Nr.»2. Jahrgang
7. Seilage ües vorwärts
dkenstag, 17. Februar 1H2S
Der Kaufmann auf Reifen.
Wohl jeder, der nicht im Schlafwagen des D-Zuges die deutschen Lande durchfährt, wird auf seinen Fahrten Mitglieder jener großen (Ssmemschast angetroffen haben, die von den Geschäftsreisenden ge- bildet wird. Man findet sie allenthalben, w den großen, wie in den kleinen Städten; in letzteren, sofern st« nicht aus sonstigen Gründen, wie z. B. als Kurort, stärkeren Fremdenverkehr haben, treten sie naturgemäß in besondere Erscheinung. Kinder der kapitalistischen Epoche, werden sie auch erst mit dieser von der Bildfläche ver- schwind«. Ver Neifeoüe von früher. In den Zeiten des Raubrittertums pflegten die Kaufleute den Transpori ihrer Waren selbst zu leiten, höchstens überließen sie Der- wandten oder langjährig erprobten Angestellten diese gefährlich« Arbeit. Die Mitte des 18. Jahrhunderts etwa bezeichnet die Um- wälzung im binnendeutschen Kaufmannsleben: die verhältnismäßig ruhige Zeit von dem siebenjährigen Kriege bis zu Napoleons Kriegs- zügen sah eine Dcrmehrung der Bevölkerung eine Erstarkung und Verbreiterung der Kaufkraft, eine Ausdehnung der Fabrittätigkeit, die dem Handel und Wandel neue Dahnen vorschrieb. War bisher jede handwertlich hergestellte Arbeit sozusagen eine indtoiduelle Lei- stung, so brachte die maschinelle Herstellung Typeiuurbelt von gleicher Güte und damit war die Handhabe gegeben, dem fern von dem
Der Reisend' früher Erzeugungsort lebenden Akmahmelustigen Muster vorzuweisen, der« später aus d'e Bestellung hin gelieferten Geschwister diesem Muster durchaus glichen. Nun war es nur nötig— de, den damals germgen Verkehrsmöglichkeiren keine leichte Sachet— die Muster von Ort zu Ort zu tragen, um Geschäfte über das ganz« Land hm zu machen. Geringe Derkehrsmöglichteiten und schiechte Straßen! Die Post- wagen blieben oft stecken: das einzelne Pferd trabte eher längs des
bodenlos« Weges. So enksiand der Mnsterreiter. dem noch Fritz Reuter in der Erinnerung an die in Stavenhagen verlebte Jugend- zeit ein drastisches Willkommen geboten hat:„Ungefähr monatlich einmal zog kotbejpritzt ein einsamer Probenreiter auf buglahmem Gaule in die Tore der Stadt ein und erkundigte sich in ergötzlichem ausländischen Dialekte bei einem Straßenjungen, etwa bei mir, nach dem einzigen Gasthofe des Städtchens. Unter uns Rangen entspann sich dann ein lebhaster Streit, wer den Fremden zu Tolls, später Schmidt, später Beutel, später Kämpfer, später Kossel, später Holz, jetzt C lasen, geleiten sollte, bis wir uns zuletzt d«n darüber ver- einigten, ihm sämtlich das Komitat zu geben, dem sich dann noch einige allere Personen anschloflen und darüber debattierten, ob dies derselbe sei, der vor einem Jahre, oder vor drei Jahr« die Stadt beglückt habe." Mti der Erschließung des Landes durch dte Eisenbahn ver- schwand natürlich der„Proben"- oder Musterreiter von den Straßen, die inzwischen sich ja auch in Chauffeen umgewandelt hatten. €fo bischen weltklagheit. Wie der Pressemensch, so wird auch der wahre Geschäftsreisende zu seinem Berufe„geboren".—„Verpfuschte Existenzen"«<um das dumme Bismarcksche Wort zu gebrauchen) können gerade so wie in der Presse„geborene" Reisende werden. Aber im allgemeinen wird natürlich der Bildungsgang des Geschäftsreisenden sich in den regel- mäßigen Linien der kaufmännischen Erziehung beweg«, denn die Grundlage feiner Erfolge muß die Vranchenkenntnis sein. Der Detailkaufmann, an den er sich wendet, hat eine seine Witterung für Güte und Gangbarkeit der offerierten Waren; er ist, da er ja von mehreren Vertrete« derselben Branche„besucht" wird, wohl in der Lage, Vergleiche zu ziehen. Seinen Aeußerungen darf der Reisende nun nicht bloß allgemeine Redensarten entgegensetzen. fände« er muß imstande sein, aus der Kenntnis feiner Branche heraus seiner Ueberzeugung von der größeren Güte seiner Ware zum Siege zu verHelsen. Wellere Eigenschaften, die dem Talente für die Ressetätigkeit eigen sein müssen, ssnd: Arbeitsfreudigkeit(auch vor einem mehrmaligen erfolglosen Vorsprechen darf man nicht zurückschrecken), angenehmes äußeres Wesen(also kein« extra- vagante Toilette und„Gent "-Manieren), Geschick zum Red«(nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig) und damit verbünd« eben jene Welkklugheil, die das eigene verhallen dem schnell zu durchschauen- den Eharakler des Gegenspielers anpaßt. Jener Kunde will rein sachlich verhandeln, ein anderer liebt es, die Einsamkeft des Klein« stlidtlebens durch«n fröhliches P laude« und Witzeerzählen unter- brachen zu sehen, ein dritter, der vielleicht das größte Geschäft am Ort hat, wird durch die den Tatsachen dann auch«tsprechende Bemerkung, daß man ihn zuerst— und eventuell: allein— besuche. zur Eröffnung der Debatte gebracht, was bekonnMch immer das schwierigste ist. Hat der Reisende erst einmal festen Fuß gefaßt, so sind es dann wohl wirklich materielle Gründe, wie in der durch- lebt« jüngsten Zett, wenn die Geschäftsverbindung mal weniger lukrativ ausfällt. Bielfach bleibt der„Reiseonkel"(um auch diese populäre Bezeichnung mal zu erwähnen) an dem Orte über Rächt, und da hat er dann abends gute Gelegenheit, die Bertrau«sstell>lng bei dem Kundenkreis zu befestigen. Wohl dem. der über gesellige Talente verfügt— interessant erzählen wird ja jeder können, der weitgereist ist. aber Geschicklichkeit in Vorführung kleiner Zauberkunststücke verschafft einen besonderen Ruf, der dem Geschäft nicht abträglich ist. Selbstverständlich darf ein solch abenvliches Zusammensein nicht zum Gelage ausorten, das meist später die Der- trauensstellung zum Kund« beeinträchtigt. Die andere Vertrauensstellung. Der Geschäftsreisende ist die vollgültige Vertretung des Geschäftsinhabers; mit ihm abgeschlossene Geschäfte sind bindend. Das Vertrauen, das der Chef daher dem Reisend« schenken mutz, hat aber auch wiederum viele Dorteile für ihn: der Reisende wird nicht nur etwaige Mißverständnisse beseitigen, sonde« auch sich der Kreditbeobachtung widmen, ja auch bestrebt sein, ungewiss« Posten rechtzeitig einzuziehen. In diesen Fragen sviell das angeborene kausäunische Talent eine Hauptrolle: der Reifende muß sich seiner Aufgabe als„Schlichter" in dem ganzen Komplex der geschäftlichen
Frag« bewußt sein. Auch die Aufrechnung der Spesen sst Der- trauenssache. Man unterscheidet zwischen festen Spesen, Ersatz der Reisekosten.„Mund"spesen, wie auch das GeHall sich oald als festes. meist aber wohl als Grundgehall plus Provision darstellt. Eine kurz vor dem Kriege gemachte Ausstellung ergab einen Spesensatz von 15 bis 18 M. für die mit Katalogen und Musterbüchern Reisen- den, von 22 bis 35 M. für die von Kossem(öl> bis 150 Kilo-
Der Reiseade jetzt gramm) begleiteten. Bei Mitnahme schwerer Koffer steige« sich namentlich die für den Ortstransport ouszuwendenden Kosten. Daß der Beruf des Geschäftsreisenden nicht gerade zu denen gehört, die ein« Lebensverlängerung garantieren, ist begreiflich. Jedem Wetter ausgesetzt sein, aus wärmen Kupees und Räumen in Kalle und Regen hinausgehen, unregelmäßig essen müssen, viel sprech« usw. sind Faktor«, die ein« kräftigen Körper voraussetzen, soll die Gesundheft nicht leiden. Auch die Wohltätigkeitseinrichwng« des großen deutschen Verbandes zeigen eine starke Beanspruchung. Der verband reiieooer Sausleule Deutschlands umfaßt gegenwärtig 31 000 Mitglieder: er hat sein« Hauptsttz in Leipzig in einem eigen« Hause. Er ist in 121 Sekttonen einaeteill; die Sektion Elberfeld besitzt ebenfalls ein eigenes Haus. Der Verband wurde 1884 gegründet: 1885 besaß er 1073 Mitglieder. Zum Vergleich mit dem jetzigen Mitgsiederstande sei bemerkt, daß 1909 in Preußen 91 322 Gewerbelegittmationskartcn ausgestellt wurden, wovon aber jedensalls ein Teil auf sogen. Detallreisende entfiel, die nicht Ge- schästsreifmde im üblichen Sinne, sondern Verkäufer der mftgeführ- ten War« sind. Der Verband nimmt nur solche Reisende als Mitglieder auf, die aus dem regulär« kaufmännisch erleriuev Berufe hemorgeaangen sind. Seinem Bemühen ist mancher Fort- schritt und manche Erleichterung des Verkehr; zu verdanken; ein< Bergünsugung neuesten Datums ist, daß der Verband die Sicht- vermerk-Mark« für die Einreife nach Oesterreich feinen Mitgliedern verabfolgen kann. « Wir verlieh« unseren Reiftnd« in dem Augenblick, da die Eisenbahn ihren Triumphzug durch die Welt begann. Seitdem sind neu« Derkehrsmöglichkeiten durch das Fahrrad, das Automobil, das Flugzeug gegeben. Von ihnen kommt das Automobil vor allem in Frage. Man muß sich vergegenwärtigen, daß die Reisenden zum großen Tell Kundschaft in kleinen Städten haben, die zwar mit der Bahn zu erreichen, aber vielfach untereinander durch keine Bahn verbunden sind, so daß immer eine Rückkehr zur Hauptbahn nöttg wird. Man denke nur an die„Sackbahnen" Bayerns . Da ist natürlich ein Automobil ein rentables Verkehrsmittel für den Reisenden und seine Musterkoffer: vorausgesetzt, daß dies Ge
Der Apfel der Elifabekh Hoff. 231 Loa Wilhelm Hegeler . 8. Nie war Elisabeth mit Ryseck einen Abend ausgegangen, ohne am nächsten Tage zu versuchen, ihren Mann durch ver- doppelte Fürsorge und Zärtlichkeit für die Stunden der Ein- samkeit zu entschädigen. Aber sie merkte bald, daß er sie gar nicht entbehrte, daß er im Gegenteil froh war, wenn sie ihn allein ließ. Sein seltsames Benehmen machte ihr Sorge. Er, sonst so gütig und gerecht, war in der letzten Zeit gegen die Kinder von einer Reizbarkeit, daß diese sich scheu vor ihm zurückzogen. Was ging in ihm vor? War er krank? Wollte er durch sein Verhalten zu verstehen geben, daß er ihren Ber- kehr mit Ryseck nicht wünschte? Aber aus alle ihre Fragen gab er nur die Antwort: seine Arbeit! Er hatte eine sehr wichtige Arbeit vor, die seine ganze Kraft in Anspruch nahm. Er war nicht krank. Er fühlte sich im Gegenteil in besserer Stimmung als fe Nur gestört wollte er nicht sein. Elisabeth nahm sich vor. ihn in Ruhe zu lassen. Aber was war das für eine Ehe? Kaum daß sie bei den Mahl- zeiten einige Worte miteinander wechselten. Abends ging er später als sie zu Bett, stand morgens vor ihr auf. Ein Frem- der. der gezwungenermaßen ihr Schlafzimmer teille, konnte nicht zurückhaltender sein.. Trotz ihrem Vorsatz ließ sie sich emes Tages von ihrer Erregung überwältigen. Sie bat ihn unter Tränen, ihr zu sagen, was er gegen sie hätte. Er gab dieselbe Antwort wie stets Fügte einige knappe begütigende Worte hinzu: sie möge nur Geduld haben. Wenn seine Arbeit erst beendet sei. würde alles so werden wie früher. Aber seine Haltung dabei war von unangreifbarer Feme , sein Gesicht so kalt, in seinen Augen log ein fast feindseliger Ausdruck— Elisabeth fühlte sich tiefer verletzt, als wenn er sie noch so rauh angefahren hätte. Es stand aber so mit Hoff. Die Inkubationszeit, deren Dauer schwankte, war fast schon vorüber. Wenn er auch noch keine direkten Anzeichen der Krankhest feststellen tonnte, so fühlte er doch die geheimnisvolle Wirkung der Keime in seinem Körper. Er sagte sich, daß es eigentlich feine Pflicht fei, schon jetzt das Krankenhaus aufzusuchen. Aber das hieß, auf die Bollendung seiner Arbeit verzichten. Er hoffte, durch seine Willenskraft die Wirkung des Giftstoffes hintanhalten zu können. Aber— und das war seine furchtbare Sorge— d«r> vc nicht jetzt schon Ansteckungsgefahr m sich? Darum
verursachte die Nähe seiner Frau und seiner Kinder ihm solche Pein. Eines Nachts wachte Elisabeth auf und fand das Bett ihres Mannes leer. Sie sah nach der Uhr. Es war gegen drei. Einen Augenblick lag sie noch unschlüssig. Dann erhob sie sich. Es ging doch nicht an, daß Roland sich durch diese sinnlose Nachtarbeit ruinierte. Leise öffnete sie die Tür seines Arbeitszimmers. Es war dunkel. Ueber der Stuhllehne hing fein Anzug. Er selbst lag halb entkleidet auf der Chaiselongue. Em solcher Zorn ergriff sie, daß sie ihn wachrütteln wollte. Aber sie dachte an den Abend, da er ihrer werbenden Zärtlichkeit so kalt be- gegnet war. Sie wollte sich nicht Mißverständnissen aussetzen. Wie eine ansteckende Kranke meidet er mich... dachte sie. Sie blieb sitzen, bis der Morgen heraufdämmerte, in sich zu- sammengekauert, frierend und noch kälter aus ihrem Inne« durchfröstelt. Ihr Frauenleben war zu Ende. Sie hatte das Gefühl, ihr Haar wäre ergraut und ihr Körper verwelkt. Am nächsten Morgen erklärte Hoff ihr kurz, er möchte von nun an in seinem Arbeitszimmer ein Nachtlager aufge- schlagen haben. Er fürchte, durch sein spätes Zubettgehen ihren Schlaf zu stören. „Du störst mich wahrhaftig weniger, als durch solche Maßnahmen." „Aber mir ist es so bequemer, ich habe meine Gründe." „Wie du willst." Das waren die letzten Worte, welche die beiden allein miteinander wechselten. Denn am nächsten Tag lud Ryseck Elisabeth und ihre Kinder ein, ihn auf einer Fahrt nach Ruprechtsau zu begleiten. Der Gedanke an Hellborn ließ ihm keine Ruhe. Vielleicht war es ihm möglich, fein Schicksal freundlicher zu gestalten. Jedenfalls hatte er das Bedürfnis, zu erfahren, wie's dem alten Iugendfteund ging. Anfangs hatte Elisabeth Bedenken, als aber Ryseck chr erklärte, eine Begegnung zwischen ihr und Hellbo« sei sehr unwahrschein- lich, da das Forsthaus weit außerhalb des Ortes lag, willlgte sie ein und fragte! ob es ihm recht wäre, wenn sie auch Mar- gret dorthin bestellte? „Wenn's Ihnen Freude macht, freut's auch mich." er- widerte er lächelnd. Auch Hoff gab feine Zustimmung. In sein versteintes Gesicht kam sogar etwas wie ein Schimmer von Freude, als er diesen Plan hörte. Noch am selben Abend schrieb Elisabeth an die Schwester und bat sie dringend, nach Ruprechtsau zu kommen.
Am Abend vor der Abreise sprach Ryseck noch einmal im Hause vor. Er traf nur den Professor, der auf dem Balkon Luft schöpfte. Es hatte am Nachmittag ein Gewitter gegeben. Noch blitzte es in der Ferne. Die beiden sprachen vom Wetter. Ryseck beobachtete Hoff. Der Mann sah mit- genommen aus. Ueberarbeitet offenbar. „Immer noch so fleißig?" fragte er. Hoff nickte nur. „Da wird das neue Serum wohl bald auf den Markt kommen?" „Es handelt sich um eine rein theoretische Arbeit." „Schade. Ich dachte schon, man könnte mit Ihnen ein Geschäft machen." „Mit dem, was ich schreibe, wird kaum ein Geschäft zu machen sein. Bielleicht später einmal. Aber ich werde es wohl nicht mehr erleben." „Wäre nicht mein Fall, so eine Art ArbeitI Ich will Erfolg sehen." „Erfolg?— Wer erlebt den Erfolg seiner Arbeit? Die wenigsten. Wir leben alle von der Vergangenheit und ardei- ten für die Zukunft." „Eine Ansicht, für die man drüben wenig Ber- ständnis hat." „Unsere ganze Zivilisation, alles, was wir haben, das meiste, was wir sind, beruht auf der Arbeit derer, die vor uns waren. Wir genießen ihre Früchte. Da ist es nicht mehr als recht, daß wir selbst für die arbeiten, die nach uns kommen." „Ich denke, die Leute vor uns haben vor allem mal an sich gedacht," erwiderte Ryseck.„Sie haben ihr Glück erstrebt, ihre Freuden gesucht, ihre Dummheiten gemacht und sind sich dabei als ein Gipfel und eine Bollendung vorgekommen. Wären wir alle nur Lasttiere am Wagen der Zukunft, das Leben wäre so grau wie der Pfad, auf dem des Müllers Esel traben." „Lasttiere am Wagen der Zukunft— ein unerfreuliches Bild. Und doch, recht verstanden, kann man sich nichts Besseres wünschen." „Lieber Herr Hoff, vergessen Sie nur nicht, daß zwischen gestern und morgen das Heute liegt, und versäumen Sie über Ihren Enkeln nicht Ihre Frau und Ihre Kinder. Wenn ich eine junge hübsche Frau hätte wie Sie—" „Was täten Sie dann?" «3ch wüßte jedensalls. was ich täte, und fragte nicht erst." (Fortsetzung folgt.)