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Nr.26+42. Jahrgang

Ausgabe A nr. 14

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Der ,, Borwärts" mit der Sonntags beilage ,, Bolt und 8eit" mit ,, Gied Tung und Kleingarten" fowie der Beilage Unterhaltung und Wiffen" und Frauenbeilage Frauenstimme erscheint wochentäglich zweimal, Sonntags und Montags einmal.

Telegramm- Adresse: ,, Sozialdemokrat Berlin"

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutfchlands

Redaktion und Verlag: SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Redaktion: Donhoff 292-295

Verlag: Donboff 2506-2507

Freitag, den 16. Januar 1925

Dorwärts- Verlag 6.m.b.H., SW 68, Lindenstr. 3 Posticheckkonto: Berlin 375 36 Bankkonto: Direktion der Diskonto- Gefellichaft. Devontenfaie Lindenstraße 3

Bürgerblock unter Luthers Führung.

Minister der Republik : Drei Deutschnationale und Stresemann.

Um 10 Uhr abends wird amtlich mitgeteilt:

Der Reichspräsident hat den bisherigen Reichsfinanzminister Dr. Luther zum Reichstanzler und auf dessen Vorschlag die nachstehenden Herren zu Reichsministern ernannt: Reichsminister des Auswärtigen Dr. Stresemann, Reichsminifter des Innern Martin Schiele , Reichsminister der Finanzen noch unbefeht, Reichswirt­fájaftsminister Neuhaus, Ministerialdirektor a. D., Reichsarbeils­minister Dr. Brauns, Reichswehrminister Dr. Geßler, Reichs­poftminister Stingl, Reichsverkehrsminister noch unbefeht, Reichs­minifter für Ernährung und Landwirtschaft Graf v. Ka ni h. Das Reichsjuftizminifterium ist dem Oberlandesgerichtsrat Schumacher, Mitglied des Reichsrats, angeboten worden, der auch gleichzeitig mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Reichsminifteriums für die besetzten Gebiete betraut werden soll. Die Verhandlungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen worden.

Heute tritt die Regierung des Bürgerblocks vor den Reichstag . Der deutschnationale Durchschnittswähler mag sie fich anders vorgestellt haben. Er hat vielleicht von Herrn Tirpit als Reichskanzler geträumt, hat neben ihm Herrn Hergt oder Herrn West arp als Innenminister und Bize= fangler auf der Regierungsbant gesehen, einen Diplomaten ältesten Stils als Außenminister und daneben eine Uniform als Geßlers Nachfolger. Mit Schauern wollüftiger Ehrfurcht hat er vorempfunden: Regierungsprogramm, Bertrag von Versailles zerrissen, Deutschland aller Lasten ledig, Republit in Verruf, es lebe der deutsche Kaiser. Schicksalswende.

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Die Regierung des Bürgerblocks ist Tatsache. Ihr Chef ist Herr Luther, neben ihm sigt Herr Schiele mit Herrn Stresemann, Herr Geßler und Herr Brauns, und dann Herr Neuhaus. Herr Luther wird nicht auf den Tisch schlagen und den Vertrag von Versailles für zerrissen und die Republik für verboten erklären. Aber das, was Ent­täuschung für den deutschnationalen Durchschnittswähler ist, gibt dieser Regierung die politische Bedeutung. Sie ist nicht eine Eintagsmaskerade nationalistisch überspannter und extrem- monarchistischer Desperados sie ist der bitter ernſte, auf die Teilnahme großer Parteien fundierte Versuch, eine entscheidende Kurswendung in Deutschland herbeizuführen. Diese Regierung ist eine Gefahr für die deutsche Entwicklung, vor allem für die soziale Entwicklung in Deutschland . Nicht wegen ihrer Personen; denn die ragen über den Durchschnitt parlamentarischer und bureaukratischer Köpfe nicht hervor. sondern wegen der großen außerparlamentarischen Trieb­kräfte, die hinter dieser Regierung stehen. Diese Regierung mag in den formal- politischen Fragen, fie mag in den Ber fassungsfragen, in den außenpolitischen Fragen durch ihre Bufammenfeßung wie durch ihre parlamentarische Schwäche gehemmt sein und deshalb in diesen Dingen schon in ihrer ersten Erklärung ihre Worte wohl abwägen und ihre Möglich Peiten nicht überschägen in den großen sozialen Fragen in Deutschland aber verfolgt sie ein flares Ziel: Bürgerblod! Gerade in dieser Form ist der Versuch, die rechtlichen Berhält nisse der Klassen zueinander, die Berteilung von Einkommen und Macht entscheidend zuungunsten des ganzen arbeitenden Boltes zu verändern.

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Unter diesem Gefichtspunkt wird das Arbeitsvolk Deutsch lands diese Regieru. beurteilen. Es wird die Gefahr und die Drohung, die diese Regierung bedeutet, ebensowenig unter schäzen, wie es ihre Lebensfähigkeit und ihre Erfolgsaussichten überschätzt. Die deutsche Arbeiterschaft, die Sozialdemokraten, alle die, denen es ernst ist mit der Republik , mit der Fort­führung einer ernsthaften und gerechten Sozialreform in Deutschland , werden dieser Regierung gegenüber nicht nur fühl und nüchtern abwägen, wie lange fie leben tann und welche Dummheiten fie auf Roften Deutschlands anstellen kann - es sind nur zu viele. Sie werden die Tatsache, daß man ihnen, die in schwerster Zeit die wahren Träger des Staates und seiner Zukunft waren, nunmehr eine Regierung des brutalen Klaffenegoismus, eine Regierung der heimlichen und offenen Feinde des republikanischen Staates zu bieten magt, als einen Schlag ins Gesicht empfinden.

Empörung, Entrüstung und Erbitterung-das sind die Empfindungen, mit denen die deutsche Arbeiterschaft diefer Regierung gegenübertritt. Empörung, Entrüftung und Er­bitterung über den Klassencgoismus des Großagrariertums und der großen Konzerne, der diese Regierung trägt, aber auch über die Parteien, die sich diesem Versuche dienstbar machen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang nicht näher über die Stellung des Zentrums- es wird felbft früh genug erfennen, welchen Schritt es getan hat. Es wird früh genug bei fich felbst die Empörung der verfassungstreu und wahrhaft fozial gefinnten lebendigen politischen Kräfte des deutschen Bolles erfahren.

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Das arbeitende Bolt Deutschlands aber wird sich bei Ent­rüstung und Erbitterung nicht aufhalten. Es schickt sich zum Kampfe gegen die Regierung des Bürgerblocks auf der ganzen Linie an. Diefer Kampf wird sich nicht auf das Parlament beschränken. Geht die soziale Reaktion zum Angriff über, so trägt sie den Kampf in das gesamte Wirtschaftsleben mit allen Folgen, die sich daraus für die Entwicklung der Pro­duktivkräfte in Deutschland ergeben. Vor diesem Kampfe aber ziemt der Arbeiterschaft die Frage: wie war eine Regierung des Bürgerblocs möglich? Sie muß die Frage stellen und ehrlich und flar beantworten, um aus der Antwort zu lernen. Der Bürgerblock in Deutschland war nur möglich, weil die deutsche Arbeiterschaft immer noch um ihre politische Ein­heit ringen muß. Der Bürgerblod war nur möglich, weil die Gegner der großen sozialdemokratischen Arbeiterpartei inner­halb der Arbeiterschaft selbst seine Bundesgenossen sind. Er war nur möglich, weil die Kommunisten im Barlament und außerhalb des Parlaments ihm die Lebensmöglichkeit gegeben haben.

131 Sozialdemokraten bilden im Reichstag das Rückgrat des Kampfes gegen den Bürgerblod, 45 Rommunisten aber haben den Bürgerblock in den Sattel geholfen; denn ihre Stim­men sind es, die mit den Barteten der Rechten gegen eine Roa­lition der Linken ins Gewicht fallen. 176 Sozialdemokraten im Reichstag statt der 131 Sozialdemokraten und den 45 Kom­munisten und der Bürgerblock wäre unmöglich gewesen.

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In Preußen wird der gleiche Kampf geführt wie im Reiche. Die politische und soziale Reaktion ringt um den Sturz von Otto Braun und Severing. Mit größter Spannung blickt die Arbeiterschaft auf diesen Kampf, dessen Ausgang, zumal nach der Bildung des Bürgerblods im Reiche, noch völlig ungewiß ist. Eins aber ist gewiß: würde das ganze arbeitende Bolf aufgerufen zur Entscheidung dar­über, ob Braun und Severing fallen und den Ber­trauensleuten der politischen und sozialen Reaktion Platz machen sollen- mit einer überwältigenden Mehrheit wür den sie für die Regierung Braun- Severing, gegen den Bürger blod in Preußen entscheiden. Wenn in dem Ringen um die block in Preußen entscheiden. Wenn in dem Ringen um die Regierung in Preußen Braun und Severing fallen, so fallen sie wegen der fommunistischen Fraktion. Wenn die alten Konservativen, die verstockteste, bornierteste und reaktionärste Klasse in Europa , in Preußen wieder zur Macht kommen, so mit Hilfe der Kommuniſten.

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Der Bürgerblock ist die Kehrseite der kommunistischen Politif. Auf die Schwächung der Arbeiterbewegung durch die Kommunisten gründen sich die Hoffnungen des Bürgerblocks. Wer am 7. Dezember kommunistisch gewählt hat, der hat sein Steinchen beigetragen zum Aufbau des Bürgerblods. Die kommunistische Agitation spreizt sich mit scheinrevolutionären Phrasen gegen den Kapitalismus aber sie führt in der Bragis zur Unterstützung der sozialen Reaktion, zur Stärkung der Macht der großen Konzerne, der Schwerindustrie, des Großagrariertums. Die fommunistischen Führer und Zeitun­gen führen die Namen großer Vorfämpfer im Munde, die glühende Haffer des kapitalistischen Systems, Kämpfer und Märtyrer für die Freiheit der arbeitenden Massen waren- aber sie verhelfen den Luther und Schiele, den alten Konser vativen in Breußen zur Regierungsmacht gegen die Arbeiter­schaft. Der sozialdemokratische Abgeordnete hatte nur zu recht, der gestern im Reichstag der Agitation und Demagogie der Kommunisten voll innerer Empörung entgegenrief: ,, Thr helft denen, die die schärfsten Gegner aller sozialen Bemühun gen find!"

tommt nicht auf die Zahl der Mandate an, nicht auf die parla­Mögen die kommunistischen Führer dagegen sagen: es mentarische Konstellation, nicht auf die Zusammensetzung der Regierung! Diese Regierung des Bürgerblocks, so sehr fie Regierung! Diese Regierung des Bürgerblocks, so sehr sie selbst eine Macht und eine Drohung darstellt, ist der Ausdrud einer politisch- fozialen Machtton ftellation im Bolte, und dabei gilt für die kommunistische Politik, was für ihre Stellung im Parlament gilt: sie wird zur Unter­stützung der sozialen Reaktion. Weil in der kommenden großen sozialen Auseinandersetzung über die Frage: Klassen­egoismus des Großfapitals oder soziale Gerechtigkeit, foziale Reaktion oder Sozialreform die Reaktion ihre Hoffnungen auf die Schwächung der Arbeiterbewegung durch die Kom munisten sett, deshalb war der Bürgerblod möglich.

Der Kampf gegen den Bürgerblock ist zugleich der Kampf gegen die Kommunisten. Rampf gegen die soziale Reaktion war immer zugleich Kampf gegen den Unverſtand der Massen, gegen den schlimmsten Feind der Arbeiterschaft im eigenen Lager. Das ist die Erfenntnis, zu der die ganze Arbeiter schaft gelangen muß, wenn sie in den Kampf gegen den Blod der fozialen Reaktion eintritt.

Die Stellung der Demokraten.

Schwerste Bedenken.

Die demokratische Reichstagsfraktion hat gestern über ihre Stellung zur Regierungsbildung einstimmig folgenden Beschluß gefaßt: Die deutschdemokratische Fraktion billigt, daß der Bor­fizende die Entfendung eines Bertrauensmannes in das Kabinett Luther abgelehnt hat. Sie steht dem Kabinest mit den schwersten Bedenten gegenüber und behält sich ihre Stellung zu der Regierungserklärung vor."

Ich heiße Neuhaus...

Und weiß von nichts.

Der neue Reichswirtschaftsminister, Ministerialdirektor a. D. und Eidesverweigerer, Neuhaus, antwortet durch das offiziöse Depeschen­bureau auf die Mitteilungen der Deutschen Liga für Menschenrechte über feine Tätigkeit im Deutschnationalen Jugendbund: Er sei bet Gründung der Ortsgruppe Hansa dieſes Bundes zum stellvertreten. jei dort nur zweimal in der Deffentlichkeit aufgetreten. Einmal in den Alterspräsidenten gewählt worden und bis 1921 geblieben. Er sei dort nur zweimal in der Deffentlichkeit aufgetreten. Einmal in Gegenwart Ludendorffs. Ueber den Neft abend sagt er nur folgendes:

Herrn Neuhaus ist darüber, daß ein Nest a bend zur Ver herrlichung des Rathenau Mordes stattgefunden habe, nicht das geringste bekannt. Dagegen ist ihm be= fannt, daß Günther schon vor dem Rathenau - Morde aus der Ortsgruppe Hanja des Deutschnationalen Jugendbundes a use geschlossen worden ist.

am 24. Juni 1922 an dem berühmten Nestabend zugegen war,

Nun steht zwar in dem Telegramm der Liga an den Reichs. präsidenten nichts von einem Restabend zur Berherrlichung des Rathenau- Mordes". Aber es ist dort behauptet, daß Neuhaus auf dem Günther als Mörder Rathenaus gefeiert wurde. schon aus der Gruppe ausgetreten war, hat aber vor dem Staats­gerichtshof in Leipzig ausgesagt, er sei bei dem Nestabend mit ziemlichem Hallo begrüßt" worden, und zwar freudig als Mörder Rathenaus! Das amtliche Stenogramm ver zeichnet an diesem Punkte folgende Fragen und Antworten:

Dieser Günther, der angeblich vor dem Rathenau - Mord

Präsident: Sie wurden da sozusagen als Held gefeiert? Angefl. Günther: Sozusagen ja. Präsident: Das war also der Nestabend des Deutschnatio nalen Jugendbundes in der Lüßowstraße.

Richter Fehrenbach: Sie sind nicht hinausgeschmissen worden als der Mörder?

Wenn in dem

Angell. Günther: Direft nicht.( Heiterfeit.) Richter Fehrenbach: Aber indirekt, wie? Deutfájnationalen Jugendbunde eine Empörung über die Tat ge­wesen wäre, hätte man Sie erstens nicht mit Hallo empfangen fönnen, trotz Ihrer Renommisterei; zweitens hätte man Sie nicht mehr länger in dem Saale dulden dürfen, sondern hätte Sie her­ausjagen müffen, wenn Mörder in die Gesellschaft von jungen anständigen Menschen kommen. Ist das so gewesen?

Angefl. Günther: Go ist es nicht direkt gewesen. Ich habe mich nachher natürlich vollkommen ruhig verhalten.

Präsident: Sie haben vorher gefagt, Sie wären als ein Held gefeiert worden.

Angeti. Günther: Nur beim ersten Hineinkommen. Richter Fehrenbach: Sie sind des weiteren im Cofal ge­duldet worden?

Angell. Günther: Jawohl.

So ging es also am Tage der Ermordung Rathe naus auf dem Nestabend des Deutschnationalen Jugends bundes zu, von dem Herr Neuhans gesteht, daß er zeitweilig dessen stellvertretender Alterspräsident gewesen ist.

Er will jetzt von dem" Nestabend zur Berherrlichung des Rathenaumordes" nichts wissen.

Aber eine andere Frage, auf die Neuhans nicht antwortet: Hat und sich damit als Antirepublikaner bekannt? Will er je zt er seinerzeit den Eid auf die Berfassung verweigert den Eid leisten? Und glaubt er nicht, daß man sich über die politische

Birkung eines solchen späten Eides eigene Gedanken machen wird? Die Haltung des Zentrums.

Kein Fraktionszwang.

Ueber die Verhandlungen, die der offiziellen Beauftragung Luthers vorangingen, berichtet die Eca:

Die Verhandlungen über die Regierungsbildung drehten sich am geftrigen Vormittag ausschließlich um die Frage des Ver. treuensvotums. treuensvotums. Die Deutschnationalen bestanden zunächst darauf, daß außer der Billigung der Regierungserklärung ausdrüc lich Bezug genommen werde auf den Art. 54 der Reichsver. faffung, der bestimmt. daß die Reichsregierung und die Reichs minister bes Vertrauens des Reichstuges bedürfen. Für diese Formulierung war eine Mehrheit im Reichstag nicht zu erzielen. Die Deuticnationalen haben schließ