschaftlich ihr Haß gegen England war.

redung. Alle diese Diskussionen sind sicher sehr interessant, Bertram bat seine Schwester um eine private Unter­aber nichts für mich. Ich möchte wiffen, wie es dir geht, und was du zu tun gedenkst. Und dann möchte ich dir auch meine eigenen Schwierigkeiten erzählen."

Sie gingen in ein nahes Café und setzten sich in eine Ede, weit weg von einer Gruppe trinkender Männer und ge schminkter Weiber. Susan zog fröstelnd ihren Mantel fefter um sich, trotzdem es draußen warm war und im Café eine schwüle, drückende Luft herrschte.

,, Du siehst nicht gut aus," sagte Bertram besorgt. ,, ft etwas nicht in Ordnung?"

Ich zahle den Preis des Frauentums. Ich werde ein Rind bekommen. Das Kind eines Mannes, den die Englän­der aufgehängt haben, weil er Irland liebte. Drollig, nicht?" Er legte seine Hand auf die ihre. ,, Du armes Kind! Du liebe, fleine Schwester!"

Aber Susan sprach falt und ruhig, und das war schlimmer, als wenn sie gemeint und geschlucht hätte.

Ich werde ihn Dennis nennen, wenn's ein Junge ist. Und ein Ire soll er werden an Leib und Seele, wie sein Bater

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ist, so daß die Matratzen buchstäblich wegfaulen, hilft selbst die größte Reinlichkeit nichts. Bettbezüge fehlen gänzlich. Schon frühmorgens werden die Seilfissen, Decken usw. aus den Betten genommen und zum Isodnem ans Fenster gelegt Das geschieht jeden Morgen. tragen dorhin mandern, wo der Naturforscher" mit einem langen 2ber es hilft nur sehr wenig. Bald werden auch die letzten Mo­Saken seine Produkte" herausfucht. Perfonen, Mann und Frau, einem fünf Jahre alten Mädel und einem Die Familie. die aus vier 14 Jahre alten Sohn besteht fürchtet sich jeden Tag vor dem bend, wenn die Zeit zum Schlafengehen herangerüdt ist. Der Mann, der infoloe einer Kriegsverlekung schwer nervenleiden ist. ft arbeitsunfähig und leidet unter Lobsuchtsanfällen. In der Küche sieht es fürchterlich kahl aus. Die ganze Einrichtung besteht aus einein Tisch und zwei Stühlen. Die Dede weist flaffende Löcher auf. Das find meine Engel!" sagt der Mann mit irrem Lächeln, indem er auf die Löcher deutet. Trok diefer großen Not befigt die Frau einen Mut, der bemundernswert ist. Rüstiq meiß fie ihre Hände zu ge brauchen. Armeniente, ein'ge Mart für Aufwartestellen, müssen zum Lebensunterhalt ausreichen.

Stallgebäude, zwei Treppen.

Cindower Straße. Es geht über einem mit Ropffteinpflaster be legten Hof eine schmale Stiege ron außen hinauf. Der Eingang führt gleich in die Küche" hinein, die ungefähr 3 Schritt lang und einein­halb bis 2 Schritte breit ist. Auch hier wieder peinliche Sauberteit! Die " Stube" ist etwas größer. Eine Holzbettstelle, eine Feldbettstelle, ein Kleiderschrant, der wohl einstmals beffere Tage gefchen hot und ein Stuhl bilden die Einrichtung. Ein Fenster hatte diefe Stube überhaupt nicht, so daß die Bewohner furzerhand einfach ein 40 3en­fimeter hohes Coch in die Wand schlugen, um Luft und Licht hinein­zubekommen. Auf unsere Frage, wer hier alles schläft, antwortet ums ein altes Mütterchen: Hier in der Holzbettstelle schlafe ich. Auf der Feldbettstelle schläft eine junge Frau, die ich als Unter­mieter"(!) babe, mit ihrem neun Jahre alten Töchterchen zusammen. Huffitenstraße. Im Hinterhause besuchen wir eine Familie. Eine 17jährige öffnet. In der Küche herrscht wirres Durcheinander. Mittendrin ein Holzfloh, während am Fenster Holzbündel auf­aeftapelt fiegen. Die Notlage der Familie zwingt dazu, daß der Bater jeden Morgen in den Wald fährt, dort Stubben ausgräbt und das Holz nach Hause bringt. Hier spaltet die Tochter des Holz und die Mutter bündelt es. 3wei fleinere Geschwister verkaufen dann die Bündel in den Häusern. Bier Betten find vorhanden und dienen zum Schlafen von acht Berfonen. An den Wänden hängen Kriegs­bilder, die die schadhaften Tapetenftellen verdecken sollen.

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Soweit die Schilderungen, die feiner Erläuterung bedürfen. Ber hilft mit, diefen Aermsten der Armen zum Fest der Liebe" etwas Licht in das immerwährend dunkle Dasein zu bringen?

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Die

Wie Stahlhelmleute die Polizei behandeln. Das erste gerichtliche Nachspiel, welches der Basch- Bortrag in Botsdam gezeitigt hat, ist gestern vor dem Potsdamer Amtsgericht zum Austrag aefommen. Der frühere Oberleutnant, iebige Student v. 2 st a aus Potsdam  , war angeflagt gegen die Ver­ordnung des Reichspräsidenten   vom 25. April 1924 verstoßen zu haben. Am Abend des Basch- Bortrags hatte die Deutschnationale Boltspartei eine Proteftversammlung gegen den franzöfifchen Rebner einberufen und nach Schluß der Bersammlung gingen die Teilnehmer. hauptsächlich Stahlheimleute, im geschlossenen Bug durch die Branden burger Straße. woselbst der Zug auf eine Polizeifette stieß. Beamten töften den Zug auf. Im selben Moment erhob n. Asta. der sich unter den Teilnehmern befunden, die Hand hoch und rief: 3u Bieren, rechts heran!" Schon wollten sich die Stahl­helmer wieder gruppieren, als der Angeflagte verhaftet wurde. Nach Aussagen von drei Polizeibeamten, die als Zeugen geladen waren, haben die Teilnehmer bei der Berhaftung gerufen: Befreit 2sta! Schlagt doch die Grünen trt  !" Weiter befunden die Polizei­beamten unter Eid, daß die Menge fie noch vor der Polizeiwache bedroht habe. Die Berhandlung ergab nicht, daß der Angeklagte eine leitende Rolle iu dem Zug eingenommen hatte. Er wurde nur wegen Uebertretung verurteilt, und zwar zu 30 Mart Geldstrafe oder für je 10 Marf ein Tag Haft.

war.

Und ich werde ihn lehren, England zu hassen, wie ich

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es haffe." Bertram wollte ihre Hand ergreifen, aber sie entzog sie ihm nervös. Wozu den Haß verewigen? Ich glaube an Frieden und Liebe!"

Kindermärchen!" sagte Susan höhnisch. Deine weiche Sentimentalität betrügt dich ebenso, wie Jonce dich betrogen hat. Darf ich fragen, ob du ihr noch treu bist?" Ich will es sein," antwortete er ernst.

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Sie lachte laut und spöttisch. Einseitige Treue, mein Lieber. Joyce hat dich mit Kenneth Murleß betrogen. Wenn sie nicht feine Maitreffe ist, so tut ihr Ruf ihr Unrecht. Jeder in Paris   denkt so."

Bertram lief ein Schauder über den Leib, und er starrte Susan mit entsetzten Augen an ,,, Susan, um Gottes willen! Was meinst du damit?"

Es wäre ja nicht ihre Sache, meinte sie, aber ihre Be­fannten hielten es für ausgemacht, daß sie mit Kenneth ,, durch­gegangen" wäre. Man sah sie überall zusammen, im Bois, in der Oper, in Longchamps, und Abend für Abend im Restau­

,, Was sollen die Leute denn sonst denten, wenn eine Frau ihren Mann verläßt und mit einem Menschen wie

Bertram, und was deine Bekannten sagen, ist eine verdammte Kenneth nach Paris   tommi?" ,, Sie ist aber mit Lady Ottery hergekommen," antwortete Büge. Wenn sie mir das sagen, zerschlage ich sie zu Brei."

Susan lachte wieder. Aha? Da zeigte sich der primitive Mensch. Wenn es dich so nahe geht, dann ist's aus mit Frieden und Liebe? Wo ist deine Logit, Bertram?"

Er starrte schweigend auf den Tisch. Susan hatte recht; menn er diese Geschichte glaubte, würde er hingehen und Kenneth niederschießen wie einen Hund. Aber es war ja Blöd­sinn, zum Lachen! Und er lachte schrill.

,, Merkwürdig, wie tief der Geist der Rache in manchen Frauen lebt," sagte er. Warum hasfest du denn Jonec so sehr, daß du ihren guten Namen töten möchtest?"

"

Susan erhob sich. Komm," sagte sie. Ja, es ist wahr, ich hasse Jonce. Ich habe den Abend mit dem Telephon nicht vergessen, als sie drohte, meinen Mann der Polizei zu ver­raten. Aber jetzt hasse ich sie, weil sie dich verrät. Mit ihrem Gefühl sicherlich, wenn schon nicht mit ihrem Körper." Bertram begieitete seine Schmefter wortlos nach Hause, wo er sich mit einem finsteren Gruße von ihr trennte. ( Fortsetzung foigt.)

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