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Nr. 10642. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Trauerfeier der Republik.

Mittwoch, 4. März 1925

201

hirotta

Vor dem Hause Wilhelmstraße 73

damals hatten einen Barapraphen, in dem dieses ausdrücklich be. stimmt und festgelegt war.

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Heute findet die Trauerfeier für den verstorbenen Reichs.| des ersten Präsidenten der Republit nicht verschwinden will. Wie präsidenten statt. Mit den Angehörigen geben ihm die Mitglieder immer diese Dinge liegen mögen, das Eine muß jedenfalls im Der Reichsregierung, die Mitglieder der Partei und bes Reichs Gegensah zu der verlogenen Mitteilung der Deutschen Zeitung" banners Schwarz- Rot- Gold das legte Geleite vom Reichstag nach bem festgestellt werden, daß die Stadt Berlin ( und wie man es aus Botsdamer Bahnhof, von wo er die legte Reise nach Heidelberg zahlreichen Meldungen aus dem Reich weiß, aus ganz Deutschland ) um Ebert weithin fichtbar trauert. Man trauert nicht nur dadurch, antritt, um in heimatlicher Erde zu ruhen. Nicht nur die Stadt daß man Fahnen halbmast gehißt hat. Man fieht 3. B., zuweilen feier gesehen. Das war, als after Rathenau , der den Berlin trauert heute, ganz Deutschland trauert um den verstorbenen

Reichspräsidenten.

Trauer aus dem Herzen.

in den Schaufenstern ein Bild des Entschlafenen, frauerumrandet, und da, wo eine Photographie fehlte, stellte man, und das hat gewiß, ohne daß man fentimental ist, etwas Rührendes an sich, die Lithographie Ebert, die man aus dem Borwärts" geschnitten hat, in das Fenster und schmüdte sie mit einem Trauerflor.

Die Liebe des freien Mannes.

Als

Wer in diesen Tagen durch Berlin gewandert ist, der hat ge­fehen, daß nicht nur die Leipziger Straße und die Friedrichstraße, daß nicht nur die Hauptverlehrsadern dieser großen Stadt Zeichen der Trauer zeigen, Zeichen einer allgemeinen und aus dem Herzen kommenden Trauer, fondern daß auch in den Bororten und entlegeneren Straßen Trauer­zeichen für den Verstorbenen herausgesteckt sind. Nicht nur auf allen öffentlichen Gebäuden, ob sie nun staatliche oder stadtliche Behörden unter ihrem Dach bergen, wehen die Flaggen halbmast und trauerumflort, sondern auch von den Dächern der großen Ge­schäfts- und Warenhäuser und aus den Fenstern vieler Wohnungen winkt die Flagge Schwarz- Rot- Gold. Freilich, ein großer Flaggen­wirrwarr, so groß wie er in dieser Ausdehnung noch niemals in Berlin zu fonstatieren war, fällt auf. Neben der Flagge der Republik sieht man die preußischen Farben Schwarz- Weiß, man sieht allerdings ganz verringert schwarzweißrote Fahnen, man erblickt die Fahne der Stadt Berlin mit dem breiten weißen Streifen in der Mitte, auf dem der Berliner Bär ich befindet, rotumtandet, man hat Flaggen in den Farben aller deutschen Landesteile gehißt, man fann auf einem Hotel am Anhalter Bahnhof z. B. eine Flagge Rot- Weiß sehen, das find, was gewiß nur wenige wiffen, die Farben der früheren Pro- Liebe des freien Mannes" aus der Nationalhymne gestrichen vinz Brandenburg . Eigenartig genug muß es auch berühren, daß das Aschingerhaus am Botsdamer Plaz die Fahne der Stadt gehißt hat. Fürchtete man sich vor der schwarzrotgoldenen Fahne? Eine eigenartige Fahne weht auch auf dem Haufe der Deutschen All gemeinen Zeitung" in der Wilhelmstraße. Sie hat die Farben Schwarz- Weiß- Rot- Schwarz. In der Mitte steht A. St. A.-G. und darunter befinden sich die Symbole des Bergbaus. Es ist die Flagge des Hauses Stinnes, die über seinem Gruben- und Bergwerkbejiz meht. Dieser Flaggenwirrwarr legt ein ebenso lautes wie bedauerliches Zeichen ab von der traurigen Zerrissenheit Deutschlands , von der Zerrissenheit der noch jungen Republit, die auch vor dem Sarge

Diefe ganze Trauerfeier und die weithin fichtbaren Trauer­zeichen in allen Teilen der Stadt Berlin zeugen von der Liebe. des Boltes und von der Liebe des freien Mannes. Es brauchte niemand diese Trauer zu kommandieren. Das aber war früher das Zeichen bei den großen Trauerfeiern, die Berlin gesehen hat. Wilhelm I. , den man fälschlicherweise den Begründer des Deutschen Reiches genannt hat, beerdigt wurde, überboten sich vor allem die Hoflieferanten", feligen Angedentens. in der Aus­schmückung ihrer Geschäfte und Häufer. Ganze Häuserfassaden wurden in Krepp gehüllt, und die Schaufenster mit Trauerdekorationen be­stellt. Man fürchtete unangenehm aufzufallen", wenn man nicht genügend Trauer zeigte, und seinen Hoflieferantentitel zu verlieren. Mit der Liebe des freien Mannes hatte dies alles recht wenig zu tun. Die Liebe des freien Mannes war ja bekanntlich überhaupt sehr anstößig damals, anstößig namentlich bei dem jungen Herrn", der sich dann Landesvater nennen durfte und der als einer der ersten Regierungshandlungen anbefahl, daß die ominöjen Worte: wurden. Bei den Trauerfeiern damals zu Ehren der getrönten Landesväter nahm man auch in feiner Weise Rücksicht auf bedrängte und in bedrückten Verhältnissen lebende Untertanen. 3. B. eine Landestrauer von 14 Tagen verhängt. Sie hatte zur Folge, daß während dieser Zeit alle Theater, Barietés und sonstige Luftbarkeiten unterbleiben mußten. Die Schwergeschädigten waren Schauspieler und Schauspielerinnen, die während dieser Zeit mit ihren Familien auf die Straße gesetzt wurden und brotlos waren, denn der Theaterdirektor von damals durfte während dieser Zeit der Landestrauer, die als höhere Gewalt galt, fein Personal auf die Straße fezen. Die Kontrakte der Schauspieler von

Es murde

Die Trauerfeier der Republif gibt sich einfach aber würde. voll. Schon einmal hat die deutsche Republik eine große Trauer­

Kugeln von Mördern zum Opfer gefallen war, zur letzten Ruhe he­stattet wurde. Auch für Rathenau hatte man, ebenso wie heute für den verstorbenen Reichspräsidenten eine Trauerfeier im Reichstag veranstaltet. Das zahlreiche Publikum, das damals auf dem Königsplay und um das Reichstagsgebäude herumftand, ver­harrte in andächtigem Schweigen. Es war mit dem Herzen dabei, es war nicht gekommen, um Brunt und Gepränge zu sehen und an einer Trauerparade teilzunehmen. Auch heute, wenn die ungeheuren Massen den verstorbenen Reichspräsidenten auf dem letzten Wege begleiten, geschieht es nur um dem Mann, dem wir alle so vieles verdanten, ein letztes Lebewohl zu sagen, das mit dem Herzen gesprochen wird und an das das Herz noch lange denkt.

Die Polizei- Absperrungen.

Für die Beijeßungsfeierlichkeiten am heutigen Tage sind von der Bolizei umfangreiche Sperrmaßnahmen vorbereitet. Bon 2 Uhr nachmittags ab wird die Gegend Potsdamer Platz , Potsdamer Bahn­hof, Pariser Platz und Reichstagsgebäude für den gesamten Fahr­verfehr auf einige Stunden gesperrt. Die Straßenbahn wird umgeleitet, die Untergrundbahn fährt weiter. Für die Fuß­gänger wird die gleiche Gegend von 2 Uhr ab auf furze Zeil gesperrt. Nach der Ueberführung der Leiche zum Potsdamer Bahnhof und Aufbahiung am Portal des Bahnhofs wird dem Bublifum Gelegenheit gegeben, an dem Sarge vorbei zu defilie­ren, und zwar in der Richtung Budapester Straße über den Bots­damer Platz nach der Königgräger Straße.

Infolge der für heute angeordneten Absperrung finden in der 3eit von 2 bis 7 Uhr umfangreiche Linienumlegun gen der Straßenbahn statt, von denen die Linien betroffen werden, die die Gegend des Potsdamer Plages berühren. Aue dort postierten Aufsichtsbeamten werden über die veränderte Linien­führung Auskunft erteilen.

Der Apfel der Elisabeth Hoff. Gie- fo leidenschaftlich geliebt von zwei Menſchen chen durchſchlängeltes Wieſental, auf deſſen jenseitiger Höhe,

36].

Bon Wilhelm Hegeler .

Ihr Arm war dem seinen entglitten. Er schien das Ge­spräch für beendet zu halten. Gebückt, den Blick zu Boden richtend, ging er neben ihr her, gedankenversunken, während fie fühlte, wie eine immer dichtere und schwerere Traurigkeit ihren eben noch beredten Mund verschloß. Sie hatte ihren Mann verteidigen, hatte sagen wollen, ihrer beider Verhältnis sei früher ganz anders gewesen. Aber war es denn so? Hatte es in all den Jahren nicht immer wieder ihres ganzen Mutes bedurft, um die leise Enttäuschung, die Leere, die Bitterfeit, die aufwallende Sehnsucht in ihr zu befämpfen? War denn wir lich eine plötzliche Wandlung eingetreten? War es nicht viel mehr so, daß das, was sie in der legten Zeit so befremdete und peinigte nur der offenbar gewordene Ausdrud eines schon lange bestehenden Zustandes war? Irgendwo in ihr war eine Stimme, die widersprach, eine Hand, die auf glücklichere Stun ben zeigen wollte, aber sie lagen versunken unter der schwerer und müder fich wölbenden Kümmernis.

So ging auch sie schweigend neben ihrem Begleiter, in fich verloren, fast ohne Bewußtsein seiner Nähe, bis ein Gefühl von Enttäuschung sie wider an ihn erinnerte: mit so bangem Glüd hatte sie ihn an diesem Abend erwartet, nun ging er neben ihr, ein ehrlicher, treuer, befümmerter und ratloser Freund. Und während zugleich mit der leisen Enttäuschung ein Gefühl dant­barer Sicherheit sie ergriff, sob sie wieder ihren Arm unter feinen

Er blieb stehen.

Ach, Elisabeth, was das Leben so schwer erträglich, so unheimlich oft und hassenswert macht, find nicht die großen Schrednisse, sind nicht Krankheit und Tod: das ist die Tat jache, daß es mit so unbarmherziger Gleichgültigkeit fein

wertvollstes Gut, sein wertvollstes Menschengut verfümmern| den Blid in ein Tal öffnete, in ein weiches, von einem Flüß­läßt. von Hochwald umrahmt, sich das Gemäuer eines alten Schlosses erhob. Wie trübe, im Dunst ertrinkende Funken schimmerten einige Lichter aus den lezten Häusern des Städtchens herauf und wurden überstrahlt vom bleichen Retzengianz der blühen­den Kastanienbäume, die wie zwei Reihen feierlicher Fadel­träger aus der Tiefe zu diesem Höhenvorsprung hinanführten. Rysed, beide Arme auf den verwitterten Ballen eines größtenteils eingefallenen Geländers stüzend, das unbedeckie Haupt weit vorbeugend, schien ganz in den Anblick versunten, und doch fühlte Elisabeth feinen rasch sie überflammenden Blid, als wollte er eine lange berechnete Wirkung feststellen.

Sie geraten an einen dritten o sicher, wenn ich jetzt mit Ihrem Mann spräche, er würde behaupten, Sie bedeuteten ihm unendlich viel. Aber alles, was er an Ihnen schätzt und liebt, das alles fönnte ihm eine andere Frau ebenjogut geben. Mein, es waren nicht gerade Sie, nicht gerade Elisabeth, die er brauchte. Es war ein Zufall, daß er Sie fand. Ich habe Sie begehrt und liebe Sie noch, aber wenn mein Freund Sie errungen hätte, wenn Sie seine Frau geworden wären ich hätte mich, wenn auch nicht neidlos, doch dem Schicksal gefügt, denn Sie wären ihm die Ergänzung geworden, die den Mann erst zum vollen Menschen macht. Aber daß es diefer dritte sein mußte, nein, ich jehe in diesem Zufallswurf nicht die Hand des weifen Schicksalsspielers. Nur eine Sinn losigkeit, wie alles, was unser Leben bestimmt.

Die Stämme wurden fürzer, standen dichter. Ein tiefer Hohlweg, bewachsen mit Moos und Schachtelhalmen und Schlingfräutern aller Art, führte bergan. Die schweren Schleppen der Tannenzweige streiften ihre Gefichter, um­hüllten sie halb, schlossen jede Durchficht zum Himmel ab. Die brennende Hize des ganzen Tages hatte sich in dem nadeligen Gezweig verfangen, und aus dem Boden, wo gelb geflecte Salamander trochen, stieg ein feuchter Brodem. Schwer und mühsam flommen sie hinan, das Rascheln des Krauts, das feine Knacken der zahllosen dürren Zweige machte jeden ihrer Schritte hörbar und schien ein leises tappendes Echo zu weden, wie in stiller Nacht das Nachschleppen eines hinfenden Uhrpendels... oder war es noch etwas anderes? dachte Elisabeth. Seltsam, fie bildete sich ein, die Schritte ihres Mannes zu hören, der zu Hause auf und ab ging, auf und ab, und ruhelos an sie dachte. Dann hellte es sich auf, grüßte durch Stamm und Gezweig mit vielen Augen, und plötzlich standen sie vor einer Lichtung, die ihnen, hinter einem jähen, mit saftigen Haselnuß- und Eschentrieben bestandenen Abhang,

-

War es der rasche Uebergang aus schwüler Finsternis in diese fühle und lichte Klarheit, die Ueberraschung und das plögliche Wiedererkennen des Ortes: sie war bestürzt, um­wittert von Gefahr, und fühlte zugleich doch, wie hundert aus­brechende Kraftquellen, brodelnden Unwillen, heiße Wider­standskraft.

Erinnern Sie sich?" fragte er leise. Wie sollte ich nicht?"

Er fam auf sie zu, die Hände nach ihr ausstredend. Seine Büge, feine Augen blidten ganz wie einst, in dunklem Schmerz in verborgener Wildheit.

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es war der alte

,, Elisabeth, schöne, schöne Elisabeth" Klang, nie wieder seitdem und doch so oft seitdem von ihr wiedergehört- Elisabeth, um die ich so viel gelitten, um die zu leiden noch ein Glück ist hören Sie mich an!" Erst sollen Sie mich anhören." Den gepreßten Atem zur Ruhe zwingend, blickte sie zurüd, in die vom Tannendidicht überdachte, schwarze Höhlung des Weges, als. müßte der Schatten, der sie geängstigt, daraus hervortreten, der Schatten, den ihr aufgeftörtes Gemiffen zum Bild ihres Mannes geformt hatte. Aber niemand kam.

( Forthegung folgt.)