Einzelbild herunterladen
 

Sonntag S.März 1925

Unterhaltung unö AAssen

Leilage ües vorwärts

öismarck Lucca Rhaöen. Aus Wiener Volizeiakten. Im Tomnier des Jahres 1862 weilten Bismarck und dl« Lueca in Ischl . D>e berühmte Sängerin veranlaßt« in einer übermütigen Laune Bismarck , sich mit ihr photogrophieren zu lassen. Die Photographie wurde verviolfälligt und fand beim Publikum reißenden Absatz. Bald sprach alle Welt davon, die Presse be- «nächtigte sich der.Affäre" und Bismarck sah sich veranlaßt, sich in einem Brief au den Geistlichen Andre von Roman öffentlich zu rechtfertigen. Der aus Berlin , den 36. Dezember 186ö datierte Brief möge seines charoktertstischen Inhalts wegen hier wieder- gegeben fein: Lieber Andrei Wenn auch meine Zeit knapp bemessen ist, so vermag ich nicht, mir die Beantwortung einer Interpellation zu oer-

Die präsiüentsthastskanöiöaten der Deutsihnationalen.

lich i welchen Zufälligkeiten sie ihre Entstehung verdankt hat: außerdem'ist letzige orau von Rhaden. wenn auch Sängerin, doch eine Dame. �cr man ebensowenig wie mir selbst jemals unerlaubte Beziehungen nachgesagt hat. Dessenungeachtet würde ich. wenn ich in dem ruhigen Augenblick das Aergernis erwogen hätte, welches viele und treue freunde mv diesem Scherze genommen haben, aus dem Be- rnch des au uns gerichteten Glases zurückgetreten fein. Sic sehen it9 Umständlichkeit, mit der ich Ihnen Auskunst gebe, daß ich .chr Schreiben als-in wohlgemeinte« aufsasse und mich in keiner aJcil« des Urteils derer, die mst mir denselben Glauben bekennen. zu uberheben strebe. Don Ihrer Freundschaft aber und von Ihrer ugcnen christlichen Erkenntnis erwarte ich, daß Sie den Urteilenden Vorsicht und Milde bei künftigen Gelegenheiten empfehlen, wir be- iurfen deren alle. Allerding, stellt ein Wiener Polizeiakt, ein Bericht des Wiener Polizeipräsidiums über den ersten Gatten der Sängerin Lucca , den Baron Rhaden . diese Geschichte weniger hormlos dar. Der vom dainaligen Polizeipräsidenten Marx und seinem Stellvertreter Weiß unterfertigte Akt hat folgenden Wortlaut: Baron Wolf Rhaden. wohnhast Bartensteinaall- 3. ge- oüriig au, Reubrandenburg in Mecklenburg , 8g Jahre alt. vro- testantisch. verheiratet, bekleidete früher eine Offizierscharge in der preußischen Armee, mußte aber wegen leichtsinniger schulden quittiere«. Zur Zeit feiner Aktiv«tat zählte Baron Rhaden zu den Günstlingen des preußischen chofes und auch de» Fürsten Bismarck, welcher mst dessen da­maliger Gatin. der Säs-zerin Lucca . und zwar im Einverständnis des Gatten, mtim« Beziehungen unterhallen, den Baron selbst zu politischen Mission«! verwendet haben soll. Die Trennung von der genannten Ehegattin cefchoh infolge seines verschwenderischen SisbenswanMs, dessen Kosten bei der Vermögens- und Erwerbs- lostgkeit des Manne» die Gattin tragen mußte. Rhaden. welcher auch derzeit keine stabil« Stellung einnimmt. rimgierts, nachdem er vor längerer Zeit eine Ehampagneraagntur für ausländische Firmen betrieb, durch mehrer« Jahr« als Geschäfts. 'ührer und Negoziant bei dem am hiesigen Platz« bekannten Tskompteur und Wucherer Foederl. welche Stelle er aber infolge der Geldkrise, von der auch Foederl hart betroffen wurde, auszu- geben gezwungen Mirdx. und betreibt gegenwärtig eine Handels- ageninr. Man will bemerkt haben, daß Rhoden vor kurzem mit einigen au, Konstanllnopel hier wlgekonrmenen türkischen Kauf- l c u t« n. welche im Hotel Metropol Aufenthalt nahmen, einen rezen Verkehr unterhielt, und daß aerfelbe Lieferungen»on verschiedenen Artikeln, darunter Militärtüchern,(je- wehr co usw., noch der Türkei , respektive für die erwähnten riir- tischen Kaufleiue negozierte. Obgleich Rhaden stark verschuldet ist und von seinen zahlreichen Gläubigern gedrängt wird, führi derselbe im allgemeinen, insbeson- der« aber sein« Sattin. welch« fast täglich mit Fiatern lange Spazier- fahrten macht, zudem aber auch kostspielig- Toiletten entwickelt, ein großes Dienstperionol erhalt, und auch im Haushalt verschwenderisch gebort, einen auffalligen Luxus. Es heißt, daß für Baron Rhoden, der sich vor kurzem in argen Geldverlegenheiten befand, und mit dem Zins derselbe zahlt 1300

Zst e» Herr o.Tlrpitz. der meisterhaste Balte«» Oder der»weise von Aon" Ludevdorff? Oder ist e» vielleicht Herr v. Oldenburg - bieger und Atlcn- klau boulei manu? Zanuschau. der sich während des Krieges mit Erfolg bemüht ha». Deutschland aus­zuhungern?

Oder ist es Herr Isidor Kreil, augeublick- lich im«Lefängul», von dem aoch Großes erwartet wird?

Sind e» die Herren v Zitzewitz, v Carlowih oder v. Karstadt , die drei ichSusten Trümpfe in der Haud der veut chnaüoualeu?

Oder ist es gar der mit besonderen slaate- mäunischeuFähIgkeiteo ausgestattete jüngste Hoheazollerueukel?

utden an Jahreswiete im Rückstand blieb, dieser rückständige ins ober von dsm nunmehrigen Gatten der Frau Lucca , Liron Wallhosen, von welcher Seite der zuweilen bedrängt« Daran ergie- big« Unterstützungen erhält, beglichen wurde: desgleichen oerlautet auch ziemlich verläßlich, daß Rhoden vor kurzem aus Berlin eine nickst imbcdeutcride Summe erhielt, und wurde die Bermutmig aus­gesprochen. daß dies« Geldsendung vom Fürsten Bismarck stamme, mit dem er noch immer im Verkehr stehen soll. Der mehrerwähnte Freiherr, Bater von fünf Kindern, unter ihnen Zwillingen, ist mit einer in Fiinfhavs gebürtigen Fragners- wchler namens Adele Droßmork. die ehemals als Sängerin an einem Berliner Theater wirkte, vermählt, und selbe soll setzt Besitzerin eines kleinen Landhaus«- nächst Wien sein, welches ihr der Gatte vor einigen Jahren, als er noch lukrativ« Geldgeschäfte negozierte, zum Geschenk machte. Im übrigen steht der Genannte im Rufe eines Schulden- machers, eines schwindeltreibenden Spekulanten und«in«? zweideutigen Charatrers. Wien . S. Dezember 1877. Marx e. h. Weiß e. h.

Wir wollen die in diesem Akte erwähnten Vermutungen über die Beziehungen, die Bismarck zur Sängerin Lucca . und zwar im Einverständnis ihres ersten Gatten, des Barons Rhaden , gepflogen haben soll, nicht weiter prüfen, wir wollen auch nicht an der Jntegri« tat seine? Charakters alsPrivatmaiui" zweifeln. Die Vezichungen, die Bismarck als Staatsmann und Politiker unterhielt, waren'mit­unter sehr zweifelhafter Natur, wie die zu Rhaden. Auch sei hier an seine Beziehungen zu Hermann Wagener erinnert, einem der bedeutendsten Führer der Konservativen, der zu den Intimsten Bis- marcks gehörte und indenÄorruptionsaffärenderGrün- dungsjahre eine große Roll« spielt«. Mögen die Geldbeträge, die Rhaden von Bismarck erhielt, nicht mit einer schmutzigen Privat- ossäre in Berbindung stehen, wie es der Wiener Polizeiakt annimmt. sondern politischen Zwecken gedient habev, woraus auch die Liese- rangen von Massen und anderen Militärausrüswngsgegenstände'i schließen lassen, die Rhaden mit jenen angeblichen türtischenKauf- leuten" abgeschlossen hatte, so wirkt es doch befremdend, daß der große Kanzler" mit einem so schlecht beleumundeten Menschen über- Haupt noch Vezichungen unterhielt und ihn sogar zu politischen

ei

?m kosakenöorf. Bon Maxim SorN.

Ich setzte mich neben die Frau. .T>u willst dir wohl mit Gewalt den Hals brechen?" sagte ich. Sie gab keine Antwort. Störe ich dich?" Rein, bleib nur." versetzte sie. ließ die Arme sinken und sah mich lange an.Woher bist du?" fragte sie dann. Aus Nischnij.. So weit her?.. , Haft du den Burschen da gern?" fragt» ich. Zögernd und gleichsam dl» Worte zShlend antwortete sie: Er ist nicht übel. Ein kräftiger Junge aber sehr herunter- gekommen... Dumm scheint er zu sein... Schade um ihn: könnte was Tüchtiges leisten, wenn er am rechten Platze wäre.. Die Uhr auf dem Kirchturm schlug zwei; sie bekreuzte sich zwei- mal. ohne ihre Rede zu unterbrechen. Es tut mir immer leid, wenn ich die jungen Menschen so um nichts zugrunde gehen sehe. Schade um ihre Kräfte! Wenn ich kömuc. ich brächte sie alle in ein gutes Brot..." ..Und du selbst- tust dir nicht leid?.. Gewiß, auch ich tu' mir leid Wie kannst du dich an solch einen Tölpel wegwerfen?" Ich würde schon einen Menschen aus ihm machen, glaub'z mir? Du kennst mich nicht... Sie seufzte tief auf. Hat er dich vorhin geschlagen? Nein. Laß ihn nur w Ruhe.. Du hast doch so laut geschrien?... Sie schmiegt- sich plätzlich mst der Schulter an mich und gestand leise: Gegen die Brust hat er mich gestoßen... Er hätte mich auch uniergctriegt. aber ich wollte nickt... Ich konn mich nicht so hin. geben, oh»« H. und Gefühl.«'« eine«atze... Wie plump ihr doch alle s«>d!...» Dos Gespräch kam in, Stocken. In der Tür der Hütte stand jemand und pfiff leik«. als wenn er einen Hund riefe. Do ist er.. flüstert« die Frau. Soll ich fortgehen?" «>e faßt« mich ans Knie und sagte hostig: Nein, bleib nur, bleib!" Der Mann w h« lür verschwand nach einer Welle. Ein unter. drückt es. schmerzliches Stöhnen entrang sich ihrer Brust.

.O Gort, wie bitter leid tun mir doch all«, alle! Mes. was da lebt... alle Menschen... alles, alles... tut mir so schrecklich leid! O Herr und Bater im Himmel!" Ein Zittern überlief ihre Schultern, sie weint« und flüsterte leise schluchzend: Wenn mir so in der Nacht olles einfällt, was ich gesehen habe, dann überkommt mich solch«in Weh um oll die Menschen... Laut aufschreien mächt' ich, über die ganze Erde hin, und find' doch keine Worte, weih nicht, wie ich's ausdrücken soll..." Ich kannte diese Stimmung und begriff sie: auch ich hatte diesen stummen, wortlosen Ausschrei in meiner Seele empfunden. Wer bist du eigentlich?" fragte ich sie und streichelte ihren Kopf und die zitternden Schüller. Und als sie sich beruhigt hatte, begann sie mir mit leiser Stimme die Geschichte ihres Lebens zu erzählen. Sie war die Tochter eines Tischlers, der nebenbei auch Bienenzüchter war. Nach dem Tode ihrer Mutter hatte der Boter ein junges Mäd- chen geheiratet, und die Strefmuller muffte es durchzusetzen, daß die damals neunjährige Tatjana ins Kloster gesteckt wurde. Dort oer- blieb sie bis zum heiratsfähigen Aller, lernte lesen und nähen, und dann gab sie der Vater einem allen gedienten Soldaten, der in den Klostorivaldungen als Forstwatt angestellt war. zur Frau. Ein böser Mensch war'» und ein Trunkenbold. In seiner Wach- stube trafen sich die Nonnen zur Nochtzclt mit den Herren, die zur Jagd kamen, und trieben da allerhand Unzucht. Auch mich suchte er dazu zu verleiten, und wie ich nicht» davon wissen wollte, schlug er mich so lange, bis ich schließlich nachgab. Ich verliebte mich in einen der Herren und lebte mit ihm, wie aber seine Frau dahinter- kam. scklug sie Lärm und setzt« es durch, daß mein Mann von seiner Stelle weggejagt wurde. Reich war sie und hübsch, wenn auch etwas gar zu dick, und ettrug's nicht, chn bei'ner andern zu willen. Bald darauf starb mein Mann am Laurentiustag«, zuviel Branntwein hatte er getrunken: mein»äterchen war schon vorher gestorben. Ich ging zur Stiefmutter, di, meint« aber:Was soll ich mit dir? Sieh' zu. wo du bleibst!" Sie hatte ja auch recht: was sollt« ste mst mir? Ich suchte nun wieder da» Kloster auf. doch auch da war meines Bleibens nicht, wie ich bald einsah. Die alte Mutter Taissia, meine Lehrerin, riet mir:.Zieh in die W-v. Tatjana, vielleicht stn. best du noch dein Glück!" So zog ich denn aus und ziehe hin und her, hin und her.. .Nicht richtig hast du es angefangen, dein Glück zu suchen.. .Ich verfteh's eben nicht bester, stehst du..." V. Das uächtüche Dunkel erschien nun nicht mehr wie«in gleich- mätzig schwarzer, undurchdringlicher Borhang, e» war a» einige»

Stellen durchsichtiger geworden, während es an anderen schwere, dichte Fallen bildete. Ich schaute in die dunklen Augen der Frau: sie hatten einen trockenen Glanz und«inen melancholisch-naiven Ausdruck, wie bei einem halbwüchsigen Mädchen. Sonderbar bist du doch.. sagte ich zu ihr. Ich muß schon so genommen werden, wie ich bin!" versetzte sie und beleckte stch mll der dünnen Kotzenzunge die Lippen. Was suchst du eigentlich in der Welt?" Ich weiß schon, was Ich suche. Einen ehrlichen, fleißigen Mann will ich mir suchen, und dann nehmen wir zusammen ein Stück Land in Besitz... irgendwo bei Reu-Athos. ich kenne dort sehr schöne Stellen, bin dort gewesen. Einen Fruchtgarten ttchten wir uns ein, einen Gemüsegarten, auch ein Stück Ackerfeld... eine richtige Wirtschast!" Ihre Motte klangen immer bestimmter und zuversichtlicher. So recht behaglich mächt' ich leben.,. 0 Gott, wenn ich das einmal erreichen känrnel... Zuerst muß ich freilich den Mann finden.. Ihr Gesicht hatte etwas so Trauliches, ihre Augen blickten sonst in die entweichende Nacht und ruhten freundlich aus allem, worauf ihr Blick siel. Mir tat sie tief innerlich leid, daß ich dem Weinen nahe war» und um das zu verbergen, sagte ich scherzend: Könntest du mich nicht dazu gebrauchen?" Ein leichte» Lächeln huschte über ihr Gesicht. New... du eignest dich nicht dazu.. Warum nicht?" Well du anderes im Sinne hast,. Wie kannst du«iston. was ich im Sinn« habe?" Sie rückte von mir ab und sagte trocken: Ich seh' dir'» an den Augen an... Reden wir nicht davon» es hat keinen Zweck..." Wir saßen aus einem knorrige« Eichenklotz, der genz schwarz war von Feuchttgkeit Sie klopft« mtt der flachen Hand aus den Klotz. .Und du selbst," begann sie plötzlich und rückte wieder näher zu mir heran.was suchst du eigentlich?" .Nichts. Ich will nur sehen, wie die Menschen leben.. .Bist du allein?" »Ganz wie ich. O Gott im Himmel, wieviel einsame Mensche» gibt's doch in der Well!" Dl« Ochsen erwachen und brüllen leise, es klingt, als ob irgendwo in der Ferne ein blinder Greis den Dudelsack spiell». Dom Kirchturm erschallen vier gellend« Glockenschläge. (Fortsetzung folgt)