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Abendausgabe

Nr. 613 41. Jahrgang Ausgabe B Nr. 306

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreise find in der Morgenausgabe angegeben Redaktion: S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-295 Tel- Adresse: Sozialdemofcat Berlin  

Vorwärts

Berliner Volksblatt

5 Goldpfennig

Dienstag

30. Dezember 1924

Beclag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin   SB. 68, Cindenstraße 3 Ferufprecher: Dönhoff 2506-2507

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Reichstag am 5. Januar.

Wallrafs letzte Amtshandlung.

Der Präsident des Reichstags, Wallraf, teilt mit: Auf Grund der Artikel 23 und 27 der Reichsverfassung wird der neugewählte Reichstag berufen, am Montag, den 5. Januar 1925, nachmittags 3 Uhr, zusammen­

zutreten.

Die Pariser   Verhandlungen. Wiedereintreffen der deutschen   Delegation. Paris  , 30. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Die Mitglieder der deutschen   Delegation für die deutsch  - französischen Handelsver tragsverhandlungen werden am Dienstag hier erwartet. Vom Han. delsminister find die nötigen Anordnungen getroffen worden, um am Mittwoch bereits die Wiederaufnahme der Berhandlungen zu ermöglichen.

Die Räumungsfrage.

Reine amerikanische Intervention. London  , 30. Dezember.  ( WTB.) Der amerikanische   Beob­achter in der Reparationsfommission Cogan erklärte dem Pariser  Berichterstatter einer Nachrichtenagentur, daß die Mitteilung, er habe von Staatssekretär Hughes Anweisungen erhalten, informell den Alliierten die Ansicht der amerikanischen   Regierung zum Aus­drud zu bringen, daß der Erfolg des Dawes- Planes zum größten Teil von einer gütlichen Regelung des Problems der Räumung Kölns   abhänge, unwahr sei. Er fügte hinzu, er erwarte keine der­artigen Anweisungen.

Die Note der Alliierten an Deutschland  .

Unstimmigkeit in der Frage der Notifizierung. Paris  , 30. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Der Lertentwurf einer Note, die den Beschluß der Botschafterkonferenz der deutschen  Regierung mitteilen soll, ist bekanntlich bereits fertiggestellt und an Die zuständigen Regierungen abgegangen. Das Blatt" Deuvre" schreibt dazu, wenn eine Meinungsverschiedenheit zwischen London  und Paris   bestehe, so nur in der Frage der Notifizierung Des Beschlusses der Botschaftertonferenz an Deutschland  . Frankreich  hat seinen Alliierten den Entwurf eines Memorandums vorgelegt, der die Berichte der Kontrollkommission benußt, um zu zeigen, daß Deutschland   die Entweffnungsbestimmungen nicht erfüllt hat und daß daher die Besetzung der ersten 3one verlängert wer­den müsse. England wünscht dieser Note nur einen vorläufigen Charakter zu geben und die endgültige Darstellung der Lage einer zweiten Note porzubehalten, die die alliierten Regierungen nach Fertigstellung des endgültigen Berichts der Kontrollfommission an Deutschland   zu richten hätten.

Paris  , 30. Dezember.( MTB.) Nach einem Londoner Tele. gramm des Matin" hält die britische   Regierung daran fest, daß die Note, die die Botschafterkonferenz an die deutsche   Regierung in der Frage der Räumung der Kölner   Zone richten werde, rein provi forischen Charakter habe, da der Schlußbericht der Kontrollfom­mission noch nicht vorliege. Man spricht nach dem Berichterstatter in englischen Kreisen, wo man an dem guten Willen Deutschlands  nicht zweifelt, sogar davon, daß die Räumung der Kölner Zone verbunden mit der des Ruhrgebiets im Mai erfolgen könne.

Frankreich   erlaubt's!

Also her mit dem Bürgerblock.

Die Nationalpost" redet dem Zentrum im Guten zu, es doch um Gottesmillen mit dem Bürgerblod zu versuchen. Es sei doch gar nicht so gefährlich, selbst in Frankreich   finde man nichts on einem Bürgerblock in Deutschland  . Zum Be­weis zitiert die Nationalpost" den Temps", in dem ge­

schrieben stand:

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Wenn die Wahlen eine Rechtsregierung ergäben, warum sollte man denn nicht ohne große Gefahren eine Rechtsregierung bilden?"

Weil das schlimmste Heßblatt gegen Deutschland   auf diese versteckte Weise das Zentrum für eine Rechtsregierung zu animieren sucht, muß der Bürgerblod gebildet werden. Die politische Logik der Nationalpost", die den Temps" als Schwurzeugen anruft, ist reizend.

Elsaß- Lothringen   und Frankreich  . Vereinheitlichung der Verwaltung. Paris  , 30. Dezember.  ( Eigener Drahtbericht.) Der Kommissions­bericht zur Gesetzesvorlage über die Aufhebung des Generalsekre tariats für Elsaß- Lothringen   liegt nun vor. Diese Maßnahme stellt eine zweite Etappe in der Rückkehr Elsaß- Lothringen   zum fran­ zösischen   Verwaltungsregime dar. Das Ziel der Gesetzgebung, sagt der Bericht, sei eine vollkommene Vereinheitlichung Der Berwaltung. Frankreich   set tein Bundesstaat und könne daher nicht dulden, daß ein Teil seines Gebiets seine besonderen Gesetze und seine eigene Verwaltungsorganisation habe. Aber auch das Landesinteresse von Elsaß- Lothringen   erfordere. daß diese Bro vinzen sich dem übrigen Teil der Nation anpassen, sonst laufen sie Gefahr, geistig und moralisch isoliert zu bleiben.

Günstige Konjunktur in England. London  , 30. Dezember.  ( EP.) Daily Expreß  " schreibt, daß alle Zweige der englischen Industrie dem Jahre 1925 mit großen Hoff nungen entgegenfehen. Die Handelsbeziehungen hätten sich seit den

Herbst ständig gebessert und die Lage sei besser als früher. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß eine günstige Konjunktur im tommenden Jahr sicher sei. Der Bund der britischen Industrie fagt auf der Grundlage der von ihm angestellten Nachfrage eine weitere günstige Entwidlung des Welthandels coraus. Auch das Regierungsdepartement für den Ueberseehandel tonstatierte gestern, daß die Aussichten für das neue Jahr günstig feien und man fönne einen starten Aufschwung in allen Industriezweigen erwarten. Der gestrige Refordstand des Pfund futjes scheine ebenfalls darauf hinzudeuten, daß die Lage mit Opti. mismus betrachtet werden könne.

Hessischer Landtagszusammentritt. Darmstadt  , 30. Dezember.  ( WTB.) Die Mitglieder des he'fischen Landtags traten gestern mittag unter dem Vorsitz des Alters­ präsidenten   zusammen. Der bisherige Präsident Adelung( Soz.) wurde mit 65 Stimmen wiedergewählt. Die vier Kommu­nisten stimmten für den Abgeordneten Greiner. Zu Vizepräsidenten wurden die Abgeordneten. Nuß( 3entr.) und Dr. v. Helmbold ( Bauernbund) wiedergewählt. Präsident Adelung übernahm den Vorsitz und verlas ein Schreiben des Staatspräsidenten Ulrich, ronach die Mitglieder des Gesamtministeriums ihre Aemter in die Hände des Landtags zurücklegen. Die Regierungsbildung wurde auf die nächste noch nicht anberaumte Sigung verschoben.

Wahlen in Detmold  .

Detmold  , 30. Dezember.  ( WTB.) Für die Landtagswahl in Lippe   find sieben Wahlvorschläge eingereicht worden, und zwar von der Deutschnationalen Wolfspartei, der Deutschen Wolfs­partei, der Deutschdemokratischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei, der Kommunistischen Portei und von zwei ffeineren bürger­Lichen Interessengruppen. Die Deutsche   Bolts partei hat mit fünfte Stelle auf der volksparteilichen Liste einem Kandidaten des dem Zentrum ein Bahlabkommen getroffen, demzufolge die Zentrums eingeräumt wird.

Schere Sorgen.

Ludendorff und Rupprecht.

München  , 30. Dezember.  ( TU.) Die München  - Augsburger 2bendzeitung" bestätigt, daß zwischen den Bertranensleuten des Kronprinzen Rupprecht und des Generals Ludendorff Be sprechungen stattgefunden haben, um zwischen den beiden Herren menigstens einen gesellschaftlichen modus vivendi zu schaffen.

Stahlhelm auf Reisen. Berhaftungen in der Tschechoslowakei  .

Tschechoslowakische Krise.

Neuwahlen im Frühjahr.

Aus der Tschechoslowakei   schreibt man uns:

In der Vorweihnachtssession hatte das Parlament drei große Arbeiten zu bewältigen: die Alters- und Invalidenver­ficherung, das Staatsbudget und die Borlagen über Staats­angestelltenabbau, Regelung der Staatsangestelltenverhält nisse und über die Sparmaßnahmen in der Staatsverwaltung. Das Alters- und Invalidenversicherungs­gefeß war Programmpunft aller bisherigen Regierungen. Die Borlage aber fam erst unter gesteigertem Druck der sozialistischen   Parteien ins Parlament und zur Abstimmung. Bürgerliche Parteien setzten alles daran, um das Gesetz zu verhindern. Im letzten Moment wollten die Agrarier nur gegen Einführung von Agrarzöllen für die Sozialver­ficherung stimmen. Auch dieser Angriff ist abgeschlagen wor den; es blieb nur die Ausdehnung der Arbeitersozialversiche rung auf selbständig ermerbstätige Personen( Gewerbe­treibende, Kaufleute, fleine Landwirte usm.).

Die Hauptmitarbeiter an diesem Werk waren von der deutschen   Sozialdemokratie Genosse Taub, für die tschechi­schen Genossen Dr. Leo Winter und Johanis. Der fommunistische Abgeordnete Kutschera, der hierbei volles. Arbeiterpflichtbewußtsein an den Tag legte, wäre bald um den Kragen gekommen, da ihn seine Klubgenossen als einen Sozialpatrioten und Verräter des Moskauer   Talmuds brandmarkten. Für die Arbeiter vom 60. Lebensjahre an, die aus dem Wirkungsfreis des Gesetzes ausgeschlossen sind, hat man besondere Borkehrungen getroffen. Nun ist aber das In­frafttreten des Sozialversicherungsgesetzes an die Ausar­beitung eines gleichen Gesetzes für die selbständigen Personen gebunden! Die bürgerlichen Parteien benutzten diese organische Verbindung zu einer S a botage der Arbeiterversicherung, fie konnten sich nicht einigen" über die Details und die Grund­lage des zweiten Entwurfes. Um der Sabotage ein Ende 3 machen, legte die Regierung ein eigenes Sozialversiche= rungsgefeß für selbständig erwerbstätige Personen vor. Dieser Entwurf befindet sich zurzeit im sozialpolitischen Ausschuß. Die Arbeitslosenversicherung nach dem Genter System ge= wärtigt noch ihrer Kodifizierung.

Die parlamentarische Berhandlung des Staatsbor anschlages ging diesmal unter voller Abwesenheit der nationalen Minderheitsparteien vor sich, die bei Beginn der Debatie eine Protesterklärung abgegeben hatten. Bom Standpunkt der Koalitionparteien mag es zwar begreiflich sein, menn alle oppofitionellen Aenderungsanträge einfach niedergestimmt werden. aber diese ,, Selbstverständlich­feit" ist vom Standpunkte des Parlamentarismus und der gegebenen Verhältnisse schon weniger selbst­verständlich. Denn es gibt wahrlich pieles an dem Staats­fostenvoranschlag auszusehen, was übrigens auch die tschechische Sozialdemokratie in der Debatte tat. Das be­trifft in erster Linie die Ausgaben für rein militaristische 3wede, die unter dem agrarischen Landerverteidigungs­Presse- minister Marzal ihre größte Höhe erreichten. Weiter ist verspätete Vorlage des Budgets, die den Kammern nur es die trotz allen Versprechungen sich jährlich wiederholende spärlich die Möglichkeit gibt, zum Beranschlage zu sprechen, aber nichts mehr, als eben nur zu sprechen. Das Par­lament ist in allen Angelegenheiten nur der zur Kenntnis nehmende Faktor. Die eigentliche parlamentarische Arbeit vollzieht sich im sogenannten Fünferausschuß"( Bjeska) der fünf foalierten Parteien. Bon diesen fünf Allmächtigen sind drei gleichzeitig Minister. Mögen die Lobfänger der,.all­nationalen Koalition" dieses System noch so hoch preifen, eines ist sicher: daß es ungesund ist und in breitesten Schichten der Bevölkerung, befonders aber in der Arbeiter­in anderen Verhältnissen gründlich abgerechnet werden schaft Mißfallen erweckt. Denn dieses Snstem deckt logisch -wenn auch unwillkürlich Sachen und Affären, mit denen

Prag  , 30. Dezember.  ( Meldung des Tschechoslowakischen bureaus.) Ein Mann, der sich bei der Wache auf dem Masaryk­bahnhof in Brag als Erich Krüger aus Bremen   meldete und angab, daß ihm im Schnellzug von Bodenbach   nach Lobosth eine Handtasche gestohlen worden sei, wurde als verdächtig an die Sicher heitsabteilung gewiesen, wo er nach langem Leugnen gestand, der 37jährige Beambe Paul Martin 3iernstein aus Magdeburg   zu fein. Ziernstein floh aus Deutschland   aus Furcht vor Strafe. weil er Angehöriger des Stahlhelm war und als Offizier im geheimen neue Mitglieder der Stahlhelmorganisation ausbildete. Als er verhaftet werden sollte, floh er mit vier Genossen über die Grenze. Zufällig stellte es sich heraus, daß auch ein anderes Mit alied des Stahlhelm in die Sicherheitsabteilung eingeliefert worden mar. Es war dies der 23jährige Arbeiter Baul Seyffert aus Magdeburg  , der wegen Diebstahlversuchs am 7. Dezember ergriffen, der Sicherheitsabteilung eingeliefert wurde. Senffert und Ziernstein zu drei Wochen Gefängnis verurteilt und zur Abbüßung der Strafe erkannten einander sofort. Die beiden verhafteten Ausländer wurden vorläufig in Untersuchungshaft belassen.

Keine Hinrichtungen in Litauen  . Begnadigung der zum Tode verurteilten litauischen Kommunisten.

Memel  , 30. Dezember.  ( Mtb.) Wie berichtet, waren vor einiger Zeit in Kowno   vier Ronimunisten wegen Verbreitung aufrührerischer Schriften zum Tode verurteilt worden. Das Urteil hätte am Tage vor Weihnachten   vollstreckt werden müssen; indeffen hat der Staats­präsident die Verurteilten zu lebenslänglichem bzw. 10 Jahren Bucht­bous begnadigt.

Gärung in den Balkanländern.

Maßnahmen gegen die Kommunisten. Butareft, 29. Dezember.( Eigener Drahtbericht.) Die ruma niche Regierung hat mit der strengen Verfolgung der Kommunisten, über die sich die Balkanregierungen einig sind, als erste begonnen. in den verschiedensten Städten Rumäniens   sind am Dienstag und Mittwoch 500 Stommunisten die Mitglieder geheimer Verbindungen waren, verhaftet worden.

Belgrad  , 29 Dezember.( Eigener Drahtbericht.) Die serbische Regierung hat als erste Maßnahme gegen die bolichemistische Agi tation im Lande ein Gesez zur Verteidigung des Staatswesens ein gebracht. Durch dieses Gefeß verfällt die rad.tal- republikanische Bauernpartei Stephan Raditschs der Auflösung, weil sie in engen Beziehungen zur 3. Internationale steht. Die Führer dieser Partei merden non der politischen Polizei bauerna beobachtet.

müßte.

"

Die zuletzt verabschiedeten Staatsangestellten= Abbaugeseze beabsichtigen gleichzeitig die rechtlichen und materiellen Verhältnisse der Staatsangestellten zu regeln, wo­durch die Schäden, die der Angestelltenschaft die Gehalts­follen. Es sollen im Laufe des kommenden Jahres zunächst regelung vom Jahre 1922 verursachte, gutgemacht werden 10 Proz. der Angestellten entlassen werden unter Rubilli­gung von Abfertigungen bzw. Pensionen. Man schätzt die Anzahl der Staatsangestellten auf ungefähr 600 000, darin find aber auch die Bediensteten der Eisenbahnen, der Post, des Tabakmonopols, staatlicher Eisenwerke usw inbegriffen. Im Staatsbudget auf 1925 beanspruchen die Personalausgaben zwei Drittel der Gesamtsumme. Aber die eigentliche Belastung lag weniger im Personalstand, als in der schwerfälligen Ad­befferung, und gleichzeitig wird eine höchst notwendige Ber­ministration. Die Nichtabgebauten erhalten eine gewisse Auf­waltungsreform durchgeführt. Die Gehaltsregelung er­fordert über eine halbe Milliarde Kronen, die erstens durch Berwaltungsreformen und Angestelltenabbau aufgetrieben werden, zweitens durch Steuern auf Lurusautos, Kartenspiel, amtlicher Informationserteilung( da scheinen unsere famosen Verwaltungsgebühren Schule gemacht zu haben) und schließ­lich durch Erhöhung der Stemnelgebühren, Eisenbahnfahr­preise und Telephongebühren. Dies sind zwar keine popu­lären Abgaben, sie sind aber nicht so belastend, wie zum Bei­spiel die Agrarzölle oder Erhöhung der Zuckerſteuer um 2,50 Kronen pro Kilogramm, mos die Nationalderstraten jbeantragt haben.