Cr.«4 ♦ 42. Jahrgang
1. Seilage ües vorwärts
TonnzbenS, 7. Februar 142S
wie märkisthe Klemsiäöte aussehen:
Wer reist nach Mittenwalde » rief Altmeister Fontane aus, als er in seinen WanÄermigen dem dort etliche Jahre als Probst am- tterenden Dichter Paul Gerhardt ehrende Worte widmete. Wer reist nach Dobrilugk , kann man mit gleichem Recht fragen, und wenn auch tunstoerftändige und kunstwissende Leute den Weg dorthin finden: der großen Menge ist der Ort unbekannt. Man weiß, der Name gehört zur Schnellzugs- und Kreuzungsstatton Dobrilugk- Kirchhain(Berlin — Dresdener Bahn), aber während man bei der Fahrt rechts das schornsteinreiche Kirchhain in Augenschein nehmen kann, bekommt man Dobrilugk nicht zu sehen; es liegt etwa eine Biertelstunde abseits, links von der Bahn. Valcher von üer vogelweiüe Jw Jahre 1165 von den Zisterziensern gegründet, war das Kloster Dobrilugk(wendisch— gute Wiese) durch rege wirtschaftliche Tätigkeit, ober auch durch un- bedenkliche Ausnutzung ihrer Post- tion— die guten Mönche scheuten selbst vor Fälschungen nicht zurück •— schon im 13. Jahrhundert zu einer Macht geworden, dadurch ober auch in politische chändel verwickelt. Im Austrage des Schun Herrn des Klosters, Markgrafen Dietrich von Meißen, war Wallhcr von der Bogelweide, der ja nicht nur Minnesänger, sonder« auch politischer Dichter und Agenl ge wesen ist, mit einer Botschaft 1212 beim Abt von Dobrilugk . Nach Meißen zurückgekehrt, dichtet er, allerdings an einem.kalten Winter« tage': Cich bm verlegen wie Esau , Mein glattes Haar ist mir morde» rauh. Süßer Sommer, wo bist du? Wie gern sah ich dem Pflüger zu! Eh' daß ich lange in solcher Truh Beklemmet wäre, als ich bin nu: Gher würd' ich Mönch zu Toburlu(Dobrilugk )!'
Dobrilugk . gleicher Zeit errichtet fein; von ihm ist nur noch ein mit der Kirch« parallel lausender Teil vorhanden, der dys Resaktorium zewesm ist, nach einem Brande von 1852 wirtschaftlichen Zwecken dienstbar ae- macht wurde, während die Trümmer aus der Ost- und Westseite entfernt wurden. Die Machtstellung des Klosters sprach sich in dein großen Landbesitz aus: 1373 waren ihm 40 Dörfer, 1431 48 Oit- schallen gehörig; schon 1235 hotte es im nahen Kirchhain einen Markt errichtet. Dann kam die Reformation: 1540 wurde es fekularisiert, aber schon 1547 mußte Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen aus
gern mü 80000 Talern und sechs Freunden ein philcso Leben führen.— Und der König verstand sich aus die Würdigung künstlerischer Schönheit und kultureller Reize. Bon Kloster und Schloß ist die Rede gewesen, von der Stadt nicht; sie ist eine Schöpfung des 17. Jahrhunderts. Kloster unü Schloß. Was zuerst da war. sticht der von der Bahn Kommend« zuletzt: in der Station Dobrilugk-Kirchhain sich links haltend irnJ) den 25c hn« dämm überschreitend, erreicht er auf einer mit etlichen modernen chäusern garnierten Straße den Ort, mündet in eine breite,«in
Schloß- und Klosterbeztrk: der Wanderer schwenkt rechts ein und hat die Längsseite der Klosterkirche vor sich. Ein romanischer Ziegelbau. nif kleinem Dachreiker. 1185 begonnen, dürste die Kirche 1228 fertiggestellt gewesen sein: lchon aus dem Jahre 1209 wird die Bei- jetzung der Markgräfm Elisabeth berichtet. Das Kloster wird in
Hauptstraße la OobrUagk. Dobrilugk verzichten, das an den Bruder Kaiser Karls V., Ferdinand von Böhmen, gelangt, der es an v. Gersdorf oerpfündet, 1602 einlöst, 1603 für 230000 Taler(eine schöne Summ« danials!) an von Promnitz verkaust, von dem es 1624(stark heruntergewirtschaftet) der sächsische Kurfürst Johann Georg I. für 300 800 Gulden erwirbt. Der Dreißigjährige Krieg bringt die übliche Zerrüttung und Zerstörung. Die Kirch« wird 1637 und 1643 arg mitgenommen; erst 1644 wird der Kurfürst wieder mehr Herr über das Gebiet. Di« Schäden können gehellt werden. 1676 wird die wiederhergestellte Kirchs eingeweiht; nach zwei Jahrhunderten: 1859 erfolgte eins neue Renovierung im schönsten Banausencharakter(alles weih über- strichen): 1906 brachte die letzte Erneuerung im alten Geist, die den Bau wieder zu einem prächtigen Muster romaniicher Kunst gestallet hat. Die weiteren Schicksale von Dobrilugk , jetzt Kirche, Schloß und Stadt umfassend: sind: Nach dem Tode Johann Georgs erbt es sein Sohn Thristian, der Begründer der Linie Magdeburg ; stc stirbt 1738 aas, Dobrilugk wird vom Kurfürsten August eingezogen, bleibt sächsisch bis 1815, kommt dann an Preußen, wird Teil des branden- burgifchen Kreises Luckau . In gerpisser Hinsicht bieten Dobrilugk und die Kreisstadt Lucka» die gleichen Schicksale dem historischen Be- obachter: auch Luckau gebot in seiner Glanzzeit über etliche Dutzend Dörfer und sank dann ollmählich auf die Stille der Kleinstadt zurück. Der Ucherschied ist, daß in Dobrilugk die Stadt, die erst 1664 an- gelegt wurde— also die Bürgerschos!—, nie eine Rolle gespielt hat: es war erst eme Schöpfung der Kirche, dann, nach der Reformation. eine Schöpfung der Fürsten , die den wildreichen Forst. noch heule 4000 Hektar umfassend, zu schätzen wußten.— Daher ist es kein Wunder, daß im Laufe der Jahrhunderte die Kircbc in den Hintergrund und das Schloß in den Vordergrund trat. Zlrii Grund
des allen Abtshauses begann v. Gersdorf Ansang des 17. Jahr- Hunderts einen Schloßbau. dem aber die Kriegsheldeu des 30jährigen Mordens so zufetzten, daß 1661 gewissermaßen mit einem Neubau begonnen werden mußte. Jener v. Gersdors muß ein Gemüts- mensch gewesen sein; er ließ die umherllegenden Grabstein« zer- schlagen, um Baumaterial für die Errichtung eines Herrenhauses auf einem anderen Gute zu gewinnen. Erst die fächstsch-mersebur« zische Zeit brachte eine Stabilisierung der Verhättnisse, und während der Bruder des ersten Merseburgers, Kurfürst Johann II. von Sachsen , in Drcdsen durch Bcr- schwendungssucht glänzte, was na- türlich die Finanzen des Landes aufs schwerste beeinträchtigte, legte Ehristiem I. den Grundstein*>« Siadt Dobrilugk. Noch immer cba? der Besitz«in umfassender, 40 Dör- fer gehörten zur Herrschaft, und die Kirche hatte 1715 das Patronat von 10 Muttertirchen und 10 Filialen. Nach dem Uebergang in preußischen Besitz wurde das Schloß Amts- zwecken dienstbar gemochr; gegen- wärtig beherbergt es das Amtsge- richt und die Oberförsterei und einige Räume sind auch von Pri- vaten bewohnt. Eine Staötfleölung im 17. �ahrhunöert Mit einer Raumverschwe»dung. die das Entzücken jedes Gartenstadt- freundes hervorrufen muh, wurde die Stadt Dobrilugk im 17. 3ahr- hundert begründet. Die sich>nel- denken Siedler erhielten von Sach- jen-Merseburq je 40 Stämme Bau- Holz, 4000 Ziegel, brauchten am 12 Jahre keine Steuern zu zahlen und gelangten zu billigem Pocht- land. 1685 waren 150 Häuser. 18."0 170 vorhanden. Auch ein stattlicher Gasthof wurde hergestellt. damit Hosgäste» die im geräumigen schloß dock? nicht Platz fanden, untergebracht werden konnten: die Gaststube war aus„16 Ellen long und 11 Ellen breit" bemesfen; es tafelt sich auch heute noch angenehm darin. Tuchmacher wurden damals angesiedelt; dos Gewerbe ist jedoch wieder verschwunden, der Ort— etwa 2000 Einwohner— zum freundlichen Acker- und Handwerkerstädtchen geworden, dos keine Fabrikfchornfteine aufwcill. Vas heutige Silö. Kehren wir nun nochmdl zum Eiutrittspunkl. i» die Hauptstrock« genannte Allee zurück, so sehen wir vor uns eine Srroßenbreite von 60 Meter, mos genau unserer Berliner Prunkstraße Unter den Linden entspricht. Da die anliegenden Hauser höchstens zwei Stock- werke haben, fo erscheint uns die Breite noch größer u>»d in einer gemiffen Märchensiimmung gehen wir weiter. Auf unserer rechte» Seite haben die Häuschen Vorgärten, auf der linken fehlen sie. Trottoir und Fahrdamm rechts und links, in der Mille ein Anger. den große und kleine Bäume begleiten. Jedes Haus hat seinen eigenen Eharatler, hat nichts von dem jetzt aus Rot geborene» Typen- und Reihenhausstil: sind wir oben beim Schlosie angelangt und lasten wir den Blick rückwärts schweifen, so bieten die vcrjchie- den hohen Dächer, bald in hellerem, bald in dunklerem Rot sich vom Himmes abhebend, eine malerische Silhouette. Auch der'Anstrich der Häuser wechselt: eine leichie Farbentrcudigkeit herrscht vor. Do gegen wuchte» das Schloß um!v machtvoller empor. Es bildet ein geschlossenes Biereck, etwa 12 Fenster breit in der der Straße quer, aber etwas schräg vorliegenden Front und 15 Fenster in der Seiten- front. Der Eingang ist hinten im Schloß- und Klosterbezirk: eine Brücke fuhrt über den tiefen aber trockenen Graben. Di? Seiten des
Der Apfel der Elisabekh Hoff. 15) Uoo Wilhelm hegeler. »Mit Gradunterschieden, jawohl! Je höher die Leiter hinauf, desto größer die Qual. Selbst diese armseligen Lasttiere beneide ich noch. Glauben Sie» daß, wenn so ein Treidler das Seil von der Schulter geworfen hat. er noch mit einem Atemzug an seine Arbeit denkt? Mir hat vor vierzehn Tagen der Arzt gejagt, ich müßte schleunigst heraus aus dem Betrieb. Wenn ich nicht in kiirzester Zeit überschnappen wollte, dürfte ich ein Vierteljahr kein Telephon ans Ohr nehmen. Aber sobald ich allein bin, sitze ich wieder in meinem Bureau, rechne, zanke mich mit Lieferanten. Kunden. Ingenieuren herum, und das Telephon klopft mir im Ohr. Ich glaube, ick) bin schon verrückt. Ich leide an der Telephonomame." »Bleiben Sie nur in Deutschland . Hier dauert der An- schluh so lange, daß Sie sich das Telephoniercn von selbst ab- gewöhnen,' scherzte Elisabeth. „Ich möchte am liebsten irgendwo hin, wo es überhaupt kein Telephon gibt.' »Völlige Einsamkeit halte ich bei Ihrem Zustand nicht für das Richtige,' bemerkte Hoff.„Aber um nochmals auf das vorhin Gesagte zurückzukommen, Ihre Ueberarbeitung ist schließlich Sache Ihres freien Willens. Sie hätten es ja nicht nötig. Ihren Mochtbezirk so weit zu spannen. Sie haben sich von Ihrem Ehrgeiz treiben lasten.' „Ehrgeiz— du lieber Himmel!' „Oder was sonst. Und dann dürfen Sie eins nicht ner- gesten Sie finden in der Arbeit selbst Ihre Befriedigung. Und was gibl's schließlich Besseres, als feine Kraft für irgendeine größere Sache hinzugeben?' „Für eine größere Sache?" wiederhotte Ryseck und riß vor Verwunderung seine Stirn in hundert wagerechte Fglten. «Sch wüßte wahrsiaftig nicht, was mir gleichgültiger wäre als die Wolkenkratzer, die ich baue. Die einzige Sache, der ich diene, bin ich selbst. „Täuschen Sie sich auch nicht?" fragte Elisabeth lächelnd. .�sch habe zwar noch nie darüber nachgedacht. Aber welcher Sache dienen Sie denn, Herr Hoff?' „Meiner Wissenschaft.' „Und der zusiebe würden Sie Ihr persönliches Wohlsein opfern?' „Mein persönliches Wohlsein ift von mein«? Arbeit gar »cht zu trennen.'
„Vielleicht... wenn Sie einer fulminanten Entdeckung auf der Spur sind, die Sie mit einen« Schlag beriihmt macht. .Lluf solche Entdeckungen spekulieren, biege Lotterie spielen. Aber man kann die Erkenntnis Schritt für Schritt vorwärtstragen in einen noch unerhelltei: Bezirk.' „Und das genügt Ihnen? Merkwürdige Leute seid ihr Deutschen . In aller modernen Verkleidung noch die alten Schwärmer." „Das ist für mich keine Schwärmerei, sondern der klare Sinn des Lebens.' „Der klare Sinn des Lebens— es gehört viel Mut dazu, dergleichen zu tagen,' murmelte Ryscck.„Für mich ist das Leben—* Aber er kam nicht dazu, feinen Satz zu beenden, denn plötzlich verdunkelte sich der Saal und gleichzeitig setzte eine schrille Musik ein. Ein kaukasischer Tanz wirbette Ober die Bühne. Aber nicht diesem schenkte Elisabeth ihre Ausinerk- samkeit, sondern sah immer noch die beiden Männer: die etwas zurückgelehnte Haltung ihres Mannes; in seinen? Ton, im Ausdruck seines Gesichts hatte nichts Schulmeisterliches ge- legen, sein Blick hatte sogar etwas merkwürdig Ergreifendes gehabt. Nein, nicht das geringste Lächerliche hatte ihm ange� haftet. Fast ein bißchen komisch hatte vielmehr Ryseck gewirkt: in sich zusammengekrümmt, das tausendfältige Gesicht so voll unergründlichen Hohnes, auf den gewulsteten Lippen so viel zernagte Unruhe und in den schwarzen Äugen dies Brennen von Angst und Gier... Aber was hatte er nur sagen wollen? Für mich ist das Leben— was konnte für ihn das Leben sein? Es war, als wenn seine Augen, seine Lippen, seine zerwühlte Stirn ganz verschiedene Antworten gäben. Im Schlafzimmer begann Elisabeth sich zu entkleiden und nahm dann vor dem Toilettentisch Platz. Ihr Mann saß binter ihr auf dem Bcltrand, ganz in einen Brief vertieft. Sie sah sich selbst im Spiegel, die schimmernde Haut ihrer Brust, ihrer Arme, die erregte Blässe ihres Gesichts, unter der das Lebensrot doch nur leise zurückgedrängt war... und sah sich wieder unterm Apfelbaum liegen, an jenem Sommer- nachmittag, wo sie. dem kühlen Wasser und, wie ihr dünkte, ihrer eigenen Körperhaftigkeit entstiegen, die kauin verhüllten Glieder der Sonne, dem Wind, dem goldengrünen Schatten- spiel preisgebend, sich so fremd vorgekommen war, bester als sonst und auch böser als sonst, und wie sie dann zusammen- geschauert war in einem anderen Gefühl noch als Schreck, wie es wohl sin elfisches Wesen haben mag, vor dem plötzlich die Erscheinung Mensch auftaucht, als sie den Fremden erblickt
hatte, der, nicht minder bestürzt als sie, dastand in Anbetung und verhallcner Lust. Ihr Herzschlag setzte aus und hob mit stürmischeren Schlägen wieder an. ganz wie er damals getan hatte, cbe die ersten unbedachten Worte über ihre Lippen ge- kommen waren. Und dann... ihre Hand rundete, öffnete sich... dann war der Apfel ihrer Hand entfallen und zu seinen Füßen gerollt, oder hatte sie ihn in plötzlicher Der- führungsluft mit Absicht fallen lasten? Da sah sie im Spiegel das Biid ihres Mannes, der sich erhoben halte, aus sie zuging, so ernst, so schwer, als wäre fein Verlangen eine Schuld, und während eine Welle von Erlöstheit, Glück und Zärtlichkeit ihr gespanntes Fragen be- grub, lehnte sie sich zurück und beugte, ihn umschlingend, sein Gesicht zu sich hinunter. Wie eine saftige Frucht drückte sie seinen Mund aut ihren. Als sie dann die Schuhe ablegte und an dem übergeschlage- nen Bein den Rock höher raffte, glaubte sie sein Auge lieb- kosend darauf gerichtet. Erkannte er den neuen Seiden- strumpf? Sie nickte ihm lächelnd im Spiegel zu— aber der Spiegel war leer. „Wohin willst du?"% „Arbeiten." „Jetzt noch?" Sie erhob sich rasch. Ihr Blick verdunkelte sich. „Ich wollte doch noch mit dir sprechen." „Das hast du doch heute nachmittag schon getan." Roch hielt sie seine Hand mir flehendem Druck. „Du mußt doch müde sein," sagte er.„Gute Nacht." Sie saß noch lange aus ihrem Stuhl, und der Spiegel zeigte ihr ein fremde«, an sich itKe aeworder.es Gesicht. s. Mehrere Tage vergingen, ohne daß Ryseck sich wieder sehen ließ. Elisabech wunderte stch über sein Nichtkommen und ihre Ungeduld. Da hielt eines Tages sein Auto vor dem Hause. Er hatte kaum das Zimmer betreten, als er sagte, daß er nur gekommen wäre, um Abschied zu nehmen. Noch am Nachmittag wollte er für einen oder zwei Tage in seine Heimat fahren und dann nach dem Süden, in die Wärme. „So schnell? Sie sind ja kaum erst angekommen." Als hätte er gar nicht Zeit, Plag zu nehmen, ging er un- ruhig auf und ab. Sein Gesicht war verfallen und von fahlem Braun. Müde und gequält blickten die dunklen Augen zwischen zahlreichen Fältchen wie aus einem zersprungenen Rahmen. *(Fortsetzung folgt.)