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Nr. 25 42. Iahrgaag

1. SeiZage öes Vsrwärts

S«»osdeaö, 17. Januar 1425

wie märkifthe Kleinjkäöte aussehen:

Da« lustige Städtlein an der Oder", wie Schwedt im 18. Jahr- hundert zur Martgrafenzeit benamset wurde, mufj sich jetzt mit der wohl ebenso ansprechenden Bezeichnung.Perle der Uckermark " begnügen. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch ist die Stadt ge- wissermaßen im Ruhestande gewesen: erst seit 1872 durch eine Zweig- bahn in Angermünde an die Berlin Stettiner Bahn angeschlossen Hot sie trotz ihrer Lage an der Oder keinen großen Aufschwung ge- nommen. Die Bevölkerung ist in den letzten 30 Iahren wenig ge- wachsen: sie beziffert sich auf 10 000, für märkische Kleinstädte immerhin ein« respektable Zahl. Die neuzeitlichen kommunalen Einrichtungen sind aller- ding» in dieser Zeit der äußeren Ruhe durchgeführt worden und die Zukunstsaussichten sind nicht un- günstig. Die älteste Zeit. Brandenburger und Pommern stritten sich um den Besitz des Ortes, der aus alter wendischer Zeit stammt: 1479 behielten erster« ihn und 1481 wurde er mit dem nahen Dierraden. das ein festes Schloß besaß, an die Grafen von Hohenstein als Lehen gegeben. Mit deren Aussterben fiel Schwedt 1809 an das Kurhaus Brandenburg zurück und wurde verschiedentlich als kurfürstlicher Wit- wensitz oerwendet. Im Dreißigjährigen Kriege hatte Schwedt stark zu leiden: 1848 zählte es nur noch 42 chäuler. Inzwischen hatte der Große Kur- fürst den vesih 1844 dem Grafen Gustav lvols von Zarreasbach verpfändet. Da diese Familie katho- Usch war, fühlte sich die Bevölkerung unter dein neuen Regime nicht wohl. 1870 brachte Dorothea. die zweite Gemahlin des Großen Kurfürsten, die bekanntlich von dem Volke der Vergiftung ihrer Stiefkinder beschuldigt wurde, Schwedt für 26 �00 Taler in ihren Besitz und damit begann die Pe- riode des Aufschwungs für die vielgeprüfte Stadt. Der Schloßbau wurde begonnen, 1888 durch Auf- nähme der französischen Hugenotten namemlich der Tabakbau eingeführt. Nach dem Tode der Kur- sürstin. 1689, bekan� ihr Sohn Philipp Wilhelm als Markgraf von Schwedt den Besitz, sein Nach- folger Friedrich Wilhelm(17111771) wurde der .tolle Markgraf' und Urheber des Renommees der Stadt. vle Markgrafenzeit. Markgraf Friedrich Wilhelm war mtt der Schwester des Königs Friedrich LI. vermählt, aber die Ehe war nicht glüMch. da der Markgraf feine Liebschaften oisen deklarierte� Die Markgräfin scheint aber immerhin philoso- phischen Geistes gewesen zu sein: als ihr von einem Diener� gemeldet

Schwedt a. d. Oder. geboren wurde. Ms Markgraf Friedrich Mlhelm 1770 starb, folgt« chm sein Bruder Friedlich Heinrich, der seine.Genialität' in an- derer Weise zeigte. In der Schlacht bei Mollwitz hatte er sich im Graben versteckt und war von Friedrich II. wegen dieser Feigheit nach Hause geschickt worden. Im übrigen war er ein schöngeistig angehauchter Herr und liebte die Amüsements, weshalb er auch l773 ein Operettentheater erbaute, besten Bühne 24 Meter lang, 16 Meter breit und 12 Meter hoch war. Jedermann hatte Zutritt zu diesem Kunsttempel, der.dem Vergnügen und der Sitte" gewidmet war.

es das jenseits der Oder liegende reich« Gebiet t« Nenrnprf zu fesseln verstand diese und andere Fehler gibt auch der

zu besuchen, fest« Brücke.

würde, daß der Markgraf zwischen die Fenster zweier Eßzimmer ein Plättbrett lege, um nächtlicherweile eine Hofdame benutzte sie eine Abwesenhcü des Gemahls, um eine die Liebesbrücke', für s/'.e Promenade herstellen zu lasten. Gleiche Tollkühnheit wie in dieser Liebesaffäre bewies der Markgraf auch im Reuen und Fahren: fein Gefährte bei diesen lebensgefahr. lichem Vergnügen, wie das Durchreiten saufender Windmühlen- flügel. war der jung« Seydlitz. damals Page am markgrä'lichen Hofe, bis ihn 1740 der Kriegsdienst fortführte. Aber dem Hange nach Unaebundenheit entsprach auch dir Räcküchtrloflgkeit gegen König und Siaalsinleresten. so daß Friedrich II. schließlich den Gene- ral Meier nach Schwedt sandte, damit dieser seine und seiner Schwester Iilteressen sowie die staatliche Ordnung wahrnehme. Für uns Berliner ist dieser.geniale' Einschlag deswegen besonoers interestant. well er sich in dem Enkelkinde des.tollen Markgrasen'. in Prinz Louis Ferdinand , wiederfindet, der als Sohn des Prinzen Ferdinand von Preußen . Bruder Friedrichs II. und der zweiten Markgrofentochter. hier in Berlin im Schloß Friedrichsselde 1772

Schloß za Schwedt zu O. Natürlich fehlt« es auch nicht an fröhlichen Künstlern und schönen Künstlerinnen, und als nach 18jährigsr.Herrschaft" der Markgros starb und der Alte Fritz mit rauher Hand die Erbschaft o.r sich riß. Hub«in großer Wegzug au» Schwedt an. und die Stadt mußte fortan auf ihren Titel.das lustige Städtlein' verzichten.

Die oeue Zeit.

war, Schädigung, mußte dies erfahren, zumal die Hoffnung, daß Prinz Louis, der zweite Sohn Friedrich Wilhelms II. , 1796 als Kommandeur des Dragonerregiment» dort Hof halten würde, durch den im selben Jahre eintretenden Tod de» Prinzen zuschande» wurde. Allen, die Zeiten waren damals nicht dazu angetan, vom Hof und aon Feit- lichkeiten HUfe zu verlangen: Tlapoleon ließ Fürsten und Dölker nicht zu Aiem kommen, und io muhte Schwedt sich damit od'mden, eine bürgerliche Stadt wie so viele andere zu weroen Daß dabei nicht immer glücklich operiert hat. daß es sich die Berlin Stettiner Bahn nicht sicherte, daß es aus der Lage an der Oder jo wenig herauszuziehen wußte eine Uferstraße existiert nicht.

gewiss enhoste Chronist zu: Tabakbau und Landwirtschaft allein sichern keine grogzügige Existenz. Jetzt ist man zu der Einsicht ge­kommen. daß die neue Zeit erhöhte Rührigkeit verlangt: man plant Autooerbindung mit dem so nahen Königsberg i. d. N., eine zweite Dampferlinie nach Stettin ist eingerichtet, ein Neubau der Oder- brücke beabsichtigt, die Herstellung neuer Wohngebäude energisch in die Hand genommen, auch für geistige Kultur ist manch erfreu- licher Schritt getan, so namentlich durch die Volks- bühnengemeinde. die so viele Mitglieder geworben hat. daß zwei Spielabende jedesmal notwendig werden. Wenn nun auch noch die Verbindung mit Anoermünde eine bessere werden könnt«, so wäre auch für den Touristenverkehr manche» Erfreuliche zu erhoffen. Das Staötbilö. Nicht weit vom Bahnhos zicht sich durch die Stadt die breste, mit schönen Baumreihen versehene Schloßsreiheit. von dem links sichtbaren Schlosse ausgehend. Sie wird von Häusern flankiert, die ihre Herkunst aus dem 18. Jahrhundert durch ge- fchmockoolle Architektur erweisen. Unter anderem befindet sich auch seit 1907 das neue Rathaus hier, früher ein von Arnimscher Besitz. Die ebenfalls an der Echloßfreiheit liegende sranzösisch-resormierie Kirche ist ein kleiner ovaler Bau, der jetzt geschlos- jen ist und als Ehrcntempel seine Auferstehung seiern soll. In der Kirche befindet sich der Marmor- jarkophag ihres Gründers. Markgrafen Friedrich Heinrich . Das Schloß, ein gewaltiger dreigeschossi- der Bau im Spätrenaistancestil. besteht aus dem älteren Milieiteil und den beiden Seitenflügeln, alles Schöpfungen aus der Markgrafenzeit. Na- mentlich seitdem 1719 Markgras Friedrich Wilhelm von einer Italienreise zurückgekehrt war. ließ er seiner Großmannssucht freien Lauf, schuf den großen Saal, die Kirche, legte aus der Gartenseite die Rampe ziim ersten Stock an. auf der er nicht nur in die Zimmer ritt, sondern auch fuhr. Das Schloß, persönlicher Besitz des Ex-Kaisers, wird gegen Eintrittsgeld gezeigt: man durchwanden 22 Räume, die bald mehr, bald weniger geschmack- voll angelegt und ausgestattet sind und eine Fülle an Gemälden, unter ihnen wenige Originale, meist Kopien, und an Bildnissen enthalten, die das In- teresie des Geschichtsfreundes erheischen. Silberge- stickte Gobelins schmücken ein Zimmer, das Dank- gefchenk der aufgenommenen Franzosen. Was wird die Zukunft des Schlosses sein? Wäre es Eigentum des Volkes. so fände sich schon eine Berwendung, z. B- als Filiale unserer Kunstbeslissenen. �umal im Sommer, wo die Natur hier ganz anders zu den Smnen spricht als im staubigen Berlin . Und die Stadt hatte etwa» von dem frischen Leben, das die Jugend mit sick brächt«. Aber die deutschnationalen Kreise werden erschauern, wenn ">« sich den Gedanken vorstellen, daß hier auffürstlichen,' Bode, emokratische Jünglinge und Fräuleins sich zu Hause fühlen könnten.... Vom Schloß wendet man sich, am Marstall und dem ehemaligen Thealerbau. jetzt Tabatlagerhaus. vorbei zum Markt. wo das alle Raihaus seine baufälligen Mauern erhebt, geht l>oi>» links in die Brückenstraße zum Odcrufer mit der Oderbrücke. Viel Leben wird der Besucher hier nicht bemerken. Die ander« H«upt straße Schwedts ist die die Brückensträße kreuzende Berliner Straße, die sich schließlich im Lande verliert. Interessant sind die alleni- halben sich erhebenden Tabakspeicher, in denen der Tabak getrocknc, wird. Die im Innern der Stadt liegende Stodtkirche ist keine be- sondere Zierde des Ortes: der 188791 vorgenommene Umbau hat sie völlig modernisiert und den allen Kreuzbau mit einer Anzahl von Anbautenverschönert". Vortrefflich sind aber die im Innern befindlichen Sandstein-Epllaphien des letzten Grafen von Hohe»-

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Der Mittelweg.

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Boa Sit Philip Gibbs. Nadia hatte eine überraschende Kenntnis der verschiedenen Literaturen, eine klare Intelligenz und eine Reinheit des Blicks, die ihre Ansichten für ein so junges Mädchen oft ganz erstaunlich erscheinen ließen. Bertram bemunderle sie wegen ihrer hohen geistigen De- abung und ihrer sich stets gleich bleibenden Unbefangenheit. �artgewobnt. wie sie war. die Tochter von Aristokraten, welche physische Arbeit stets verabscheut hatten, verrichtete sie die schmutzigste Arbeit mit einer Selbstverständlichkeit, die bei anderen dasselbe Verständnis für die Notwendigkeit und da- durch den Wert dieser Arbeit voraussetzte, wie sie selbst es empfand. Er war entsetzt, als er sie eines Morgens, als die anderen noch schliefen, dabei fand, die unbeschreiblich schinutzi- gen Aborte zu spülen und zu scheuern. Um Gottes willen, überlasien Sie das doch dem Pro- vodnik. Es ist seine Arbeit und nicht die Ihrige." ..Gewiß! Aber er vernachlässigt sie." antwortete sie lächelnd. Als ein Mitglied des arzllichen Personals der ARA. fallen Reinlichkeit und Sanitation in mein Arbeitsgebiet. Der Geruch von diesem Orte ist entsetzlich." Um so mehr Grund für Sie, ihn zu vermeiden." Sie schüttelte den Kopf...Im Hungergebiet werden furchtbarere Gerüche und schlimmerer schmutz sein, und Läuse- überall. Wenn ich das vermeiden wollte, wäre ich nicht hier." Sie sind wunderbar." Nein. Einfach eine Frau wie alle. Warum sollte das wunderbar sein?" Es waren noch andere im Zug, die sie für wunderbar hielten, als Bertram ihnen sein Morgenerlebnis erzählte. «Bei Gott .' sagte Dr. Weekes.wenn das ganze russische Volk so wäre, wie sie, gäb'» keine Hungergebiete und keine Wanzen.' Ost, wenn sie beide im dämmerigen Korridor standen. bat sie ihn, ihr aus seinem Leben zu erzählen, damit sie ihn besser kennen lerne. Und er erzählte vom Krieg, von seiner Ehe. dem Tod seines Kindes, feiner Mutter und Diybys Tod. seiner Trennung von Joyce, alles ganz kurz, nur die Creig- nisse. Aber sie verstand ihn. Einmol sagte sie in diesen Gesprächen, während der Zug durch die weiße Düste dahinkroch:Ich habe Häßlichkeit und

Schmerz und Schmutz gehaßt. Als Kind war das alles vor mir verborgen. Als junges Mädchen war ich von Schönheit und Illusionen umgeben. Jetzt aber möchte ich tiefer hinein in das Elend des Voltes. Ich will bei ihm fein in seinem Schmerz und in seinem Schmutz. Ich will seine schlimmsten Llualen teilen, weil ich durch das Leiden von Leib und Seele alle Grausamkeiten meiner Vorfahren büßen will. Wenn Sie die russische Geschichte lesen, so finden Sie den Namen der Suwaroffs mit Handlungen oerknüpft, welche die Bauern brutalisierten und niederhielten. Das aste Regime leidet jetzt für die Sünden seiner Väter. Es ist recht, daß wir bestraft werden.'_ Nein, an diese Lehre kann ich nicht glauben. Wir sind für unsere eigenen Sünden verantwortlich, nicht für die unserer ist aber das Gesetz. Die Sünden der Väter sollen helmgesucht werden an den Kindern." ..Ungerecht! Schrecklich ungerecht!' ..Ach. es ist leider wahr. Schon um unserer Kinder willen müßten wir Gutes tun.'..... Ich hatte ein Kindchen, das starb. Ich Habs Ihnen erzählt. Jetzt bin ich beinahe froh darüber. Die Welt ist zu grausam.'«m- Nicht zu grausam für die Mutlgen.' Dann sprach sie von ihrem Wunsche nach einem Kinde. Vielleicht, wenn wir uns lieben, werden wir ein Kind haben, wir beide... Das würde mich sehr glücklich machen.' Bertram war durch diese mit solcher Einfachheit ausge- sprochenen Worte im tiesiten erregt. ..Ich bin Ihnen ein Fremder. Sie kennen meinen Charakter und meine Schwächen nicht.' Ich habe sie gleich gekannt." antwortete sie.als Sie mich damals auf dem Markte ansahen." Sie drückten sich die Hände.Meine Gefährtin." sagte er. Sie lieber Freund." antwortete sie. 55. Kasan war in hartgefrorenem, diamantglltzerndem Schnee begraben. Es war ein kleines Moskau , mehr orientalisch noch und von fremdartiger Schönheit, mit seinen vergoldeten Kuppeln, russischen Wohnhäusern und holzgebauten Hütten. alle unter Schnee. Bor der Revolution war e» eine reiche Stadt gewesen, und viele hohe Adlige hatten ihre Sommer-

villekk hier, und die Reichtümer der Wolga und die Waren aus dem fernen Osten waren hier hereingeströmt. Ein Drittel der Bevölkerung waren Tataren. Der Tatarentypus war besonders auffallend im Gegen- satz zu der strohblonden, blauäugigen Bauernbevölkerung. zwischen der sie lebten, und Bertram mußte an den sagen- haften Eroberer Tschingis-Khan und seine Horden denken, als er die langen, hageren Männer mit den mongolischen Backenknochen, der Lederhaut und dem straffen, schwarzen Haar betrachtete. Auch Kasan stand vor der Hungersnot. Schon kroch der Hunger durch die Straßen, wenn es auch für die Reichen noch hier und da Fleisch zu kaufen gab. Wegen Futtermangels hatten die Bauern ihre letzten Kühe geschlachtet und das Fleisch in da« reiche Kasan geschickt. Das war aber das letzte Fleisch. und Getreide und Milch gab es schon jetzt nicht mehr, nur noch ganz geringe Vorräte von Brot und Kartoffeln. Der Oberleiter der Ära und sein Stab wurde an der Station von einigen jungen Amerikanern in schweren Pelzen und hohen Mützen erwartet. Sie hatten Schlitten mit und waren trotz des furchtbaren Elends, das sie schilderten, in guter Stimmung. Denn die ersten Volksspeiseküchen in der Stadt waren schon In Betrieb, und die erste Hilfe war bereits in die umliegenden Dörfer abgeschickt. Wie ist die Lage hier?" fragte der Oberst. Ein bolsche- wistischer Bandit, der sich nach Abnahme der Tatarenkappe als ein amerikanischer Student von der Harvard-Universität entpuppte, antwortete. Die Lage. Herr? Die Leute warten hier einfach auf den Tod. So steht's. Sie erwarten alle Hilfe von uns, und wie- lan$|e wir überhaupt noch helfen können, ist die Frage. Wir ernähren noch auf drei Wochen hinaus 1500 Kinder. Das klingt gut für den, der nicht weiß, daß in diesem Staate eine Kinderanzahl von einer Million siebenhunderttausend lebt, alle hungrig und meistens schon am Verhungern. Nur Kinder Herr! Die Erwachsenen können wir nicht ernähren. Die sterben einfach. Bald friert die Wolga zu, dann brauchen wir Schlitten und mindestens dreitausendfünfhundert Pferde. Die ober fallen auf dem Wege. Kein Futter. Etwas Vorrat ist ja aus Moskau gekommen. Kartoffeln. Aber die verfaulen in den Kähnen." (Fortsetzung folgt.)