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Nr.40 42. Jahrgang Ausgabe A nr. 21

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Telegramm- Abreffe: Sozialbemokrat Berlin"

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Sonnabend, den 24. Januar 1925

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Rücktritt der Regierung Braun

Ein kommunistisch- volksparteilich- deutschnationaler Triumph. Demissionsbeschluß auf Vorschlag des Ministerpräsidenten.

Wie der Amtliche Preußische Preffedienst mitteilt, hat der preußische Ministerpräsident Braun im Caufe des gestrigen Abends an den Präsidenten des Landtags folgendes Schreiben gerichtet:

3ch beehre mich, ergebenft mitzuteilen, daß das kabinett heute beschlossen hat, in seiner Gesamtheit zurüfzutreten. Wenn auch das Ergebnis der heutigen Abstimmung des Landlags das kabinett verfaffungsrechtlich nicht zwang zurüd zutreten, hat es gleichwohl den Rücffriff beschlossen, da die Haltung der Parteien ein eriprießliches Arbeiten für das Wohl des Landes nicht mehr gewährleistet." gez. Braun.

Die Sigung des Kabinetts dauerte nur wenige Minuten. Der Vorschlag des Ministerpräsidenten, die Demiffion des Gesamtkabinetts zu beschließen, wurde ein ftimmig angenommen. Die Regierung führt die Geschäfte weiter, bis der neue Ministerpräsident gewählt ist und feine Mitarbeiter ernannt hat. Das dürfte schon im Lauf der nächsten Woche geschehen.

Nach dem Wortlaut der Verfassung war das Kabinett Leineswegs zum Rücktritt genötigt. Die von der Boltspartei zum besonderen Zwed ausgeflügelte Theorie, die Regierung müfje nach jeder Landtagserneuerung automatisch zurüd­ireien, ist vollkommen hinfällig. Die verfassungsmäßige Mehr­heit wurde für fein Mißtrauensvotum erreicht. Nach dem Buchstaben der Verfassung fonnte die Regierung bleiben.

Wenn sie trotzdem zurückgetreten ist, so hat sie damit ge­zeigt, daß ihr der Geift der Berfassung über dem Buchstaben steht. Braun war vom Borgänger diefes Landtags gewählt. Er blieb im Amte, bis dieser Landtag durch Abstimmung be­fundet hatte, ob er sein Bleiben oder seinen Rüdiritt wünschte. Da sich eine Mehrheit für sein Bleiben nicht ergab, zog er die Konsequenzen, die zwar vom Buchstaben der Ber­faffung nicht gefordert werden, die aber dem Geist des parla­mentarischen Systems entsprechen.

Ehre, wem Ehre gebührt. Bon den Siegern des gestrigen Tages verdienen die Kommunisten den ersten Preis. Sie waren führend. Ihr Mißtrauensantrag gegen die Re­gierung, der befanntlich mit 221 gegen 221 Stimmen abge lehnt wurde, fand Annahme durch die Deutschnationalen und die übrigen Rechtsparteien. Sie waren die Führer der Abstimmungen, fie maren die Führer der Skandale, von jubelndem Beifall der Rechten begleitet.

gut an!" schrie da voll Empörung selbst der demokratische Abg. I Biegler. Ja, er fängt gut an mit allen Anzeichen einer brutalen Sozialreaktion. Sein Wegbereiter aber im Reich und in Breußen: ,, die einzige Arbeiterpartei Deutschlands !" Die Tatsache läßt sich nicht bestreiten, daß die 45 Kom­munisten im Reichstag, die 44 im Landtag von Arbeitern gewählt sind. Aber diese Arbeiter haben allen Grund, sich zu schämen. Heute sehen sie, was sie angerichtet haben. Sie haben, indem sie kommunistisch wählten, ihre klassen genossen verraten und die Geschäfte der schlimmsten Arbeiterfeinde besorgt.

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Die deutschnational tommunistisch- volksparteiliche Roa­lition hat einstweilen freilich nichts anderes erreicht als einen vollkommenen Wirrwarr. Wie wird die Wahl des neuen Ministerpräsidenten ausfallen? Das wird von den Berhandlungen abhängen, die in den nächsten Tagen geführt werden. Die vorhandenen Möglichkeiten ergeben sich aus der Zusammensetzung des Landtags. Ihm gehören an: 114 Sozialdemokraten. 109 Deutschnationale 81 Zentrum

45 Bolksparteiler

44 Kommunisten

27 Demokraten

17 Wirtschaftsparteiler 11 Nationalsozialisten 2 Polen

Hält die Weimarer Koalition zusammen, so tann ein Rechtsmann nur dann Ministerpräsident werden, wenn auch Die Kommunisten für ihn stimmen. Tun fie das aber nicht, sondern geben fie bei einer Stichwahl weiße Bettel ab, so verbleiben höchstens 406 beschriebene Zettel, 222 davon, also weitaus die Mehrheit, werden von Anhängern der Wei­marer Koalition abgegeben.

Die Wiederwahl Brauns erscheint also nicht nur als Möglichkeit, sondern als der beste Ausweg aus der ver­worrenen Lage. Bird Braun von diesem Landtag wieder­gewählt, dann hat er sein Bertrauen und braucht sich um Mißtrauensanträge, die nicht die verfassungsmäßige Mehr heit erhalten, nicht mehr zu fümmern.

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Eine Rechtsregierung wäre in Preußen aber nur möglich, wenn das Zentrum fie offen unterstüßte. Bliebe das Zentrum gegen sie in der Opposition, so würden zu ihrer Unterſtügung nur 183 Abgeordnete einschließlich der 17 Nationalsozialisten! übrig bleiben. 267 aber stünden gegen fie. Ohne Zentrumshilfe fann ein Rechtsfabinett feinen Tag regieren.

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Die einzige Arbeiterpartei Deutschlands " hat mit den Scharfmachern eine Koalition geschlossen, um aus der preu: Bischen Regierung und aus der preußischen Berwaltung die Arbeitervertreter hinauszuwerfen. Es genügt ihr nicht, Sturmbod und Wegbereiter der Regierung Luther im Reich gewesen zu fein, fie stimmt den Deutsch Gestern haben von den 81 Zentrumsabgeordneten brei, nationalen vollkommen darin bei, daß die Aufrichtung eines die Herren v. Popen, Baumann und Loenart, sich reaktionären Kurses im Reich erst halbe Arbeit ist. Auf im Verlauf der Abstimmungen durch Enthaltung von ihrer Auf im Berlauf der Abstimmungen durch Enthaltung von ihrer Breußen fommt es an, und die Kommunisten wären schlechte Fraktion getrennt, in der ob dieses Borganges große Em­Rnechte der Reattion, menn fie nicht auch hier die Aermel pörung herrschen soll. Die überwiegende Stimmung soll für aufgefrempelt und in die Hände gefpudt hätten. Die Re die Wiederwabi Brauns sein. gierung Luther ist das Werk der einzigen Arbeiterpartei Deutschlands " und der Rücktritt der Regierung Braun ist miederum das Wert der einzigen Arbeiterpartei Deutsch lands ". Ohne sie das lehrt jeder Blid auf die Biffern der Parteienstärke- hätte die Reaktion es niemals geschafft. Für den kommunistischen Mißtrauensantrag stimmten gestern: 108 Deutschnationale

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43 Rommuniſten

45 Boltsparteiler

11 Nationalsozialisten

14 Wirtschaftsparteiler 221

Eine nette Gefellchaft! Ihr Zahlenbild Derbient, überall öffentlich angefchlagen zu werden, wo Arbeiter ver­fehren. Es wird Begeisterung für die KPD meden, diefe einzige Arbeiterpartei Deutschlands ". Wer fann nach solchen Taten noch daran zweifeln, daß sie mit fliegenden Fahnen auf dem Weg der bolichemistischen Weltrevolution vorwärts

marschiert?

Im Reichstag hat gestern die Rechte einen Borstoß ge macht, den finderreichen arbeitslosen Bitmen die Erwerbslosenunterstügung zu fürzen. Der neue Kurs fängt

Eine Haltung, wie die im Reichstag, wird dem Preußen­zentrum wegen der anders segenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen nicht möglich fein. Hier ist die Frage: We i- marer Koalition oder Bürgerblod?" ganz flar gestellt, ein Mittelweg ist nicht sichtbar.

Abstimmungen und Skandal.

Auf die Ablehnung des fommunistischen Antrages im Land­tage folgt die namentliche Abstimmung über den Antrag Dr. Windler( Dnat.), dem Ministerpräsidenten, dem Fi. panzminister, dem Kultusminister, dem Innen minister und dem Handelsminister das Bertrauen zu ent­ziehen. Der Antrag richtet sich nur gegen die sozialdemokra tifchen Minister. Zunächst wird abgestimmt über den Minister­präsidenten, zugleich auch in seiner Eigenschaft als Finanzminister und Kultusminister. Die Abstimmung wird getrennt vorge nommen: Zunächst wird abgestimmt über den Kultusminister, zwei. tens über ben Finanzminister, dann über den Ministerpräsidenten Die Abstimmung über den Kultusminister hatte das folgende Ergebnis. Abgegeben wurden 437 Stimmen. Davon stimmten mit Ja 220, mil ein 217 Das Ergebnis wird von den Parteien, die mit 3a geftimmt haben, mit flürmischen Beifallskundgebungen auf­genommen.

Als der Präsident erklärt, der Antrag fei abgelehnt, ba es an der verfaffungsmäßigen Mehrheit fehle, die mehr als die Hälfte

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der gefeßlichen Mitglieder betrage, also mindestens 226, ent­spinnt sich eine lange Geschäftsordnungsaussprache über die Aus­legung der einschlägigen Bestimmungen. unseren Gunsten entschieden; nur Spitfindigteiten können sie ver Abg. Schlange Schöningen( Dnat.): Die Rechtsfrage ist zu unfeln. Ueber verfassungsmäßige Formalitäten tönnen wir hier noch lange streiten; das erlösende Wort muß und wird hoffentlich vom Ministerpräsidenten Braun selbst gesprochen werden. Es kann

nur so lauten, daß er nach einer derartigen moralischen Niederlage nicht zu einer Bergewaltigung dieses Hauses schreiten darf, sondern daraus die moralische Schlußfolgerung zieht.

Abg. Pied( Komm.) erflärt gleichfalls, daß das Staatsministe­rium nach der Abstimmung feine Politif unmöglich weiter führen

tönne.

Die Abgeordneten der Deutschen Volkspartei, insbesondere Dr. v. Campe und Stendel, vertraten in der Aussprache den Standpunit, Bertrauen gar nicht gehabt habe, es fomme daher in Frage Art. 57 eine einfache Majorität genüge, da der Kultusminister das 2bf. 1.

Abg. Koch- Dennhausen( Dnat.) verfrat den gleichen Standpunkt, ebenso Baeder- Berlin( Dnat.).

Den gegenteiligen Standpunkt vertraten die 2bgg. Nuschke ( Dem.) und Grzesinsti( Soz.), die darauf hinwiesen, daß der deutsch­nationale Antrag finngemäß derselbe sei, wie der vorhin abgelehnte Tommunistische Antrag, ein Standpuntt, dem fich auch der Präfident Bartels anschloß.

Es folgt darauf die namentliche Abstimmung über die Ent­ziehung des Vertrauens gegenüber Braun als Finanzminister. Die namentliche Abstimmung hat das folgende Ergebnis: Mit Ja stimmen 221, mit ein 218 Abgeordnete.

Der Präsident vertritt diefelbe Feststellung wie bei der vorigen Abstimmung.

Die Bertreter der Deutschen Volkspartei und der Deutschnatio­nalen Boltspartei behalten fich weiteres vor.

gegen Braun als Ministerpräsidenten sowie gegen die Minister Severing und Siering.

Hierauf stimmt das Haus ab über Entziehung des Vertrauens

Das Ergebnis ist das gleiche wie im vorhergehenden Falle: Mit Ja ftimmten 221, mit Лein 218 Abgeordnete.

Abg. Koch- Deynhausen( Dnat.) spricht die Erwartung aus, daß cus den Mehrheitsverhältnissen, die sich ergeben hätten, die Minister Braun, Siering und Severing die Konsequenzen ziehen möchten.( Lebh. Beifail rechts.) Wir jedenfalls werden aus dieser Folgerungen mit gebotener Schnelligkeit ziehen.( Lebh. Beifall Abstimmung die für die drei Minister sich ergebenden politischen rechts.)

Abg. Grzesinski( S03.) erklärt, daß diese Abstimmung ohne alle Bedeutung sei.( Lachen rechts.) Welche Konsequezen die Herren dar­cus ziehen, bleibe ihnen überlaffen.

Abg. v. Campe( D. Vp.) weist darauf hin, daß immer wieder das Wesentliche von den Herren von links übersehen werde. Nach der Neuwahl habe das Ministerium Braun überhaupt noch feit Bertrauensvotum bekommen, das es nach Art. 57 Abs. 1 brauche. präsident selbst erklärt habe, er laffe fich nicht leiten vom Kleben Abg. Ladendorff( Wirtsch. Bgg.) betont, daß ja der Minister­am Amte, sondern vom Pflichtgefühl. Angesichts der Mehrheit gegen das Kabinett Braun erwarten wir, daß er zurücktritt.

Abg. Pied( Komm.) stellt mit Bedauern fest, daß die werftätige Bevölkerung Breußens jo lange die Schande einer solchen Regierung geduldet habe.( Der Redner erhält hierfür einen Ordnungsruf.) Das Haus wendet sich nunmehr zur namentlichen Abstimmung über den Bertrauensanfrag der von den Nationalsozialisten gestellt worden ist.

Abg. Grzesinsti( Soz.) erklärt, der Antrag, das Bertrauen aus zusprechen, sei unwahrhaftig, deshalb würden sich das Zentrum, Demokraten und Sozialdemokraten an der Abstimmung nicht be­teiligen.

Bor Mitteilung des Ergebnisses wird von der Rechten und von der Deutschen Bollspartei, besonders vom Abg. v. Ennern, das Wort zur Gefchäftsordnung verlangt.( 3uruf: Mitten in der Ab­Stimmung!)

Der Präsident teilt mit: Es sind 223 Stimmen abgegeben worden, der Landtag ist also beschlußunfähig.

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Un

( Heftiger Widerspruch rechts und bei den Komm. geheurer Lärm im gangen Haufe. Zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten scheint sich ein Handgemenge entwickeln zu wollen. Die Worte des Präsidenten, der die nächste Sigung festsetzt, gehen in dem tofenden Lärm unter. Von der Tribüne hört man lärmende Kundgebungen. Die Kommunisten antworten darauf. Als Bräfident 2artel nach Feststellung der Tagesordnung und Mitteilung der Gegenstände den Präsidentenfig verläßt, stürzt Abg. Pied zur Tribüne. reißt die Präsidentenglode an fich und übernimmt unter dem tosenden Beifall feiner Fraktion und ungeheurem Tumult bez Vorsiz. Es wird ein hoch auf die Internationale ausgebracht, ir bas pon ber Tribune aus eingestimmt wird.)