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Abendausgabe

Nr. 73 42. Jahrgang Ausgabe B Nr. 36

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

5 Pfennig

Donnerstag

12. Februar 1925

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Furchtbares Grubenunglück bei Bochum  .

Schlagwetter auf der Zeche auf der Zeche Minister Stein  ".

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137 Todesopfer.- Gegen 100 Leichen bisher geborgen.

Bochum  , 12. Februar.( Eigener Drahtbericht.) 3m Südofffeld der Zeche Minister Stein  , Schacht 3, ereignete fich am Mittwoch eine Explosion, die außerordentlich heftigen Charakter angenommen hat. Die Streden sowohl der dritten wie der zweiten und ersten Sohle sind durch Brüche gesperrt. Die gleich nach der Explosion eingesetzten Rettungsmann­schaften versuchen, sich durch die Brüche zu arbeiten, um zu den hinter ihnen in zwei Revieren befindlichen Bergleuten zu fommen. Einzelne Bergleute sind gleich nach der Explosion noch lebend zu Tage gebracht worden. Die Zahl der Toten hat 100 überschritten. Die Ursache der Explosion ist noch nicht genau festgestellt. Die Rettungsarbeiten wurden dadurch er­schwert, daß hinter den Brüchen infolge der völlig gesperrten Wetterzufuhr die Gafe nicht genügend abziehen konnten.

Von zuständiger Stelle wird zu dem Unglüd auf Schacht 3 der 3edhe Minister Stein" noch mitgeteilt: Die Gesamtzahl der durch die außerordentlich starke Schlagwetter­explosion, deren Ursache noch nicht festgestellt ist, betroffenen Bergleute beträgt 137. Acht fonnten unmittelbar nach der Explosion noch lebend geborgen werden und sind wahrschein­lich außer Lebensgefahr. 93 Bergleute werden vermißt und find durch die zu Bruch gegangenen Kohlenmaffen abge. Ichnitten.

Obgleich die eigene Rettungsmannschaft, sowie die Ret­fungsmannschaften der Nachbarzechen Gneisenau". Biftor". Achenbach, Scharnhorst"," Preußen" und die Berufs­rellungswehr von Rhein- Elbe" fieberhaft tätig sind, ist nicht damit zu rechnen, daß auch nur ein einziger der abgeschnitte­nen Bergleute noch am Leben ist. Der größte Teil der bisher geborgenen Toten ist auf der Flucht von den giftigen Schwaden erreicht und getötet worden. Es find insge­famt 180 Mann Rettungsmannschaften zur Stelle. Andere flehen bereit, um die zu Bruch gegangenen Strefen mit größter Beschleunigung freizumachen. Die Reffungs. arbeiten werden erschwert durch die teilweise noch vor­handenen giftigen Nachschwaden. In den nächsten Stunden ist mit der Bergung weiterer Berunglückter nicht zu rechnen.

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Wieder einmal rafft der schwarze Tod reihenweise die Bergproletarier dahin. Tiefe Trauer fenft sich plötzlich über hundert Familien, die ihren Ernährer verlieren. Hunderte von Frauen und Kinder weinen um Gatten und Vater. Und voll Ingrimm stehen die überlebenden Kameraden der Getöteten, weil sie wissen, daß jeden Augenblick auch fie das gleiche Schid. fal treffen tann.

Es ist nicht einmal ein billiger Trost, darauf hinzuweisen, daß bei dem gefährlichen Betriebe die Möglichkeit ähnlicher Katastrophen niemals völlig ausgeschlossen werden könnte, auch menn die Verhütungsmaßnahmen aufs beste bestellt seien. Ein folcher Hinweis flingt vielmehr geradezu wie ein Hohn in einer Zeit, da die Grubenkapitalisten mit Hunderten Goldmillionen entschädigt" wurden, während den Arbeitern, soweit sie nicht in der Zeit der Krise rücksichtslos auf die Straße gesetzt wurden, Verlängerung der Arbeitszeit, Kürzung der Löhne auf ein Minimum, furz Ausnutzung ihrer wirtschaftlichen Notlage im übelsten Ausmaß auferlegt wurden. In einer Zeit, da das Schwertapital mit allen Mitteln bestrebt ist, die soziale und rechtliche Stellung auch der Grubenproletarier wieder auf das Hörigkeitsverhältnis der wilhelminischen Zeit herabzudrücken, mirken die schweren Blutopfer der Arbeiterschaft als doppelt schwere Anklage gegen das Ausbeutungs- und Antreibesystem, das sich gerade in den Bergrevieren mit unverhohlener Brutalität breit macht.

Während man bemüht ist, die Opfer der neuesten Kata­strophe zu bergen, beeilt fich der Telegraph, in alle Winde zu versichern, daß über die Ursache der Schlagwettererplosion noch nichts bekannt sei. Das ist nichts Neues mehr. Denn noch von je wußte man nichts über die Ursachen, wenn die Wirkung in 100 Arbeiterleichen zum Himmel schrie. Das war fo, als auf Zeche Radbod( 1909) 341 Grubenarbeiter auf einmal getötet waren, das war nicht anders, als im Jahre 1921 schlagende Wetter auf der Zeche Mont Cenis fast 100 Arbeiter dahinrafften. Aber später wurde festgestellt, daß die bergpolizeilichen Vorschriften nur mangelhaft beachtet wurden. daß das Antreibesystem die Arbeiter geradezu zwang, über die Unfallverhütungsvorschriften hinwegzusehen, um nur ja das Gedinge nicht zu verfäumen.

Die Beche Minister Stein" gehört zur Gelsenkirche ner Bergwerfs- 2.- G., einem der größten zur Rhein­be- Union gehörigen Stinnes Unternehmen. Wie ftand es dort mit den Sicherungseinrichtungen? Waren auch

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dort die Arbeitervertreter( Betriebsräte usm.) non der praf­tischen Mitarbeit bei der Betriebskontrolle ausgeschaltet, wie das sonst so vielfach festgestellt wurde? Es handelt sich nicht so sehr um die Schuld eines Einzelnen, als vielmehr Einschäzung zuteil werden läßt, die es in fultureller und um ein System, das dem Leben der Arbeiterschaft nicht die volkswirtschaftlicher Hinsicht berechtigt ist, zu fordern. Noch während die Kameraden der Opfer mit den giftigen Gasen ringen, um die Leichen zu bergen, fordern wir die strengste Interjuchung der Ursachen der Ratastrophe unter Mitwirkung von fachmännisch erfahrenen Bertretern der Arbeiterschaft!

Noch eine Frage: Die folgenschwere Explosion ereignete sich am Mittwochabend gegen 8 Uhr. Um 12 Uhr nachts waren bereits die ersten Loten geborgen. Wie ist es möglich, daß die Nachricht von dem furchtbaren Unglüd erft fo spät herausgegeben wurde, daß von einer Ausnahme abge fehen noch teine Berliner   Morgenzeitung eine Mitteilung darüber hatte, trotzdem in allen Redaktionen bis spät in die Nacht gearbeitet wird? Wie erklärt es sich, daß die offiziöfen Telegraphenbureaus, die doch jede Luther- Rede in ihren Einzelheiten verbreiten, von dieser Katastrophe erst viele Stunden später die ersten Nachrichten erhielten?

Tiefe Trauer erfüllt die Arbeiterschaft des Kohlenbeckens an der Ruhr. Bollste Anteilnahme finden die Hinterbliebe nen der Opfer in den Herzen aller, die die Gefahren der Ar beit und besonders der Grubenarbeit zu würdigen missen. Aber darüber hinaus erhebt sich die Forderung, daß alle Maß nahmen getroffen merden müssen, um zukünftige Ratastrophen zu verhindern und die Hinterbliebenen vor der Not zu fchüßen, die ihnen der Tod des Ernährers androht. Was hier zu geschehen hat, darüber wird im Reichstag zu reden sein. Die Bergung der Opfer.

Bis heute morgen 9% Uhr maren auf der Zeche Minister Stein  " 38 Tote geborgen. Die Rettungsmannschaften von 8 Bechen find an den Bergungsarbeiten beteiligt. Leider ist damit zu rech nen, daß fast fämtliche eingeschlossenen 138 Knappen der Mittags schicht ein Opfer der Katastrophe geworden sind. Die Ursache des Unglüds ist noch ungeklärt. Die in den zu Bruch gegangenen drei Streden herrschenden Giftgale machten jeden Rettungsverfuch un­möglich. Einzelne der Rettungsmannschaften mußten, non Gajen betäubt, in Förderkörben über Tage geschafft werden. Bereits Dienstag abend follen an derselben Stelle, an der das Unglüd paffterte, fleinere Schlagmetter vorgekommen sein, die durch Funken einer Maschine zur Entzündung gebracht worden waren. Dasselbe foll am Mittwoch passiert sein Doch nahm niemand an, daß dies zu einem größeren Unglüd führen würde. Im allgemeinen gilt die Betterführung der Zeche Minister Stein  " als gut. Eine unge heure Menschenmenge hatte fich fofort nach Befanntwerden des unglüds vor dem Zechentor versammelt. Die Stimmung unter der Menge war fehr erregt, befonders da den vor dem Tore Harrenden feinerlei Auskunft gegeben wurde. Es wurde vielfach versucht, mit Gewalt durch das Zechentor zu bringen, was aber durch das starfe Aufgebot von Schupobeamten verhindert wurde. Von der Zechen. verwaltung war strengste Anweisung gegeben, feine Nach richten über den Umfang des Unglüds fomie über Zahl und Namen der Taten den Draußenstehenden bekannt zu geben. Wenn diese Maßnahme bezmedt hätte, die Erregung der Menge zu dämp­

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fen, so, mar fie natürlich völlig perfehlt. Die Polizeifette mußte verstärkt werden, da die anwachsende Menge ben Zechenplaz an stürmen drohte. Vor dem Zechentor spielten sich herzzerreißende Szenen ab.

graphen- Union   meldet, daß bis 9,30 Uhr 90 Tote in der Grube, frei­Der an Ort und Stelle weilende Sonderberichterstatter der Tele gemacht worden sind, von denen bis zur Stunde 60 zutage gefärbert wurden. In dieser minute werden weitere nach oben gebracht. Es sind im ganzen 7 Bergleute lebend geborgen, doch ist einer inzwischen gefi or ben, die übrigen sechs befinden sich im Krankenhaus, da sie Gasvergiftungen erlitten haben. Die meisten Toten find fast vollständig verbrannt. Biele von ihnen wurden durch den kolossalen Luftdruck bei der Explosion 10-20 Meter weit ge­schleudert und haben sämtliche Glieder gebrochen. Die Identifizierung der Toten ist nur nach und nach auf Grund der Erkennungsmarten und der Lampen möglich. In der Grube fanden die Rettungs mannschaften mit Kreide an einem Stempel geschrieben: Bis 11 Uhr alles mohl, mir find 9 mann. Doch sind diese 9 Mann jetzt bereits als Tote zutage gefördert worden. Das Un glück hat die Bergleute auf der Flucht überrascht. Denn die Arbeits­stellen sind noch unberührt und die Kaffeeflaschen unversehrt.

16 Leichen wurden an einer einzigen Stelle gefunden. 20 Knappen fitzen zurzeit im Feuer.

der noch nicht geborgenen Bergarbeiter bieten einen furchtbaren, Die von Angst und Sorge verzerrten Gesichter der Angehörigen erschütternden Cindrud. Biele Frauen stehen mit ihren Kin dern seit den späten Abendstunden des gestrigen Tages am Eingang der Seche, ohne fich non der Stelle zu rühren. Der Bergarbeiter felbst hat sich eine ungeheure Erregung bemächtigt. Man hört in einem fort Fluche und Verwünschungen gegen die Bergver waltung. Einzelne Bergarbeiter zeigen den Fremden ihre Lohn. tüten, um zu bewellen, für mie niedrige Löbne fie täg tid bem Lob ins Auge sehen mussen. Wenn ein so

großes Unglüd mie heute gefchehe, erzählen die Bergleute, hätte ble ften Boche unbeachtet die Bergleute schmere Kämpfe um Löhne und Oeffentlichkeit einige Tage Mitleid mit ihnen. während in der näch Arbeitszeit zu beftehen hätten.

Die Bergverwalting hofft, daß noch im Laufe des Tages sämt liche Berunglückte geborgen werden können Die Rettungsmann­schaften der umliegenden Werte im Ruhrgebiet  , aus Gelsenkirchen  und aus Effen, waren bereits im Laufe der Nacht an der Unglücks­ftätte zur Stelle.

Münster  , 12. Februar.  ( MLB  .) Gleich nach Bekanntwerden des furchtbaren Grubenunglüds auf der Zeche Minister Stein  " ift der. Oberpräsident non Westfalen, Gronomsfi, an die Un glüdsstelle geeilt. Dem Oberbürgermeister von Dortmund  , Oberpräsidenten zu: Die schmerzenden Wunden von Iserlohn   und Dr. Richhoff. ging folgendes Beileidstelegram'm des Herne   sind noch nicht vernarbt und schon wieder bricht ein neues unglüd über uns herein, dessen erschreckende Größe in diesem Augen­blid noch nicht ganz zu erfennen ist. Im Namen der Staatsregierung und der Brovinz Westfalen spreche ich Ihnen, sehr verehrter Herr Oberbürgermeister und allen von der grausamen Katastrophe auf der Zeche Minister Stein Betroffenen die herzlichste und' nnigste Teilnahme aus und münsche aufrichtig, daß die westfälische Erde von weiteren Schicksalsschlägen in Zukunft bewahrt bleiben möge."

Dortmund  , 12. Februar.( Eigener Drahtbericht.) Bei dem ent­feßlichen Grubemunglüd auf Minister Stein  " Dortmund- Eving find bis 12 Uhr mittags 84 Tote und 8 Berlehte geborgen. 52 Berg­arbeiter werden noch vermißt, die aber ebenfalls als tot aufgegeben werden. Die Gesamtzahl der Toten wird auf 137 geschäßt.

Trauerkundgebung des Reichstags.

Eine Ansprache Löbes.

Bei Beginn der heutigen Reichstagssigung um 12.20 er-| loren haben. Wir können der Trauer, dem Mitgefühl mit den An­griff das Wort der Reichstagspräsident Löbe:

Meine Damen und Herren! Am Vormittag hat uns heute die Schreckensnachricht erreicht von einem schweren Unglüd auf der 3eche Minister Stein" bei Dortmund  . Durch eine Grubenexplosion wurden dort 126 Bergleute verschüttet, und man wird befürchten müssen, daß sie nicht alle lebend wieder aufgefunden werden. Die letzten amtlichen Nachrichten melden schon, daß 36 Tote zutage ge­fördert wurden und daß man an weitere 97 Bergleute nicht heran­tommen könnte. Von einer Zeitung wurde die Nachricht von 61, ja 100 Toten gebracht. Meine Damen und Herren! Wer je einmal in örtliche oder persönliche Berührung mit einem schweren Unglück ge­fommen ist, der fann sich den Schrecken und die Angst ausmalen, wenn Hunderte von Menschen verunglüden. Wir schließen uns der allgemeinen Trauer an, die durch den Tod diefer Bergleute hervor­gerufen ist, und sprechen den Angehörigen der Berunglückten das herzlichste Beileid des Reichstages aus. Wir tönnen die äußeren Caften wohl erleichtern, aber den fieferen feelischen Schmerz tönnen wir nicht lindern. Kaum einer von uns fann sich eine Borstellung machen von den Todesqualen, unter denen die Opfer ihr Leben ver­

gehörigen nur dann würdig Ausdrud geben, wenn wir uns be­mühen, soweit menschliche Vorkehrungen dazu imstande find, solche Furchtbarkeiten zu verhindern, wenn wir den Angehörigen die außeren Lasten zu erleichtern fachen, wenn wir alles fun, um denen, die unter folchen furchtbaren Gefahren ihrem Beruf nachgehen müffen, mehr Schuh, Erleichterung und Besserung ihrer Verhältnisse zu gewähren.

Die Abgeordneten hatten sich während der Erklärung des Bräsi­denten erhoben. Jadasch( Komm.) beantragt fofortige Bildung eines Unter­suchungsausschusses.

Präsident Cobe bittet angesichts der Majestät des Todes keinerlei den Antrag erst in der Freitag- Sigung einzubringen, wenn näheres Streitfragen aufzurollen und ersucht die Kommunisten,

über das Unglüd bekannt ist.

Die Kommunisten find damit einverstanden. Die zweite Lesung des Haushaltsplanes wird dann beim Reichsarbeitsministerium fortgefegt.