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Wie ein Kronzeuge der öeutsthnationalen Partei aussieht.
Em schlichter Mann aus dem Volke mit gradem, aufrechtem von unbegrenzter Ehrlichkeit Charakter»
Stauer Matthis. von vttoteKloot. Freiburg i. Br. Das steht mir noch heute vor Augen. Das Kontor des Reeders m Hamburg am Broltorkai. Nichts von den Palästen, wie sie heule Reedereien besigen. kleine, von dumpfem Geruch bedrückte, völlig kahle Räume, in denen gearbeitet wurde, gearbeitet, gearbeitel. Schiffspapiere. Die großen Jnvoices. deren vertrackte Kal- kulationen mit englischem Gewicht und Geld einem den Kopf rauchen machten. Abends begann der Tanz, und dann riß das Gehetze nicht mehr ab bis morgens vier, fünf oder sechs Uhr. um welche Zeit der Dampfer mit der auslaufenden Ebbe seinen Ankerplatz verließ. Während bei uns die Federn rasselten, rasselten am Ladekai die Ketten. Die Krane stießen die eisernen Arme hinaus, unaufhörlich senkten sich Kisten, Fässer. Säcke und Ballen nieder in des Schiffes Bauch. Die Luken gähnten, unter den langen, niederen Schuppen» dächen, donnerten die Eisenräder der Ladekarren, mischten sich wallender Dampf. Schatten hantierender Mensche», schrillende, dumpfe und verwegene Geräusche zu eindrucksvollen Chor. Dort herrschte Watthis. der Stauer. Er stand auf Deck, die Hände in den Taschen seines Flauses. breitbeinig, den verbogenen Klemmer auf die runde Nase seines wettergegerbten roten Gesichts gezwickt. In Winternächten(damals gab es noch Winter) umwallte ihn eisbleicher Dampf: wie der Kadaver eines Riesenfisches aus der Ciszeit. von langen grauen Wellen träge bewegt, schurrt« der Steamer an der Kaimauer auf und nieder. Nichts brachte Matthts aus der Fassung, nichts nahm chm das luftige Zucken seiner guten Seele, seines heiteren, derben Herzens vom Munde. Hart und schwer war seine Pflicht. Die Ladung in den Dampfer einzustallen, sie fest- zurammen mit Bohlen und Balken, die Güter im Schisfsraum so zu t: immen, daß kein Sturm, kein Stoß sie aus ihrer Lag« rücken konnte, das lag Matthis ob, dem Stauer, und er konnte, konnte es. Ging die Ladung über, dann ging auch dos Schiff--— Oft bin ich damals im Morgengrauen, die fertiggefchufteten Papier « unterm Arm. zum Schiff am Ladekai hingerost. Matthis staiüi unterm leeren Schuppen,„ls she füll, Matthis?"—„Up to the brirn*. griente er und tippte mich schmalen, stadtbleichcn Gesellen auf die Schulter. Dann todmüde, mit überwachem Hirn und schwer- zenden Fingern, die die wilde Hotz der Arbeit gefühllos gemacht hotten, rekelte man sich in die Kajüte und goß Grog, immer wieder Grog in sich hinein. Wie im Traum hörte man. daß der Dampfer loswarf, hörte das breite, schwere Lachen des Stauers, hörte Schurren an den Schifjswänoen. Und wenn man die Treppe hinauffwlperte, sah man, wie der Dampfer durch dos Eis der Elbe brach, wie es sich staute und mit blaulichem Leuchten, stumpf zerdröhnend, splitterte. llnd es fror mich, das Blut lief eisig in den Adern. Nur dos rot« Gesicht des Stauers mit den kleinen, lustigen Augen, dem Klemmer auf der Nase, dem immerwährenden Zittern und Zurren an den Mundwinkel» brachte einem das Leben, Warme, Blut des Lebens zurück. Da kam ein dunkler Tag. den man nicht, nie— vergißt. Emer der Dampfer der Reederei, die„Minerva", war vor der Scheide- mündung, beim Auslaufen nach Antwerpen , abgesackt, mit Mann in/d Maus weggebuddelt. Wie war da» geschehen? Cs raunte und fd)Itch, es bohrte, stach und brannte. Die Ladung sollte verrutscht sein— Stauer Motrhis? Die Ohren spitzten sich, an den kalkig kahlen Wänden des Kontors stfssich ein Geist. Die„Minerva", die braven Seeleute, chr KäpTi, Schulz, ein herrlich deutscher Mann— weg. gesackt, verschlungen von trüber, fremder Flut... Man stand zusammen, man wispert-— die Ladung...? Stauer Matchis...? Er. er der Schuldig«...? Der Chef. Ein kleiner, kränklicher Mensch, aber den Teufel im Blut. Em unHelm/icher Arbeiter, mit einem Hirn, das nichts über- iah. nichts überging, das alles wußte. Er war sehr höflich— heute aing er ohne Gruß, uns allen sonderbar sremd, in sein Privatlomor. Und da. wieder ging die Tür. da kam Stauer Matthis. Uns wurde kalt. Ich weiß es noch wie heut«, fühl' es noch wie damals— Uebelkeit. unsagbares Trauern, würgendes Zweifeln. Die Tür hatte sich geschlossen. Die Fliegen liefen an den Wän- den. Wir hörten es. wir hörten auch die Stimme des Chefs, die in
Ueber öie Kriege. 31 Von Analole France. (Schluß.) Aber ich will Ihnen noch eine andere Anekdote erzählen. Kurz nach dem Kriege von 1870 hiell ich mich in I. auf. Als ich einen Gasthof betrat, hörte Ich schallendes Gelächter und sah die Einwohner des Dorfes um einen stämmigen Burschen stehen. Er erklärte ihnen, wie es ihm gelungen war. allen Schlachten zu entgehen. „Zunächst war ich von Zuhause mit zwei Wochen Verspätung aufgebrochen. Als ich vor dem Sergeanten stand, dachte ich mir schon, daß er mir den Marsch blasen würde. Ich, nicht dumm, spiel« den Idioten. Aus alles, was er mich sragte, antwortete ich:„Muh, muh!" wie eine Kuh. s „Biech du," sagt er..weißt du denn nichts anderes als.Muh'?" Schließlich sagte ein Offizier:„He. du Unschuld vom Lande, wenn du Kpecht bist, weißt du doch mit Pferden Bescheid, he?" Ich machte„ja" mit dem Kopf. „Gut, dann bringst du diese beiden Gäule zum Obersten Bau- chard vom 28. Regiment beim Z. Korps. Da hast du dein« Morsch- order und Anweisung sür Verpflegung für euch drei." Ich machte nochmal»„ja" und mochte mich auf den Weg. Da ich aber einen falschen Weg einschlug, kam ich mit meinen beiden Rosinanten natürlich zu einem anderen Obersten bei einem anderen Regiment. Der Oberst la» meine Papiere: .Teufel, bist tm«in Ochse." schreit er mich an, gibt mir einig» Taler und schickt mich wieder fort. Ich habe mich natürlich wieder geirrt. Bin von einem Obersten zum anderen getorkelt, solange«, heiß herging. Als der Friede ge. schlösse» worden war. brachte ich meine beiden Biester zum richtigen Obersten beim richtigen Regiment, und da bin ich jetzt!" Heitere Sympathie begrüßt« da» zynisch, Geständnis diese» Bur- schen. O. ich will damst nicht behaupten, daß die Zuhörer der Er» Zählung einer Heldentat nicht hätten folgen können. Die elendesten Menschen bewundem zwar den Betrug, verehren aber auch das Edle. Aber die Galerie mißbilligt« unseren Helden keineswegs. Di« Menge verfügt stet» über wahr« Schätz« an Nachsicht einem Menschen gegenüber, der sich fernab vom Schlachtengetümmel den Wanst mit Schinken und Wein vollschlägt.
ihren bestimmten, klaren, unwiderlegbaren Tönen tief durch alle Herzen drang. Dann sprach— armer Matthis, i�nex Stauer Matthis— der Chef— höher geschraubt, schneidend,«st»mem Klirren, daß knirschend, unsagbar peinvoll, unsagbar schroff durch eine stähleme Frage schnitt: Ja oder Nein...? Da plötzlich ein Laut, der hell war wie Pestschenknall, hell, als zücke einer blitzenden, blendenden Stahl, den keiner noch gesehen—: Nein! Stauer Matthis, sagst du nein? Stauer. Matthis. sagst du. es sei nicht wahr? Sagst du es noch einmal. Stauer Matthis? Er sagte es noch einmal Niemals schmetterte ei» solches Ncm gegen die Wände von Kalk, gegen die kahlen, tinteriinsilgen Mauern. „Nein—!* Das war der Mann, über dem die Ketten rasselten, dessen Seele in dem großen, unheimlichen Bauch des Schisses lag. und Kisten und Ballen mit Hellem Blick und Heimlichem Lachen zu e i n e m unverückbaren Block zusammenschweißte. Nein—! nicht er, nicht
Wirklich: es erscheint mir unwohrscheiiüich, daß der Chauoinis- mus, mst dem unsere Bürger von Zelt zu Zeit bcarbestet werden, dos Volk zu erobern vermöchte. Im Gegenteil, man kann bemerken, daß der Antimilitarismus stärker denn je ist. Früher rechtfertigten sich Deserteure gar nicht für ihr Verhalten. Sie schrien:„Man verrät uns— man hat uns ver- kaust!" Das war Ihre einzige Rechtfertigung. Jetzt haben sie eine Theorie und wohlüberlegte Motive. Da« „Abschiedslied" ist zu einer Hymne auf das Zuhausebleiben ge- worden. Man weigert sich mst Musik! Das ist dann ruhmreich." Der alte Dichter:„Sie billigen dos also?" France :.Lassen Sie mich nichts jagen, was mit meiner Auf» fassung nichts zu tun hat. Nein, ich billige sie nicht. Denn bei der gegenwärtigen Situation in Europa würden sie durch ihre Haltung die schlimmsten Feinde der Zivilisation begünstigen." Der alte Dichter:»Sie erkennen also an, daß da» Vater, lonb.. France :„Ich erkenne an, daß unser Vaterland besinnung»- loa verteidigt werden müßte, falls es bedroht würde. Man mutz sich klar darüber werden, welches Anrecht e» auf unsere Liebe hat. Das Vaterland, wenn man unter diesem Wort die Summe der großen Ideen und tiefen Befühle versteht, die in jedem Land ver- schieden sind, d!« den französischen Geist, den englischen gesunden Menschenverstand, die deutsche Dialektik bilden, das ist gewiß ein Schatz, der joder Nation teuer fein sollte. Das ist ein Banner des Lichts, da» über jedem Gebiet weht. Die edelsten Geister jeder Nation haben es zu immer größeren Höhe-, geführt. Sie haben Zug um Zug und nach und nach Gruppen, die historische Umstände urfprüng- lich auf gut Glück und zufällig zusammengefügt hasten, mit einem herrlichen geistigen Sinn erfüllt. Diese«rschüsternden nationalen Doktrinen sind zwar verschieden, aber sie divergieren nicht. Di« bedeutendsten Denker reichen einander über die Grenzen hinweg die Hand. Sie haben nicht dieselben Nei- gungen und nicht dasselbe Gehirn. Trotzdem nähern sie sich ein- ander durch ihre Humonstät und chr MUgesühl für chresgleichen. Spiest man ein nationales Bewußtsein gegen da» andere aus. so treibt man schändlichen Mißbrauch mst diesem Begriff. Im Gegen- teil: in chrem abgeklärtesten Ausdruck ergänzen sie einander sogar. Und indem man ander« Länder ehrt, kann man sein eigenes anbeten. Leider aber ist das Vaterland nicht nur eine Zusammenfassung lichter Gedanken. Es ist auch die soziale Berechtigung einer Unmenge
Stauer Matthis— Wir saßen wie zerdrückt, kaum atmeniv �Dcr Chef... Da schlug die Tür auf.„Noch wo»?" sragte Matthis. Der Chef stand am Tisch. Sein Gesicht war bleich, Wollen wühsten auf seiner Stirn. Man sah, daß er krank war, schwer krank und daß es in chm jählings röchest« und rüttelle. Dann ging er auf Matthis zu:„Nein." sagte er.„es ist gut." leise, fest—• und drückte seine Hand in die des Stauers. AI » man die„Minerva" durch Taucher untersucht«, ergab sich, daß die Ladung noch sest an ihrem Platze lag. Ein Unterwasserleck war durch die morschen Planten des allen Schisses gesprungen und hatte es aus den Grund geworfen. Längst schläft Stauer Masthis ewigen Schlaf. Aber durch die Mauer oon Zeiten höre ich noch sein schmetterndes Nein, fühle ich noch die Kraft des Händedruckes, mst dem zwei Männer schwankend« West wieder zu/n ötebaj brachten. Stauer Matthis— etwas war damals doch anders— �
von finanziellen Unternehmungen, von denen man nur wenige billigen kann. Besonders der Gegensatz der biswellen sehr ungerechtfertigten kapitalistischen Begierden treibt die Nationen zu Zusammenstößen und ist die Ursache moderner Kriege. Das sst wohl das Traurigste aus der Welt. Aus tlefftem Herzen wünsche ich. mein Baterland möchte sich jeder Begehrlichtelt entHallen, die ihm in einem Konflikt irgendeine Verantwortung auserlegen könnte. Aber wenn es je von einem habgierigen Nachborn angegriffen würde, so ist es die Pflicht aller setner Söhn«, ihm zu Hilse zu eilen. Für die Menschheit wäre e» die unheilvollste Katastrophe, wenn Frankreich verkleinert würde. Denn unser Daterland Ist immerhin da» Symbol recht hochherziger Bestrebungen." Der alt« Dichter:»Da sehen Sie, daß der Chauvinismus schon sein Gutes hat." Franc«(mit Nachdruck):»Nein, keineswegs! Er lfl verbreche- rischer Wahnsinn. Wenn die Chauvinisten sagen, daß der Krieg er- haben und die Schule aller Tugenden ist, daß er die Menschen stählt und regeneriert, daß die Vorsehung den Würdigeren den Triumph schenkt und daß die Größe eines Volke» an der Zahl seiner Wege gemessen wird, da» heißt an den Massakern, bei denen mit den Fein- den auch die eigenen Landestinder umkommen, dann sind sie von Sinnen und hassen« wert.' Der alte Dichter:„Wie ober würden SI« das Volk dazu bringen, sich für das Vaterland zu opfern?" Francs:»Indem ich da« Vaterland immer besser, immer ge« rechter, immer mütterlicher für das Volk machen würde... immer verständnisvoller und brüderlicher gegen mein« Nachbaxn. Indem ich unaufhörlich wloderholen würde, daß der Krieg etwa» Entsetzliche» ist. und dafür Sorge tragen würde, daß all, krummen Intrigen ver» mieden würden, aus denen sin Krieg eiststehen könnte... indem ich durch freimütiges Verhallen bekunden würde, daß wir nicht zu den Waffen greifen wollen und uns ihrer nur zur Wahrung unserer Frei» hell bedienen würden. Dann wird das Voll s»in Daterland lieben: es wird in seinem Herzen mst der schönsten Zukunft de« Menschengeschlechts verschwel- zen. Und sollte es unglücklicherweise doch angegnssen werden, dann wird das Boll nicht zulassen, daß sein Vaterland unterliegt.?) *) Das waren Anatol« Flances Ansichten zu dieser Zell . Spaler hat er der Ueberzeugung Ausdruck gegeben, daß nur die intematto» nale Organisation des Proletariats die Wiederkehr von Kriegen un» möglich machen kann.