Rechtsdrehung 90°Linksdrehung 90°
 100%
 100%
 0%
 0%
 0%
 
Einzelbild herunterladen
 

Sonntag

18. Januar 1925

Unterhaltung und Wissen

Der Ruf nach dem starken Mann.

14777

27

Dem ewigen Parteigezänt muß ein Ende gemacht werden; nachgerade hat sich das parlamentarische System als eine für Deutschland völlig ungeeignete Regierungsform erwiesen. Deswegen erhebt Michel den Ruf nach dem starten Mann, der mit eisernem Bejen das Haus austehren und Ordnung schaffen soll. Und schon erscheinen nicht nur einer, fondern gleich mehrere starte Männer auf der Bildfläche, wohlverjehen mit je einem eisernen Bejen.

B

w

Leider kommt es bereits in der Tür zu einem fatalen Zwischenfall, da jeder behauptet, er sei zuerit dagewesen. Es entbrennt alsbald ein harter Kampf unter den eisernen Besenmännern, ein abermaliger beklagenswerter Beweis für das alte Erbübel des deutschen Bolkes: die Uneinigkeit. So bleibt denn nur noch die Hoffnung auf den ganz starken Mann, den staatsmännischen Giganten, den politischen Herkules, der mit eherner Keule usw. uiw.

Verrückt.

Bon Friz Müller.

Und welche Beweise kann die anfechtende Partei noch vor­bringen gegen die Rechtsgültigkeit des Hartmannschen Testamentes?" fragte der Gerichtspräsident.

Eine erwartungsvolle Stille trat ein.

Jetzt unterhielt sich der Anwalt flüsternd mit seiner Partei. Meine Partei macht geltend, daß sich der Verstorbene öfter in unordentlichen Kleidern auf der Straße zeigte, wofür Zeugen Dor handen find," sagte der Anwalt.

Jetzt wechselten Präsident und Beisiger einige halblaute Worte. Das Gericht verzichtet auf die Zeugen und nimmt den neuen Einwand als erwiesen an." verkündigte der Präsident.

" Ferner will meine Partei den Beweis dafür antreten, daß der Verstorbene sich mit ganz fleinen Kindern auf der Straße in einem Tone unterhielt, der die Bermutung einer Nichtzurechnungsfähigkeit nahelegt, und außerdem

Herr Rechtsanwalt, haben Sie nicht auch das Gefühl, unter­brach der Bräsident halb ärgerlich, halb väterlich, haben Sie nicht auch das Gefühl, daß es sich bei allen diesen Dingen mehr um un­schuldige Absonderlichkeiten eines Junggesellen handelt, als um

" Herr Präsident, mein verstorbener Onfel war fein Jung­geselle!" Ein fleiner, dicker Herr hatte es gerufen. Aufgeregt war er gegen den Gerichtstisch vorgegangen.

Zunächst mache ich Sie darauf aufmerksam, daß Sie ums Wort zu bitten haben," sagte der Präsident ruhig.

Also, ich bitte um die Erlaubnis, fagen zu dürfen," sagte der dice, kleine Mann und bekam einen roten Kopf fagen zu dürfen, daß mein Onkel vor vielen Jahren verheiratet mar

Eine schwarz gekleidete, schmale Frau mit einer spizzen Rase nidte heftig.

-

verheiratet war, und daß seine Frau allerdings bald starb." Hat er auch Rinder gehabt?" " Ja, einen kleinen Buben, der auch bald gestorben ist," mischte fich hier die dünne Frau eifrig ein.

Sm," sagte der Präsident. Wieder entstand eine Bause. Wieder unterhielt sich der Anwalt leise flüsternd mit der an. fechtenden Partei. Nachdenklich sahen die beiden Beisiger auf das aufgeregte Ehepaar, das um das Erbe eines Onfels stritt, der in seinem letzten Willen sein Vermögen einem Kinderheime vermacht hatte. Gegen diesen Blödsinn" tämpfte das Ehepaar nun schon feit einem Jahre. Das Testament allein erwies nach ihrer Meinung die völlige Berrücktheit ihres Onfels. Haben Sie Kinder?" wandte sich der Präsident jetzt direkt an die Partei.

" 1

Nein," fagte die Frau ein wenig unsicher. Sie fonnte den Bedantengang des Präsidenten nicht verstehen.

Sind Sie in schlechten Bermögensumständen?" Jezt begriff sie. Aber ihr Mann kam ihr zuvor: Ich möchte doch bitten, Herr Präsident," sagte er ,,, meine Kredit: verhältnisse nicht durch solche Fragen vor Zuhörern zu schädigen. Wir sind in vorzüglichen Vermögensverhältnissen und-

Der Anwalt winkte ab. Der Präsident lächelte. Vorzüglich ist zu viel, Herr Präsident," mischte sich jetzt die Frau darein, wir leben sehr bescheiden, es langt gerade Aber Frau," unterbrach sie der dicke, fleine Mann ganz empört, ich verstehe Dich gar nicht. Du weißt doch, daß wir jedes Jahr zehntausend auf die Bank

44

Der Anwalt wintte verzweifelt.

Herr Rechtsanwait, Ihre Partei hat also weiter nichts mehr vorzubringen in der Testamentsanfechtung?"

Einen Augenbiid noch, bitte, Herr Präsident," sagte der An­walt und unterhielt sich wieder erregt mit den beiden.

Der Präsident war auffgestanden und öffnete das Fenster ein wenig. Eine warme, würzige Luft drang ein. Und mit der Luft ein fernes, leises Lärmen fröhlicher Stimmen von Kirdern, welche spielten. Der Präsident sah über die Bäume hinweg. Dahinten lag das Kinderheim.

Dann setzte er sich wieder. Denn eben hatte sich der Anwalt ge­

meldet

Bitte, Herr Rechtsanwalt."

Meine Klientin fann folgenden Vorfall auf ihren Eid nehmen: Sie befand sich einmal auf Besuch bei dem Berstorbenen, als ein fleiner, fremder Knabe hereinkam und dem Herrn Hartmann eine Botschaft brachte. Ist gut," sagte der, worauf der Knabe rückwärts ging und dabei so ungeschicht gegen einen großen Spiegel stieß, daß er ihn zerbrach. Darauf ist Herr Hartmann zornig aufgefahren und auf den fleinen Knaben zugegangen

"

Und wird ihm eben einen Klaps gegeben haben, Herr Rechts­anwalt, ich begreife nicht, wie Ihre Partei

" Eben nicht, Herr Präsident, eben nicht. Auf einmal ist Herr Hartmann gar nicht mehr zornig gewesen, sondern hat den erschrode nen Knaben auf seine Knie genommen und ihn gestreichelt und allerlei Freundliches zu ihm gejagt und ihn noch obendrein beschenkt. Dafür, Herr Präsident, daß er ihm einen wertvollen Spiegel

Er war aus Kristall, Herr Bräsident," fiel die dünne Frau ein, und mindestens fünfhundert Mark wert.

Hm," sagte der Präsident, das ist allerdings merkwürdig." Die dünne, schwarze Frau glänzte.

Umso merkwürdiger, Herr Präsident," fuhr sie eifrig fort, als ich ein Jahr vorher auch dabei gewesen bin, mic sein eigener fleiner Junge auch einen Spiegel zerbrochen hatte, einen, der viel weniger wertvoll war, Herr Präsident. Und da ist er fürchterlich jähzornig geworden und hat seinen Jungen geschlagen, so schrecklich geschlagen, Herr Bräsident, bah

Daß Sie ihm in den Arm gefallen find, nicht wahr?" 1.

Beilage des Vorwärts

Sheffield !- der Traum des Menschen.

Bon Jerome K. Jerome.

Auf dem Umschlag des dritten Teils von Wells bewunderns­werter Weltgeschichte" prangt ein buntes Bild der Erde, wie sie vor Drei Millionen Jahren war. Bielleicht irre ich mich um eine Million; auch Bells ist seiner Sache nicht ganz sicher. Jedenfalls stammt das Bild aus einer Zeit, da der Mensch die Erde noch nicht erobert und noch nicht begonnen hatte, fie zu verbessern. Auch damals mag es mancherlei Nachteile gegeben haben. Ich persönlich hätte gern etwas mehr Ordnung gesehen, die Bürgersteige, falls es Bürgersteige sind, deuchen mich arg vernachlässigt, sicherlich gab es auch vielzuviele Schlangen; ich hätte fofort einen Schlangenfjub gegründet. Im ganzen genommen jedoch erscheint das Bild als eine angenehme Welt, eine Welt des Friedens und der Schönheit. Der wundersamsten Mög­lichkeiten. Die weniger angenehmen Geschöpfe die Natur hatte bereits ihre Irrtümer eingesehen starben schon aus, die Bulkane erloschen, die Wasser wurden zahn. Irgendein prähistorischer Ber­steigerer, falls man sich so etwas vorstellen tann, hätte mit Recht seine Ware anpreisen fönnen: Schön gelegen, mit weitem Ausblick, alles enthaltend, was zu einem angenehmen Aufenthalt erforderlich ist.

Hierher fam der Mensch und ergriff Besiz von der Erde. Theo­legen und Wissenschaftler streiten noch immer. wie er hergelangt ist, Die Theologen behaupten, er sei bei seiner Geburt völlig makellos gewesen, habe aber dann in seiner Jugend an den Folgen eines Falies gelitten. Die Wissenschaftler hingegen nieinen, dem ser nicht fo: er sei erblich belastet, in der Wahl seiner Eitern unglücklich ge­mefen. Die protoplasmische Zelle sei um fein haar besser gewesen, als sie unbedingt sein mußte. Tatsache ist, daß der Mensch da ist,

daß er vor etwa drei Millionen Jahren erschien, die Welt als schöne fruchtbare Gegend vorfand, die bloß der Entwicklung durch die Intelligenz benötigte, um ein wundervoller lieblicher Garten zu werden, die Welt nach den Wünschen seines Herzens formte. Ich wende mich dem einundzwanzigsten Teü non Wells Weltgeschichte zu. Seit dem dritten Teil hat fid) viel ereignet. Der Fortschritt" ift gekommen. Wir sehen sein Ergebnis im Bilde Sheffield . Dies ist typisch für das, was der Mensch durch das Mühen und die Ge danken von drei Millionen Jahren erreicht hat. Sein verwirklichter Traum ist: Sheffield . Ein Wald von Ziegelfdioten, ein Unterholz von elenden Hütten, ein rauchverschleierter, stinkender Himmel.

-

Sheffield . Und alles, was Sheffield verförpert. 50 000 Mark toftende Automobile für die wenigen. Für die vielen die, voй­gepferhie Tram, das Stoßen und Bussen. Schöne Häuser für die Hunderte, für die Millionen enge dunkle Straßen, elende Behaujun­çen. Für eine kleine Schjar Riz- Restaurants, daneben die ver­fümmerten unterernährten Kinder, die Mütter mit ausgetrockneter milchloser Brust: die Frucht menschlicher Habgier. Die Sänger fangen, die Erbauer bauten, die Maler malten Träume der Herr lichkeit für etliche verstreute Kulturfreunde. Für die Myriaden der Jahrmarkt, und vor jedem Park und Wald die Tafel: Eintritt verboten. Die Gesellschaft", sagt Anatole France , basiert auf der Geduld der Armen. Aber es ist nicht bloß Geduld, unter den denten­den Armen lebt eine Hoffnung, die sie versöhnender stimmt jener Welt gegenfiber, die der Mensch geschaffen hat. Die Hoffnung, aud) ihnen würde es durch Fleiß oder Glück noch vor ihrem Tode gelingen, eine Stelle unter den privilegierten Wenigen einzunehmen. Wird die Ungleichheit zerstört, so zerschmilzt dieser Traum."

Reichtum! Das Irrlicht, dem der Mensch seit drei Millionen Jahren atemlos, feuchend nachhaftet, das ihn immer tiefer und tiefer in den Sumpf loct.. Reih meiden! Es ist der Traum der einzelnen und der Allgemeinheit, reich zu werden, die Erde zu besitzen. Der Mensch wähnt irrig. Reichtum müsse immer Glüd bedeuten. Das stimmt nicht. Er bedeutet eine Welt von Neid, Bosheit und Haß, eme Welt der Verbitterung und unentwegten Angst, eine Gesellschaft, die cben am Ueberfreffen, unten am Hunger leidet. Er bedeutet Kriege, Revolutionen, ewige Unraft. Bedeutet das Bestehen einer

Nein, Herr Präsident," erwiderte die dünne Frau verwundert, ,, was geht das mich an, wenn andere Leute ihre Kinder schlagen? Das ist ihr gutes Recht. Aber daß er seinen eigenen Sohn fo flug, während er den fremden Jungen nach einem Jahre wegen der gleichen Sache herzte und beschenkte, das ist doch völlig

Berrückt, ganz verrückt," ließ sich der dicke, fleine Mann dazu vernehmen.

Der Präsident dachte nach.

Eine Frage," sagte er, wann ist ihm sein fleiner Sohn ge storben?"

,, Das war, warten Sie, Herr Präsident, das war einer Monat etwa, bevor der fremde kleine Junge den großen Spiegel einschlug. Den wertvollen, großen Kristallspiegel, der sicher über fünfhundert Mart-"

Ist gut," sagte der Präsident und war sehr ernst geworden, ,, Sie fönnen alfo den Zusammenhang nicht begreifen, wie?"

Welchen Zusammenhang, Herr Präsident? Ich denke doch, da gibt es keinen anderen Zusammenhang, als daß der Herr Hart­mann verrückt war

Jawohl, verrückt, ganz verrückt," sagte der kleine Mann. Des Präsidenten Mienen waren eisenfest geworden.

Herr Rechtsanwalt," sagte er," Sie haben teine weiteren Er­flärungen mehr abzugeben?"

Rein," sagte der Rechtsanwalt. Mit seinen Schultern hatte er eine hoffnungslose Bewegung gegen seine Partei gemacht. Er schien müde.

" Dann erkläre ich die Verhandlung für geschlossen. Den Spruch werde ich sofort verkündigen. Darf ich die Herren bitten." Er hatte sich an die Beifizer gewandt. Alle zusammen verließen sie den Saal und traten in das Beratungszimmer.

Ich denke, meine Herren," sagte der Präsident ,,, wir sind ohne Worte der gleichen Meinung?"

Gewiß, Herr Präsident," sagte der eine Beiliger mit einem verstehenden Blick.

Der andere Beisiger aber, ein Mann mit einem flugen und feinen Gesicht, ging jetzt an das Fenster und machte es weit auf. Ein mächtiger Strom von Frühlingsluft drang ein. Und wieder das ferne Bärien von Stimmen, von fröhlichen Kinderstimmen Hören Sie die Jugend vom Kinderheim da drüben, Herr Präsi dent?" sagte der Mann am Fenster und lächelte. Ich glaube, fie rufen etwas, die armen, kleinen Kinder, die keine Eltern haben. Können Sie verstehen, was sie rufen, Herr Präsident?"

Jest lag es wie ein lächelnder Frühlingstag auf den Gesichtern der drei Richter selber. Jawohl, Herr Kollege," sagte der Präsident, ich kann es gut verstehen. Und ich denke, wir wollen den Kindern gleich eine Ant­mort geben drüben im Gerichtssaal darf ich bitten, meine Herren zur Berkündigung des Urteils...

-

-