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Nr. 132+ 42. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Kleine Unzufriedene und Ruheftörer.

Zu den verwerflichsten menschlichen Eigenschaften gehört die Schikane Feige Menschen, die niemals offen, immer aus dem Hinterhalt ihre Mitmenschen mit Nadelstichen brutalisieren, es mit erstaunlicher Zähigkeit durchführen und dabei so raffiniert vorgehen, daß man ihnen mit Rechtsmitteln nicht immer leicht beikommen kann, hat es zu allen Zeiten und auf allen Gebieten gegeben. In der Werkstatt und im Bureau, im gewerblichen, häuslichen und poli­tischen Leben, furz überall stößt man auf jene üble Sorte, die sich ein fatanisches Bergnügen daraus machen, anständige und fried liebende, aber ihnen verhaßte Menschen bis auf das Blut zu reizen und zu peinigen. Hier ist der Schifanist ein Vorgesezter, der die ihm in die hand gegebene Macht mißbraucht, dort ein Gleichgestellter, der nach dem Teufelsrezept arbeitet: es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt! Einer der schlimmsten Tummelpläge dieser Art war bekanntlich die Kaserne unfeligen wilhelminischen Angedenkens. Noch heute aber wirkt das, was beim Militarismus ein meitverzweigtes System war, in Taufen­den niederträchtiger Fälle fort.

Kranke.

Der Schifanist ist in jedem Falle, in allen seinen Abarten, eine pathologische Figur. Der Normalmensch verfügt über so ftarfe Hemmungskraft, daß er jede fleinliche Schifane weit von sich weift, zu ihr gar nicht fähig ist. Er tritt feinem Gegner mit offenem Bifier entgegen, trägt Meinungsverschiedenheiten in chrlichem

Schnet.

Die beliebteste Ruhestörung". Kampfe aus. Schon in der Heimtüde des gewohnheitsmäßigen Schifanisten, der mit äußerstem Raffinement, das man gerade bei geistig minderwertigen Menschen so erstaunlich entwickelt findet, für Zeugenausschaltung sorgt, liegt seine Gefährlichkeit und damit jeine pathologische Bewertung. Betrachtet man die Schifanisten mit hellen Augen in ihrem übrigen Leben, so werden sie auch hier durchweg zahlreiche frankhafte Züge erkennen lassen. Das tritt besonders

charakteristisch beim weiblichen Element hervor. Die Schifane ist, obgleich zu ihr auch nicht ganz wenige Männer neigen, doch so recht eigentlich die Domäne des Ewigweiblichen. Alle Frauen, die im häuslichen Leben den schifanösen Kleinkrieg mit Nachbarn führen, über die Grenze hinaus, die nach wissenschaftlicher Anschauung die find nervös überreizt oder schwer hysterisch und oft schon erheblich trotz der Nervosität gerade noch Geistesgesunden von dem bereits Geisteskranken trennt. Die systematische Schikane gehört daher weit öfter vor das Forum des Arztes als vor das des Straf­richters. Hauskrieg.

Die noch heute häufigste Form der Schifane ist die Gifffpritzerei gegen den Hausnachbar. Es ist unglaublich, zu welcher Niedertracht fich da der Menschengeist verirrt. Anonyme Briefe, die man ver licher sind Postpakete mit übelriechenden Abfällen oder mit Artikeln, ächtlich in den Papierforb wirst, sind noch das Erträglichste. Bedenk­die beim Deffnen des Batetes tnallen. Vor einigen Jahren erhielt eine schifanierte Frau ein Postpaket, das nach dem Deffnen den in Wachs nachgebildeten blutüberronnenen Kopf einer Leiche zeigte. Die Empfängerin verfiel in Schreifrämpfe und war wochenlang frant. Nicht selten wird die Wohnungstür des schitanterten Nach­barn nach Verbrecherart mit Kot beschmiert. Vielfach läßt man den ganzen Tag über den Phonographen fnarren oder haut wie ein Elefant auf den Taften des Marterinstruments Klavier herum. wohnenden Mieter zu stören, mit schweren Stiefeln von früh bis Wieder andere gehen in der freundlichen Absicht, den unter ihnen spät über die Dielen. Sogar die Kinder werden zu solchem und ähnlichen Unfug abgerichtet. In derartiger Vergiftung der Kindes­feele fieht man neben der besonderen Gemeinheit wieder das patho logische Moment. Die Kinder der Hysteriker haben doch fast immer von den krankhaften Trieben ihrer Eltern mehr oder weniger auf die Welt mitbekommen und müßten deshalb mit äußerster Borsicht erzogen werden. Sie zur Schikane gegen Erwachsene anzuftiften, ist geradezu ein Berbrechen. Eine an Hysterie und Verfolgungswahn leidende Frau rächte sich an einem unter ihr wohnenden Lehrer, der sich über ihr lautes Treiben beschwert hatte, dadurch, daß sie jeden Nachmittag und Abend den Fußboden mit Preßfohlen bombardierte. So ist überhaupt die Lärm sucht und das absichtliche Lärmen das Hervorstechendste bei diesen franken Menschen.

Wie schützt man sich?

Zurückhaltung ist manchmal verfehrt, schnelles Zupaden das einzig Richtige. Die Schifanierten find nicht so schutzlos, mie sie ge wöhnlich glauben. Vor allen Dingen muß mit Ruhe und Umsicht der Zeugenbeweis gesichert werden. Manche Leute, die systematisch belästigt werden, greifen in ihrem Aerger zur Revanche. Um zu fehen, wer beispielsweise den Schikanelärm am längsten aushält, leihen fie fich eine Trommel oder Baute, bringen im Zimmer eine gellende Sirene an oder hauen Holz. Das alles ist natürlich Unsinn und bringt den Belästigten vom Wege des Rechts ab. Es gibt eine ganze Anzahl Rechtsmittel, um auch den bösartigsten Krateeler zur Ruhe zu zwingen. Liegt die Gefahr schwerer und absichtlicher Ge­fundheitsschädigung vor, womöglich verbunden mit Behinderung der Erwerbstätigkeit, so greifen auf Antrag die Kriminalpolizei und die Gefundheitspolizei ein. Der zunächst verwarnte Schifanist und Ruhestörer tann, wenn er sein unter Umständen gemeingefährliches Treiben fortsett, dem Kreisarzt zur Untersuchung seines Geiftes­zustandes überwiesen werden. Beim ordentlichen Gericht kann man auf Unterlassung der Schikane und Ruhestörung klagen. Das geht im Wege der einstweiligen Verfügung sehr schnell. Es müssen dann aber dem Antrage eidesstattliche Versicherungen von Zeugen bei­gefügt werden. Hierbei ist zu beachten, daß die Gerichte ruheftören­den Lärm zu nachtschlafender Zeit und am Tage unterscheiden. Gegen Tageslärm ist in der Regel nur dann mit Erfolg zu flagen, wenn einwandfrei die schifonöse Störung oder die Gesundheitsschädi­pung nachgewiesen wird. Eine sehr scharfe Handhabe hat unter der Wohnungszwangswirtschaft auch der Hausbesizer, dem man in diesem

Der Apfel der Elisabeth Hoff. ouette in dem zarten, unendlich tiefen Glanz dieſes der­

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Von Wilhelm Hegeler . ( Schluß.)

Während des Abendessens verhielt Elisabeth sich still und zurückhaltend. Nachdem sie aber die Kinder in Eile zu Bett gebracht hatte, fam sie wieder herunter und bat ihn, an diesem legten Abend mit ihr noch einen Spaziergang zu machen, auch sie hätte ihm mancherlei zu sagen.

Sie nahm seinen Arm und führte ihn ins Freie hinaus, denselben Weg, den sie mit Rysed gegangen war. Vor allem muß ich dir sagen, daß ich jetzt weiß, was der Grund deiner Kälte gegen mich während der letzten Wochen war. Was hast du durchgemacht während dieser Zeit! Und ich ahnte nichts davon. Ich beschuldigte dich noch der Gleich­gültigkeit. Ich nannte dich herzlos. Und abends ging ich aus und war vergnügt und ließ dich allein mit deinen Todes= gedanken."

Ihre eben noch ruhige Stimme zerbrach, ihre Worte wurden schmerzvoll gepreßtes Flüstern:

" Du glaubtest mich schonen zu müssen. Du wolltest deine Not allein leiden. Aber damit hast du mir das Beste ge­nommen, was einer Frau werden kann: dem geliebten Wesen Trost sein zu können in seinen schweren Stunden. Und hast zugelassen, daß ich mich verlor. Aber ich flage dich nicht an. Ich allein bin ja schuld, vcn Anfang an. Meine Feigheit. Mein Mangel an Vertrauen"

-

Elisabeth sollen wir wirklich unsere Schuld gegen­einander abwägen? Meine Gleichgültigkeit gegen deinen Mangel an Vertrauen. Meine Selbstfucht, die alle deine Liebe wie etwas Selbstverständliches hinnahm. Wir waren beide schuld. Wir hatten uns verloren. Laß uns freuen, daß wir uns wiedergefunden haben."

Haben wir uns wirklich gefunden?" Er blieb stehen, sah sie nur an:

" Hast du nicht gefühlt, fühlst du jetzt nicht, daß ich dich nie so heiß, so sehnsüchtig geliebt habe wie in dieser Zeit, wo ich dich nicht berühren durfte? Elisabeth du schöne Wieder­gefundene!"

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Er streichelte ihr Haar, sprach zu ihr gütige, liebevolle Borte aus seinem ergriffenen und verstehenden Herzen. Plöz­lich blieb sie stehen.

..Die Kastanien blühten. Dort ist die Banf." Noch einmal sah sie alles vor sich, sah auf die schwarze, Dom Tann überdachte Höhlung des Waldweges, fah den tiefen

Wielengrund und gegenüber die ernste Wölbung der Wald­höhe, aus der das Gemäuer des Schlosses sich erhob als schwarze dämmernden Sommerabend. Eine wunderbare, flingende Stille lag über der Landschaft. Grillen zirpten, und über dem Gebüsch des Abhangs zogen Glühwürmchen ihre silbernen Bahnen.

SP

Dort habe ich mit ihm gesessen," sagte sie in atemlosen Flüsterton. Und er hat mir von seiner Liebe gesprochen. Er sprach davon mit solcher Leidenschaft auf eine fo betörende Weise, daß auch ich nur meine Liebe zu ihm fühlte, und wenn Ihr Blid glitt blaß, in tödlichem Erschrecken, nach dem Ge­nicht Ihr Flüstern stockte. Ihre Hand griff nach seiner. büsch, als täten sich die Zweige wieder auf und erschiene dort noch einmal das unwahrscheinlich spite, tierhafte Gesicht ihres Verfolgers. Und ,, Er war uns nachgeschlichen und belauerte uns. wenn ich ihn nicht gesehen hätte er legte schon auf uns er legte schon auf uns an, dann hätte er schon damals geschossen und hätte wohl beffer getroffen als das nächstemal. Er war es nicht ich -nicht ich, er hat mich gerettet, der Unglückliche. Und hat meinen Leichtsinn mit seinem Leben gebüßt. Ach, du, halt mich! Halt mich! Es ist etwas Gefährliches in mir."

"

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-

Am nächsten Morgen erhielt Rysed den Besuch Hoffs. Elisabeth hatte ihren Mann nicht begleitet, aber auch abwesend war sie bei diefer Begegnung zugegen. Ja, gerade das leb­hafte Gefühl ihrer Nähe, das Erfüllt sein von ihr, einst der Grund der Entfremdung der beiden Männer, war jetzt die ver­mittelnde Brücke zwischen ihnen, nachdem in Rysed Leidenschaft und Enttäuschung sich geklärt hatten zum Bewußtsein des Leglückenden Gewinns ihrer Freundschaft. Dennoch bestand in der ersten Minute eine gewisse abwartende zurückhaltung zwischen ihnen, und ihre forschenden Blicke fchienen auszu­brücken: entweder haben wir einander sehr viel oder sehr wenig zu sagen. Aber diese fühle Verhaltung entsprach nicht Rysecks Art. Sich plötzlich aufrichtend und die dunklen Augen in der alten brennenden Unruhe auf Hoff richtend, sagte er: Eins möchte ich wissen Halten Sie es für möglich, daß dadurch, daß Sie mir Ihr Blut einpumpten, sich mein Tem perament, mein Wesen irgendwie verändert hat?"

" Das halte ich für ausgeschlossen. In der Beziehung brauchen Sie nichts befürchten.

" Nicht, daß ich es fürchte! Warum? Es wäre vielleicht ganz interessant. Also ich werde weiter als mein altes Jch durchs Leben wandern? Durch dies Leben, das ich Ihnen verdanke. Sie haben mich ja gerettet. Ich danke Ihnen! Offen gestanden, ich hatte es nicht verdient."

Donnerstag, 19. März 1925

Falle beipflichten muß, wenn er zum Schutze von Mietern nieder. trächtige Handlungen nicht duldet. Die systematische Schikane in offener oder versteckter Form ist identisch mit dem Begriff der erheblichen Belästigung, die nach§ 2 des Mieterschutzgesetzes mit dem ständen sind sogar Schadenersatzklagen möglich. Ein gewisser Schutz, Unter erschwerenden Um­Berlust der Wohnung bestraft wird. wenigstens für Stunden, liegt im Rundfunk. Wer Radiovorträge

Ein Trio, das jeder fürchtet.

Lehnert

hören will, darf dabei keinen Radau machen. Das ist für Stören­friede ein ganz gutes Erziehungsmittel, da ja nun sie selbst Ruhe beanspruchen.

Seid Menschen, feid friedlich! Macht nicht das Wort Kants wahr, daß wir nur dazu auf der Welt zu sein scheinen, um uns gegenseitig zu zerfleischen! Das heutige schwere Leben erfordert mehr wie je Zusammenhalten und Berträglichkeit, Sinn für die Rücksichtnahme auf den einzelnen wie auf Ganzes. Vernunftgemäßes Denken und Handeln, oft schon ein einziges und fluges Wort fann unendlich viel Unheil verhindern. Wer aber sich nicht eingliedern will in die einfachsten Ordnungsbegriffe, ohne die man auch in einem republikanischen Staatswesen nicht auskommen fann, den treffe die volle gesetzliche Schwere der selbstverschuldeten folgen.

Ariegsopfer! Sundgebung am Donnerstag, den 19. März, abends 7%, llbr, in dem Hohenzollern - Festsaal, Charlottenburg , Berliner Str. 105, für eine beffere Rentenversorgung und für die Ausgestal tung der bestehenden Fürsorge Reichsbund der Kriegs­beschädigten, Striegsteilnehmer und Striegerhinierbliebenen.

" Offen gestanden, hatte ich anfangs auch nicht die Absicht, es zu tun."

,, Und dann geschah es doch! Wir sind ja beide haarscharf an der Kirchhofsmauer vorbeigestreift. Daß das Schicksal uns trotzdem zum Weiterleben bestimmt hat, muß seinen tieferen Grund haben. Den müssen wir noch herausbekommen. Ich hoffe, in Deutschland zu bleiben. Ja, trog allem, was noch fommt. Man teilt das Schwere wenigstens mit feinen Freunden."

Dann hoffe ich Sie wiederzusehen," sagte Hoff.

Am Nachmittag machte Rysed seinen ersten Gang ins ändert! Die weißen Blütenbäume hatten fich tiek begrünt und Freie. Wie hatte sich die Landschaft in diesen Wochen ver­Früchte angefeßt. Boller und männlicher schienen ihm die Bögel zu fingen. Und in ihren vielstimmigen Klang aus der Höhe tönte von der Erde her ein unendliches Zirpen und Schwirren. Wie eine grüne Mauer erhob sich das mannshohe Getreide, runde Heuhaufen wölbten sich schon da und dort auf den Wiesen, und nah und fern waren sensenschwingende Männer und Frauen mit Rechen am Wert. Wie alles wuchs und unter dem blauen Sommerhimmel der Bollendung ent­gegenreifte! Aber plöglich hemmte Ryseck den weichen luft­vollen Schritt, hob tiefer atmend den Kopf: er schmeckte die Luft, den warmen Geruch der Erde und des blühenden Korns, aber zugleich den würzigeren kühlen Duft des frisch gemähten Grases, und im selben Augenblick vernahm er auch inmitten Grases, und im selben Augenblick vernahm er auch inmitten der schmetternden Klangfülle einen anderen Ton: gedämpftes Rauschen der Sense, fernen Nagelschlag aus irgendeiner Werk­statt. Der Tod! Der Tod! Schon war er wieder in seinem Dhr. Aber wenn es auch der alte wohlbekannte Ruf war, er hatte nicht mehr den alten verhaßten Klang. Es war nicht mehr die fremde Gewalt, gegen die sein Herz sich in Angst und Empörung erhob. Es war, als wären Leben und Tod ein Klang geworden, ein Atemzug, als wäre die Luft des Lebens nicht weniger sonnig und warm, aber voller, würz reicher geworden durch die fühle Mahnung der Bergänglich­teit. Und während der horchende Ausdrud auf seinem Ge­ficht sich beruhigte zu heiterem Ernst, fam ihm ein Wort über die Lippen, das nur die augenblickliche Tagesstunde und die gerade herrschende Stimmung bezeichnete und das gleich doch zu ihm selbst in irgendeiner Beziehung stand. Er blickte in den milden Glanz des Himmels, den die Feuergarben der Sonne nicht mehr überlohten, auf die vom fernen Dunst mher zusammengehaltenen als verhüllten Umrisse der fernen Hügel, über das vielfarbige, aber zugleich beruhigte Prangen der Felder er sah das alles mit seinen Augen und war mit feinem Blid doch ganz in fich verloren, als wäre die Welt um ihn ein Abglanz feiner neuen inneren Welt.

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