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Nr. 60 42. Fahrgang
1* Heilage öes vorwärts
donnerstag, 5. Jebruar 1025
Gibt es jetzt im Tiergarten soviel zu arbeiten?' könnte nan fragen. 3m Tiergarten oerrichten immer, zu jeder Zahreszelt, Menschen ihre Margenarbeit. Nur mit dem Unterschied, datz die einen.Morgenarbeit' auch de» ganze» Tag über fortsetzen müssen, wahrend die anderen nach ihrer Morgenarbeit in den Sesseln der bereitstehenden Luxueauros in ihre Wohnungspaläste eilen, wo zwar nicht erneute Arbeit wartet, wohl ober die Vorbereitungen zu anstrengenden Frühstücks, Diners, Nachinillagsempfängen und Abendveranstaltungen. Der Früh- ritt Im Tiergarten ist für die einen die Massage des gepflegten Körpers: ihre Morgenarbeit ist notwendiges Requisit des feudalen Lebenswandels. Die anderen Helsen   durch ihre Morgenarbeit die Vorbedingungen dafür schassen. vor Sem TattersaU. Im Sommer früh schon, jetzt im Winter wesentlich später, be- ginnt die 2lrbeit der Pferdepsleger und der Stallbursche» im Tatter- fall am Bahnhof Zoo  . Das Pferdematerial muh frisch, blank und sauber sein, wenn die Kundschaft zum Morgenrilt erscheint. Die Morgenarbeit der Stalleute ist bereits gemacht, wenn die der Herren und Damen beginnt. Und dann erscheinen sie, denen die Morgen- arbeit nicht Notwendigkeit des Lebens, sondern der Stellung im Leben ist: Zuerst der üerr General a. D. In etwas gekünstelter Haltung, im schwarzen Rock und dito Hut. Die wildlederne Reithose loht noch ebenso w'e die hohen Stiefel die Zugehörigkeit zur fr i Heren   Militärausrüstung erkennen. Er hält sich noch sein eigenes Pferd, das ihm auch sejn Bursche, der gleichzeitig auch Kutscher   hei ihm ish selbst versorgen muh. Im Tuttersall ist es nur eingemietet. 'Militärisch   salutiert der Bursche, militärisch besteigt der General sein Roh und stolz, als hätte er noch etwas hinter sich, reitet er seinem Burschen voran zwllchen Zoo und Bahnhofsgebäude hindurch in den Tiergarten. Nickst so exakt, aber mit nicht geringerer Grandezza wiederholt sich der Vorgana beim Herrn Rentier, der e, besser als fein Kollege von der S-chierfakultät verstanden hat. seine Papier  « vor der Inflation in Sachwerte zu retten. Das Interesse an der Pferdehaltung, das seinem Genosien vom Militär das Reiten noch interessanter macht, fehlt bei ihm. Er ist auf seinen Gaul abonniert, at sich mit ihm eingearbeitet und so ist er wie auch sonst im eben gesichert. Der Herr Generaldirektor, dem der gefällige Arz« .viel Bewegung' empfohlen hat. nimmt die Chose nicht so genan. Die Reiterei ist immer noch das einfachste. Im Prinzip hat man S ja als Einjähriger bei den Dragonern gelernt, man hat weiter keine großen Vorbereitungen nötig, denn schliehllch wird das Pferd ja vom Tattersall aus bedient und eine andere Hose kann man sich
auch in den Direktorenappartements des Werksverwaltungsgebäudes I anziehen. Hopp, hopp, wie ein Ritt ins Dioisionsmanöver geht's los, dreimal herum auf dem Hippodrom, ein kleines Hindernis gröhere werden bei der Aussichtsratsitzung genommen und dann kehrt marsch, in den Stall zurück. Ziemlich als letzte kommen Rafskes. Dickfleischig, unbeholfen klettern sie aus ihrem Auto. Frau Raffte sieht aus wie eine gulgenährte Zlllegestalt: der Oberkörper ist einem p- allvollen Zementsack nicht unähnlich, für den unteren Teil fehlt ein parlamentarisch zulässiger Vergleich. Es ist ein hartes Stück Arbeit für den Stallburschen, die beiden in den Sattel
zu bringen. Der Gaul ist leidlich stabil und wenn die Gnädige end- lich oben ist, bilden beide mit ihren Hinterteilen Doppelkugeln von recht ansehnlichem Durchmesser. Sie reitet wegen der Hannonie der Temperamente nur sogenannte lammfromme Tiere. Dem teuren
Gatten ist der ganze Rummel unbehaglich. Wenn'» in den Kreisen, in denen man jetzt verkehrt, nicht Bedingung wäre, weitz Gott, er ließe Pserd Pferd sein. Und dann derSpleen der Ollen'. Wenn der General bereits zurückkommt, jlitzt ein hundertpferdiger Meredes vor den Tattersall: Die Jilmdioa mit ihremFreund". Schwarzweiß karierte Breeches, knappester englischer Rock, flacher, großkrempiger Steifhut: die Stiefel unbeschreiblich schick. Eine silberbeknopste Reit- gerte vervollständigt die Ausrüstung. Er oertritt die männliche Rich- tung dieser Eleganz. Die teuersten Pferde des Stalles find reserviert, ein eleganter Schwung des trainierten Körpers, das Vollblut ist kaum zu halten. Während sie im Hippodrom die Pferde in allen Gangarten lausen lassen und während sie dabei über ihre letzte Be- gegnung mit dem berühmten Boxer nachdenkt, langweilt sich der Chaufseur auf seinem Wagen und ärgert sich darüber, daß er nur den Tariflohn beim Stellenantritt verlangt hat. Schließlich kommen Se olle zurück von derMorgenarbeit". Die Stalleute setzen ihre rbeit nach der Ruhepause fort und General und Direktor, Rentier und Raffkes haben die Hauptarbeit des Tages hinter sich. Nur der Filmstern muh sich noch ein bißchen trotz der Riesengage im Flimmerhause ausbeuten lassen. Morgenarbeit Oer anderen. Während aus der Reitbahn am Wasserturm Pserd und Reiter sich tummein, rattern aus der Stadtbahn pie Züge in das Stadt- innere. Vollgestopft mit all den kleinen kopsarbeilern. die später als die Fabrikarbeiter ihr Tagewerk beginnen. Sie kommen.entwederc aus den Wohnvierteln des Westens oder den weiteren Vororten, Span- bau, Nowawes  , ja aus Potsdam  . Mißmutig in ihre Ecke geklemmt, sehen sie ohne Neid, aber mit geheimem Groll auf die da unten im losen Sanh. Für diese Buchhalter, Kontoristen, Stenotypistinnen und verkäuserinnen ist die Morgenarbeit im überfüllten Ablest wirk- lich kein Training zur Erlangung der Körperelastizität. Wer hier nicht schon«lastisch bis zur Akrobatik ist, kommt bei der Morgen- arbeit unter die Räder bildlich und leider manchmal auch wört- lich. Die Züge aus der anderen Richtung speien aus Bahnhos Tier- garten oder Zoo ihre Menschenlast aus: dieselben Gehaltsempfänger in Talmieleganz, so wie es das Publikum der Gegend im Geschäfts- lokal haben will. Sie sehen den Luxus, für den der Tattersall die Gelegenheit bietet, sehen, wie vielleicht gerade der eigene Chef oder Direktor hoch zu Roh seineArbeit" beginnt. Und dann warten sie im Bureau oder hinterm Ladentisch  , bis der Herr Vorgesetzte er- scheint und findet, daß die Arbeit absolut nicht vorwärts geht.
Der Apfel der Elifabekh Hoff. 13f von Wilhelm hegeler. Schön ist das, durch dunkle Straßen zu gehen, dem Lichterglanz entgegen,' sagte Elisabeth glücklich.Wie lange ist das her. daß wir beide abends zusammen aus warenl In diesem Jahr ist's, glaub' ich. das erstemal." Wer weiß, ob nicht auch das letzte! dachte er und ärgerte sich zugleich über seinen Gedankenzwang. Du gehst doch auch wirklich gern mit?" Ja. Wirklich." Bereust es nicht, daß ich dich von der Arbeit weggelockt habe?" Nein! Nein!" erwiderte er und drückte ihre Hand.Ich werde es schon wieder einholen." Du lieber Mann!" Sin gingen weiter. Unter einer Laterne drängte ein kleines Mädchen sich an Hoff und bat, ihr einen Strauß abzu- kaufen. Cr legte rasch einen Schein in ihr Körbchen. Aber lchon zum Weitergehen drängend, betrachtete er einen Augen- blick ihr hohlwangiges Gesicht. Ich betrüge dlch mit meinem Almosen, dachte er. Wenn ich dir wirklich helfen wollte, müßte ich dir Sonne, Landluft, eine Kost geben, wie du sie nie genossen, du arme Todeskandidatin! Wie glücklich bin ich doch gegen hunderttausend, durchfuhr es ihn. Ich habe wenigstens mein Leben gelebt, wenn's auch kurz ist... Aber vielleicht denkt sie nicht an den Tod. Das wenigstens hat sie vor mir voraus. Im Theatervestibül, das eine kleiner, überheißer, überheller Raum war, mit bunten Teppichen auf dem Boden, mit bunten Malereien und Spiegeln an den Wänden, saß in einem Klub- sessel schon Ryseck, düster, fingertrommelnd, unruhzerfurcht. Aber sein hundertfältiges Gesicht erhellte sich, sobald er die beiden erblickte. Hoff wollte Karten nehmen, doch Ryseck hatte bereits einen Tisch bestellt. Ein Strauß spitzer Rosenknospen lag auf Elisabeths Platz. «Sind wir zu spät gekommen?" Gerade rechtzeitig. Was haben Sie solange gemacht, Frau Hoff?" Eine Menge. Als Hausfrau hat man immer zu tun. Und Sie?" Ich was habe ich gemacht? In meinem Hotelzimmer gesessen, bis ich meine Gesellschaft nicht länger aushielt. Dann
bin ich auf die Straße gelaufen und habe... einen Droschken- kutscher beneidet." Einen Droschkenkutscher?" Er saß auf seinem Bock, mit einer Ruhe, einer Würde wirklich ein Herrscher über sein Reich. Wir anderen haben in unersättlicher Gier so viel an uns gerissen, daß wir nur noch die Sklaven unseres Machtbereichs sind." Daß ein Droschkenkutscher Ihnen soviel Ehrfurcht ein- flößen k/nnte, hätte ich nie geglaubt," lachte Elisabeth.Heute morgen haben Sie noch aus unsere Autos wegen ihrer Lang- samkeit so geschimpft" Ach, heute morgen! Was hat mein Dormittagsmensch mit meinem Nachmittagsmensch zu tun?" Also hat man immer mit zwei Menschen bei Ihnen zu rechnen?" Mit einem Dutzend? Was denken Sie, Herr Hoff? Auf wieviele schätzen Sie sich ein?" Ich begnüge mich mit einem. Was möchtest du trinken. Elisabeth?" Trinken Sie Champagner, Frau Hoff!" .-Ja," erwiderte sie vergnügt,bestellen wir Sekt." Das Theater war klein und niedrig. Die Decke ver- dämmerte in ruhigem Nachthimmelblau. Ein Halbkreis wenig erhöhter Logen umgab die Saalmitte. Lampen auf kurzen Ständern, mit bräunlich gpldenen Schirmen tönten das Weiß der Tischdecken und Bügelhemden, verlöschten mild die Ge- wöhnlichkeit der Gesichter und gaben nur den nackten Frauen- schultern und-armen atmendes Leben. Bon irgendwoher kam auf weichen Sohlen Musik. Ryseck fützte die Gläser. Elisabeths Auge glitt zur Nachbarloge. Dort saß auch eine Dame zwischen zwei Herren. Der eine erzählte, die Mitwirkenden seien lauter russische Aristokraten, die vor der Revolution, geflüchtet. Offiziere der Petersburger Garde, Fürstinnen, Baronessen, die hier mit Singen und Tanzen ihren Unterhalt verdienten... Elisabeth blickte in den Saal. Ihr fiel auf, wie an all diesen kleinen Tischen die Dreizahl vor- herrschte: eine Dame zwischen zwei Herren. Welchem rcn beiden mochte sie gehören? Dielleicht allen beiden? Und ich? ... durchfuhr es sie. Wenn Roland wüßte... Ihr Blick streifte Rysecks Gesicht. Aber ihre Gedanken wichen vor den aufdrängenden Erinnerungen zurück. Es ist ja nichts geschehen! Und was geschehen ist. daran trage ich keine Schuld, beschwich- tigte eine Stimme sie.
Der Vorhang rauschte auseinander. Auf der Bühne stan'O eine gläserne Kutsche. In ihrem Innern saß, allein, einil!k Schöne. Ein Mohr machte den Kutscher  . Hinten auf den»; Lakaiensitz schlief Amor. Die junge Schöne langweilte sich,> sie sang sehr kläglich in die Nacht hinaus. Auf ihre immer' verzweifelteren Hilferufe kletterte der Mohr von seinem Boct j und öffnete den Schlag. Gar nicht schnell genug konnten die:; Füßchen unterm Reifrock hinaustrippeln. Nach einem kurzem t Liebesduett verschwanden die beiden in der Kutsche. Zlmoy.' ergriff die Zügel.- i Ryseck füllte wieder die Gläser. i z Wie blaue Sonnen strahlten Elisabeths Augen. Da*! glückliche Verlorensein im Schauen und das leise erregte Wohl-- empfinden an ihrem Selbst gaben ihren Zügen Glanz und: Bewegtheit eines jungen Mädchens. Zwischen ihren lächeln-- den Lippen schimmerte ein wenig weißes Email. Vom Licht: liebkost, blühten Hals und Schultern, und selbst das Stückchen Hemd, das hervorblickte, nahm Teil an diesem Leben voll. Unschuld und Verführung. Die Erinnerungen, die sie eben'. noch gestört, hatten sich empfohlen wie höfliche Gäste, die hören, daß die gnädige Frau nicht empfängt. Ohne einen von- ihnen geradezu anzusehen, liebkoste sie doch die beiden mit.' ihrem Blick, dankte ihrem Mann, daß er sie begleitet, und, dem Freund, daß er die Veranlassung dazu gegeben. Und von dieser sanften Lockung unwissentlich verführt, empfanden:' beide Männer, über die Mittlerin hinweg, Wohlgefallen an-- einander, wünschten die trennenden Schranken zu heben und) einander zu gefallen.! Seit wann sind Sie in Deutschland  ?" fragte Hofs. i! Gestern angekommen. Aber der Anfangstag zählt nicht.. In der Heimat fühle ich mich erst seit heute. Denn was ist: die Heimat ohne Freunde? Ich bin fo glücklich, daß ich diesen- Abend nicht allein verbringen muß." Ryseck erhob sein Glas;: Auf die Heimat!"> j Bravo!" sagte Hoff.Also fühlen Sie sich doch als z Deutscher." n Ich? Aber selbstverständlich!" Heute morgen behaupteten Sie noch, Amerikaner zrr i sein," sagte Elisabeth. Heute morgen der Vormittagsmensch!" Kann diese doppelte Buchführung nicht manchmal Irrtümern führen?" scherzte Hoff. Ich werde mich jedenfalls an den Nachmittagsmenh halten," sagte Elisabeth. (Fortsetzung folgt)
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