Abendausgabe
Nr. 4942. Jahrgang Ausgabe Bir. 24
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Vorwärts
Berliner Volksblatt
5 Pfennig
Donnerstag
29. Januar 1925
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Der Finanzfkandal des Rechtsblocks.
Gesamtentschädigung 715 Millionen, bereits ausgezahlt 655 Millionen.
Die neue Reichsregierung hat in ihrer Brogrammerfiä rung das Ziel verfündet, die innere Wahrhaftigkeit und Reinheit des öffentlichen Lebens" wiederherzustellen. In die Sprache der Deutschnationalen übersetzt heißt das: Es soll reiner Tisch für saubere, ehrliche, anständige politische Arbeit geschaffen" werden. Das ist ein schönes Ziel: Nur ist es tein Monopol der Rechtsregierung oder gar der Deutschnationalen, sondern bereits bisher das Bestreben aller anständigen Menschen gewesen.
in unbeschränkter Höhe gab die Reichsbant. Gemaltige Kredite sind gefloffen aus der Reich staffe, auch fie zum Teil als Papiermarifredite. Daneben sind auch erhebliche Beträge aus der Gewerblichen Hilfstasse geflossen. Und wenn man ferner an die großen Gewinne denkt, die die größten dieser Unternehmungen, die Stinnes, Thyssen, Krupp usw., durch die Ausgabe von Notgeld erzielt haben, dann er scheint es einem völlig undenkbar, daß nun noch eine EntSchädigung Don 600 millionen Goldmart in Frage in Frage tommen soll.
Großes Auffehen erregt die weitere Mitteilung des Staatsfetretärs, daß eine Ausjegung der Bahlungen an die Ruhrtohle A.-G., wie sie die Sozialdemokratie verlange, nicht mehr erfolgen tonne, denn alle Zahlungen jelen bereits erfolgt.( Lebhaftes hört, hört!) Andere Zahlungen feten vereinbart oder ständen vor dem Abschluß Ueberall feien erhebliche Abschlagszahlungen erfolgt. Es stehen nur noch geringe Summen aus( Lebhaftes hört, hört!), und zwar nur in Sonderverfahren! Der Staatssekretär schließt seine Ausführungen mit der Ankündigung, daß die Regierung zugleich mit der Dentschrift um Indemnitat nachsuchen werde.
Abg. Hermann Müller- Franken( Soz.):
uns mar
Es ist uns auseinandergesetzt worden, aus welchen Motipen und unter welchen Umständen Herr Stresemann die Briefe nur der Abgang eines Briefes bekannt, während sich jetzt heraus. ftellt, daß mehrere Briefe geschrieben worden sind an die Ruhr industriellen geschrieben hat. Ich fann von meinen gestri.
Das Schreiben des Borstandes der sozial. demokratischen Reichstagsfraktion an den Auf alle diese Fragen hat die Reichsregierung im Haus Reichskanzler Dr. Luther vom 27. Januar aber lüftet den haltausschuß des Reichstags noch feine Antwort gegeben. Schleier von der Bragis derjenigen, die am Staat perdie. Der neue Finanzminister Schlieben aber hat unter dem nen wollen, und die dabei weder an Anstand, noch an Sauber- Drud der Fragen des Genossen Hermann Müller bestätigen teit. noch an Moral oder ähnliche schöne Grundsätze denken. müssen, daß der Reichsregierung eine gesegliche GrundUm was handelt es sich? Zwischen dem Reich und den Ruhr- lage für ihre Handlung fehle, daß sie das Budgetder Berhandlungen an sich und ihres Abschlusses eine er auf die flare Frage des Genossen Hermann Müller , ob einen Ausführungen fein Wort zurücknehmen. Bereinbarung getroffen worden, die den Ersatz aller Schäden Brief des Reichskanzlers Stresemann vom herbeiführen soll, die in den letzten beiden Jahren im Ruhr 12. November 1923 die einzige Grundlage für das Verhalten gebiet entstanden sind. Um ein solches Abkommen zu ermög- der Reichsregierung sei, gebeten hat, ihm die Beantwortung lichen, hat die Reichsregierung im Reichsanzeiger"( nicht diefer Frage zu e riaffen, so tennzeichnet das nur die tödeinmal im Reichsgefegblatt"!) eine faum beachtete Bekanntliche Berlegenheit, in die die Reichsregierung durch die sozialmachung" erlassen, die eine unbeschränkte Entschädigungs - demokratische Attion gekommen ist. pflicht des Reiches festlegt. Diese Bekanntmachung ist eine reine Berwaltungsanordnung ft üßt sich auf teinerlei Beleg, hat nie irgendeine gefeßgebende Körperschaft beschäftigt, wird im Reichsetat überhaupt nicht erwähnt, befaftet aber bas Reich mit einem Betrage von vielen hundert Millig
en Mart.
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Troß allem ungewöhnlichen, das in Deutschland während des Krieges und während der Inflation sich ereignet hat, ist biele handlung der Reichsregierung mohl das Schlimmste. Man ftelle sich vor, daß ohne gefeßliche Unterlagen, allein durch das Ermessen der Berwaltung einer Handvoll Großindustrieller mehr als eine halbe Milliarde Goldmart, also faft drei Biertel der Summe, die uns als ausländische Anleihe gegeben worden ist, als Ent fchädigung gegeben wird, nicht etwa als rückzahlbarer Kredit. Obwohl es sich um feine unaufschiebbare Maßnahme handelt, nbwohl der Reichstag versammelt ist, wird er nicht gefragt, fondern vor vollendete Tatsachen gestellt. Ja noch mehr. Das Gelb ist bereits zum erheblichen Teil ausgegeben, eine Berweigerung der Zustimmung zu dieser Ausgabe durch das Parlament also gewaltig erschwert. Ist das nicht ein viel größerer Standal als alles, was im Zusammenhang mit Rutister, Barmat, Michael an den Tag ge. tommen ist? Dort Unterlassungen oder Bergehen untergeordneter Stellen, hier Entscheidungen höchster Behörden, wenn nicht gar der gesamten Reichsregierung, wie man eigentlich annehmen müßte. Man hat im Fall Barmat mit Recht kritisiert, daß hohe Beamte, die mit der Kreditgewährung bei der Staatsbant zu tun hatten, später in die Dienste von Barmat getreten find. Wir fragen des halb: Hält man es für völlig einwandfrei, daß einer jener wenigen Herren, die diese Entschädigungsfragen im Reichsfinanzministerium zu bearbeiten haben, por wenigen Tagen, also wahrscheinlich nach dem Abschluß des Bertrages in die Dienste des Reichsverbandes der Industrie getreten ift? Hat die Reichsregierung, als fie diesen befremdlichen Stellenwechsel erfuhr, nicht die Natwen digkeit erkannt, etwa vorher bestandene Beziehungen nachzu
prüfen?
So sieht die erste Tat der Rechtsregierung aus. Sie beginnt. ihre Arbeit, indem sie den Ruhrindustriellen die Millionen, die diese den Rechtsparteien im Wahltampi zur Schaffung des Rechtsblods gegeben haben, hundertfach zurückzahlt. Begreifen die großen Massen des deutschen Boltes jegt, warum die Herren von der Deutschen Bollspartel, von den Deutschnationalen und vom rechten Flügel des 3entrums eine Rechtsregierung wollen? Und begreift man jetzt den Sinn der Erflärung von Stresemann , daß die großen Fragen wirtschaftlicher Natur bei der dogmatischen Einstellung weiter sozialistischer Kreise mit einer sozialistischbürgerlichen Roalition nicht zu lösen sind"
Sie haben recht, diese Herren vom Rechtsblod. Die Aus plünderung der Reichskaffe, der Raub der Steuergelder der Maffe der minderbemittelten Bevölkerung zugunsten meniger großer Rapitalsmagnaten ist mit der Sozialdemokratie nicht burchzuführen. Die Sozialdemokratie fordert von dem Rechtsblod Rechenschaft. Wir sind gewiß, daß wir in dieser Frage auf die Unterstützung des gesamten Bolks rechnen tönnten, das an einer ehrlichen, fauberen Finanzpolitit interessiert ist und es als seine Pflicht ansieht, daß in erster Linie das große lnrecht wieder gutgemacht wird, das an den Inflationsgefchädigten aller Art verübt wurde.
Enthüllungen im Haushalts- Ausschuß.
Im Haushaltsausschuß des Reichstags wurde heute vormittag die Debatte über den Finanzskandal bei den Ruhrentschädigungen fortgesetzt. Die fozialdemokratische Fraktion legte einen weiteren Antrag vor, der verlangt, daß bei der gefeßlichen Regelung der Ansprüche von Ruhrgeschädigten, Liquidationsgeschädigten Inflationsgefchädigten wegen der beschränften Mittel bes Reichs der Grundfah der gleichmäßigen Behandlung aller Ansprüche
durchzuführen fet.
Sodann ergreift
Staatssekretär Dr. Fischer
und
vom Reichsfinanzministerium das Wort. Nach einer vertraulich zu behandelnden Mitteilung über die Lage im Ruhrgebiet während und bei Abbruch des passiven Widerstandes bestätigt er zunächst, daß die Entschädigungsaktion aufgebaut ist auf Briefen des damaligen coller Eifah für alle Schäden durch das Reich zugesichert werde. Reichstanzlers Dr. Stresemann an die Ruhrindustrie, in denen ihr voller Eifatz für alle Schäden durch das Reich zugefichert werde. Tie Frage, ob der Reichsfanzler oder die Reichsregierung zu einer folchen Zusicherung berechtigt war, ist damals überhaupt nicht aufgeworfen worden!
Es fann unter feinen Umständen angehen, und ich warne ausdrücklich für alle Zukunft, daß ein Minifter, und sei es der Reichstanzler selbst, fich das Recht herausnimmt, Briefe an eine industrielle Intereffengruppe zu schreiben, in welchen ihr Entfchädigungen zugesichert werden, die zu einer Reichsausgabe von 600 Millionen Mark geführt haben.( 3urufe bei den Soz.: Das ift Rorruption, schlimmste Korruption, von der Sie( nach rechts) allerdings nichts wiffen wollen, wenn es sich um Ihre Leute handelt.)
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Dieses Verfahren verdient um so schärfer Berurteilung, als heute noch nicht einmal feftfteht, auf welcher gefeßlichen Grumblene gehandelt worden ist. Es ist wie üblich gewefen, daß im Reichs anzeiger Bekanntmachungen erlassen merden, aus denen nicht zu erleben ist, auf weicher Gefeßlichen Grundlage fie fich aufbauen. Bir haben die Rechte des Reichstages zu wahren und dafür zu forgen, daß wir nicht einen Fall durchachen lassen, der in Zukunft zu den haben wir noch gar teine Kenntnis davon, wie das Reich im ergel. unhaltbarsten Konsequenzen führen könnte. nen feine Gaben ausgeschüttet hat. Nach ben gewordenen Darlegum
Bisher
gen tann man annehmen, daß es fich in der Hauptsache um die Ab geltung der Micumlaften bonbeft.
Die großen haben ihre Sache weg, mährend bei den fleinen Werfen, beim Mittelstand, bei den Angestellten und Arbeitern, von denen bisher überhaupt nicht die Rede gewesen ist, der Cindrud erwedt werden soll, daß fie geschädigt werden, wenn unfer Antrag Annahme findet.
Unser Antrag bezweckt doch weiter nichts als die Borlage eines Ge. legentmurfs binnen wenigen Tagen, ber uns die Möglichkeit gibt, auch die fleinen zu entfchädigen. Es ist geradezu
industrie- wie sie potent ift. fann man aus den Surfen der jent
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Riefen
unerhört, zu fehen, wie auf der einen Seite für die potente Ruhr infolge der Entschädigungen steinenden Attien, ersehen fummen ausgeschüttet merden, während alle anderen, die Ansprüde an das Reich haben, mie die Vertriebenen, die Auslandsdeutiden, die durch die Liquidation der Kriegsschäden schwer benachteiligten Boffsgenoffen, die Rentner aller Art und viele andere noch ganz anderen Grundfäßen mit Pfennigen abgefunden werden. Wir find überzeugt, daß der Weg, den mir vorschlanen, gangbar ist. 2Bir verlangen volle Aufklärung. Wir erwarten die Denkschrift und werden sehen, was darin steht und behalten uns vor, je nach ihrem Inhalt hier
im Reichstag einen Unterfuchungsausiduß zu beantragen ( Lebhaftes Sehr richtig! bei den Sos.) der uns die Möglichkeit gibt, genau zu ersehen, wer etwas befommen hat und wer nicht und mie bei der Festsetzung der Höhe der Entschädigungen verfahren ist.
Der Kommunist Stöder weiß auch in dieser Sitution nichts anderes zu tun, als dumme und freche Angriffe gegen die Sozialdemokratie zu richten, obwohl die Sozialdemokratie durch ihren Brief an den Reichskanzler und ihre Anträge im Haushaltausschuß die Aftion gegen den Finanzffandal des Rechtsblocks überhaupt erst begonnen hat. Er beantragt ein Mißtrauensvotum gegen die Regierung.
Ministerialrat Weinholz( Ministerium für befetzte Gebiete) erläutert das Sonderverfahren für die Ruhrschäden, das zur Erstattung der Ansprüche infolge Beschlagnahme und sonstiger Schäden not
Ein Berteidiger ersteht der Reichsregierung in dem Abg Dr. Moldenhauer( DBp.)
Fischer begründet sodann die Notwendigkeit der oollen Em fchädigung der Micum- Lieferungen. Die Ruhrindustrie habe diele aduen in Kraft getreten sei. Deshalb habe man ihr bereits im Laften nicht so lange tragen fönnen, bis das Sachverständigengutwendig fei. Frühjahr 1924 große Kredite, fpäter, nach dem Abschluß des Londoner Abkommens, erhebliche Abschlagszahlungen geleistet. Weitere Zahlungen feien bei Abschluß der Vereinbarung getátigt werden. Die Berhandlungen zwischen dem Retd) und den Betei ligten find Ende Dezember 1924 zum Abschluß gefommen. Sie rourden geführt mit den theinisch- westfälischen Bechen( durch die den Bechen des Aachener
Aus den vielen Fragen, die durch bas Schreiben des Bor standes der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion aufgeworsen werden, wollen wir für heute nur noch wenige herausgreifen. Auch diejenigen, die prinzipiell den Anspruch der Ruhrindustriellen auf Entschädigung tatsächlich erlittener Verlufte anerkennen, werden zugeben müssen, daß die einwandfreie Abschätzung des Schadens außerordentlich schwierig ist. Sie läßt sich nicht lösen, wie es die Reichsregierung gelan hat, nur durch Verhandlungen mit den Industriellen allein. Ein Betrug am Reich ist bei dieser Methode überhaupt nicht zu vermeiden. Nur wenn die Arbeiter und die Angestellten zu dieser Schägung mitarbeiten, menn die Deffentlichkeit ihre Methoden zu kontrollieren ver mag, wenn die Bewilligung abhängig ist von der Zustims Reviers und der Brauntohle, mit der Rheinschiffahrt, Chemie ufm. industrie habe ohne den vollen Ersatz ihrer Schäden ihre Eristenz lebervorteilung gegeben. Bon all dem ist aber nicht die Während des passiven Widerstandes find ferner Beschlagnahmungen zahlt werden müssen. Dagegen habe er allerdings nichts einzumen Rede gewesen. Man weiß nicht einmal, melche Breife den Entschädigungsansprüchen zugrunde gelegt sind und ob die wegen der Tragung der Micum- Lasten durch die Ruhrinduftr'e start erhöhten Breise für die frei verkauften Rohlen abgerechnet wurden.
Ebenso wichtig ist die Frage, ob die Entschädigungen, die die Ruhrindustrie während des Ruhrkampfes erhalten hat, angerechnet wurden. Damals hat das Reich Woche für Boche einen erheblichen Teil der Löhne gezahlt. Es hat ferner Riefenbeträge gegeben für die sogenannten unproduttiven aufwendungen. Bapiermarktrebite
auf Grund des Obtentionsschädengefeßes durch die Feststellungsbehörden zu treffen gewesen.
Angesichts des Bährungsverfalls muren im Herbst 1923 die Leistungen nicht mehr weiter zu führen. Sie wurden eingestellt und später auf Grund des Obligationsleistungsgesetzes und des Sonderverfahrens über die Ruhrschäden wieder in Gang gelegt Es handele sich nicht um Bevorzugungen potenter Firmen, so ver sichert hier treuherzig der Staatssekretär, sondern daran feien Ber. fonen des gewerblichen Wittelstandes in erheblichem Maße beteiligt, mie überhaupt die große Maffe der rheinisch westfälischen Bevölke rung betroffen gemejen jet. Der größte Teil der Ansprüche entfalle jedoch auf die Micum- Caffen, der fleinere Teil auf andere Schäben.
die Erhöhung der Erwerbslosenunterfügung wegen Diefer Abgeordnete, der in der legten Sigung des Reichstags Mangel an Mitteln zu verhindern suchte, vertritt hier bei der der Regierung fel vollkommen einwandfrei gewesen. Die RuhrEntschädigung der Ruhrindustriellen den Standpunkt, die Haltung
ben, daß die Regierung eine Dentschrift oorlege.
Abg. Dietrich- Baden( Dem.): Der Mißtrauensantrag der Stom munisten sei verfrüht. Die Haltung der Regierung aber, das miffe er aussprechen, mache einen fläglichen Einbrud. Wir sind unter feinen Umständen mit allgemeinen Redensarten zufrieden. Es ist unerhört, daß die Reglerung, ohne eine Rechtsgrundlage zu haben, die Entschädigungszahlungen an die Großen vorgenommen hat, währen die Kleinen und Mittleren nichts erhalten haben. Warum hat die Regierung nicht den Mut, genaue Jahlen zu nennen?
Nach diesem temperamentvollen Angriff ficht sich der Staats sekretär Fischer zur Antwort gezwungen. Er bestreitet, daß die Megierung nicht den Mut habe, die Zahlen zu nennen und macht dann