Nr. 76 42. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Sonnabend, 14. februar 1925
Vom wandernden Landarbeiter
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Schon jahrzehntelang vor dem Kriege fommen zur Zeit der Schnee-| tcfigkeit, Schnaps, Gottesfurcht oder vielmehr Furcht vor dem fathoschmelze regelmäßig die Zugvögel, die polnischen Landarbeiter nach lischen Pfarrer gewöhnt ist. Wo irgend in Deutschland in einer ländDeutschland. In allen Landstrichen findet man sie. In Schleswig lichen Gegen eine katholische Kirche oder ein Bethaus vorhanden ist, Holstein, in Westfalen, bis hinunter nach Hessen und am Bodensee . da wird man auch sicher im Sommer Sonntags oder an den fatho In der Mart, Sachsen , Pommern , Ostpreußen und Schlesien . Ueber- lischen Feiertagen die bunten Kopftücher und die Barchentblusen der all findet man die Polladen", über die selbst der heruntergefon treffen. Und die katholischen Festtage überhaupt. Das ist ein Bunit, polnischen Frauen sowie die Männer in ihren billigen Anzügen anmenste Benner mit einer Mischung von Geringfchäzung und Mitleid in dem selbst der geduldigste polnische Wanderarbeiter teinen Spaß die Nase rümpft. Diese Bollacken find aber auf den Gütern gerne versteht. Wer ihn zwingen mill, an einem dieser Tage und das gesehen, weil sie noch billiger und fügsamer find, als der deutsche sind nicht wenige zu arbeiten, der bringt das Kunststüd feritg, seine Landarbeiter. Bon vereinzelten Ausnahmer abgesehen ist ihre AnSeele zum Kochen zu bringen. Aber nimmt der polnische Bander mefenheit gewissermaßen ein Bradmesser. Man wird sie in größerer arbeiter sonst alles, was ihm geboten wird, widerspruchslos und Anzahl besonders auf den Gütern antreffen, die ihren Arbeitern geduldig hin? Die immer wieder aufs neue vorgenommene Berlängegenüber den Herrenstandpuntt vertreten und durch rückständige und brutale Maßnahmen die ansässigen Landarbeiter beunruhigen. Wenige oder gar teine polnische Wanderarbeiter wird man dagegen dort finden, wo zwischen Gutsverwaltung und Arbeiterschaft ein er trägliches Verhältnis besteht.
Dasein der Anspruchslosigkeit.
Bar vor dem Kriege der deutsche Landarbeiter so gut wie rechtLos, so traf dies auf den polnischen Wanderarbeiter naturgemäß in verstärktem Maße zu. Und hier wieder insbesondere in Ostelbien, wo auf vielen Gülfern die Prügelstrafe sehr im Schwange war. Böden, Ställe, alte niedrige Häuser, deren Wände zum Teil ſtart beschädigt sind und in die der Regen durch die Dächer hindurcfidert, heftenfalls fogenannte Schnitterlajernen werden den Bedauerns merten als Unterkunftsräume zugewiesen. Ein Bund Stroh, dazu zwei Deden, das ist das Cager, mit dem sie fich für eine Zeit von burchschnittlich länger als einem halben Jahre zufriedengeben müssen. Männer und Frauen, nach Geschlechtern getrennt, in je cinem Raum. Oftmals mir durch einen dünnen Bretterverschlag getrennt. Selten ist auch nur das bescheidenste Mobiliar enthalten. Badegelegenheit gibt es nur in Ausnahmefällen. Kein Wunder, daß sich diese Massen quartiere sehr leicht mit Ungeziefer bevölkern. Gewiß hat sich seit Beendigung des Krieges hant der Tätigkeit des Deutschen Landarbeiterverbandes und in Ausnahmefällen der polnischen KonSulate vieles zugunsten der Banderarbeiter geändert, aber noch beftehen im großen und ganzen die geschilderten Mißstände nach wie vor. Erinnert sei an die Massenausweisungen der medlenburgischen Landbundregierung und daran, daß die polnische Regierung als Begenmaßnahme damit drohte, deutsche Grundbesiger auszuweisen. Grundlegende Besserung wird hier erit dann eintreten, menn die Bemühungen des deutschen Landarbeiterverbandes, die polnischen Wanderarbeiter in die gemeinsame proletarische Front mit ihren deutschen Kollegen zu bringen, von Erfolg gefrönt sein werden. Leicht ist diese Arbeit nicht, da der Durchschnitt der polnischen Banderarbeiter sehr an Demut, mehr wie bescheidene Anspruchs
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Der Apfel der Elisabeth Hoff.
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vater
Rach furzem Befinnen antwortete Elisabeth:
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,, Ich habe später nur mal gehört, daß sein Adoptiv ,, Sein Adoptivvater? Der alte Hellborn war sein richtiger Bater. Bußten Sie das nicht? Ja, glauben Sie, ein so hoch mütiger und eigensinniger Aristokrat wie der alte Hellborn hätte den Jungen aus purer Menschenliebe zu sich genommen? Er war sein Sohn aus einem Berhältnis mit einer Schauspielerin oder Kunstreiterin. Der Gastwirt Schmundt war nur Attrappe. Aber was haben Sie gehört?"
., Als ich längst fort war, schrieb mir eine Bekannte, der Herr von Hellborn hätte sich mit seinem Sohn überworfen." Ihm wird dieser arme Teufel von Einäugigem als Erbe nicht gepaßt haben. Förster Förster in Ruprechtsau. Sie fennen das Loch doch auch. Ein nuuffiges verfallenes Haus im diden Wald. Das ist aus ihm geworden! Aus dem strahlenden Leutnant von Hellborn der triste Förster Schmundt. - Ihm selbst sind Sie nie wieder begegnet?" Nie."
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" Haben Sie auch nie wieder von ihm gehört?" ,, Nichts! Nichts! Nur was ich Ihnen erzählt habe." ,, Er hat auch nie an Sie geschrieben?" ,, Nie! Was follte er mir auch schreiben?"
Gott , allerhand. Er hat Ihnen auch nichts zurüdgeschickt?"
Nein! Ich habe ihm auch nie etwas gegeben, was er mir hätte zurüdschiden fönnen.
Anfeds Blide glitten wie mit unsichtbaren, frallenden Fingern über sie hin. Jede seiner Fragen griff an ihr Herz, ließ es vor Empörung zittern. Sie fam fich vor wie unter einem entwürdigenden Verhör.
,, Merkwürdig!" murmelte er. ,, Sie erinnern sich doch auch genau? Sie müssen Ihr Gedächtnis anstrengen. So leichten Raufes tommen wir von der Vergangenheit nicht los."
Ich erinnere mich genau. Ich habe nie im Briefwechsel mit ihm gestanden. Ich habe ihm nie etwas gegeben, was ich hätte zurückverlangen fönnen, was ihm auch nur den Schein eines Rechts auf mich gegeben hätte. Niemals habe ich ihm bie geringste Hoffnung gemacht."
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Gruppe polnischer Arbeiter. gerung der au und für sich außerordentlich langen Arbeitszeif? Die abwechselnd von dem Bormann( Borschnitter, Aufseher) ober der Guisverwaltung vorgenommene Kürzung der Rationen, Cohnabzüge und dergl? O nein. Zuerst wird( natürlich im Stillen) geschimpft. Dann in der Tasche eine Fauft gemacht, und wenn diefes alles fomie einige ergebene Bitten nichts helfen, fann die Gutsverwaltung eines schönen Morgens die Ueberraschung erleben, baß die ganze Kolonne während der Nacht gelürmt" ist. Sofern sie nicht bereits andermeitige Berpflichtungen eingegangen sind, wenben sich die Flüchtlinge meistens größeren Eisenbahnfnotenpunften zu, an denen sich, wie sie wissen, immer eine Anzahl von wilden und auch fonzeffionierten Vermittlern aufhalten, die unbefümmert um die Steckbriefe, die inzwischen in den Landbundblättern des betreffen
,, So wenig wie mir!" höhnten Ryfeds zerwühlte Lippen. ,, Jawohl, so wenig wie Ihnen!" warf fie ihm entgegen. Ihre Augen sprühten ihn an. Wollen Sie behaupten, daß ich Ihnen je ein Wort gesagt habe-"
,, Es zählen nicht nur die Worte, die man sagt, auch bie man anhört," unterbrach er sie. Aber laffen wir das einst meilen. Gehen wir Schritt für Schritt vor! Wir wollen doch das Dunkel erhellen. Sie erinnern sich noch an die Ballnacht?"
Gewiß erinnere ich mich. Es war ja gar kein Ball, sondern eine Sonnwendfeier." Jawohl. Der Tanz war eigentlich Nebensache. Für Sie improvisiert. Wir tanzten in dem dunklen Saal, den nur der Schein des Feuers beleuchtete, wir drei-"
,, Es tanzten noch andere Paare außer uns."
Aber wir beide tanzten nur mit Ihnen. Der, welcher wartete, zählte die Runden. Und dann bat ich Sie, mit ins Freie zu kommen."
Sie wollten mir den Sternhimmel erklären." Den Sternhimmel, jawohl. Wir schlüpffen hinaus. Trennten uns im Menschengewühl. Am Eingang der Kaftanienallee fanden wir uns wieder. Erinnern Sie fich an die Kastanien? Wie ihre vielarmigen Leuchter strahlten? Wir liefen die Anhöhe hinauf. Und da oben auf der Stein bank habe ich Ihnen den Sternhimmel erklären dürfen, den Himmel, an dem über dem Mond nur ein einziger Stern ftrahlte. Ich gab ihm Ihren Namen. Elifabeth, erinnern Sie sich, daß ich Ihnen damals von Liebe Sprach?" Ich sagte, Sie sollten schweigen."
"
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Aber dann ließen Sie sich von mir füssen." ,, Das ist nicht wahr! Ich riß mich los. Ich sprang auf." Ja, Sie sprangen auf, weil Sie sich erschroden hatten. Denn hinter einem Baumstumpf hatten Sie fein Gesicht Wessen Gesicht?" fragte fie verwirrt. Sie sagten doch. ich hätte mich getäuscht. Es wäre gar nicht Hellborn gewefen. Nur ein Schatten."
gesehen."
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,, Sie hatten fich nicht getäuscht. Ihn hatten Sie gesehen, der uns nachgeschlichen war und uns belauerte. Haben Sie es auch später nie geahnt?"
Ich weiß nicht," murmelte sie bleich und verwirrt. „ Bielleicht habe ich es geahnt. Aber nicht damals. Damals war ich nur erschrocken, am meisten über Sie. Sie werden fich erinnern, mie ich hinunterlief zu meiner Mutter,"
den Bezirks erscheinen, sofort neue Kolonnen zusammenstellen und dieselben ihren entfernter wohnenden Auftraggebern zuschicken. Ueber die Grenze
tommen die Banderarbeiter zum Teil ordnungsmäßig mit Papieren hauptsächlich durch die Agenten der deutschen Arbeiterzentrale geversehen, zum Teil schwarz". Im ersteren Falle werden sie worben bzw. melden fie fich in deren Geschäftsstellen, die in den Grenzbezirken liegen. Von hier aus wird dann die Berteilung vordirigiert, von wo aus die Leute ihren Bestimmungsorten zugeführt genommen oder werden die Transporte nach der Berliner Zentrale merden. Die Verwaltung der deutschen Arbeiterzentrale fezt sich aus Bertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammen und steht unter Staatsaufsicht. Während früher die größere Hälfte schwarz, d. h. ohne Papiere herüber fam, ist heute das Zahlenverhältnis umgefehrt. Die Verdienstmöglichkeit ist für den Przeprowadnif, den Grenzführer, den Mann mit den geheimnisvolien Beziehungen jetzt eine viel geringere, das Handwer? jelbst ist dagegen gefährlicher geworden. Früher, vor dem Kriege, 20 Ropeten pro Kopf dens Führer des Wachtkommandos, das war die Tage. Fünfzig erhielt der Führer von jedem, und konnte also dreißig behalten. Und war die Nacht recht dunkel, dann wurden statt der vereinbarten fünfzig achtzig Bersonen über die Grenze geschleppt. Daß aber schon da mals das schwarze Paffieren der Grenze sofern ein Regiefehler vortam außerordentlich gefährlich war, mag folgender Vorfall beweisen, der sich im Jahre 1912 in einer Nacht bei einem Grenzorte in der Nähe der Kreisstadt Strasburg i. Westpr. abspielte. Ent weder waren die Strasnits( Grenzsoldaten) mit der erhaltenen Tage nicht zufrieden oder es war einer nicht mit im Bunde, genug, es wurde Stoi!" gerufen, und als alles voller Todesangst weileritef, fielen Schüffe. Schreiber biefes fah am nächsten Morgen die Opfer: ein Mädchen von etwa 18 Jahren und eine junge Frau, mit Blut befudelt, in dem Wachtlofal aufgebahrt liegen. Ein schwerverwun beter Mann war bereits ins Krankenhaus geschafft worden.
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Der deutsche Zandarbeiter.
Aber nicht allein aus Polen kommen die ländlichen Wanders arbeiter, sondern auch aus deutschen Gegenden mit vorwiegend landlichem Charakter. So gehen offoreußische Landarbeiter( fogenannte Sachfengänger) nach Mitteldeutschland , westpreußische gehen nach Pommern , und so fort. Anderet feits werden polnische Landarbeiter in diefe eben von einheimischen Candarbeitern verlassenen Gegenden oft Hunderte von Kilometern weit hergeholt. Deutlicher tann wohl der Widersinn des von den Landbundgrößen für dringend notwendig gehaltenen Wanderarbeitersystems nicht illustriert werden. Für die fommende Saison haben die Arbeitgeber ihren Bedarf an Banderarbeitern mit rund 130 000 angegeben. Erwähnt fei noch, daß auch auf den Gütern der Stadt Berlin vielfach polnische Wanderarbeiter beschäftigt werden. Andererseits hat der Borwärts" beretis wieder
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Ja, ja," sagte er höhnisch. ,, Sie hatten es plötzlich sehr eilig. Ich dachte bei mir: jetzt, wo uns beide das Feuer verbrennt, bringt sie sich in Sicherheit. Aber, Elisabeth, feien Sie doch ehrlich: war es denn an jenem Abend zum erstenmal, daß ich... von dem einsam strahlenden Stern Sprach? Herrschte nicht zwischen uns ein so warmes
stolz auf Ihre Freundschaft. Aber was Sie fonst sagten, ,, Gewiß, Sie waren mir nicht gleichgültig. Ich war sehr nahm ich nicht ernst. Sie wußten doch, daß ich verlobt war." ,, Und gerade an dem Tag nein, fchon einen Tag früher war das Bild Ihres Berlobten von Ihrem Schreib tisch verschwunden."
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Ich habe es nicht fortgenommen!"
Nein, ich. Aber Sie ließen es, wo ich es hingestellt hatte, in der Ede zwischen den Familienbildern. War es nicht so?" leugnen. Sie hatte an ein Versehen des Mädchens geglaubt. Unbemaglich jah sie ihn an. Sie vermochte es nicht zu
Aber in der Verwirrung und Unsicherheit ihres Gefühls hatte fie es als ein Schidfalszeichen genommen.
,, Und erinnern Sie sich, daß Sie an demselben Tag auch Ihren Ring abgelegt hatten?"
,, Das war ein Zufall! Ich schwöre Ihnen. Ich hatte mich am Finger gerißt. Zufall oder Schicksal. Es kommt ja nur auf die Folgen an. Und er Hellborn wollte ein Bild von Ihnen be fommen haben."
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,, Bon mir? Ich habe ihm nie eins gegeben. Ein Bild?" ,, Ein fleines rundes Bild. Nur Ihr Kopf, aus einer größeren Photographie herausgeschnitten."
Mein Gott, es fann fein," murmelte sie. Ich ahnte ja nicht. Er bettelte darum.
Sehen Sie! Ja- dieses Bildes wegen habe ich ihn gehaßt. Denn wir waren damals schon Todfeinde, unter der Maste der Freundschaft natürlich. Todfeinde, mie nur Freunde es werden fönnen, wenn sie Nebenbuhler geworden find. Und in ber Nacht nach der Feier fam's zur Entladung. Wir zechten zusammen und beschimpften uns. Ich haßte ihn, weil er uns heimtückisch aufgelauert hatte, er mich, weil ich Sie entführt hatte. An Ihren Bräutigam dachten wir nicht. Der war ja in Afrika . Wir sahen nur uns beide, und daß einer von uns zu viel war. Da beschlossen wir entrüsten Sie sich nur!- unser Glüd aufs Spiel zu sehen."
( Fortfeßung folgt.)