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Nr. 28 42. Jahrgang

2. öeilage öes Vorwärts

Sonnabend, 17. Januar 192S

Die Debatte im preußenhaus. Braun antwortet v. Campe.

Vor Eintritt in die Tagesordnung protestiert Abg. Pieck da- gegen, daß trog des einstimmigen Landtagsdeschlustes auf Haft- entlafsung die Gerichtsbehörden die Haftentlassung der kommunisti - fchen Abgeordneten Heydemann und Schulz- Breslau ver- weigern. Der Landtag muge gegen diese Verhöhnung seiner Be- schlösse protestieren.{Beifall bei den Kommunisten.) Abg. Pieck(Komm.) beantragt, auf die Tagesordnung einen An- trag zu setzen, der die Vertrauenstundgebung der preußischen Regie- rung für den Reichspräsidenten oerurteilt. Als der Redner dabei von einer.Gesinnungslumperei der Ebert und Konsorten" spricht, wird aus der MehrheitSchluß!" gerufen. Als am Schluß der Rede Piecks der Präsident Bartels die Frage stellt, ob nie- mand dem Antrag widerspricht, rufen viele Abgeordnete: ,Er muß einen Ordnungsruf kriegen." Dem Antrag Pieck wird widersprochen. Auf der Tagesordnung steht als erster Punkt die Fest­stellung der M i t g l i e d e r z a h l des auf den Urantrag des Dr. W i n ck l e r und Genosten(Dnat.) eingesetzten Ausschusses zur Untersuchung m der Angelegenheit betreffend die Kredit- gewähruag der Preußischen Staatsbank an ausländische Konzerne {B a r m o t- A u s s ch u ß). Abg. Grzesinski (Soz.) erklärt sich mit der Einsetzung des Unter. suchungsausschusses einverstanden, ersucht die Rechte ober, die Unter- suchung auch aus die Geschäfte der Zentralgenossenschafts- lasse{Preußenkasse) auszudehnen.{Rufe rechts: Stellen Sie doch selbst einen Antrag!) Abg. Pieck(Komm) bezeichnet den Ausschuß als einen Der- tufchungs. und Derschleierungsausschuß. Die Zahl der Ausschußmitglieder wird auf 2g festgesetzt. Hierauf folgt die öesprechung üer Erklärung ües Ministerpräfiöeuten. Abg. Eberlein{Komm.) begründet das kommunistische Miß- trauensootum gegen die Regierung. Die Erklärung des Minister- Präsidenten könne nicht darüber hinwegtäuschen, daß tatsächlich die Geschicke Preußens und Deutschlands von den großkapitalisti- fchen Konzernen gelenkt werden. Das gegenwärtige Staats- Ministerium habe sich zum Sklaven des Großkapitals gemacht. Es habe den Befreiungskampf des Proletariats mit Ge- walt unterdrückt und zugelasten, daß der Arbeiterschaft die heitigsten Rechte geraubt wurden. Beim Sturz dieses Kabinetts könne man nicht von einem Sieg der Reaktion sprechen, denn reaktionärer als die jetzige unter sozialdemokratischer Flagge segelnde Regierung könne keine andere sein. Auch außenpolitisch sind die jetzigen kapitalistischen Regieiungen im Reiche und in Preußen unmöglich. Wenn in Rußland die Ententekommissare so auftreten würden wie hier, dann würden sie nach wenigen Tagen an der Laterne hängen. Hier aber empfängt sie die Regierung mit einem Blumentops am Brandenburger Tor. {Heiterkeit.) Die Verfastung ist zu einem Dreck geworden. Die wirkliche Grundlage dieser Regierung liegt in den Kastenschränken der Morgan und Genosten. Wir werden alle Kräfte anwenden, um diese Regierung zu stürzen.{Händeklatschen bei den Kommunisten, Vizepräsident G a r n i ch ersucht, keine neuen Sitten einzuführen.) Kbg. dr. Eampe sv. vp.) begründet hieraus den gleichfalls mit der Besprechung verbundenen Amrag: »Da gemäß Artikel 45 der preußischen Verfastung bei Vegim» der Tagung eines ueu gewähltea Landtags der Miuifterpräsideut neu zu wählen ist, beschließt der Landtag: Der weitereu Tätigkeit des Ministeriums Braun fehlt die verfassungsmäßige Grundlage." Dr. v. Campe wird von den Sozialdemokraten mit dem Ruf .Stinnesoertreter" empfangen. Er weist aus den leeren Regierungs- tisch und erklärt: Ich sehe hier keinen einzigen Minister. Daraus schließe ich. daß das Ministerium jetzt wohl selbst aus dem Staiü». punkt steht, daß es tatsächlich nicht mehr besteht.{Sehr gut! rechts.) Der Ministerpräsident sagte in seiner letzten Erklärung, wir wollten einer offenen Auseinandersetzung mit chm ausweichen. Heute wollen wir uns mit ihm auseinandersetzen, und er ist nicht da!{B e i d i e s e n W o r t e n n i m m t un t e r g r o ß e r H e i t e r- keit Mini st erpräsident Braun seinen Platz ein. Ihm folgen d i e M i n i st e r Dr. W- n d o r f f. S e v e r, n a und Sierina.) Der Redner sucht dann nachzuweisen, daß aus Grund des Dertastungsartikels 45 jeder neugewöhlte Landtag dos Etaotsministerium neu zu wählen habe. Das gegenteilige Gut- achten des Justizministeriums sei wenig überzeugend. Wenn das Ministerium weiter im Amt bleibt, so besteht die Gesahr. daß das schleichende Gift eines dauernden Lerfastungskonflikts die Grund- mauern des preußischen Staates zu unterhöhlen droht.{Heiterkeit links.) Die Mehrheit der Wähler hat sich nicht, wie der Mimster- Präsident behauptet, für die große Koalition entschieden.{Widerspruch und Gelächter links.) Das Verhalten des Ministerpräjidenteil in der Kundgebung gegen die W e i t e r b e s e tz u n g der Köl- ne r Zone mußte uns empören, denn im Aeltestenrat hatte fein Parteigenosse, der Präsident, erklärt:Ich stelle fest, daß es der Wunsch des Landtags ist. daß nur der Landtag hier zu Worte kommt. Ich werde dem Ministerpräsidenten davon Kenntnis geben und zweifle nicht daran, daß er diesem Wunsche entsprechen wird!" {Hört, hört!) Wir haben drei Jahre lang aus voller Ueberzeugung die Politik der Großen Koalition getrieben, weil wir den Ausbau des Staates nicht allein den Kräften überlasten wollten, die die Revolution gemacht, auch nicht denen allein, die die Weinmrer Ber- fastung gemacht haben. Wir wollen jetzt auch die ausbauenden Kräfte in der Deulschnalloaalea Volkspartei heranziehen{Unruhe und Rufe links: Tleuhausl) und zweifeln nicht daran, daß sie sich auf den Boden der gegebenen Talsachen stellen werden.(Gel ach- ter links» Wir werden auch in der neuen Koalition unsere Selbständigkeit wahren und stellen die Bedingung, daß die Ber- fassung anerkannt und gegen jeden gewaltsamen Angriff von links und rechts geschützt wird.(Rufe links: Wer lacht da?, Wir werden auch bei der Besetzung der Aemter nicht nach der Partei- Zugehörigkeit, sondern sondern nur nach d e r F ä h> g- keikundEIgnung fragen. Wir werden nur diejenmen ent­fernen, die ungeeignet sind oder sich kompromittiert haben. Da wer- den wir freilich mit eisernem Besen reiniaen. Der Ministerpräsident fot in seiner Erkläruno die Dertrauensfrage oesiellt. Wenn(ein Vresieches nachher diese Stelle anders auslegte, so mußte er zum Teufel gesagt werden. Unter der Monarchie legte» auch bei jedem Thronwechsel die Minister ihre Aemter nieder. Setzt ist an die Stelle des Monarchen der Landtoa als oberste Gewalt getreten. Wir erwarten, h. der Ministerpräsident die Vertrauensfrage stellen und stch nicht mit einem abgelehnten Mißtrauens. "vtum begnügen wird.{Beifall rechts. Zischen be, den Sozialdemokraten.) MlnksterprÄstAent Sraan wendet stch gegen die staatsrechtlichen Ausführimgen des Abg. von Campe. Der Verfastungskonflikt brauche nicht durch eine Neu- wähl de» Ministerium» gelöst zu werden, sondern für die Entschei»

dung solcher Fragen ist der Staatsgerichtshof zuständig. Die Wahlen haben eine große Mehrheit für die Politik bor Großqn Koalition ergeben. So lange der Landtag nicht der Regierung das Vertrauen entzogen hat, so lange hat sie das versastungsmäßig not- wedige Vertrauen des Baldes. Abg. v. Campe geht in semer Beweisführung zu sehr von monarchistischen Gesichtspunkten aus.{Gelächter rechts.) Zwischen dem Landtag als dem Ausdruck des Volkswillens und dem Monarchen als dem zufälligen Ergebnis eines natürlichen Ereignisses besteht schließlich doch ein Unterschied. {Sehr gut! links.) Der Ministerpräsident geht dann auf die Bor- gänge in der Kundgebung gegen die Weiterbesetzung der Kölker Zone ein und versichert, ihm sei der Beschluß des Aeltestenrots nicht mitgeteilt worden.{Bewegung und Rufe: Wo ist Präsident Bar- t e l s?) Ich hätte, fo fährt er fort, auf diesen Beschluß geantwortel: Das mag die Meinung des Aeltestenrats fein: aber die preußische Staatsregierung kann sich in einer so wichtigen nationalen Frage den Mund nicht verbieten lasten.{Beifall bei den Sozialdemokraten.) M nn Herr o. Campe sagt, man wollte die Regierung nicht den Kräften überlasten, die die Revolution gemacht haben, so beflndek er sich in dem Irrtum, daß Revoluklonen überhaupt gemacht wer- den könnten. Märe da» richüa. dann wäre die Revolution höchstens von den Kräften gewacht worden die das Volk in den Krieg gehetzt und den rechtzeitigen frieden verhindert haben.{Beifall bei den Sozialdemokraten.) Wie kann man den Willen aussprechen, alle auf- bauenden Kräfte heranzuziehen, wenn man in demselben Moment die stärkste Vertretung der Arbeiterschaft zurückstoßen will? Gerade Herr v. E a m p e hat im September 1922 sehr richtig erklärt: Es darf nicht der Krieg aller gegen alle entfestett werden durch den Ruf: Hie Bürgertum, hie Arbeiterschaft!"{Hört, hört! in der Mitte.) Er hat weiter gesagt:Nichts ist schlimmer in der Politik als schwenken, wir müssen Kurs halten!"{Große Hetterkest in der Milte.) Die ganze Rede des Herrn v. Campe war ein herumreden um das. was er nicht offen aussprechen wollte: Die Deutsche Dolkspartei hat die Koalitionspolttik mitgemacht, so lange sie ohne die Sozialdemokratie nicht regieren konnte. Jetzt, wo sie glaubt, die Sozialdemokratie nicht mehr nötig zu haben, will sie mtt den Deutschnationalen zusammen regieren.{Laute Rufe bei den Kommun-sten: Das haben wir Euch doch immer aesagtl) Diese Schwenkung wird vorgenommen, obwohl durch die Abstoßung der Arbeiterschaft nach Herrn v. Campes Eingeständnis dadurch der Krieg aller gegen alle heraufbeschworen wird. Wir wollen diesen Krieg nicht. Wenn wir aus unseren Posten bleiben, so handeln wir im Jntereste unseres Landes und Bolkes. {Lebhafter Beifall in der Mitte.) Abg. Hirsch{Soz.) verurteilt das Vorgehen der Volkspartei bei der Kundgebung gegen die Weiterbesctzung der Kölner Zone. Die von der Volkspartei für ihre Störuno der nattonalen Kundgebung gegebene Begründung sei nicht ernst zu nehmen. Wenn sie in Preugen keine Erklärung eines Geschäftsministeriums zulassen wollte, so setze sie sich in Gegensatz zu ihrem Parteimitglied Stresemann , der im Reichs- tag dieses Recht für die in Demission befindliche Reichs- regierung ausdrücklich in Anspruch genommen habe. Der Redner verliest dann unter großer hellerkeit der Mille verschiedene Reden, ln denen Abg. v. Campe eindringlich vor einer Sprengung der Großen Koalition gewarnt Hot.{Zuruf des Abgeord- neten v. Campe:Das galt ja alles sür die Vergangenheit, nicht aber für die Zukunft!") Abg. Hirsch wendet sich weiter gegen die Verfassungsonslegung des Abg. o. Campe. Er stellt sich auf den Boden des Gutachtens des Justizministers und lehnt dle Anträge der Kommunisten und der Volkspartei ab. Wenn die Kommunisten mit ihrem Antrag Erfolg hätten, dann würden sie selbst die kommu- nistischen Arbeiter der Verfolgung durch eine Rechtsregierung aus- liefern. Lebhafter Be fall bei den Sozialdemokraten.) Abg. Dr. Schmidt-Lichtenberg{Ztr.) erklärt, das Zentrum könne stch der von der Volkspartei gegebenen Auslegung des Verfastungs- artikels nicht anschließen. In längeren staatsrechtlichen Ausfüh- rungen sucht er nachzuweisen, daß die Amtsdauer des Staats- Ministeriums nicht an die Dauer des Bestehens eines Landtages gebunden sei. Der Antrag der Dolkspartei tonnte dem Derjastungs- aussckuß überwiesen werden. Hieraus schlägt der Präsident die Vertagung der weite- ren Aussprache aus Dienstag nächster Woche, 11 Uhr. vor. Gegen den Widerspruch des Abg. Pieck{Komm.) stimmt das Haus diesem Dorschlag zu. Schluß nach 6 Uhr. * Der Aeltestnrat des Preuf>Mven Landtages beschloß, sich bis Dienstag zu vertagen. Am Mittwoch muß die Aussprache ab- geschlosten sein. Die Abstimmung über die zur Erledigung stehenden Anträge wird voraussichtlich erst am Freitag nächster Woche erfolgen._ Leere Regierungsbänke. Der Reichstag mich stch vertagen. Die Tribünen und die Diplomatenloge sind in Ermattung der inzwischen abgesagten Regierungserklärung überfüllt. Präsident Löbe eröffnet die Sitzung um(5.25 Uhr und teilt mit. daß der erste Punkt der Tagesordnung: Die Entgegennahme einer Erklärung der Reichsregierung, abgesetzt werden müsse.(Große Unruhe bei den Kommunisten und Zwischenrufe des aus Wien wieder eingetroffenen Abg. Iwan K a h.) Der Präsident erklärt. daß der Reichskanzler ihn habe wissen lasten, daß seine Bemühungen um die Besetzung des Finanz- und Justizministeriums noch nicht zu Ende geführt werden konnten. Der Reichskanzler bat daher, die Regierungserklärung heute von der Tagesordnung abzusetzen und sie auf die Tagesordnung einer Sitzung zu bringen, die am Montag- nachmittag 6 Uhr stattfinden soll.{Unruhe bei den Kommunisten und Nationalsozialisten.) Abg. v. Graese(Nat-Soz.) erklärt, gegenüber den Persuchen, eine Regierung zustande zu bringen, müsse das Wort gelten:Laßt alle Hoffnung fahren!" Diese ganze Regierunqsbildungsmisere schreie zum Himmel. Man wolle sogar bei der Pettrnuenssormel die Bersasiung umgehen.{Lebhaster Widerspruch.) Reichskanzler Dr. Luther solle dem Reichspräsidenten Eberl vorschlagen, auf eine Regierungsbildung zu verzichten, den Reichstag auszulösen und Neuwahlen für eine Nativnalversammlung aus» zuschreiben, damit eine neue Berfossung geschaf- fen werden könne.{Heiterkeit.) Abg. Stoecker(Komm.) erklärt, es sei ein Skandal, daß seit zw« Wochm an 500 Reichstaosabgeordnet« in Berlin sitzen und vergeblich auf die neue Regierung warten. Der Redner fordert sofortiges Eintreten in eine politische Zlussprache. Es müsie endlich dem Spektakel ein Ende gemacht werden. Er sei der Anschauung, daß man auck, ohne Iustizminister fertig werden könne. {Zwischenrufe: Das möchten Sie wohl! Große Heiterkeit.) Der Redner sagt dem neuen Kabinett schäristen Kamp! an: denn es sei ein Kabinett d«r Schwerindustrie und de» Groß- kapital«.

Der Antrag Stoecker wird gegen wenige Stimmen abgelehnt. Abg. Eichhorn{Komm.) begründet die kommunistischen Anträge zum Beamtenabbau. Die Kommunisten verlangen, daß alle abgebauten Beamten wiedereingestellt werden, sofern sie Wert auf eine Wiedereinstellung legen. Die Anträge werden dem Haushaltsausschuß über- wiesen. Die Antröge betr. Abänderung des Lichtspiel- g e s e tz e s gehen debattelos an den Bildungsausschuß. Präsident Löbe schlägt vor, die nächst« Sitzung am Montag, 5 Uhr nachmittags, mit der Tagesordnung: Entgegennahme einer Erklärung der Reichsregierung, abzuhatten. Abg. Dlitmaun{Soz.) beantragt, am Sonnabend 4 Uhr eine Sitzung abzuhalten, mit der Tagesordnung: Erste Beratung des Gesetzentwurfs über das Reichsschiedsamt.{Stteitigketten zwischen Aerzten und Krankenkassen.) Abg. Rädel{Komm.) beantragt, am Sonnabend die polttischo Aussprache aus die Tagesordnung zu setzen. Die Abgg. Dr. Bell{Z.) und Schultz- Bromberg (Dnat.) beantragen, den Gesetzentwurf über das Reichsschiedsamt noch heute auf die Tagesordnung zu setzen, in der Erwartung, daß er ohne Debatte an den Ausschuß ginge. Präsident Löbe schließt sich diesem Borschlag an und das Haus ist damit einverstanden. Der Entwurf über das Reichs schiedsamt wird d e b a t t«- losdem Sozialpolitischen Ausschuß überwiesen. Der Antrag, am Sonnabend eine Sitzung abzuhallen, wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, Kommunisten, National- sozio listen und Bayerischen Bolkspattei abgelehnt. Nächste Sihung: Montag 6 Uhr.{Entgegen- nähme einer Regierungserklärung.) Schluß 7 Uhr.

Erleichterungen öer Lohnsteuer. Die sozialdemokratische Reichstags» f r a k t i o n hat zur Lohnsteuer einen Antrag eingebracht, der zwei Forderungen aufstellt: 1. die Erhöhung des steuer- freien Lohnbetrages von 60 M. monatlich{15 M. wöchentlich) auf 100 M. monallich(24 M. wöchentlich): 2. die volle Gutbringung dieses steuerfreien Lohnbetrages auch in den Fällen von Lohnausfall infolge Erwerbslosigkeit, Krank» heit, Kurzarbeit, Aussperrung, Streik usw., sowie bei den Saisongewerben.' Die Forderung noch Erhöhung des steuerfreien Lohn- betrages auf 100 M. bzw. 24 M. wöchentlich ergibt sich aus der Lohnentwicklung des vergangenen Jahres. Als die zweite Steuernowerordnung vom 19. De- zember 1923 die Neuregelung des Lohnsteuerabzugs brachte, waren die Löhne tief unter dem Existenzminimum. Erst nach langen und schweren Kämpfen ist es der Arbeiterschaft gelun- gen, Lohnerhöhungen durchzusetzen. Die Lohnentwicklung des vergangenen Jahres bietet daher folgendes Bild: NachWirt- schast und Statistik"{1. Oktoberbeft, S. 612) betrugen die tanfmäßigen Stundenlöhne in Pfennigen:

bei einem

am 7. Jan. 24. I.Ott. 24.

Bau. Lola- Metall- F-br». Buch. vor«. arbeitet arbeitet arbeitet arbeitet drucket° 6 i,®(chnilt

64 97

65 88

63 88

52 66

56 70

arbeitet 53 61 78 85

Diese Lohnerhöhungen hatten eine Lohnsteuerbe» l a st u n g zur Folge. Der steuerfreie Lohnbetraa wurde bei steigenden Löhnen relativ immer niedriger Daher stieg die Lohnsteuerbelastung, die Dezember 1923 bei einem Ar- beiter mit Frau und zwei Kindern bei einem. Wochenlohn von 28 M. 4 Proz. betragen hatte, im November 1924 bei einem Wochenlohn von 40 M. auf 5 Proz. Bei einem ledigen Ar-. beiter stieg die Lohnsteuerbelastung in dieser Zeit sogar von 5,7 Proz. auf 7 Proz. Der Ausgleich muß durch eine angemessene Erhöhung des steuerfreien Lohnbetrages herbeigeführt werden. Die Er- höhung von 50 auf 60 M. ist viel zu gering, um den Lohn- steuerdruck wesentlich zu mildern. Beträgt doch gegenwärtig die Belastung eines Arbeiters mit dreiköpfiger Familie und 40 M. Wochen'obn immer noch 4,6 Proz. Wenn dagegen der sozialdemokratische Antrag angenommen wird, so braucht dieser Arbeiter nur noch 2,8 Proz. seines Lohnes als Steuer- abzug zu entrichten. Bor dem Kriege war in Preußen ein Einkommen von 900 M. jäbrlich steuerfrei. Der viel höhere Steuersatz der heutigen Lohnsteuer, vor allem aber die viel teurere Lebens- Haltung verlangt, daß das steuerfreie Einkommen wesentlich höher liegen muß als vor dem Kriege. Tatsächlich ist das von der Sozialdemokratie geforderte Existenzminimum von 1200 M. jährlich heute noch nicht soviel wie vor dem Kriege 900 M. Wer eine soziale Steuerpolitik erstrebt, kann sich der For- derung der Arbeiterschaft auf eine angemessene Erhöhung des steuerfreien Existen-minimums nicht widersetzen. Denn der Einwand, die geforderte Erhöb"ng des steuerfreien Lohnde- träges würde einen großen Einnahmeausfall Hervornifen, gilt auch für jede andere Steuer, deren Abbau von den bürger- lichen Parteien verlangt wird. Dagegen hat das Steigen der Löhne die Einnahmen aus der Lohnsteuer sehr stark er- höht, so daß sie den Voranschlag wesentlich überschritten haben. Der Ertrag der Lohnsteuer betrug in Millionen Mark in den Monaten: Jan. Febr. März Avril Mai Juni Juli Aug Sept. Ott. Nov. 74,7 63.9 71,2 79,5 87,9 96 108 107 113 115 120 Der Boranschlag ist also um mindestens 50 Proz. über- schritten worden. Der Einnahmeausfall infolge der Erhöbung des steuerfreien Lohnbetrcges wird daher mir einen Teil der unerwarteten Mehreinnahmen des Reiches aus der Lohnsteuer tressen. Die zweite sozialdemokratische Forde- rung geht dahin, den vollen steuerfreien Lohnbelrag auch denjenigen Arbeitern zugutekommen zu lassen, die infolge von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Kurzarbeit, Aussperrung, Streik usw. einen mehr oder minder großen Lohnausfall haben. Der steuerfreie Lohnbetrag hat den Sinn, ein Existenzminimum von jeder Besteuerung freizulassen. Wenn der gegenwärtig geltende steuerfreie Lohnbetrag ein Existenz- Minimum von 720 M. jährlich festsetzt, so bedeutet das. daß der Eesetzgeber es nicht verantworten konnte, auch noch Ein- kommensteile der Besteuerung;u unterwerfen, die unter dieser Mindestg,ren?e siegen. Soll dieser Zweck enef** wer­den, so muß von jedem Einkommen dieses jährliche Exittenz- Minimum steuerfrei bleiben. Die Erhebung der Lohnsteuer an der Quelle hat a' er bisher verhindert/ daß dieses Ziel voll- ständig erreicht wurde.