Nr. 142. Jahrgang
5. Beilage des Vorwärts
Die wirtschaftliche Problemstellung.
Deutschland ist in der Wahl der Richtung seiner Wirtschaftspolitik nicht frei. Die wirtschaftlichen Tatsachen in Leutschland, seine Stellung in der Weltwirtschaft, seine politischen Verpflichtungen, feine Bevölkerungszahl bestimmen von vornherein die Richtung, die jede Wirtschaftspolitit in Deutschland einschlagen muß. Wir fönnen nicht wählen, ob wir ein Agrarftaat oder ein Industriestaat sein mollen, wir fönnen nicht frei bestimmen, ob das Ziel unserer Politit ein im wesentlichen von der Welt abgeschlossener, sich selbst versorgen der Nationalstaat sein soll oder ein moderner, in den Welthandel ein gegliederter Industriestaat, der sich die Vorteile internationaler Arbeitstellung nach Möglichkeit zumute macht. Jede Diskussion über diese lehten Zielsetzungen der Wirtschaftspolitik hat aber nur afademischen Wert, jeder Versuch, durch bloßen Willen die Grenzen zu Sprengen, die durch unsere Gesamtlage gezogen sind, würde nur zu Mißerfolg und vielleicht zur Katastrophe führen.
Wir sind ein Industriestaat. Die Entwicklung eines halben Jahr. hunderts fann nicht rückgängig gemacht werden. Wir müssen eine Industriebevölkerung ernähren, die die landwirtschaftliche Bevölkerung an Zahl bei weitem übertrifft. Wir können nicht um grauer theoretischer Zielsetzungen willen das Leben von Millionen aufs Spiel chen Der Zwang zu leben und der Druck der Not befehlen uns, bas Dasein des deutschen Volkes als Industrievolk zu bejahen und alle Konsequenzen daraus zu ziehen. Das Ziel der deutschen Wirtschaftspolitik muß daher sein: Steigerung der deutschen Produktion ,, Wiedergewinnung des Weltmarktes, um in verstärktem Maße Waren erportieren zu können, Stärkung des inneren Marktes, um die Industrien des Massenbedarfs in Deutschland ausreichend zu beschäftigen, Abbau der Monopolpreise, um im Ausland tonkurrenzfähig zu sein und um den Massenabfah im Innern zu fördern.
Die staatliche Wirtschaftspolitik, die nach diesem Ziefe ftreben muß, wird gehemmt durch die Machtorganisationen der großen Interessentengruppen, durch Unternehmertum und Großagrarier.
Die Unternehmer drängen auf den Weltmarkt. Sie wollen den Export steigern aber auf Kosten der deutschen Arbeiter, durch niedrige Löhne und lange Arbeitszeit. Sie legen Wert auf den äußeren Markt, aber fie vernachlässigen den Binnenmarkt. Niedrige Löhne bedeuten Echwächung der Rauffraft der Massen, Beschäfti gimgslosigkeit in der für den inneren Markt arbeitenden Industrie, Arbeitslosigkeit, Krise. Niedrige Löhne führen zum Raubbau an der Arbeitskraft, zum Rückgang der Leistungsfähigkeit der Arbeiter, fie verhindern die hebung der Probuftion. Niedrige Löhne begünstigen die Beharrung bei den Grundfäßen, die die Unternehmer in der Inflationszeit verfolgten: nicht durch erhöhte Produktion und ver besserte Produktionsmethoden die Rentabilität der Unternehmungen zu erzielen, sondern durch Monopolpreise, die den deutschen Verbraucher ausrauben und seine Kauffraft schwächen und die Konfurrenzfähigkeit der deutschen Erzeuaniffe auf dem Weltmarkt beeinträchtigen. Die Erfahrungen des Wirtschaftsjahres 1924 haben gelehrt, daß bei niedrigen Löhnen der Arbeiter in Deutschland die Breise nicht gesunken find, sondern sich vielmehr auf dem Niveau der Monopolpreise aehalten haben.
Die Agrarier bestreiten die Notwendigkeit der Steigerung des deutschen Erports. Sie bringen auf ein Hochschutzoff'ystem, das den agrarien Brodukten in Deutschland Monopolpreise sichern foll. Sie Steffen die Thefe auf, daß der Schutzzoll die Rauftraft der Landwirtschaft stärken merbe, fo bak der sich ausdehnende agrarische Binnen markt der Industrie Ersatz für den verlorenen Weltmarkt geben werde, Sie verschweigen die Zufammenhänge zwifchen Lebensmittelpreis und Lohnhöhe und Rauffraft der Industriebevölkerung, zwischen Lebensmittelpreis und Breis der Induftrieprodukte.
Die wirtschaftspolitischen Tendenzen des Unternehmer. tums müssen zur Schwächung der inneren Kauffraft, zur Lähmung der Broduktion, zur Beremigung der Krise führen. Die Tendenzen der Agrarier zielen auf Absperrung Deutschlands vom Weltmarkt, auf Beremigung des Wirtschaftsfrieges, auf Schwächung der Rauftraft der Industriebevölkerung zugunsten des Großagrariertums. Würde die ftantliche Wirtschaftspolitit ihnen nachgeben, so würde in jedem Falle die wirtschaftliche Gefundung Deutschlands gehemmt werden. Wirtschaftspolitik im Sinne der Unternehmer und Agrarier ift reine Interessentenpolitik, die die volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten vernachlässigt. Beide Interessengruppen gehen über die Lebensnot merdigkeiten der arbeitenden Industriebevölkerung hinweg. Sie ver. nachlässigen die Arbeitstraft als Produktionsfaftor. Sie rechnen nicht mit der großen Bedeutung der industriellen Arbeiterbevölkerung für den inneren Markt. Das Problem der Wirtschaftspolitik heißt nicht: Erporifteigerung oder Stärkung des inneren Marftes. es heißt viel mehr: Wiedereroberung des Weltmarktes und gleichzeitig Steigerung der Kauftraft der arbei. tenden Maffen in Deutschland .
Dieses Ziel ist nicht zu erreichen mit den Methoden, die das Unternehmertum als wirtschaftliche Bernunft bezeichnet. Die deutsche Wirtschaftspolitik wird ein Fiasto erleben, wenn sie aufgebaut wird auf Berneinung und Abbau der Sozialpolitit, auf Herabdrüdung der Lebenshaltung der arbeitenden Bevölkerung. Die deutsche Wirtfchaftspolitik muß Hand in Hond gehen mit einer vernünftigen Sozialpolitik und Lohnpolitit. Sie muß von der Beeinflussung durch die Machtorganisationen der Interessenten befreit werden, denen sie bisher nur zu sehr nachgegeben hat.
Das Konjunkturbild 1924.
Selten gab es ein so bewegtes Jahr mit so mannigfaltigen und auch weittragenden Veränderungen für die Weltwirtschaft, wie das Jahr 1924. Am besten lassen sich die Veränderungen an dem Auf und Ab von Konjunktur und Krise, die seit dem Waffen stillstand miteinander wechseln, ermeffen. Die Konjunkturwechsel Rückschlag und Erholung sind jetzt häufiger, aber fürzer als find jetzt häufiger, aber fürzer als früher.
Auf und Ab der Konjunkturkurve zeigen. In Deutschland am Ein flüchtiges Konjunkturbild der Weltwirtschaft soll das Anfang des Jahres ungeheure Krise; andauernde Besserung bis April, wo bereits eine Konjunktur( allerdings nur für den inneren Markt) herrscht, dann kommt der Umschwung, eine bis zum Spät sommer steigende fürchterliche Krise, die erst im September Zeichen der Befferung aufweist; seitdem geht die Linie langfam wieder auf wärts. Als Gegenpol find die Bereinigten Staaten zu betrachten, wo das neue Jahr mit einer beispiellofen Hochkonjunktur anfing; von Mai bis Juli herrschte mit einem plöblichen Rückschlag eine Wirtschaftskrise von größtem Ausmaß, die zum Beispiel die Elfenund Stahlerzeugung auf 40 Prozent finten ließ, feit Juli steigen Erzeugung und Absah und zum Schluß des Jahres kann man dort wieder von einer Konjunktur sprechen. England begann das Jahr mit einer verschärften Krise. Im Jahre 1923 bestand Hochfonjunktur für den englischen Kohlenbergbau, die aber feit der Einstellung des paffiven Widerstandes im Ruhrgebiet abflaute und im Laufe des Jahres 1924 von einer Kohlenfrise abgelöst wurde. Die große Krise der englischen Eisen- und Stahlindustrie, der Textilindufie und der Schiffahrt wurde aber in der zweiten Hälfte des Jahres abgeschwächt, ja, es hat in den letzten Wochen eine an Konjunktur grenzende Belebung dieser Wirtschaftszweige eingefeßt. In Frant reich und Belgien blieb die Konjunktur im Jahre 1924 mit furzen Unterbrechungen weiter bestehen. In Belgien hat die Valutabesserung in den Herbstmonaten eine Krise der Ausfuhr herbeigeführt, die aber im November bereits geschwunden war. ben drei standinavischen Staaten Schweden , Dänemark und Norwegen bestand am Jahresanfang noch eine umfangreiche Krise, am Schluß des Jahres fann man wohl in diesen Ländern von Konjunktur sprechen. Die Schweiz und Holland haben das Wirtschaftsjahr bereits mit günstigen Aussichten angefangen und ihre Wirtschaftslage hat sich im Jahre 1924 merklich gebessert. In der Tschechoslowatei stand die Produktion im Laufe des Jahres troz wiederholter Rückschläge im Zeichen der Besserung. Die Wirtschaftslage Desterreichs mar das ganze Jahr hindurch gedrüdt; nur das Ansteigen der Ausfuhr seit dem Herbst deutet auf eine kleine Besserung hin. Die fürchterlichen Wirtschaftsfrisen Polens und Ungarns gehören auf ein anderes Blatt, fie wurden durch die Sanierung der Baluten ausgelöst.
In
Boltswirtschaft und spekulative Bermögensbildung. Die Kreditgefchärte der Konzerne, die im Zusammenhang mit der Staatsbant- Kutister- Affäre viel genannt werden, so Michael tonzern und Barmattonzern, mit öffentlichen Rossen haten für den Zustand der deutschen Boltswirtschaft fymptomatische Bedeutung. Mit großer Schärfe wird dieser Gesichtspunkt in den umfassenden Betrachtungen der Frankfurter Zeitung " über die wirtschaftlichen Erscheinungen des Jahres 1924 herausgearbeitet: Neben der Zinsentwidlung, teilweise sie beeinflussend, ist als des Geldmarktes zu nennen. besonderes Kennzeichen die Verschiebung der Quellen der Bonfen und Spartassen waren zu Beginn des Jahres ganz Die normalen Sammelbecken ausgeleert, erst recht langsam beginnen fie fich wieder zu füllen, aber bisher noch mehr aus vergrößerten Kassenbeständen als aus echten Spargeldern. Dagegen spielten die öffentlichen Raffen, bisher noch mehr aus vergrößerten Rassenbeständen als aus echten besonders die der großen Reichsbetriebe, zeitweise die entscheidende Rolle für den Geldmartt. Bei der Berwendung dieser Kräfte fehlte gefunde Formen des Gelbtetten hondels entwickelten fich, es nicht an mancherlei Mißständen. Merkwürdige und nicht Beziehungen" spielten bei der Geldverteilung manchmal eine wenig erbauliche Rolle.( Der Fall Kutister befchäftigt gerade jetzt die Gerichte.). Wir müffen uns hier mit fnappen Hinweisen begnügen und wollen nur noch hinzufügen, daß, je größer die Anomalien auf einem Wirtschaftsgebiet find, desto besser die Gewinnchancen für findige Köpfe find. Es tft Befiegten in der Stabilisierungszeit gegenüber stehen repräfen deshalb auch bein Zufall, daß die wenigen Sieger, die den vielen tativ für sie ist Jakob Michael ihr Hauptarbeitsfeld im Geldgeschäft fuchten und fanden. Es bedeutet teinen Bor
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Definn meines
Donnerstag, 1. Januar 1925
wurf gegen gefchickte Nugnießer der Situation, wenn wir feststellen, daß in einer wirklich gefunden Volkswirtschaft pro. duktive Leistungen die wesentlichen Quellen der Reichtumsver. mehrung sind, und solange die rein spetulotiven Lei. stungen noch die Führung gewähren, sind es noch Krankheit oder Krankheitsnachwirtungen, der Zeit das Gepräge verleihen."
bie
Der Lehrsaß über die symptomatische Bedeutung der Bewertung spekulativer Leistungen, der hier aufgestellt wird, trifft ebenso zu auf die Bildung großer Bermögen in der Inflationszeit nach dem Vorbild des Stinnes- Konzerns, wie auf die Konsolidierung großer Bermögen in der Deflationsperiode nach dem Borbild des Michael tonzerns und des Barmatkonzerns.
Die interalliierten Schulden.
In
Das Drängen Ameritas nach der Rückzahlung der französischen Schulden an Amerika hat in Frankreich große Beunruhigung aus= caré erhoben, die durch ihre einseitige, auf die Auspressung Deutschgelöst. Es werden heftige Vorwürfe gegen Clémenceau und Poin lands gerichtete Taktif unter dem Schlagwort: Deutschland zahlt alles, die rechtzeitige Lösung dieser Frage verhindert haben. der Tat lasten die internationalen Schulden aus der Kriegszeit wie Bleigewichte auf einzelnen Ententeländern. Es war nur Eng. land, das vor zwei Jahren seine Schulden gegenüber den Ver laß. Trotzdem muß es 60 Jahre lang jährlich die ungeheure Summe einigten Staaten geregelt hat: es erhielt einen beträchtlichen Nach England beeilte sich mit der Regelung seiner Schulden, um seinen von 34 Millionen Pfund an die Bereinigten Staaten abführen. Kredit als Bankier der Welt zu befestigen. Die Vereinigten Staaten bestehen auf ihrem Schein. Trotz der riesigen Profite, die ihre Wirtschaft durch den Krieg erzielte, wollen sie auf die Bezahlung nicht verzichten und wollen nur Erleichterungen gewähren. Gegen wärtig verhandelt nun Frankreich , das den Bereinigten Staaten mehr als vier Milliarden Dollar schuldet, mit denselben, um zu einer Regelung zu gelangen. Frankreich schuldet aber auch an England über 623 Millionen Pfund( mehr als 3 Milliarden Dollar). Die tcnservative Regierung Englands hat deshalb Verwahrung eingelegt und erflärte, daß sie an der sogenannten Balfour - Note festhalten melle, der zufolge auch England die Bezahlung fordert, und zwar nicht mehr, aber auch nicht weniger, als es selbst an die Bereinigten auf Grund der amtlichen Angaben zusammengestellt faßt die Staaten zahlen muß. Die folgende Tabelle vom„ Economist " internationalen Schulden, in englischen Pfund ausgedrückt( 1 Pfund 3 5 Dollar gerechnet), zusammen. Es schulden: in Millionen Pfund an England an die Ver. Staaten 960
9
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Busammen 2031
2421
2421
Andere europäische Staaten Dominions.
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132 Summe 2163 Die Gesamtschulden belaufen sich demnach auf 4585 Millionen Pfund.
Die deutsche Handelsdelegation und der französische Zollfarif. Wolff- Bureau teilt mit: Wie berichtet wird, ist der neue franzöfifche 3olltorif, der in Kraft gefeßt werden soll, wenn ber betreffende der Kammer vorgelegte Gefeßentwurf angenommen fein wird, den deutschen Handelsvertrags- Delegierten am 30. Degember mitgeteilt worden. Diese hätten wegen der Erhöhung der 3ollfäße für eine große Anzahl von Artikeln Einwendungen erhoben und erklärt, daß sie während der bevorstehenden Feiertage diesen Tarif eingehend prüfen würden, um dann im ganzen dazu Stellung zu nehmen.
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Bolltarif der deutschen Handelsdelegation seit einer Woche zugegangen. Nach der Meldung eines Hamburger Blattes ist der franzöfifche Das Hamburger Blatt war in der Lage, Einzelheiten aus dem Tarif deutsche Deffentlichkeit nicht informiert. Auch die Meldung zu fruttifizieren. Die deutsche Delegation hat bisher die des Wolff- Bureaus beschränkt sich auf eine Wiedergabe der privaten
Meldung.
Der Großhandelsinder.
inderziffer des Statistischen Reichsamts ift gegenüber dem Stande Die auf den Stichtag des 31. Dezember berechnete Großhandelsstiegen. Höher lagen vor allem die Preise für Getreide, Fleisch, vom 23. Dezember( 132,6) um 1,3 Pro auf 134,3 ge Hopfen, Baumwolle, Jute, Hanf und die meisten Richteisenmetalle. wollgarn und Benzin. Von den Hauptgruppen fliegen die LebensGesunken sind die Preise für Butter, Schmalz, Milch sowie für Baummittel von 129,0 auf 131,3 oder um 1,8 Proz., die Industriestoffe von 139,3 auf 139,9 oder um 0,4 Proz.
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