Nr. 9442. Jahrgang
1. Beilage des Vorwärts
Der neue Staatsfriedhof im Grunewald
Für die Großstadt find Raumfragen und Entfernungen von jeher Don größter Bedeutung gewesen. Das gilt sowohl für die Lebenden als auch für die Toten. Deshalb hat auch die Friedhofsfrage für Berlin und seine Bororte( heute Groß- Berlin) oft in dem Brennpunfte des Interesses gestanden, ganz besonders in den neuentstandenen Ortsteilen und in den abgezweigten, später selbständig gewordenen Tochtergemeinden älterer Kirchen. Für die mestlichen Bororte Berlins ist in der Anlage des geräumigen Stahnsdorfer Friedhofes 1909 eine erwünschte Lösung in der Begräbnisangelegenheit herbeigeführt worden, allerdings mit der unangenehmen Beigabe emer zu weiten Entferming und des daraus entstehenden unbequemen, zeitraubenden und kostspieligen Zuganges. Dieser Mißstand entfällt bei den vor den Loren Berlins im Grunewald neuangelegten ftaatlichen Friedhof zu Berlin Heerstraße", der von der Untergrundbahnstation Stadion und der Vorortstation Rennbahn in drei Minuten, vom Bahnhof Heerstraße und von der Endstation der Straßenbahnlinien 53 und 75 in ungefähr 10 Minuten zu Fuß durch die Insterburg , Sensburg und Heilsberg- Allee zu erreichen ist. Für den Wagenverkehr empfiehlt sich zurzeit noch der Weg über die Rennbahnstraße. Ms Wegweifer leuchtet uns von allen brei Zugangsftellen die Ruppel der Friedhofstapelle entgegen.
An der Heerstraße.
Dieser neuefte Friedhof im Weichbilde Berlins gehört weber einer Kirchengemeinde noch einer politischen Gemeinde, sondern dem
Krammer
Der Waldsee inmitten des Friedhotes
Der Apfel der Elisabeth Hoff.
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Diefer nidte nur als Bestätigung, daß er gehört hätte. Rysed benutzte rasch die Gelegenheit und sagte:
Also folgen wir deiner Hausfrau und begeben wir uns hinein. Ich fenne mich ja noch aus in der alten Bude." Ueberzeugt, daß sein Freund ihm folgen würde, ging er an der Alten vorbei und brüdte eine Türflinke zur Rechten des schmalen Canges auf, die, wie er sich erinnerte, in die gute Stube führte.
Nichts hatte sich hier, wie fein erster Blid feststellte, im Laufe der langen Jahre verändert und dennoch war, wie ein fühl aufsteigender Schauer ihn im nächsten Augenblic spüren ließ, alles unheimlich anders geworden. Dasselbe kurze, breite Soja mit gebauchter Lehne, dessen verschliffenen Ueberzug eine gehäkelte Dede verbarg, dieselben Birkenholzstühle um den runden Tisch und an den Wänden, zwischen zahllosen Geweihen, dieselben lächerlichen Delbrude, faum ein wenig mehr verdunkelt, diefelbe Betroleumlampe an der niedrigen Dede... alles wie einft, auch ebenso sauber und ordentlich gehalten und dennoch glich dieser Raum der grundbehag lichen Stube von früher, in deren Winkeln und Eden, in deren ganzer Atmosphäre sich der Duft unzähliger Bortionen Kaffees und Kuchens, das Lachen ganzer Scharen junger Mädchen und junger Herren und das behagliche Geschwät des fie begleitenden Alters unpertilgbar eingenistet zu haben schien dieser Raum glich so wenig jener Stube von einst wie der falte, schon in Todesstarre übergegangene Leichnam dem Bild des Lebenden. Und etwas Aehnliches mochte die Ursache sein, daß es Rysed mit einem Schauer befremdlichen Unbehagens überlief.
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Nirgendwo war in dieser grünlichfahlen Dämmerung, der ein widerlicher Geruch von Moder entströmte, auch nur das leisefte Beichen, daß hier ein lebendiger Mensch haufte, der die Spuren feiner fleinen Freuden, feiner Liebhabereien hinterließ Unverändert war das Zimmer von dem Borgänger übernommen worden und was da stand, sah morsch und verfallen aus, war sich selbst aufzehrendes Leben. Höchste Zeit, daß ich gekommen bin, dachte Rysed.
Der Förster trat ein. Nachdem er die naffen Hände oberflächlich an einem braunen Taschentuch abgetrocknet hatte, zog er einen der Birkenholzstühle hervor und setzte sich dem Befucher stumm gegenüber. Der Setter fauerte fich zu seinen Füßen nieber.
Forfifistus, also dem preußischen Staat, und wird von der„ Kommiffion zur Aufteilung der Domäne Dahlem " verwaltet. Nachdem seit 1901 diefe Rommiffion die Aufteilung der Domäne Dahlem annähernd durchgeführt hatte, wurde fie 1913 ebenfalls mit der Aufteilung des ehemaligen Gutsbezirts Heerstraße" betraut. So entstand in den legten Jahren zu beiden Seiten der Heerstraße eine neue Kolonie In der Roloniegenehmigung war bereits ein Friedhof vorgesehen,
Krownes
Die Kapelle für alle
sowie auch der Bau einer Kirche, die gegenüber der Rennbahn auf der Südseite der Heerstraße an der Kranzallee vielleicht schon im nächsten Jahre errichtet werden wird. Ein Teil des Friedhofs zu Berlin - Heerstraße", und zmar der westliche, ift bereits fertig gestellt und durch die erfolgte erste Beilegung eingeweiht und feiner Bestimmung übergeben worden. Dieser Teil umfaßt eine Fläche von 50 000 Quadratmeter, zu welcher noch der Saufuhlensee, furz Sau juhle" genannt, hinzukommt mit einer Oberfläche von ungefähr 10 000 Quadratmeter. Der von der Saufuhle aus östlich gelegene Leil, der noch alter Grunewaldbestand ist, hat ein Areal von 90 000 Quadratmeter und ist für spätere Erweiterung des Friedhofs vorgefehen, wobei sein Waldcharakter gewahrt werden soll. Auf diesem Terrain wird voraussichtlich auch ein Krematorium gebaut und durch eine Brücke über die Saufuhle mit dem westlichen Teil des Fried hofs verbunden werden. So wird dann der Gesamtfriedhof ein einzigartig landschaftliches Gepräge erhalten. Er wird nach Fertigstellung auch des östlichen Teils ein märkischer Geländefriedhof im wahrsten Sinne des Bortes fein gegenüber den anderen ebenen Friedhöfen Berlins mit baustellenartigem Zuschnitt und auch gegenüber dem Stahnsdorfer Waldfriedhof.
,, Nun," begann Rysed, das fühle Unbehagen mit einem munteren Händereiben vertreibend ,,, das haft du dir nicht träumen lassen, daß ich dir noch mal hier gegenüber sizen mürde, in dem alten Kanapee, wo wir so manches liebemal gefessen haben und mir wär's, weiß Gott , auch nicht im Traum eingefallen, daß du mich hier als Hausherr empfangen würdest. Ich hatte mir eingebildet, du wärest längst verheiratet, und wollte mich schon als Paten für deinen nächsten Sprößling anbieten. Na, nun erzähl' aber mal, nächsten Sprößling anbieten. wie's dir dann ergangen ist die ganzen Jahre. Schießz mal los. Du hast mohl fein Feuer mehr in der Pfeife? Erlaube!" Er rieb ein Streichholz an und hielt es dem Freund hin. ,, Nicht nötig! Die Pfeife schmedt auch talt. Besser als der Knafter ,. den man heutzutage raucht!"
,, Dann brenn' dir eine Zigarre an und erlaube, daß ich auch eine rauche. Das war doch schon in alten Zeiten fo. Benn wir was miteinander abzumachen hatten, dann wurde sich erst ein Glimmstengel zwischen die Zähne gesteckt. Also
nimm!"
Aber der Förster schien die hingelegte Zigarre überhaupt nicht zu bemerken. Er hatte seine Gestalt breit auf den Stuhl gepflanzt und faß, leicht gekrümmt, mit der Miene eines ftumm lauernden Beobachters Rnsed gegenüber.
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Nachdem Also fang' doch mal an mit dem Erzählen! ich die große Fahrt angetreten hatte, bist auch du auf Reifen gegangen und haft dich dann hier als Förster niedergelassen und lebst nun hier als der gefürchtete und geachtete Herr des Waldes. Ein schönes Renommee hast du dir ja geschaffen! Treu wie Gold und grob wie' ne Sau das ist der Förster von Ruprechtsau... Mir hat der Wirt schon erzählt, wie's hier mit der Holzdieberei getrieben wird. Ganze Bagen voller Bäume zögen in den Mondscheinnächten durch die Gasse. Aber alle aus dem Staatswald natürlich! In deinen Forst traute fich niemand hinein, aus Angst vor' ner Schrotladung. Stimmt's? Und du fühlst dich wohl in deiner Einsamkeit? Sag doch mal, wie's dir geht? Mensch- mach doch mal den Mund auf! Oder hab' ich dich verlegt? Das wollte ich bei Gott nicht, du! Ich fann mir ja denten, daß es dir nicht zum Besten geht. Es fieht ja jekt überall traurig aus in dem armen Deutschland . Aber ein Trost bleibt einem doch. Der deutschen Erde haben sie nichts anhaben können. Wahrhaftig, mir ist das Herz aufgegangen, wie ich vorhin durch deinen Wald ging. Eine Fichte so prächtig schlank und gesund wie die andere. Da habe ich mir gedacht: ein Mann, der folche Bäume heranzieht, der muß doch trotz allem hoffnungsvoll in die Zukunft sehen."
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Mittwoch, 25. Februar 1925
Eine stimmungsvolle Begräbnisstätte.
Das hügelige, durch künstlerische Umformung in seinem westlichen Teile bereits vielgestaltige Gelände läuft auf allen Seiten nach ber Saufuhle aus, deren Ufer demmächst eine angemessene Ausgestaltung erfahren werden. Immer fällt der Blid des Beschauers von den Höhen in die Tiefe auf das flare Waffer des langgestreckten Waldfees, beruhigend für das Auge und poetisch- mythologische Vorstellungen auslösend. Da nach Nordwesten hin, nach der Station Stadion zu, die beiden seitlichen Höhenzüge einen geräumigen Tallefsel einengen, und die Südseite sich ebenfalls abdacht, erhält das ganze weite Friedhofsgebiet das Charakteristische einer in sich natürlich abgeschloffenen Welt. Diefer Eindruck wird noch dadurch verstärkt, daß schon die Lage dieses Begräbnisgeländes in Waldesstille und abseits vom lärmenden Großstadtverkehr eine wohltuende Abgeschiedenheit empfinden läßt. Zu einer feierlichen Stimmung trägt nicht minder die Friedhofstapelle durch ihre ernsten, wuchtigen Formen bei, die besonders in der anstrebenben Suppel zum Ausdrud gebracht sind, und durch ihren mattroten, der umgebenden Natur angepaßten Farbenton, durch den sie fich in das einheitliche Grunewaldbild harmonisch einfügt. Erbaut ist diese monumental wirkende Friedhofstapelle nach Entwürfen des Professors Blund von der Technischen Hochschule in Charlottenburg . Alles in allem sind in diesem Friedhofsgelände alle Voraussetzungen gegeben, für Groß- Berlin die vornehmste und stimmungsvollste Begräbnisstätte zu schaffen. Zu diesem Zwede fieht u. a. auch die Friedhofsordnung Bestimmungen vor, denen ethisch- fünstlerische Erwägungen zugrundeliegen. Diese allgemeine Begräbnisstätte für jedermann ohne Rüdsicht auf Gemeinde- oder Kirchenzugehörigkeit fteht allen Ronfeffionen, Religionsgemeinschaften und Konfeffionslosen nicht nur zur Benuzung dieses Friedhofs offen, es wird auch zugleich freie und ungehinderte Ausübung der religiösen Begräbniszeremonien gewährleistet". Für legteren Zwed steht die Friedhofstapelle unentgeltlich zur Berfügung, wo unter Begleitung auf einem Meisterharmonium in einer feierlichen und würdig ausgestatteten Andachtshalle musikalische Darbietungen zur vollen Auswirkung fommen. Die ausübenden Künstler befinden sich in einem Raum hinter der Apfis, von woher durch unauffällig angebrachte Deffnungen die Mufit voll and dezent in den Andachtsraum hineintönt. Für die Benutzung der Halle auch im Winter ist Heizung durch heiße Breßluft möglich.
Um Bünschen in bezug auf die Beifetzung gerecht zu werden, find auf dem Friedhof zu Berlin - Heerstraße" Reihengräber, Wahlgräber und Borbehaltsstellen, Familien. gräber und Urnenstellen vorgefehen. Alles Nähere im Falle einer Benutzung des Friedhofes ist bei der Friedhofsverwaltung Berlin- Heerstraße", Berlin- Charlottenburg 9, Heilsberg- Allee, umd burch telephonischen Anruf: Wilhelm 95 75, zu erfahren.
Wintersport und Frühlingssonne.
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Die alte Mutter Erde ist eine launenhafte Dame geworden. Trug man doch in diesem Winter im Süden Belze, während bei uns Frühlingsminde wehten. Wohl gab es schon ein paar strenge Tage, doch ist der erste Schnee überraschend genug zu uns gelommen. Das junge Grün wurde jäh in eine meiße Dede gehüllt und die zu früh zu uns gelangten Zugvögel vergaßen vor Schred ibra Winterwetter! Die Straßenbahnen nach Dent Sang Grunewald find alle überfüllt. Der Werktags ziemlich ſtille Grunewald hallt vom Lärmen und Jubeln wider. Bahne frei!" flingt es überall den Erwachsenen entgegen, die schleunigst zur Seite treten, um nicht überfahren zu werden. In faufendem Galopp geht es die waldigen Abhänge hinab, bis an den halb zugefrorenen See; hier wird geftoppt. Da die Wintersonne( oder joll man Frühlingsfonne fagen?) leuchtet und wärmt, fchmilzt der funkelnde Schnee schnell; es ist also nicht ganz leicht, das Rodeln. Aber die Jugend läßt sich das herrliche Bergnügen nicht stören. Atemlos liegt man platt auf dem Schlitten, lacht fröhlich und ausgelassen, wenn man einmal falsch steuert und kopfüber stürzt. Fast alle Kinder tragen bunte Jacken und Wollmützen; manche laufen jogar Ski, das heißt, fie versuchen es. So ist plötzlich auf marfischem Sandboden, dicht vor den Toren Berlins , doch noch das Wintersportleben erwacht. Es ist vielleicht oder sicher nicht alles ganz so wie in St. Moriz, doch entschieden. bequemer und billiger.
Der Förster räusperte sich und fragte: Bist du Zeitungsschreiber geworden?" " Nein. Warum?"
,, Weil du so feine Phrasen drechselft."
"
" Ich bin bei meinem alten Metier geblieben und baue Häuser." In diesem Augenblid trat die Magb ein mit einem Tablett, auf dem sich ein Stück Brot und eine Tasse voll dampfendem Kaffee befanden.
„ Daß fönnen Sie einem doch fagen, Herr Schmundt , daß Sie hier Kaffee trinken wollen. Soll ich dem Herrn auch eine Taffe bringen?"
„ Nicht nötig."
Nun, immerhin wenn ich einen Schluckt Wasser bekommen könnte, wäre ich dir ganz dankbar."
„ Ein Glas Wasser!" schrie der Förster der offenbar tauben Frau zu. Diese brachte nach einer fleinen Weile das Ge wünschte. Rysed trant zuerst gierig, aber das laue Waffer, von bradigem Geschmad, lief so unerquicklich durch seinen Schlund, daß er das Glas rasch niedersetzte.
Wieder vergingen einige Augenblide in lähmendem Schweigen. Unbeweglich, wie auf dem Anstand, saß der Förster vor seinem Besucher, der sich in seiner Sofaede wie gefangen vorfam: ein Stück Wild, bewacht pon diesem Mann und seinem Hund.
Also, ich werde dir was sagen," begann Rysed, entschlossen, geradeswegs auf sein Ziel loszugehen. Ich bin nicht hergekommen, nur um mich nach deinem Befinden zu erfundigen. Wir wollen uns doch nichts vormachen. Es geht dir nicht zum Besten. Du hast dir was anderes gewünscht, als ein Untergebener zu fein des Besizers von Ruprechtsau. Und wenn's mit deinen Wünschen und Plänen schief ge= gangen ist, so bin ich zum Teil daran schuld. Und rund herausgefagt diese Schuld, so meit es möglich ist, wieder gutzu machen, das ist der Zwed meines Befuches. du darauf zu antworten?"
Was haft
Was ich darauf zu antworten habe?" Des Försters Ge stalt wuchs langsam aus dem Stuhl heraus, und wie er in feiner ganzen Größe daftand, schleuderte er den langgestred ten Arm in die Richtung der Tür und schrie, während eine Blutwelle sein gelbliches Gesicht dunkel rötete:
Raus!-Scher' dich raus! Das ist meine Antwort!" ,, Laß die Tür nur zu," erwiderte Rysed ruhig,„ ich gehe nicht eher, als bis wir uns ausgesprochen haben. Und das geschieht am besten mit Bernunft und Ruhe."
( Fortfehung folgt.)