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Sonntag

1. Februar 1925

Unterhaltung und Wissen

Kopfwaschen.

Bon Friz Müller, Bartenkirchen.

Der Sunderer ist ein Haarschneider. Rein Einig'hodter von Dorgestern, sondern ein Alteingesessener. Möglich, daß seine Ahnen schon zur Ammergauer Bestzeit Haare schnitten und rafierten. Oder selbst rasiert wurden, wegrafiert von der Best, der grausamen, die auch das Passionsspiel schuf, das linde. Grausam oder lind, der Nady fahr Bunderer rafiert noch heute, wo es feine Best mehr gibt.

Gott sei Dant," sagt sein Gehilfe, der bestrebt ist, die rüdständige Ammergauer Rasiererei auf die Höhe der Zeit zu bringen. Dep tu deht, Herr Sunderer," sagt er, öp tu deht." " Scho wieder an neu's Haarwasser?" brummt der Sunderer, also b'stell'n Sie's halt in Gottes Namen, wenn Sie meinen, daß die Fremden drauf verseffen sind."

" Die Fremden heute sind auf alles aus, was op tu deht ist, mein lieber Herr Zunderer," belehrt ihn sein Gehilfe und läßt befriedigt seine Blicke über die gefüllten Wandregale gehen, wenn ich Ihre Klitsche nicht gedeichselt hätte, wie stünden Sie da, menn jezt alle Augenblicke einer fommt und eine Crememandelmilchseife ver langt

A Schmarrn is's, brummte Zunderer, Crememandelmilch rahmseife oder Kernseif, dredet werd'n die Hände doch wieder nach einer wie der andern."

oder wenn nach der neueften tombinierten Ragelfelle Er tenne dich selbst" gefragt wird­Ja, wenn sie sich nur selbst ertennen taten, die Hansmurichten, die ein halbeten Tag lang an ihre Krall'n umeinanderfiefeln!"

oder wenn ich Ihnen nicht rechtzeitig die nötigen Requifiten für modernes Kopfwaschen bestellt hätte dernier cri sham. pooing à la Budapest­

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Best, jawoll!- Best wohin daß d' schaugst!- Nur daß's früher schwarz war und daß's a jeder tennt hat an die Beul'n und Blattern, derweil daß's heut blond und g'schneckelt umgeht und ma glaubt, es is was anders, weil f' ein' andern G'stant hat

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Odör, Herr Zunderer, Odör und ich begreife überhaupt nicht Ihren Zorn, wo Sie doch so schön dabei verdienen denken Sie

nur an den großartigen Bay Rum, den ich Ihnen noch knapp vor der toloffalen Hauffe in Bay Rum

Hihihi, Bay Rum," ficherte es durch die offene Ladentüre. Die Ammergauer Jugend stand vor dem Ladenfenfter, darin die Ban

Abgeblitzt.

1

NICHT STURZEN

VORSICHT

Levry Wilk

Bellage des Vorwärts

Ammergauer Jugend stand vor dem Ladenfenfter, darin bie Bay Liebes Zentrum, ich rechne stark auf deine Beihilfe bei meinem Siegeszug durch Preußen."

Tatt mit ihren ungezogenen Füßen und sangen:

Bim bam Bay Rum,

Den hau'n mir dir ums Mau rum,

Dann wachsen dir die Haare

In einem Jah- te...

Bande!" fagte der Gehilfe.

2 luftig's Gstanzl," schmunzelte Zunderer, der am liebsten selber mitgesungen hätte.

Ein dider Mann fchob sich herein. Schmeres Cold auf feiftem Bauche und im Naden Wüste, die gesättigt aminferten: Mir hamm's mir hamm's, mei Lieber.

Der brave Bunderer dachte: Alt sind die Millionen nicht Sein Gehilfe dachte: Alt werden die Millionen nicht er hat bas feinige getan, tun wir das unfere.... Euer Gnaden wünschen?" Meine Frau meine Frau- Seine Weißwurstfinger machten stäubende Bewegungen.

Aha, poudre de riz, diese Schachtel hier ift erfte Qualität Roftet?"

" Jene dort ift prima, prima, primiffima

Roſtet?"

Das wunderbarfte freilich, Marte Sara Bernhard­Roftet?"

Des Gehilfen Stimme fant ins Flüstern: Euer Gnaden wollen nicht vergessen, daß das französische Produkt­

Wickeln Se's ein."

in der Einfuhr eigentlich verboten ist- Wideln Se's ein, sag ich."

Gewiß, gewiß, ich dachte nur

Ihnen etwas doch zu hoch-?"

-

ber Preis

? Seh ich so aus, zum Donerwetter?" " Entschuldigung- Berzeihung

-

egorbitant

mille pardons,.

Der Dide wälzte sich in den Hintergrund zu einem Spiegel. Sunderer faßte des Gehilfen Arm: Wir hamm ja gar fein' fran­zösischen

B

Das Drama der Steine.

Bont R. Francé.

"

Seit der Geschichte vom Kanitverstan" hat Amsterdam für uns den Nimbus des Märchenhaften und Erotischen . Man hört Balmen raufchen, der phantastische Elefantenzug diamantenbehängter Fürsten aus Insulinde zieht vor dem Auge vorüber, wenn der Name Amster dam erflingt. Und wenn man zum erstenmal dieses nordische Benedig betritt, so ist es eine der wenigen europäischen Großstäbte, die ihrem Besucher nicht enttäuscht. Denn bodenbeständig, eigen artig, echt und alt ist hier alles. Schon het" hat troh der mo­dernen Indienfahrer noch einen Hauch der alten Seeherrlichkeit, und vertaut. Freilich ist fie in ein friedliches Hafen- ,, Kantoor" umge wandelt, aber sie paßt doch stilecht zu den alten Giebelhäusern und barocken Türmen, vor allem zu dem Schyrejerstooren am Hafen felbft, dem Turm der Tränen und Schmerzensschreie, so benannt nach der Klage der Seemannsfrauen, wenn die Schiffe von hier hinauszogen und langsam hinter dem endlosen Wasser verschwanden, um vielleicht nie wiederzufehren.

Und schlägt man fich ins Wirrnis der alten Gäßchen, bie hinter dem Schreiersturm schatten wie ein Jahrhunderte alter Wald, tritt man mit jedem Schritt ein Jahr zurück in die Bergangenheit. Das Europa des 20. Jahrhunderts versinkt und echter noch als in Rothen­ burg oder Hildesheim oder sonst einer der altdeutschen Städie, wo in ber Urväter altem Hausrat moderne Menschen wohnen, ist hier auch das Bolt dieser Gaffen aften Gefchichtsbüchern entsprungen. Mir stehen da just vor dem Hause, wo Rembrandt gehauft hat. Schon die Namen des Biertels flingen wie leibhaftiges Mittelalter: Dudezijdsvorburgwal und Dudezijdsachterburgwal. Dem modernen Menschen find folde Bortschlangen nicht geläufig. Er hat feine Zeit mehr für sie. Aber die Menschen, die hier aus- und eingehen, die ganze schmale, schmutzige Gasse mit ihrem Gewimmel erfüllen, unter den Toren handeln, ihre Waren ausrufen oder mur den Kopf aus all ben lichtlosen Höhlen heraussteden, in deren Düfter fie ar­beiten, die sind nicht modern. In allerlei alte Kaftans und ver­blichene Trachten, in Röde von längst gestorbenem Schmitt gefleidet, gehen Sie ihres Tages Notdurft nach, mit vielen Worten, in allerlei unverständlichen Berufen. Mit geheimnisvollem Winten rufen sich bort drei Männer zufammen in einem Torbogen, fie stecken die Köpfe zueinander und betrachten gierigen Auges ein Ding- wir fehen hin und wirklich: es ist ein bligender, strahlender Diamant, den ber Mann im verschlissenen Röckchen dort achtlos aus der Tasche holte e

Bedaure sehr

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da haben Sie die Rechnung ohne den Wirth gemacht!"

Berlaffen Sie fich drauf," flüsterte er zurüt, für ben ba haben mir einen einen franzöfifchen- Breis wenigstens. Bas sonst gefällig, Euer Gnaden?

wahr?"

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Stopf waschen!" Sehr wohl bitte Platz zu nehmen latest fashion, nicht Natürlich, was benn fonft Er schmiß sich in den Armstuhl. Er betam etme brette rote Gummitrempe um das Haupt geftülpt. Er wurde eingewässert. Er wurde eingeseift.

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Nicht wahr, Schaum à la à la­Selbstverständlich, was denn sonst!"

Er wurde abgerieben. Er wurde abgetrohet mit Chinesisches Geidenpapier, nicht wahr?" Japanesisch zöge ich vor.

" Sehr wohl, Euer Gnaden," fagte der Gehilfe und fehrte bas Seidenpapier um.

Er wurde eingeföhnt. Der Dicke schiette nach dem Nidelapparat, tat fachverständig: Neueste Konstruktion doch?"

Allerneuesteöp tu dehtzehn Ampère, hundert Bolt und taufend Kilowatt

Weiß schon- weiß schon," minfte der Dide gnädig ab. Er wurde vorgefämmt. Er wurde eingewalzt, Er wurde nach­gefäimmt. Eine Bause trat ein, eine fleine Berlegenheitspause: Was jett?

Bunderer machte sich an der Staffe zu schaffen. So," sagte er abschließend, fo einmal Kopfwaschen macht-"

-

Der Gehilfe blinzelte energisch. Er ftrumelte das Schieberhaupt ein wenig nach:" Sie erlauben, daß ich zwischenhinein diftiere- Bitte schreiben Sie, Herr Sunderer­

"

Was brauchts da schreib'

Denn wir sind ja im Viertel ber Diamantenhändler und der Schleifer der foftbaren Steine, und in allen diefen Gassen ringsum, im ganzen alten Ghetto von Amsterdam ift das Zentrum des euro­ päischen Diamantenhandels, hier hausen die Schüler und Nach tommen jenes Ludwig von Berquem, der zuerst( es war anno 1456) das augenbetäubende Gefundel eines gefchliffenen Diamanten gesehen hat. Das Bauberwort dieser Welt heißt Karat. Rarat tönt aus allen Gesprächen diefer Gassen. Bon Karaten wird in den Hunderten von Schleifmühlen gesprochen, von denen sich manche modernisiert haben und an tausend Arbeiter beschäftigen; um Starat, um dieses winzige Gewicht von 0,205 Gramm, um diefes drollige Wort aus der afrikanischen Negersprache, das eine Bohne bebeuten soll, die man zum Wiegen bes Goldes in Afrika benugte, dreht sich das Beben, alle die Freuden und Sorgen, der ganze Hori -arbeitern, unter denen es Diamantentönige gibt und arme Galopins, reiche Leute, die in ihre Roffiehäufer" mehrere hundert Steine in der Tasche mitführen, und armselige Schnorrer, die froh find, wenn sie mit ein wenig Diamantenstaub, den man zum Bolieren der Steine benutzt, handeln können, die aber alle, joweit man wenigstens aus ihrem Tun auf der Gasse schließen farm, so erfüllt und begeistert von dem Edelstein sind, daß sie sicher auch noch im Traum von Karaten murmeln.

Im Amsterdamer Diamantenviertel gehen seit Jahrhunderten Romanphantafien, aber auch viele Anekdoten und große Begeben. heiten der Weltgefchichte aus und ein. Hierher brachte man den Orloff", der einst als Auge des Gößen Brahma in einem indischen Tempel funfelte und dann in der Spiße des russischen Reichsszepters glänzte. Der Roman dieses Steines ist phantastischer als die Ge schichten von Sue und Balzac . Schmuß, Glanz, Blut und Schlaus heit haben ihren Reigen um ihn geflochten. Seinetwegen hat man fich am Gott vergriffen und den Tempel zerstört, dann fam er nach Berfien und blendete die Augen jener, die vor dem Thronfeffel des Schahs Nadra, in den er mit dem Rooh- i- noor" eingefeht war, in die Knie fielen. Aber feinetwegen hat man auch den Schah umge bracht und bei dem Mord den Stein geraubt. Dann tauchte er unter im Namenlojen, ging wahrscheinlich von Hand zu Hand, bis er auf einmal in europäische Hände fommt, und in diesem Augenblick beginnt die Karriere der Seefonne", wie der Diamant in Berfien genannt worden fein soll. Ein französischer Soldat verkauft ihn um 50 000 Frant einem Schiffstapitän, der ihn sofort für 300 000 Frank weitergibt. Dann kommt er auf den Markt von Amsterdam ; hier bekommt er feinen legten Schliff und durch den Grafen Orloff seinen Namen. Die Kaijerin Katharina II. verbringt schlaflose Nächte, ge­peinigt von dem Wunsch, diesen Stein zu besitzen. Und sie häuft Reichtümer, Titel und Ehrenbezeugungen auf den Juwelier, von bem Sie ihn endlich bekommt. Da sie nicht mehr als 450 000 Silberrubel

Schreiben Sie! Boudre de riz à la Sara Bernhard : breiund­zwanzig-" Die Augenbrauen unter ber Gummitrempe riß er doch ein wenig hoch: Dreiundzwanzig-?" Dreiundzwanzig Mart und fünfundfiebzig, Euer Gnaden wir falfulieren sehr genau Ropfwaschen, Sherr Bunderer, haben Sie? Kopfwaschen, Doppelpunti-Einwässern mit mit aqua destiilata eine Mart, haben Sie, Herr Bunderer? Einseifen mit Crememandelmilchrahmseife zwei Mart fünfzig brei Mart Ab trocknen mit chinesisch­

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Japanisch," verbesserte es behaglich mit der fetten Stimme unterm Gumiring die dicken Wülfte hatten sich mit einer dicken Rechnung abgefunden. Richtig, ja, japanisch- ja, japanisch vier Mart fünfundzwanzig haben Sie, Herr Bunderer? bann Einwalzen nein, erst Föhnen.. Die Rechnung wurde lang und länger. Einem anderen hätten fich die Haare gratis aufgerichtet. Aber der Dide hatte sich vor­genommen, fie mit biaftertem Schiebergleichmut zu quittiere... Ist das alles?" quäfte er.

Der Gehilfe zögerte. Die Gummitrempe ftreifte er ihn ab. Bir fönnten noch ein wenig sengen?" fagte er. Sengen Se."

Er stellte den Böhn auf glühend und sengte ein paar Flaum haare an den Schläfen ab.

Der Dicke hatte sich in den Kopf gefeht, den Gehilfen zu ver blüffen. Wenn ein Schieber den Geschobenen verblüffen will, braucht er nur unentwegt zu wiederholen: Ist das alles Wir fönnten noch fönnten noch pointillieren?" Bondillieren Se.

Aber es ist eigentlich- fozusagen

faft pervers!-"

Bargeld befißt, verleiht sie dem Juwelier als Draufgeld den Abel und 4000 Rubel jährliche Leibrente.

Noch feltsamer ist die Geschichte des Pitt, der heute im franzöfifchen Staatsschahe liegt. Zwei Jahre lang hat man ihn in Amsterdam geschliffen, und er hat dadurch zwei Drittel feiner Größe verloren. Sein erftes Etui war nicht der Samt und die Seide, die ihn jeht umhüllen, sondern die eiternde Bunde eines indischen Slaven, in die ihn ber Inredliche, der ihn in den Diamantgruben zu Golkonda fand, verborgen hatte. Db er feinem ersten Befiger Glück gebracht hat, wissen wir nicht. Dagegen gab schon in dem­felben Jahr 1702, da man ihn fand, der englische Gouverneur von Madras, der ihm auch den Namen gab, eine Summe dafür, die man auf 290 000 m. fchäßen kann, freilich nur, um ihn fofort für zwei­einhalb Millionen Frant an den französischen Hof zu verkaufen. Ein grunde richtete, ist auf dieses Konto der Gier nach Diamanten zu schreiben. Bon nun an führt der Stein den Namen Regent", und er scheint auch der heimliche Regent vieler französischer Herzen ge blieben zu fein, denn gleich eine der ersten Taten der Französischen Revolution war es, den Regenten zu stehlen. Es ist nie zutage ge­lommen, wer dies getan hat. Wir wissen nur, daß der Stein für die Diebe keinen Gegen brachte, denn sie denunzierten sich gegen­feitig in anonymen Briefen, und 1792 begann eine wahre Schatz­gräberei in der Pariser Allee des Neuves", wo man den Millionen stein auch fand. Für die revolutionäre Regierung bedeutete er eine willkommene Bereicherung der Kriegskaffe, und es gehört zu den Bihen der Weltgeschichte, daß der deutsche Kaufmann Trestow in Berlin der Geldgeber war, der der französischen Regierung für den verpfändeten Regenten das Geld vorschoß, womit diese dann Krieg gegen Deutschland führen konnte. Man hat den Stein bei ihm nie ausgelöst, und so fonnte er ihn an Napoleon verlaufen, der keinen Degentnopf damit zierte. Und wieder weiß die Mineralogie durch eine Anekdote die Weltgeschichte und die Geschichte der idealen Re­gungen des Menschenherzens eigentümlich zu illuftrieren. Der Ruf des wunderbaren Degentnopfes war in der deutschen Armee weit bekannt, und in der aufopfernden Jagd nach dem Degen Napoleons in der Schlacht bei Waterloo mirtten offenbar auch noch ganz andere Triebfedern mit als bloßer Ehrgeiz. Aber der Degen, den man Blücher brachte, enthielt nicht das Kleinod. Napoleon , dem inzwischen das Geld ausgegangen war, hatte es nämlich längst neuerdings ver pfändet Troßdem lehrte es in den franzöfifchen Staatsschatz zurüc und wurde schon im Jahre 1848 auf acht Millionen Frant geschätzt. So fönnte man ein Buch füllen mit der Geschichte der Diamanten und Gesteine, und alle Dramen, alle fomifchen Berwidlungen, alle schlechten, zum Glüd auch alle edlen Regungen des Menschenherzens, bie man nur ersinnen und erleben fann, wären in diesem Buch vertreten.