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Nr.86+42. Jahrgang Ausgabe A nr. 44

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

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Freitag, den 20. Februar 1925

Gewerkschaften und Steuerfrage.

Wie der Bürgerblock regiert.

Die Spitzenverbände der drei gewerkschaftlichen Organisationen übermitteln uns folgende Kundgebung:

Die steuerliche Belastung der breiten Massen schreitet von Monat zu Monat weiter fort. An Lohn- und Gehaltssteuer mur den im Monat März des vorigen Jahres 71 Goldmillionen Mart erhoben. Im Juni waren es schon 96 Millionen, im Oktober 114, im November 119, im Dezember des vorigen Jahres und im Ia nuar 1925 find es jezt 126 Goldmillionen Mark gewesen! Wie con uns vorausgejagt, ist die Erhöhung des steuerfreien Lohn­Leirages von 50 auf 60 M. monatlich an den Reichseinnahmen Spurlos vorübergegangen.

Die Umsatzsteuer hat im Januar den ungeheuren Ertrag von über 200 Millionen Goldmark ergeben. Die 3olleinnahmen in Höhe von 52 Millionen Marf für den jüngst vergangenen Monat find rund 30 Proz. der veranschlagten Jahreseinnahme! Der Reichsregierung ist ihre

Liebesgabenpolitik zugunsten der Ruhrindustriellen nur durch eine beispiellose und ohne jede soziale Rücksicht vorge nommene Belastung der breiten Massen des Boffes

möglich geworden.

Jetzt hat die Reichsregierung durch fieben neue Gesetzesvorlagen die Steuerreform" angekündigt. Eine Durchprüfung der Entwürfe ergibt, daß fie auf eine ffandalöse Begünstigung des Besizes ab­zielen. Man spricht von einer sogenannten vereinfachten Veranlagung für die Einkommen- und Vermögens. steuern, die Staffetung soll für die großen Vermögen und Einfünfte günstiger werden als bisher, die Befißbewer tung der Landwirtschaft möchte man durch ein beson ders landwirtefreundliches Organ vornehmen, die Rapital Berkehrssteuern werden auf den Friedensstand herabgedrückt, die Erbschaftssteuer bleibt in ihrer vollen Lückenhaftigkeit bestehen, das sind die Steuerreformpläne der Regierung! Soweit zu ihnen bisher schon die Begründungen ge­geben worden sind, strogen sie von Entschuldigungen darüber, daß den Besitzenden im vergangenen Jahr eigentlich zu viel Steuern abgenommen worden seien, obwohl unbestreitbar feststeht, daß die Besitzsteuern in erheblichem Umfange auf die breite Masse abge­

wälzt wurden.

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Die Regierung wagt es, den Arbeitnehmern als ein Bige Erleichterung ihrer steuerlichen Last anzu­bieten, daß derjenige, der mehr als vier Kinder ernähren muß, für das fünfte und jedes weitere Rind in Zukunft 2 Broz. statt 1 Broz. in feiner Steuerrechnung einsetzen darf. Da die Regierung in ihren Entwürfen und auch bei deren Begründung nicht einmal von einer erabießung der Umsagsteuer gesprochen hat, so ist anzunehmen, daß sie glaubt, durch späteres Entgegen­tommen auf diesem Gebiet den Volksprotest ablenken zu können.

Die gewerkschaftlichen Spizenverbände erheben hiermit Iau ten Protest gegen diese Steuerreform zugunsten der Besitzenden. Sie verlangen schon heute, daß die Reichsregierung endlich aus­fpricht, wie fie die Mehrkosten für die von vielen Barteien verlangte erhöhte Auswertung aufzubringen gedenkt. Der Finanz aus gleich mit den Ländern besteht aus einem Provisorium, das in sechs Wochen abläuft. Die Reichsregierung bringt es fertig, dennoch zu schweigen.

Wir müssen die Regierung daran erinnern, daß das auch von ihr anerkannte Dawes Gutachten die Art der notwendigen Steuer­reform flar umrissen hat. Dort heißt es,

daß die reicheren Klassen in Deutschland   in den letzten Jahren von dem in Kraft befindlichen Steuersystem nicht in angemesse­ner Weise erfaßt worden sind, weder in einem Maße, das sich mit Rücksicht auf die Besteuerung der arbeitenden klaffen recht­fertigen würde, noch in einem Maße, das mit der Belastung der reicheren Klaffe in anderen Ländern vergleichbar wäre." Wo bleibt die Versteuerung der Inflationsgewinne? Wann beginnt die Rückzahlung der Ruhrverdienfte? Es muß die Lohnsteuer weitgehend erleichtert werden! Die gemertschaftlichen Spitzenverbände haben ihre Stellung zur deutschen   Steuergesetzgebung schon einmal ausführlich begründet. Diese Verhandlungsergebnisse sind auch dem damaligen Finanz­minister und augenblicklichen Reichskanzler, Herrn Dr. Luther, übermittelt worden. Das gleiche geschah im Zusammenhang mit dem Sachverständigengutachten. Damals ist betont worden, daß die Gewerkschaften nicht zulaffen Lönnten, daß die reicheren Klaf en Deutschlands   fich etwa nur deswegen den Vorschlägen fremder Mächte unterwarfen, weil sie glauben, bei der Verteilung der Kosten im Innern ſtart genug zu sein, um sie auf andere abzuwälzen.

Wir verlangen von der Reichsregierung eine Steuerpolitit, die nicht zuerst den Bedürfnissen der Besitzenden, der Induſtriekönige und Agrarier, sondern den Lebensnotwendigkeiten der breiten Maffe des Boltes entspricht.

Linie mit der Schußzzollpolotit, die von der deutschen   Schwerindustrie Die Steuerpolitit, wie fie jest getrieben wird, liegt auf einer bei den Handelsvertragsverhandlungen immer sichtbarer durchgesetzt, von einer fleinen aber mächtigen Schicht der Großgrundbefizer ge­deckt und durch die verarbeitende Induſtrie, die heute in einem Hörigkeitsverhältnis zu den Rohstoffbeherrschern lebt, geduldet wird. Wirtschaftlicher Unverstand und politische Re­attion vereinigten sich, um die Konsumkraft der Arbeiter, Ange­ftellten und Beamten, der breiten Masse des Boltes, das legte Fundament unserer Wirtschaft, zu untergraben.

Wir fordern unsere Mitglieder auf, zur Abwehr zu rüsten! Die Bundesvorstände des ADGB.  , der AfA. und des ADB.

Die Ruhrdebatte. Die Berteidigung der Regierung vor dem Reichstag  . Heute morgen wird der Reichstag   über die Ruhr Denkschrift der Regierung beraten. Die sozialdemo­fratische Reichstagsfraktion hat zu dieser Beratung einen Antrag auf Einjegung eines Untersuchungs­ausschusses gestellt. Die Fragen, um die es sich bei dem gesamten Kompler handelt, in dem die 700- Millionen- Affäre nur ein Glied ist, bedürfen der eingehendsten Prüfung. Es muß flargestellt werden, in welchem Maße schon während des Ruhrkampfes auf dem Verwaltungsweg der Ruhrindustrie Zuwendungen gemacht worden sind, die der Reichstag   nicht bewilligt haben würde und nicht hätte bewilligen fönnen, ohne einen Örfan der Entrüstung hervorzurufen.

Es muß festgestellt werden, ob der Prozeß der Ber mögensumichichtung in Deutschland  , der den Mittelstand zurück und ins Elend warf, mit Bewußtsein von einer eigenmächtigen Bureaufratie geför dert worden ist, die in der Zeit der Inflationswirren es verstanden hat, sich der parlamentarischen Kontrolle zu ent­ziehen.

Die Debatte, die heute morgen eröffnet wird, ist ein erster Bersuch, Klarheit in diese Berhältnisse zu bringen. Rein Zweifel, daß diesem ersten Bersuche weitere folgen müssen. Es wird großer Energie, aus der Liebe zur Wahr­heit und Gerechtigkeit geboren, bedürfen, um den Weg bis zur völligen Offenlegung der Wahrheit zu Ende zu gehen. Wir wollen die Wahrheit sehen. Wir wollen wissen, wie es gekommen ist!

Die

Diese Auseinandersehungen müssen das ganze Bolt bis ins tiefste paden; denn es geht um seine Sache. Fragen, die dabei aufgeworfen werden, rühren an die Bur­zeln der Not des Bolfes und des Staates. Die Arbeiter, die hart um Lebensspielraum und soziale Gerechtigkeit fämpfen, werden in diesen Auseinandersetzungen wesentliche Zusammenhänge zwischen der politischen Entwicklung nach

rechts und ihrer heutigen Stellung erkennen. Für jene Opfer der Inflation aus dem Mittelstand, die heute voller Erregung über den Betrug nachdenken der an ihnen durch Inflation und agitatorische Aufwertungsver­fprechungen verübt worden ist, wird diese Debatte besonders lehrreich sein. Es handelt sich um die Haltung einer eigen­mächtigen Bureaukratie gegenüber jener Wirtschaftsgruppe, die die Treiberin und Nuznießerin der Inflation war. Für sie ist der Schluß unabweisbar, daß die eigenmächtige Bureau­fratie, daß die politischen Parteien der Rechten für die Ge­winner der Inflation aufs glänzendste forgen, während für die Opfer der Inflation weder Verständnis noch Mittel vor handen sind.

In der Debatte über die Ruhrdenkschrift der Regierung wird sich die große soziale Umschichtung in Deutschland  , die Berschiebung der Reichtums- und Machtverhältnisse, das Leiden der deutschen   Bevölkerung widerspiegeln. Das gibt diesen Auseinandersetzungen ihre Bedeutung.

Der Konflikt mit Rumänien  . Noch keine Sanktion".

Bis zur Stunde find in Berlin   Nachrichten darüber, daß die rumänische Regierung angekündigte Santtionen gegen deutsches Eigentum und deutschen   Handel ergriffen hätte, in Berlin   nicht eingetroffen. An der Berliner   Börje werden seit einigen Tagen rumänische werte nicht mehr notiert Die Reichsregierung beabsichtigt, die Frage der Einbeziehung der rumänischen Ferderungen in die deutschen   Jahreszahlungen nach dem Dames- Plan demnächst der Reparationsfommission zu unterbreiten

Rom  , 19. Februar.( TU.) Die rumänische Gesandtschaft in Rom  dementiert die Nachrichten über die Belästigungen deutscher Staatsangehöriger in Rumänien  . Die Regierung habe lediglich gegen den deutschen   Handel gewisse Repressalien vorge­nommen und die Liquidation des beschlagnahmten deutschen   Eigen­tums angeordnet

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Voraussichtliches".

Heute politischer Großkampftag in Prenzen.

Gestern, am Tag nor der Abstimmung, produzierte die Nachtausgabe von Hugenbergs Tag" die fette Riefenüber­schrift: Boraussichtlicher Sturz des Kabinetts Marg". Das erinnert an eine Geschichte. Als der Gouverneur von Kiautschou   sein berühmtes Telegramm nach Berlin   schickte: Einstehe für Pflichterfüllung bis zum Aeußersten". überschrieb die Neue Freie Presse" diese Nachricht mit der lieberschrift: Bevorstehender Heldentod des Gouverneurs von Kiautschon". Am Tag darauf erhielt der Chefredakteur des Wiener Blattes ein Telegramm: Sterben will ich schon, aber drängeln lasse ich mich nicht. Gouverneur von Riautschou." Das Telegramm stammte freilich nicht vom Gouverneur, sondern von einem Wiener Spaßvogel.

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Wir hoffen, auch Herr Mary wird sich nicht zum Sturz drängen lassen, und wenn er dennoch dahin gedrängt wird, wird er hoffentlich nicht die Lehre vergessen, daß man sich im parlamentarischen Leben nur stürzen fäßt, um starf  'er wieder aufzustehen.

Immer flarer schält sich aus der Debatte im Preußischen Landtag die Abficht der vereinigten Rechtsparteien und ihrer getreuen fommunistischen Schildknappen heraus, um jeden Preis das Kabinett Marr zum Rücktritt zu zwingen und

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die

legten Endes unter Hinweis auf die Tatsache, daß eben in diesem Landtag keine Majoritätsbildung möglich sei Regierung zu zwingen, Neuwahlen auszuschreiben. Notabene: das sind diefelben Kreise, die es vordeni als ge­bieterische Notwendigkeit bezeichnet hatten, daß Reichstags= und Landtagswahlen im Dezember 1924 zufammen­gelegt würden, meil angeblich das deutsche   Volk und die deutsche   Wirtschaft es nicht ertragen könnten, daß im Dezember 1924 zum Reichstag und schon im Februar 1925 dann wieder zum Breußischen Landtag gewählt würde. Warum find die Herren von rechts jetzt so plötzlich für den Neuwahlgedanken zweieinhalb Monate nach dem Großwahitag vom 7. Dezember erwärmt? Nun, im Dezember waren sie nicht für gesonderte Preußenwahlen im Februar, weil sie mit Recht einen Wahlkampf fürchteten, der nicht nur mit den Hauptschlagworten der Reichstagswahl geführt, sondern mit den Argumenten der fachlichen Leistung des aber glauben sie, nachdem ihre Presse mit viel Geschick und Kabinetts Otto Braun   ausgefämpft wurde. Heute großem Geschrei das Material aus den Mappen des deutsch­nationalen Berleumderfonzerns gegen Sozialdemokraten und Zentrum ins Bolt geworfen hat, Wahlen machen zu können, bei denen das Geschrei Barmat"," Höfle" alles andere so­gar die denn doch wohl noch etwas berechtigteren Rufe: Ruhrsfandal"," Thyssen"," 700 Millionen!" übertönt.

Bir glauben nur, daß die Rechnung der Rechts parteien ein Loch hat. Sie glauben, daß sie imstände sind, durch das Barmat"-Beschrei den deutschen   Wähler derart zu übertölpeln, daß aus den Wahlen eine Majorität gegen die Weimarer Koalition im Landtag entstehen wird. Wir glauben, daß man die Einsicht des deutschen   Wählers schließlich doch nicht in dem Maße unterschätzen darf, wie es die Deutsch­nationalen und ihre Verbündeten tun, die anscheinend das Intelligenzniveau der Leser des Berliner Lokal- Anzeigers" für den höchsten Begelstand deutscher politischer Kultur ansehen. ir glauben vielmehr, daß die Erkenntnis der Gefahr der Stunde, daß nämlich ein Sieg der Rechtsparteien in Preußen gleichbedeutend wäre mit dem Abbau der Bolksrechte, mit der Wiederkehr des Regimes der Dreiklassenwahlanhänger und mit dem Berlust des letzten staatlichen Machtmittels der Repu­blit, nämlich der Schußpolizei an die Monarchisten wir glauben, daß die Erkenntnis diejer Gefahr ausreichen würde, um dem Bolke die Augen zu öffnen. Vor allem aber: Wir würden uns freuen, jezt endlich die Preußen­wahl ausfämpfen zu können, um die man uns mit dem faulen Kompromiß der Zusammen= legung von Landtags und Reichstagswahlen höchst unflugerweise gebracht hat

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Die Rechtsparteien fönnen nichts als Barmat" brüllen und dem von ihnen immer wieder jetzt zuletzt in der Auf­mertungsfrage betrogenen Volke von neuem goldene Berge und herrliche Zeiten" versprechen. Wir sind da in einer ganz anderen Situation: Wif fönnen aus der Praxis sprechen. wir fönnen auf die angesichts der innen- und außen­politischen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten der letzten Jahre geradezu achtungerzwingenden Resultate der Ar­beiten der preußischen Regierung hinweisen, an der die Sozial­demokratie von- 1918 an stets führend und mit vorbild­lichen Leistungen beteiligt gewesen ist. Wenn man Zentrum und Demokraten und vor allem selbst die Deutsche Volkspartei  an Hand zahlloser Aeußerungen ihrer Prominenten dafür als Kronzeugen anrufen kann, daß ohne die von hohem staatsmännischen Geschid zeugende Leitung Preußens, die aus diesem Lande die Hauptstütze des Reiches und das feste Boll werf gegen alle verhängnisvollen Experimente geschaffen hat. das Reich wahrscheinlich nicht mehr bestände, sondern in den stürmischen Herbsttagen 1923 auseinandergeborsten wäre, so